Sicherheit: Wie Europa einen US-Abzug nutzen kann

Präsident Trump forcier einen US-Abzug aus Europa, das sich um seine eigene Sicherheit kümmern soll. Das ist gar kein schlechter Deal, wenn man bedenkt, dass ein verteidigungsfähiger Kontinent auch wieder strategische Autonomie erlangt.

Bild zum Thema US-Abzug aus Europa. Der niederländische König Willem-Alexander besucht im Februar seine Landsleute, die amerikanische F-35-Kampfjets auf dem Luftwaffenstützpunkt Ämari in Estland fliegen. Er sitzt im Pilotenoutfit im offenen Cockpit in einem Hangar.
Der niederländische König Willem-Alexander besucht im Februar seine Landsleute, die amerikanische F-35-Kampfjets auf dem Luftwaffenstützpunkt Ämari in Estland fliegen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Werteclash. Trump verbündet sich mit autoritären Kräften gegen liberale europäische Prinzipien.
  • Faktenverbieger. Der US-Präsident verdreht internationale Konflikte und macht Gespräche mit Europa nahezu unmöglich.
  • Waffenfrage. Europas NATO-Partner müssten laut Generalsekretär Rutte ihre Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent des BIP erhöhen.
  • Luxusproblem. In Europa leben rund neun Prozent der Weltbevölkerung, wir leisten uns aber 60 Prozent der globalen Sozialausgaben.

Schlimmer als erwartet – so stellen sich aus der Sicht der Europäer die USA unter ihrem neuen Präsidenten dar. Dabei geht es nicht mehr nur um Verteidigungsausgaben, sondern um einen tiefen politischen Riss durch den Atlantik. Donald Trump und Teile der Republikaner sehen sich, zusammen mit Ungarns Autokratie, den deutschen Rechtsextremisten in der AfD oder der polnischen PiS-Partei, als die wahren Vertreter der westlichen Werte – gegen das liberale Europa mit seinen Merkwürdigkeiten wie Gleichberechtigung oder Respekt vor dem Recht.

Das ändert die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen grundlegend. Mit einem Präsidenten, der von der Annexion Grönlands und Teilen Kanadas träumt, den Gazastreifen in eine neue Riviera verwandeln möchte und sich für den einzig denkbaren Anwärter auf den Friedensnobelpreis hält, wird es schwer sein, Gemeinsamkeiten zu finden. Wenn dann auch noch in grotesker Umkehr der Tatsachen die Ukraine als Aggressor und Putin als Verteidiger dargestellt wird, schrumpft die Gesprächsbasis mit Europa auf ein Minimum. 

Selbstbestimmung durch US-Abzug

In einer solchen Lage kann es nur noch um Selbstbestimmung gehen, und das heißt in der Sicherheitspolitik die Fähigkeit zur Selbstverteidigung. Dafür braucht es keine Diskussionen über Militärausgaben in Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Europäer müssen nur das erfüllen, was sie innerhalb der NATO an militärischen Fähigkeiten zugesagt haben. Geschieht dies, so folgt nach Berechnungen von NATO-Generalsekretär Mark Rutte ganz automatisch, dass die europäischen NATO-Mitglieder bis zu 3,7 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben. Natürlich müssten sie einen Teil ihres Geräts in den USA ordern und würden damit ungewollt amerikanischen Interessen dienen. Aber die europäischen Waffenschmieden haben gar nicht die Kapazitäten für einen so raschen Rüstungszuwachs.

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Zahlen & Fakten

Und das amerikanische Nuklearversprechen innerhalb der NATO? Daran hat Donald Trump bislang nicht gerüttelt, auch weil es den USA dient, wenig kostet und sich teilweise aus den ohnehin vorhandenen nuklearen Fähigkeiten der Vereinigten Staaten ergibt. Amerika müsste schon aus dem Nordatlantik-Abkommen austreten, um auch dieses Band endgültig zu zerreißen. Selbst dann verfügt Europa mit Frankreich und Großbritannien noch über zwei Nuklearmächte, deren Abschreckungsfähigkeiten nicht unterschätzt werden dürfen. 

Werden die von den amerikanischen Sicherheitsgarantien über Jahrzehnte verwöhnten Europäer die notwendigen Budgetverschiebungen vom Sozialen zum Militärischen leisten können und wollen? Ja, wenn die Regierungen ihnen erklären, dass der europäische Arbeitnehmer dreißig Tage Urlaub hat, der amerikanische aber nur zwölf. Entsprechend gering ist die Bereitschaft der USA, weiterhin den europäischen Wohlstand zu subventionieren. Weist man auch noch darauf hin, dass Europa 9,3 Prozent der Weltbevölkerung stellt, aber fast 60 Prozent der globalen Sozialausgaben finanziert, dann wird klar, dass es Spielräume für Budgetverschiebungen gibt. Dafür bedarf es allerdings politischer Führung, an der es derzeit in Europa mangelt. 

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Conclusio

Neue Gräben. Die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen erleben unter Präsident Trump eine fundamentale Veränderung, geprägt von ideologischen Gräben, einer Annäherung an autoritäre Kräfte und einer befremdlichen Neuinterpretation internationaler Konflikte wie dem Ukrainekrieg.

Autonomie. Diese Entfremdung zwischen Europa und den USA zwingt die Europäer zu einem Paradigmenwechsel in ihrer Sicherheitspolitik, von der bequemen Abhängigkeit von US-Sicherheitsgarantien hin zu eigenständiger Verteidigungsfähigkeit.

Umschichten. Die europäischen NATO-Mitglieder sollten daher ihre zugesagten militärischen Fähigkeiten konsequent ausbauen, was Verteidigungsausgaben von etwa 3,5 Prozent des BIP erfordern würde.

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