Der Fluch der Unsterblichkeit

Der Traum der Unsterblichkeit zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte: Ein Streifzug durch religiöse, philosophische und transhumanistische Vorstellungen der Ewigkeit, und warum am Ende alles anders ist.

Junger buddhistischer Mensch in einem Tempel
Im Buddhismus ist der Tod kein Ende, sondern ein Neubeginn. © Getty Images

Der Tod geht uns nichts an, denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr.

Epikur

Wir Menschen sind sterblich, und wir wissen um unsere Sterblichkeit. Die meisten fürchten den Tod und haben Angst vor dem Sterben. Der Tod bleibt für uns ein „unbekanntes Land“, vor dem unsere Erkenntnis Halt macht. Es gehört zur conditio humana, dass wir angesichts der Endlichkeit unseres Daseins den Wunsch nach Fortdauer, nach einem Leben nach dem Tode in uns tragen.

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Nahezu in allen Kulturen und Religionen drückt sich der Wunsch nach Unsterblichkeit, wenn auch auf unterschiedliche Weise, aus. In den Naturreligionen etwa hat der Mensch Anteil an der Unsterblichkeit in seinen Mitmenschen und seinen Nachkommen, aber auch in seinen Vorfahren. Der Mensch ist als Verbindungsglied zwischen seinen Ahnen und seinen Nachfahren unsterblich. Diese menschliche Unsterblichkeit ist eingebettet in die immer wiederkehrende Kosmologie. Dies gilt auch für die Mythen der frühen Hochreligionen.

Von Gilgamesch bis zum Nirwana

Bereits das älteste noch erhaltene Epos von Gilgamesch handelt, ebenso wie der altägyptische Totenkult, von der Unsterblichkeit. Allerdings spielt hier bereits ein Kraut als Trägermedium eine besondere Rolle. Auf wieder andere Art und Weise wird in den fernöstlichen Religionen, wie etwa im Brahmaismus oder im Buddhismus, Unsterblichkeit durch Inkarnation oder durch Aufgehen im Nirwana erreicht.

Polytheistische Religionen stellen in ihrer Mythenwelt die sterblichen Menschen den unsterblichen Göttern gegenüber, wobei letztere immer wieder in die Geschicke der Sterblichen eingreifen. Tod und Unsterblichkeit haben auch in den monotheistischen Hochreligionen wie im Judentum, Christentum und dem Islam besondere Bedeutung.

Vier Mythen zur Unsterblichkeit

Der heilige GralDer Baum des LebensMondhaseNingyo

  • Der Heilige Gral könnte ein Kelch, eine Schale oder ein Stein sein. Seine Kräfte sind beeindruckend: Glückseligkeit, Erlösung, ewige Jugend. Die Legende des Heiligen Grals, der in einer Burg auf einen Ritter ohne Makel wartet, tauchte erstmals in der Artussage im späten 12. Jahrhundert auf. Später suchten selbst die Nazis danach.
  • Im Christentum stand der Baum des Lebens im Garten Eden und trug verbotene Früchte. Vom Baum des Lebens zu essen kostete dem Menschen seine Unsterblichkeit. Der Baum des Lebens verbindet aber in vielen Religionen die Erde mit Himmel und Unterwelt. Im Schamanismus dient er als Brücke in die Welt der Götter und Geister.
  • Wer den vollen Mond in einer wolkenlosen Nacht genau betrachtet, kann dort den Umriss eines Hasens erkennen. In der chinesischen Mythologie stampft er dort für seine Begleiterin, die Mondgöttin Chang’e, die Kräuter, die ihr Unsterblichkeit verleihen. Jadehase steht im Chinesischen deshalb synonym für den Mond.
  • Ein Ningyo ist eine Meerjungfrau, deren Fleisch Unsterblichkeit verleihen soll. Sie zu fangen verursacht Stürme und Unglück. Eine japanische Sage erzählt von einem Fischer, der nichtsahnend einen Ningyo fing. Die Tochter eines Freundes kostete das Fleisch, hörte auf zu altern und wurde zur Nonne, weil ihr alle Ehemänner wegstarben.

Sterbenlernen statt Unsterblichkeit

Dass die Philosophie sich bereits in ihren Anfängen sozusagen als Konkurrenz zur Mythologie mit dem Tod beschäftigt, ist schon bei den Vorsokratikern belegbar, wobei der sterbliche Mensch allerdings als in das kosmische Geschehen von Werden und Vergehen eingebettet gesehen wird. Entscheidend für die nachfolgenden Jahrhunderte ist aber die platonische Bestimmung des Todes als einer Trennung von Leib und Seele.

Unsterblichkeit wird der Seele zugesprochen, die den vergänglichen Leib im Tod hinter sich lässt. Darum sei es Aufgabe der Philosophie, eine Vorwegnahme des Todes vorzunehmen, die zur Lebensbewältigung beitragen solle. Jahrhunderte später wird Michel de Montaigne Philosophieren ausdrücklich als „Sterbenlernen“ verstehen. Diese platonische Auffassung ist im Laufe der Zeit in die christliche Vorstellung von Tod und Unsterblichkeit eingedrungen und hat sich mit dem Glauben an die Erlösung durch Christus und an eine leibliche Auferstehung von den Toten verbunden.

Ist Gott tot?

Dieser Sieg über den Tod macht das irdische Leben keineswegs bedeutungslos: Im Gegenteil, da die Auferstehung den Menschen zugleich auch vor das Jüngste Gericht stellt, vermengen sich Hoffnung und Drohung. Obwohl es letztlich bei Gott liegt, über das weitere Schicksal der Verstorbenen zu entscheiden, geschieht dies doch in Bezug auf die guten oder bösen Taten des irdischen Lebens, um Bereuen und Vergebung, die zu Heil oder Verdammnis führen.

Foto einer Ausstellung zu Nietzsche
Friedrich Nietzsche veröffentlichte 1882 Die fröhliche Wissenschaft. Die Aphorismensammlung enthält die berühmten Worte: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“ © Unsplash/Maurício Santos

Da auch der Mensch aus eigener Kraft zu seiner Erlösung beitragen kann, wird im Laufe der Neuzeit Gott selbst zur Rechenschaft gezogen: Es kommt zur Theodizee, zur Frage nach der Vereinbarkeit von Gottes Güte und Gerechtigkeit mit dem Übel und Leid in der von ihm geschaffenen Welt. Der sich zunächst in seiner Endlichkeit als ohnmächtig gegenüber Leid und Tod empfindende Mensch beginnt sich von seinem Schöpfer zu distanzieren und die Schöpfung selbst in die Hand zu nehmen. Die dabei entdeckte Autonomie wendet sich nun gegen den Schöpfergott, der schließlich als tot erklärt wird.

Die Sehnsucht nach der Überwindung des Todes

Auch wenn das religiöse Narrativ allmählich in den Hintergrund getreten ist, der Abstand zu den nicht weniger fabulösen Unsterblichkeitsphantasien futuristischer Art, basierend auf Prognosen wissenschaftlicher oder technischer Provenienz, ist kleiner, als es scheinen mag. Man kann sogar die Behauptung aufstellen, dass die Sehnsucht nach Überwindung des Todes und nach Unsterblichkeit durch die Medikalisierung, Verwissenschaftlichung und Technologisierung unserer gegenwärtigen Gesellschaft und des Gesundheitswesens noch gewachsen ist.

Durch den Transhumanismus schließlich wird der Bergriff der Unsterblichkeit völlig neu aufgeladen, im Sinne einer Nichtsterblichkeit. Unsterblichkeit bezieht sich nicht mehr nur auf ein Sein nach dem Tod, sondern meint nun ein Nicht-mehr-sterben.

Ewig leben durch Technologie

Dieses ewige Dasein soll in zweierlei Hinsicht durch neue Technologien gewährleistet werden: einerseits geht es um einen ewigen Erhalt der Körperlichkeit, mit und ohne Optimierung. Andererseits betrifft es den Erhalt des Bewusstseins auf Dauer, wobei neue Technologien gleichsam als ewige Speicher dienen sollen. In dieser Vorstellung spiegelt sich das alte Dilemma der Unsterblichkeit wider, dass eine Unsterblichkeit der Seele, des Bewusstseins einerseits, und eine Unsterblichkeit des Körpers andererseits postuliert wird, wobei der Transhumanismus eine Ausdifferenzierung der Zusammenführung beider Bereiche, im Gegensatz etwa zum Christentum, noch weitgehend schuldig bleibt.

Messwein in der Kirche
Zur symbolischen Bedeutung des Messweins gibt es unterschiedliche Interpretationen. Der Heilige Ignatius (1491-1556) sah in der Eucharistie die „Medizin der Unsterblichkeit“ und das „Gegengift gegen den Tod“. © Unsplash/Annie Theby

Zunächst äußert sich die darin enthaltene geänderte Einstellung zum Tod in der Überzeugung, dass der hinfällige, unvollkommene, sterbliche Körper in jeder Hinsicht verbesserungswürdig ist. Es war vor allem das Alter mit seinen vielfältigen Gebrechen und Beschwerden, das auch als Ankündigung des Todes bekämpft werden sollte. Dies begann verhältnismäßig harmlos mit zahlreichen Strategien der Anti-Aging-Medizin, um durch diätetische, pharmazeutische und chirurgische Maßnahmen bis hin zu plastischer Schönheitschirurgie den Alterungsprozess aufzuschieben oder zumindest erträglicher werden zu lassen. Auch Gen- und Zelltherapien tragen seit langem dazu bei, ebenso wie Organtransplantationen, die nach wie vor einige erhebliche ethische Probleme aufwerfen. Freilich können all diese Maßnahmen keine Unsterblichkeit garantieren.

Der Weg vom Menschen zum Cyborg

Der Transhumanismus geht noch einen Schritt weiter, hin zur Nichtsterblichkeit. Er begnügt sich nicht mehr mit der Wiederherstellung körperlicher Funktionsweisen und grundlegender Gegebenheiten, etwa durch Prothetik oder Organtransplantationen. Vielmehr geht es um körperliche Optimierung, als Überwindung der natürlichen menschlichen Körperverfasstheit.

Die natürlichen Grenzen, die unserer Körperlichkeit durch ihre spezifische Verfasstheit vorgegeben sind, sollen durch neue Schnittstellen von Körper und Maschine erweitert beziehungsweise aufgehoben werden. Neben dieser körperlichen Dimension, die gleichsam als Gefäß für ein ewiges Bewusstsein dienen soll, gibt es auch Ansätze, dem Bewusstsein rein digitale Unsterblichkeit zu verleihen, indem eine nicht mehr körperbasierte digitale Speicherung des Bewusstseins einer Person angestrebt wird. Ähnliches gilt auch für die Kryokonservierung oder für Neuro-Implantate, die den Weg zu einer Verwandlung des Menschen in einen Cyborg weiter beschreiten.

Die Unsterblichkeit als Fluch

Aber sollen wir das alles wirklich wollen? Ist Unsterblichkeit, ist ein ewiges Leben wirklich wünschenswert? Können wir dafür die ethische Verantwortung übernehmen? Wenn Ethik gutes und gerechtes Handeln anstrebt, kann sie nicht von unserer Endlichkeit abrücken. Dass sich diese ersehnte Unsterblichkeit auch als Fluch erweisen kann, ist bereits in der griechischen Mythologie bekannt. Prometheus und Sisyphos sind nur zwei Beispiele dafür.

Ist Unsterblichkeit wirklich wünschenswert? Können wir dafür die ethische Verantwortung übernehmen?

Auch die Geschichte der Liebe der unsterblichen Göttin der Morgenröte, Eos, zu einem Sterblichen endet tragisch: Wohl gelingt es ihr, für den Geliebten bei Zeus Unsterblichkeit zu erflehen. Da sie aber vergisst, auch um ewige Jugend für ihn zu bitten, altert der Geliebte, verliert seine erotische Attraktivität und verschrumpelt, bis ihn Zeus aus Mitleid in eine Zikade verwandelt.

Die Bedeutung der Endlichkeit

Aber es ist nicht allein die ewige Jugend und Gesundheit, die ausreichen würde – auch das sich dadurch verändernde Verhältnis zur Zeit lässt den Wunsch nach Unsterblichkeit zwiespältig erscheinen. Für die Unsterblichen verschwindet die Kostbarkeit des Augenblicks und seine Einzigartigkeit. Alles wird zu einer ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Unsterblichkeit verliert jede Bedeutung. Negative Beispiele finden sich in etlichen literarischen Werken, wie etwa bei Jonathan Swift, Karel Capek, Jorge Luis Borges und Simone de Beauvoir.

Vielleicht verweigert sich die Philosophie im nachmetaphysischen Zeitalter deshalb allen Spekulationen über ein Fortleben nach dem Tode und konzentriert sich auf die Bedeutung der Endlichkeit und des Todes für unsere Existenz. Nur dann, wenn wir uns dem Tod stellen, können wir unser Selbstsein, ein Leben in „Eigentlichkeit und Freiheit“ verwirklichen, wie dies etwa Martin Heidegger, stellvertretend für viele, formuliert. Dabei kann uns kein Nichtsterben, keine Unsterblichkeit helfen.