Rüstungsindustrie: Raus aus der Schmuddelecke!

Geldgeber meiden die Waffenhersteller und setzen Europa damit der Gefahr eines Krieges aus. Über die Schwächen der europäischen Rüstungsindustrie.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mit Artilleriemunition vor dem ersten Spatenstich für eine neue Munitionsfabrik des deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall am 12. Februar 2024 in Unterlüß, Deutschland. Das Bild illustriert einen Artikel über die Europäische Rüstungsindustrie.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mit Artilleriemunition vor dem ersten Spatenstich für eine neue Munitionsfabrik des deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall am 12. Februar 2024 in Unterlüß, Deutschland. © Getty Images

Als die Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre zusammenbrach, setzte in Europa ein Gefühl des ewigen Friedens ein. Verteidigungsbemühungen wurden extrem heruntergefahren. Zwar nahmen die Konflikte im Nahen Osten sowie in Nordafrika und die daraus resultierenden Migrationsströme zu, doch Krieg wurde aus europäischer Sicht zur Angelegenheit der Amerikaner. Der weise Spruch der Römer „Si vis pacem para bellum“ – wenn du den Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor – wurde vergessen.

Parallel dazu schrumpfte wegen der sinkenden Verteidigungsausgaben auch Europas Rüstungsindustrie. Verstärkt wurde der Trend, insbesondere in Deutschland, durch aufwendige Bewilligungsprozesse für Exporte von militärischem Gerät. Es gab einige größere Firmen in der Rüstungsindustrie, die meistens Staatsbeteiligungen hatten, beispielsweise EADS/Airbus, British Aerospace (BAE), Thales, Leonardo und andere, die mit enormen Auflagen und Lieferbeschränkungen zu kämpfen hatten. Nur durch sogenannte „dual use“-Güter (für die militärische und zivile Nutzung) konnten sich die Unternehmen am Leben halten.

Im Pentagon weht ein anderer Wind

Kleinere, innovative Firmen hatten zu kämpfen, setzten auf „dual use“, und manche schlossen sich zusammen, wie zum Beispiel Rheinmetall und Krauss-Maffei. Doch die Rüstungsindustrie wurde von Politik und Medien in die Schmuddelecke gestellt. Im Gegensatz zur europäischen hatte die US-Rüstungsindustrie einen permanent guten Kunden, das Pentagon. Die amerikanische Regierung ist auch an Rüstungsexporten interessiert, da dies wirtschaftlich interessant ist, und durch Skaleneffekte können die Kosten für Rüstungsgüter gedrückt werden. Weil der Verkauf ins Ausland vom Pentagon abgewickelt wird, braucht die amerikanische Rüstungsindustrie keine Exporterlaubnisse. Die Waffenhersteller lobbyieren zwar bei verschiedenen Staaten, aber verkauft wird durch die Regierung in Washington.

Es fehlt an allem

Der russische Angriff auf die Ukraine war ein Schock für Europa. Deshalb wurde beschlossen, größere Verteidigungsanstrengungen zu unternehmen. Doch schnell wurde klar, dass in vielen Ländern, besonders in Deutschland, die Verteidigung ausgeblutet war. Es gab nicht einmal ausreichend Munition, die Hubschrauber, Flugzeuge, Panzer und U-Boote waren nicht vollständig einsatzbereit. Zur Aufrüstung braucht es auch eine funktionierende Industrie, die wiederum einen Markt benötigt, um zu investieren. Dafür sind Einkaufspläne der Staaten und Exporterleichterungen notwendig – die es freilich nicht gibt.

Es zeigt sich auch, dass die meisten europäischen Rüstungsunternehmen nicht die kritische Größe für Massenfertigungen und aufwendige Entwicklungen haben. Der einstige Vorstandsvorsitzende von Airbus, Tom Enders, verfolgte eine Fusion des Rüstungsteils von Airbus mit BAE, was ein sehr vorausschauendes und sinnvolles Projekt gewesen wäre. Es wurde jedoch von den Staaten, die an Airbus beteiligt sind, versenkt, worauf Enders 2019 den Vorsitz niederlegte. Weitere Fusionspläne gab es nicht. Im Plan des früheren Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit wird ebenfalls auf die Notwendigkeit der Friedenssicherung durch Aufrüstung hingewiesen. Draghi meint ebenfalls, dass es zu einem Zusammenschluss größerer Unternehmen kommen müsse. Notwendige Erleichterungen für – vielfach sehr innovative und flexible – nichtstaatliche Rüstungsunternehmen erwähnt er nicht.

Kein Geld für den Frieden

Daneben gibt es seit jeher ein großes Hindernis, das einer effizienten europäischen Verteidigung im Weg steht: die negative Einstellung des Finanzmarkts zur Rüstungsindustrie. Sowohl die Aufsichtsbehörden als auch die Banken fürchten um ihre Reputation, wenn sie Herstellern von militärischem Gerät Geld zur Verfügung stellen. In der europäischen Wirtschaft gelten die Kriterien des ESG (Environmental, Social, Corporate Governance) als oberstes Motto. Und zur moralisch einwandfreien Unternehmensführung scheint die Waffenerzeugung nicht gut zu passen. Deshalb wird die Rüstungsindustrie von Geldgebern geächtet, Finanzierungen sind extrem schwierig, mitunter haben die Inhaber oder leitende Mitarbeiter sogar Schwierigkeiten, ein Bankkonto zu eröffnen.

Mitarbeiter in der Rüstungsindustrie haben mitunter sogar Probleme, ein Bankkonto zu eröffnen.

Auch Unternehmen, die im „dual use“ tätig sind, kämpfen mit solchen Vorurteilen. Das Problem liegt nicht nur bei den Banken, sondern beginnt schon bei den Risikovorgaben – insbesondere jenen der supranationalen Organisationen –, die von staatlichen Aufsichtsbehörden übernommen und Finanzinstituten aufgebunden werden. Dies macht die Kontrollen sehr aufwendig und ist neben der Sorge um den guten Ruf ein weiterer Grund, sich zurückzuhalten oder zu verweigern.

Weg ins Abseits

Nachhaltiges Wirtschaften unter Beachtung sozialer Kriterien ist ein gutes Motto, wenn es vernünftig und verhältnismäßig angewendet wird. Wenn diese Vorgaben aber ausarten und verteidigungspolitisch notwendige Schritte dadurch erschwert oder verhindert werden, manövriert sich Europa damit selbst in Abseits. Die Nachhaltigkeitskriterien wurden von Theoretikern eingeführt, und das Prinzip war wichtiger als die Konsequenzen. Der vorgegebene Friedenswille setzt uns einem potenziellen Krieg aus. Denn so traurig das auch sein mag: Der Mensch ist kein grundsätzlich friedliebendes Wesen.

Der Finanzbereich ist ein wichtiger Teil der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Infrastruktur. Er hat daher eine große Verantwortung und kann sich nicht davor drücken, die Verteidigung des Kontinents zu unterstützen – auch nicht unter dem Vorwand, nachhaltig und friedliebend zu sein. Europas Frieden und Sicherheit ist sowohl von Osten wie von Süden her gefährdet. Im Sinne eines Friedenserhalts wird es für die Aufsichtsbehörden und Finanzinstitute notwendig sein, ihre Praxis zu ändern. Ohne Reformen in diese Richtung bleiben die Ankündigungen einer verbesserten Wehrhaftigkeit Europas reine Lippenbekenntnisse.

Mehr zur Verteidigung Europas

Unser Newsletter