Europa ist wehrlos
Wenn es ernst wird, helfen die USA: Das war viele Jahre lang die Überzeugung in Europa. Doch die Bereitschaft der Amerikaner, als Retter einzuspringen, lässt nach. Das Problem damit: Europa ist wehrlos. Was jetzt passieren muss, damit wir auf uns selbst aufpassen können.
Der ehemalige US-Präsident und aktuelle Kandidat der Republikaner im Rennen um das Weiße Haus Donald Trump stellte wiederholt einen Austritt aus der NATO in den Raum. Trump trifft mit seiner Kritik an zu geringen Militärinvestitionen der Bündnispartner einen wunden Punkt: Rund die Hälfte der europäischen NATO-Länder gibt weniger als die vereinbarten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus. Der amerikanische Außenpolitikexperte Stephen Saideman geht sogar davon aus, dass die NATO eine zweite Trump-Präsidentschaft nicht überstehen würde. Es gehe aber nicht nur ums Geld, sondern vielmehr um isolationistische Tendenzen und einen stärkeren Fokus der US-Politik auf den Rivalen China.
Europa ist wehrlos ohne USA
Für Europa stellt sich somit die Frage: Wie kann der Kontinent aus eigener Kraft eine seriöse Abschreckung aufbauen? Ginge das überhaupt? Tatsächlich könnte Europa ohne US-Hilfe derzeit kaum einen Angriff Russlands abwehren, wie Militärexperte Franz-Stefan Gady darlegt. Demnach schaffen es die Europäer nicht einmal, ein einziges Korps zu führen, geschweige denn eine ganze Armee. Selbst im Ernstfall würden die Amerikaner an einer europäischen Front wohl viel weniger stark eingreifen, als viele das erwarten. In einer detaillierten Berechnung für den Pragmaticus stellt Gady fest: Von 450.000 aktiven Soldaten der U. S. Army könnten die USA demnach nur circa 122.000 Mann schicken – ob mit Donald Trump im Weißen Haus oder nicht. Gady definiert neun Bereiche, in denen Europa dringenden Aufholbedarf hat.
Kann sich Europa selbst verteidigen?
Nato für Russland wappnen
Konventionelle Kräfte sind nicht der einzige Garant der Sicherheit. Während des Kalten Krieges war die Rote Armee den westlichen Truppen bei der Mannstärke weit überlegen. Doch das umfangreiche Atomwaffenarsenal der USA, samt in Europa stationierten Sprengköpfen, wirkte als Abschreckung. Jetzt mehren sich die Zweifel, dass die Amerikaner einen Atomkrieg riskieren würden, sollte Russland etwa das Baltikum mit einem Atomschlag bedrohen. Braucht Europa also ein eigenes Kernwaffenarsenal? Der Rüstungsfachmann Alexander Bollfrass analysiert, ob es sinnvoll wäre, eine europäische Atombombe zu bauen. Kleiner Spoiler: Die Idee ist nicht neu, und es gab gute Gründe, warum sie nie umgesetzt wurde.
Braucht Europa eigene Atomwaffen?
Dass die Europäer ihr Militär derart vernachlässigt haben, ging auch zu Lasten der eigenen Rüstungsindustrie. Die Sicherheitsexpertin Gorana Grgić erklärt die Stärken und Schwächen der Verteidigungsbranche in Europa.
Daran scheitert Europas Rüstungsindustrie
Wenn es um die Sicherheit des Kontinents geht, spielt nicht nur militärische Ausrüstung eine Rolle. Die USA sind derzeit auch die einzige Macht der Welt, die globale Handelswege sichern kann. Der Politologe Ulrich Menzel führt aus, wie sehr Europas Wohlstand letztlich von der U. S. Navy abhängt, die den Schutz der Weltmeere gratis garantiert.
Die Supermacht der Meere
In unserer aktuellen Umfrage kommen überraschende Ergebnisse zutage: Immerhin glaubt jeder dritte Österreicher nicht, dass die USA im Falle eines Krieges Europa verteidigen würden. Über 40 Prozent der Befragten halten einen solchen Krieg auf EU-Boden für wahrscheinlich. Alle Ergebnisse finden Sie hier:
Umfrage: Beschützen uns die USA?
Eine offene Frage werden später einmal Historiker beantworten müssen: Wie konnte sich eine der reichsten Weltregionen bei der eigenen Sicherheit derart von außen abhängig machen?
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