Warum Trump lügt

Egal, was Donald Trump sagt: Er kommt durch damit. Seinen Anhängern ist es entweder egal, ob Trump lügt oder sie glauben alles, was er sagt.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Präsident Donald J. Trump hält seine erste öffentliche Wahlkampfveranstaltung mit seinem Vizepräsidentschaftskandidaten, US-Senator J.D. Vance am 20. Juli 2024 in der Van Andel Arena in Grand Rapids, Michigan.
Der republikanische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Präsident Donald J. Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung am 20. Juli 2024 in der Van Andel Arena in Grand Rapids, Michigan. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Ein Löwen-Fuchs. Donald Trump generiert sich als Anti-Politiker, ist aber eigentlich ein prototypischer machiavellistischer Politiker.
  • Konstruierte Überzeugung. Unser Gehirn wertet Überzeugungen höher als die Wahrheit, oder:„Wenn du es glaubst, ist es keine Lüge.“
  • Codierte Bedeutung. Donald Trump schafft es mit seiner Rhetorik, Begriffe umzudeuten.
  • Keine Gesprächsbasis. Das führt dazu, dass seine Anhänger und seine Gegner dieselben Worte verwenden, aber unterschiedliche Dinge meinen.

Donald Trump ist ein Dauerlügner – ein typisches Merkmal aller Hochstapler. Er lügt ständig; selten, wenn überhaupt, sagt er etwas, das auch nur annähernd der Wahrheit entspricht. Dennoch scheint es niemanden zu interessieren. Es stellt sich die Frage, warum das so ist – eine Frage, die seit seiner Wahl im Jahr 2016 bis zur Erschöpfung untersucht wurde. Aber der Hauptgrund, warum Trump lügt, ist simpel: Dass er offensichtlich weiß, dass es in unsicheren Zeiten „funktioniert“.

Das erinnert an Niccolò Machiavellis Buch „Der Fürst“ von 1532, in dem der florentinische Staatsmann Herrschern rät, wie sie durch den strategischen Einsatz von wiederholten und skrupellosen Täuschungen Macht erlangen und erhalten können. Um erfolgreich zu sein, so Machiavelli, muss ein Herrscher sowohl ein „Fuchs“ sein, der seine Anhänger und Gegner mit Verlogenheit verwirren und täuschen kann, als auch ein „Löwe“, der bei seinen öffentlichen Auftritten Spektakel, Tapferkeit und Stärke vortäuscht.

Donald Trump, ein machiavellistischer Fuchs-Löwe

Als Geschäftsmann, der zum Politiker wurde, hat sich Trump als Paradebeispiel für die machiavellistische Fuchs-Löwen-Figur erwiesen. Er ist ein Fuchs, der es versteht, seine Gegner mit seinem unheimlichen Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen zu überlisten, und er ist ein Löwe, der bei seinen öffentlichen Auftritten stark und energisch auftritt. Es stellt sich die Frage: Warum wird ein skrupelloser Geschäftsmann, der zufällig zum Politiker wurde, von so vielen Menschen unterstützt, die bereit sind, ihm zu glauben, egal was passiert? Warum nehmen sie seine Lügen als Tatsachen für bare Münze?

Wenn du es glaubst, ist es keine Lüge.

Das liegt an der Vorliebe des menschlichen Gehirns für die Konstruktion von Überzeugungen, ob sie nun wahr oder falsch sind – eine Tatsache, die durch den Spruch von George Costanza in der Sitcom Seinfeld aus den 1990er Jahren auf den Punkt gebracht wird: „Wenn du es glaubst, ist es keine Lüge.“

Um zu verstehen, warum der Glaube an einen Dauerlügner so unerschütterlich ist, müssen wir einen Blick auf das Wesen der Sprache selbst werfen. Obwohl wir sie routinemäßig als Kommunikationsmittel und als Werkzeug zur Erlangung neuer Erkenntnisse verwenden, kann sie auch als begriffliche Injektionsnadel eingesetzt werden, um die Physiologie des Denkens zu verändern. Sobald ein Begriff wie „deep state“ wiederholt gehört wird, neigt er dazu, zu einem begrifflichen Serum zu werden, das sich im Gehirn ausbreitet und es verändert.

Das wahre Amerika

Das Problem ist, dass wir uns kaum der Gefahren bewusst sind, die die Manipulation von Sprache in den Händen eines machiavellistischen Dauerlügners birgt. Er ist in der Lage ist, Wörter semantisch zu einem „Code“ zu verdrehen, der zur gruppeninternen Kommunikation und Verständigung wird. Wenn Trump Ausdrücke wie „deep state“ oder „das wahre Amerika“ verwendet, benutzt er eine verschlüsselte Sprache, die auf einem der ältesten verschwörerischen Gedanken der Geschichte beruht – dass „Andere“ eine Nation wie Amerika übernehmen wollen, unterstützt und gefördert von einer Kabale liberaler Opportunisten für eigennützige politisch-ideologische Zwecke.

Jeder Gegenbeweis, der zeigt, dass Trump lügt, wird nie zu einem Umdenken führen – weil seine Anhänger glauben, dass er von den Feinden Amerikas erfunden wurde.

Sobald dieser Code von den Gläubigen verinnerlicht wurde, ist er praktisch unempfindlich gegen Gegenargumente, da er in dem falschen Glaubenssystem, das sich im Gehirn herauskristallisiert hat, emotional nachhallt. Diejenigen, die sich in Trumps Lager befinden, sprechen zwar dieselbe Sprache wie die, die sich außerhalb dieses Lagers befinden. Aber die Bedeutung der Worte, die zwischen den beiden Lagern verwendet werden, wird durch den Code gefiltert, was eine sinnvolle Kommunikation unmöglich macht.

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Zahlen & Fakten

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Trump ist wahrlich ein Fuchs, der sein machiavellistisches Talent nutzt, um sich als Anführer eines Kulturkriegs darzustellen, der als einziger die angebliche Kabale, die in Amerika operiert, zerstören kann. Jeder Gegenbeweis, der zeigt, dass er lügt, wird nie zu einem Umdenken führen – weil seine Anhänger glauben, dass er von jenen Feinden Amerikas erfunden wurde, die gegen Trump und seine Pseudo-Sache arbeiten. Trumps Lügen werden als klarer Aufruf zu den Waffen verstanden, um den tiefen Staat zu stürzen und Amerika zu seinen „wahren“ Wurzeln zurückzuführen – wobei Trump im Übrigen nie genau gesagt hat, was er damit meint.

Was Donald Trump und die Hippies eint

Das ist eine der Haupttaktiken des Fuchses: Sich nie auf etwas Bestimmtes festzulegen, weil es später immer wieder verworfen werden kann. Es gibt nichts, was er sagen oder tun könnte, das die Unterstützung seiner Anhänger schwächen würde. Denn er ist der löwengleiche Anführer der großen Sache, Amerikas „woke“ Feinde zu vernichten. Es ist ironisch, dass Trump und seine Anhänger ihren Kampf als einen Kampf der Gegenkultur darstellen, so wie es die Hippies in den 1960er und 1970er Jahren taten, indem sie die Regierung als das „Establishment“ und – für sich schon ironisch – den liberalen demokratischen Staat als Feind der Freiheit und der wahren amerikanischen Werte darstellten.

Auch wenn man Trumps serienmäßige Verlogenheit als eigennützig und verwerflich verurteilen mag, so weiß er doch genau, was er tut.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Trump lügt, weil er die psychologische Macht von Codes genau verstanden hat. Der Glaube an den Kabalencode hat es Trump ermöglicht, sich als Freiheitskämpfer darzustellen, der eine göttliche Mission erfüllt – eine Pseudoerzählung, die er ebenso wie seine Gefolgsleute weithin verbreitet hat. Dass er seine Lage als Angeklagter in der New Yorker Schweigegeldaffäre mit der eines religiösen Märtyrers verglichen hat, ist ein Beispiel dafür, wie er sein Narrativ an sich verändernde Situationen anpassen kann. Wie Machiavelli zynisch, aber zutreffend schrieb: „Es ist notwendig [für einen Despoten], ein großer Heuchler und Verführer zu sein ... ein Täuscher wird immer jemanden finden, der bereit ist, sich täuschen zu lassen.“

Als Teil seiner Gesamtstrategie hat Trump (der immer ein Geschäftsmann war) die psychologische Kraft von Slogans sehr gut verstanden, die er sich ausdenkt und ständig an die sich ändernden Bedingungen in der politischen Arena anpasst. Der „Make America Great Again“-Slogan ist ein perfektes Beispiel dafür – er symbolisiert eine idyllische „amerikanische Marke“, für die er strategisch wirbt. Nicht als Geschäftsmann, sondern täuschend echt als tapferer Anführer, der den historischen rebellischen Stil der Amerikaner nachahmt. Auch wenn man Trumps serienmäßige Verlogenheit als eigennützig und verwerflich verurteilen mag, so weiß er doch genau, was er tut.

Trump ist kein Ideologe, sondern ein Performer

Auf seine Weise ist er ein scharfer Beobachter der Geschichte und der menschlichen Schwächen. Wie Thomas Hobbes lange vor unserer Zeitrechnung treffend schrieb: „Im Krieg sind Gewalt und Betrug die beiden Kardinaltugenden.“ Als Trump 2016 die politische Bühne betrat, brachte er ein bedrohliches Gefühl von Déjà-vu an die Ära Nixon mit sich. Im Gegensatz zu Nixon, der zumindest ein Staatsmann war, trat Trump in der politischen Arena als Geschäftsmann auf, als Reality-TV-Showman, der mit dem gleichen Getöse und der ungestümen Prahlerei des Showmans und Zirkuspioniers P. T. Barnum Anhänger anlockte.

Obwohl Trump behauptet, ein konservativer Politiker zu sein, könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Einen guten Einblick in Trumps Denkweise gibt sein 1987 gemeinsam mit Tony Schwartz verfasstes Buch „The Art of the Deal“, in dem Trump den Lesern rät, wie sie im Leben weiterkommen. Wie er in dem Buch schreibt: „Ich spiele mit der Fantasie der Menschen. Die Menschen wollen glauben, dass etwas das Größte, das Tollste und das Spektakulärste ist.“ Später auf seine Rolle in dem Buch angesprochen, antwortete Schwartz, dass er es bedauere, es geschrieben zu haben, und dass es den Titel „Der Soziopath“ hätte tragen sollen.

Seit Trump auf der Bildfläche erschienen ist, hat seine Soziopathie Amerika und sogar die Welt infiziert, die Überzeugungen der Menschen erschüttert und den gesunden Menschenverstand beeinträchtigt. Er hat seine eigene Version einer „Brave New World“ nach Amerika gebracht, um den Titel von Aldous Huxleys Roman aus dem Jahr 1932 zu verwenden – ein Roman, der eine Gesellschaft vorwegnahm, in der psychologische Manipulation so weit verbreitet war, dass sie unbemerkt blieb und als „normal“ akzeptiert wurde. Die Ironie besteht darin, dass Trump eigentlich kein politischer Ideologe ist, sondern ein Performer. Obwohl er behauptet, ein konservativer Politiker zu sein, könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Trump passt in den Zeitgeist

Er ist ein Opportunist, der einst ein Demokrat war, als es ihm nützlich war. Opportunismus war schon immer die Haupteigenschaft rücksichtsloser Diktatoren. Stalin entpuppte sich als radikaler linker Marxist-Kommunist, weil er so geschickt in den Wandel der Zeiten in Russland passte; Trump ist ein rechter Demagoge, auch weil er so in den Zeitgeist im heutigen Amerika passt.

Die Tatsache, dass Trump auch nach dem Putschversuch gegen die US-Regierung am 6. Januar weiterhin eine einflussreiche Figur in der amerikanischen Politik ist, ist höchst besorgniserregend und erinnert an Ralph Waldo Emersons Warnung: „Jeder Verstoß gegen die Wahrheit ist nicht nur eine Art Selbstmord des Lügners, sondern ein Messerstich in den Körper der menschlichen Gesellschaft.“ Trump entwirft weiterhin eigennützige falsche Szenarien, in denen er der Held in einem pseudokulturellen Krieg ist, der für die Freiheit kämpft. Seine Fähigkeit, das zu projizieren, was George Orwell als „kreative Paranoia“ bezeichnete, die zum Teil real und zum Teil erfunden ist, ist besonders beunruhigend, da sie tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft Amerikas hat.

Trump lügt also, weil er es kann. Das einzige Gegenmittel gegen seine Betrugskunst sind Wahrheit und Ehrlichkeit. Während dies in der Ära vor Trump als Klischee abgetan worden wäre, hat es jetzt eine Art buchstäbliche Bedeutung erlangt. Um noch einmal Orwell zu zitieren: „Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann ist es das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen.“

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Conclusio

Dass Donald Trump sehr oft nicht die Wahrheit sagt, ist weithin bekannt und belegt. Aber wieso kümmert das seine Anhänger kaum? Es liegt vor allem daran, dass Überzeugungen wichtiger sind als die Wahrheit. Und dass Trump mit Codes arbeitet, die Begriffe mit anderen Bedeutungen aufladen – etwa das „wahre Amerika.“ Das ist alles kein Zufall. Auch wenn er oft erratisch wirkt: Trump weiß genau, was er tut. Er lügt, weil er es kann – und es ihm nutzt.

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