Wer tut sich das noch an?

Richtige Politiker brauchen eine dicke Haut, aber vor allem ein großes Herz. Kompetenz ist ebenso wichtig wie eine Vision. Doch auch die Wähler sind in der Pflicht, meint Neos-Gründer Matthias Strolz. Den wichtigsten Job in der Demokratie haben nämlich die Bürger.

Ein Mann in Anzug und Krawatte läuft vor einer Verfolgerschar an Reportern, Aktivistien und Paparazzi davon. Das Bild illustriert einen Beitrag von von Matthias Strolz über die richtigen Politiker.
Wenn Politiker Leidenschaft, Kompetenz und eine Vision mitbringen sollen, sind auch die Bürger gefragt. © Michael Pleesz

„Alles Idioten“, „Alles Gauner“, „Alles gierige Opportunisten, die im echten Leben keinen Job finden würden“: Das sind drei Originalzitate aus Online-Foren und Social-Media-Kommentaren über Politikerinnen und Politiker. Es ist die Zusammenfassung einer Stimmungslage, die Politikern seitens der wütenden, frustrierten und negativen Segmente unserer Bevölkerung entgegenschlägt. Es stellen sich also einige Fragen: Warum wird man Politikerin oder Politiker? Wer tut sich das noch an? Was bringt Menschen in die Politik, und was sollte sie dort hinbringen? Welche Eigenschaften hat der ideale Politiker?

Das weltweit effektivste Politikmodell ist aktuell die Kombination der Lüge mit hoher Professionalität und viel Geld. Damit organisiert und „gewinnt“ Wladimir Putin Pseudowahlen in Russland, damit bemüht sich Donald Trump um seine zweite Präsidentschaft, damit besorgten die Brexiteers den Austritt aus der EU, damit stärkt Xi Jinping seine Herrschaft in China, damit regierte Jair Bolsonaro in Brasilien und herrscht Viktor Orbán in Ungarn.

Doch wir müssen nicht in die Ferne schweifen. Auch Österreich kennt diese Ausprägung des politischen Geschäftsmodells, vielleicht sogar in der weltweit elegantesten Form. Die Gerichte beschäftigen sich derzeit damit und werden das auch die nächsten Jahre tun. Was bei Trumps früherem politischem Berater Steve Bannon „Flood the zone with shit“ hieß, wird vom Chefberater zweier österreichischer Bundeskanzler „strategisch notwendiger Unsinn“ genannt. Stolz bekundet dieser in seinem Buch, dass es mitunter eben darum gehe, Österreichs Medien und Bevölkerung mit „strategisch notwendigem Unsinn“ zu überschütten, um daraus partei- und machtpolitische Vorteile zu ziehen.

Gefährlicher Zynismus

Machterhalt braucht ebendiese Form der professionellen Kaltschnäuzigkeit, wird dann gern behauptet. Ist das so? Ich melde grobe Bedenken an, sogar existenzielle. Was halb lustig bis harmlos klingt, ist langfristig für die Demokratie tödlich. Ganz offensichtlich liegt das postdemokratische -Virus bereits in der Luft, weltweit. Ob es sich durchsetzen kann, wird an den Wählerinnen und Wählern liegen – und daran, welchen Politikertypus sie nach vorne schicken. Jene, die dem oben gezeichneten Geschäftsmodell huldigen, sind tendenziell dazu bereit, die liberale Demokratie der eigenen Machtausübung zu opfern.

Wer sich nicht gut führt, rutscht in Opportunismus, Resignation oder Zynismus.

Politik ist der Ort, an dem wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben. Wir brauchen diesen Ort. Wir können ihn verachten, ignorieren oder gering schätzen. Wir können ihn umgestalten, versauen, umetikettieren. Wir können ihn jedoch nicht abschaffen. Wir Menschen sind soziale Wesen, und wenn mehrere von uns aufeinandertreffen, müssen wir uns einiges ausmachen. Das ist Politik. Da wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft leben, gibt es Leute, die hauptberuflich Politiker sind.

Idealisten am Start

Meine Erfahrung lehrt mich, dass der weitaus größte Teil der Politikerinnen und Politiker in Österreich seine Reise mit Idealismus begonnen hat. Sie sind fasziniert vom politischen Raum. Sie wollen mitgestalten, ihre Ideen einbringen und gemeinsam mit anderen Menschen umsetzen. Meine Beobachtungen als Politiker, Politikberater und Coach legen jedoch auch nahe, dass es sehr schwierig ist, den eigenen Idealismus aufrechtzuerhalten.

Ein immens hoher Alltagsdruck sowie Sachzwänge und Verführungen aller Art verschütten die Verbindung zum Ursprungsfeuer. Wer sich selbst nicht gut führt, rutscht über die Jahre in den blanken Opportunismus, die dumpfe Resignation oder den Zynismus. Manche auch in die Korruption oder Krankheit. Einen langfristig authentischen und proaktiven Zug zur Gestaltung kann ich mir als Politiker nur erhalten, wenn ich stets die Antwort auf die Frage „Wozu mache ich das?“ und eine „Wohin will ich?“-Vision habe.

Wenn ein Politiker die Fragen des „Wozu?“ und des „Wohin?“ für sich nicht geklärt hat, ist er den Dynamiken seines komplexen Umfeldes hilflos ausgeliefert. Wer keine innere Orientierung hat, wird zur Marionette externer Reize und Einflüsse. Der solchermaßen desorientierte Politiker wird sich dem Diktat der medialen und machtorientierten Verwertungslogik beugen und beliebig seine inhaltlichen Positionen wechseln, je nachdem wie der Wind gerade bläst. Er wird sein Tun und Lassen vor allem von Meinungsumfragen und externem Druck abhängig machen. Er wird jene – mitunter unrealistischen bis verlogenen – Versprechen abgeben, die ihm bei Wahlen Stimmen bringen. Und er wird den zahlreichen moralisch fragwürdigen Verlockungen nicht widerstehen können.

Für solche Politiker reicht die Ambition nicht über den Horizont der eigenen Karriere hinaus. Sie werden Getriebene von Machthunger, Gier und Anerkennungssucht.

Richtige Politiker

Doch wie schaut nun der ideale Politiker aus? Welche Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen bringt er oder sie mit? Ich bin davon überzeugt, dass es den idealen Politiker nicht gibt. Zu unterschiedlich sind die Kontexte, zu dynamisch ist das Umfeld. Für den Bürgermeister einer Bezirkshauptstadt mag anderes gelten als für eine Bildungsministerin. Bin ich während einer Epidemie Bundeskanzler, stehe ich vor anderen Herausforderungen als eine oppositionelle Klubobfrau im Nationalrat. Und dennoch wage ich, einige Orientierungspunkte zu markieren: Richtige Politiker verstehen sich als Geburtshelfer des Neuen und als Veränderungsagenten. Der Wandel, den Politiker begleiten, findet ununterbrochen und auf sämtlichen Ebenen statt: vom Individuum über Organisationen bis hin zur Gesellschaft. Alle Sphären sind ständig im Umbruch. Entwicklung ist das Merkmal des Lebendigen.

Richtige Politiker sollten folglich auch Experten für soziale Systeme sein. Dies erfordert Wissen, Erfahrung, ein ausgeprägtes Verständnis für Prozesse. Nur so können Politiker erfolgreich gestalten. Sonst kündigen sie beispielsweise die größte Gesundheitsreform aller Zeiten an, und der Rechnungshof berichtet einige Jahre später von einem Rohrkrepierer. Unsere moderne Welt ist ein Netzwerk von Organisationen. Politiker agieren in diesem Netzwerk idealerweise als Ingenieure der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie sollten danach trachten, die Organisationen, die ihnen anvertraut sind, zu „lernenden Organisationen“ zu machen, die sich äußeren und inneren Reizen anpassen. Anstelle von Abschottung, Rückzug, Resignation oder Widerstand geht es darum, Irritationen und Ereignisse für Entwicklung zu nutzen.

Mit Leidenschaft und dicker Haut

Die ideale Politikerin hat also sachliche Leidenschaft, inhaltliche Vision, Mut und Entschlossenheit. Sie mag Menschen, verfügt über hohe Empathie, Frustrationstoleranz sowie Strategie- und Kommunikationskompetenz. Sie hat einen gut geeichten moralischen Kompass, ein hohes Maß an Integrität, zudem ihr Ego im Griff und dient mit ihren Talenten. Sie verfügt über ein hohes Maß an persönlicher Reife sowie eine stark entwickelte Fähigkeit zur Selbstführung, um mit den unausweichlichen Verletzungen und Kränkungen gut umgehen zu können. Sie lebt den Spannungsbogen aus Konkurrenz und Kooperation in einer positiven Art und Weise und investiert nicht in die Verlockung, die Beschädigung politischer Mitbewerber mit Häme zu befeuern. Sie greift mit echten und ernsthaften Anliegen beherzt nach der Macht, um zu gestalten.

Weite Teile der Bevölkerung gehen in eine Opferrolle und gefallen sich dabei.

Und wo finden wir nun diese menschliche Variante der eierlegenden Wollmilchsau? Nun denn, es geht wohl immer wieder um eine Annäherung. Und für uns Wählerinnen und Wähler geht es darum, achtsam Ausschau zu halten und beherzt auszuwählen. Wer sich mit dem Gedanken trägt, in die Politik zu gehen, sollte seine Beweggründe prüfen. Ja, es ist ein Bühnenberuf. Und ein solcher bringt Aufmerksamkeit. Sollte dies das Hauptmotiv sein, empfehle ich, davon Abstand zu nehmen, denn dann wäre die Politik eine fragwürdige Ersatztherapie. „Wohin du auch gehst, geh mit ganzem Herzen“, meinte Konfuzius. Ich stimme zu und halte glaubwürdige Politik mehr für eine Frage der Berufung als eine individuelle Karriereüberlegung. Man prüfe also sein Herz, bevor man in die Arena steigt.

Pflicht der Bürger

Viele Worte über richtige Politiker und Politikerinnen, einige hier noch über Wählerinnen und Wähler: Politiker-Bashing ist in unserer Republik und weltweit zu einem undifferenzierten Volkssport geworden. Bei jeder Gartenparty wird gejammert, in jeder Baugrube und auf allen Hochschulen. „Die elenden Politiker“ seien schuldig. Das erscheint mir verdächtig. Weite Teile der Bevölkerung gehen hier in eine Opferrolle und gefallen sich dabei. Das ist jämmerlich. Feindbild Politiker – ein leicht durchschaubarer Akt der Selbsterhöhung durch Fremdabwertung.

Was dabei oft übersehen wird: Der wichtigste Job in der Demokratie ist der des Bürgers und der Bürgerin. Wer sich damit zufriedengibt, seine Stimme dort abzugeben, wo er professioneller manipuliert oder besser belogen wird, der ist Teil des Problems. Denn Wahlen entscheiden über die Machtverteilung. So ist das bei uns. Noch trägt dieser Grundkonsens. Und so soll es bleiben!

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