Kann die Ukraine Korruption stoppen?

Während die ukrainischen Streitkräfte gegen Russland kämpfen, muss die politische Führung in Kiew die Korruption eindämmen. Ein faires, einfaches und transparentes Steuersystem könnte helfen.

Zwei Ukrainer gehen an einem Wandgemälde in Gedenken von Kateryna Handziuk in Lemberg vorbei. Handziuk war eine ukrainische Aktivistin, die Korruption in ihrer Heimatstadt Cherson aufdeckte. Sie wurde 2018 mit Schwefelsäure angegriffen und starb.
Zwei Ukrainer gehen an einem Wandgemälde in Gedenken von Kateryna Handziuk in Lemberg vorbei. Handziuk war eine ukrainische Aktivistin, die Korruption in ihrer Heimatstadt Cherson aufdeckte. Sie wurde 2018 mit Schwefelsäure angegriffen und starb. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Schwachstelle. Die grassierende Korruption in der Ukraine könnte den Wiederaufbau stark gefährden.
  • Steuerbetrug. Laut Umfragen fälschen 40 Prozent der Unternehmer Ausgaben, um Steuern zu hinterziehen.
  • Bestechungsgefahr. Finanzbeamte schließen häufig einzelne Deals mit Unternehmern über ihre Steuerschuld.
  • Liberalisierung. Wie in andern Ländern könnten die Staatseinnahmen steigen, wenn Steuern gesenkt und transparent abgeführt würden.

Die Ukraine führt einen Zweifrontenkrieg: gegen einen äußeren Feind, Russland, und gegen einen inneren Feind, die Korruption. Sie muss beide Kriege gewinnen. Im Januar 2023 wurde die ukrainische Regierung von weiteren Korruptionsskandalen heimgesucht, in die ein stellvertretender Verteidigungsminister und ein stellvertretender Infrastrukturminister verwickelt waren.

Diesen Fällen gingen unzählige weitere voraus. Kurz vor dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 hatte Präsident Wolodymyr Zelenskij mehr als zwei Jahre nach seinem Wahlsieg im Jahr 2019 endlich damit begonnen, die Korruption zu bekämpfen.

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Die Herausforderung ist gewaltig: Die Ukraine gehört zu den korruptesten Ländern in Europa und liegt weltweit auf den hinteren Plätzen. Nach Angaben von Transparency International lag der Korruptionswahrnehmungsindex 2022 immer noch bei 33 von 100 Punkten – die Bestnote – und damit nur auf Platz 116 von 180 Ländern. Diese Tatsachen haben ausländische Investoren dazu veranlasst, vor einem Land zurückzuschrecken, das als Spielwiese für eine Handvoll Oligarchen angesehen wird

Korruption aus dem Wiederaufbau heraushalten

Ein solches Ausmaß an Korruption verheißt nichts Gutes für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Die russische Aggression hat viele Orte dem Erdboden gleichgemacht, die Infrastruktur schwer beschädigt, die Wirtschaftstätigkeit unterbrochen und die Zahl der verfügbaren Männer verringert. Die Ukraine wird mit einer viel niedrigeren wirtschaftlichen Basis als vor dem Krieg wieder anfangen.

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Zahlen & Fakten

Hinzu kommt, dass Milliarden von Euro und Dollar in das Land fließen, um die Kriegsanstrengungen gegen die russische Invasion zu unterstützen. Trotz der offensichtlichen moralischen Rechtfertigung einer solchen Unterstützung hat sich gezeigt, dass internationale Hilfe in Ländern mit schwachen Institutionen zu Ineffizienz und Korruption führt.

Lehren aus Deutschland

Der Wiederaufbau könnte daher durch Korruption behindert oder sogar zum Scheitern gebracht werden. Auch wenn der Krieg noch andauert, ist es jetzt an der Zeit, sich mit diesem Thema zu befassen. Im März organisierte das in Kiew ansässige Institute for Economic Leadership in Zusammenarbeit mit dem Büro von Präsident Zelenskiy eine Konferenz, die das korruptionsfördernden Steuersystem des Landes unter die Lupe nahm.

Ein günstigeres Geschäftsklima ist wichtig, wenn die Ukraine ihre Abhängigkeit von ausländischer Hilfe und Subventionen verringern will. Ein Teil ihrer politischen Klasse strebt das an. Ihr Fokus ist eigenes Wirtschaftswachstum, das auf der Fähigkeit des Landes beruht, in- und ausländische Investitionen anzuziehen.

Das deutsche Wirtschaftswunder führte zu einem raschen Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Schlüsselelement war die Entscheidung des Landes im Jahr 1950, die Preiskontrollen aufzuheben. Auch heute muss die Ukraine ihre Wirtschaft befreien.

Wirtschaft läuft weiter

Die Widerstandsfähigkeit der Ukrainer ist ebenso erstaunlich wie ihr Mut gegen die Aggressoren: Die Unternehmen arbeiten weiter, und Präsident Zelenskiy hat die Menschen aufgefordert, zu arbeiten, ins Restaurant zu gehen und „Geld zu verdienen“. Zweifellos hat der Schock des Krieges nicht nur den Lebenswillen gestärkt, sondern auch die Motivation, in einer Gesellschaft zu leben, in der Gleichheit vor dem Gesetz und größere Intoleranz gegenüber Korruption herrschen.

Der Schock des Krieges stärkte die Motivation, in einer Gesellschaft zu leben, in der Gleichheit vor dem Gesetz und größere Intoleranz gegenüber Korruption herrschen.

Was das Land braucht, ist mehr wirtschaftliche Freiheit. Das Fraser-Institut, eine in Kanada ansässige Denkfabrik, drückt es so aus: „Individuen haben wirtschaftliche Freiheit, wenn ihr Eigentum, das sie ohne Gewaltanwendung, Betrug oder Diebstahl erworben haben, vor physischen Eingriffen durch andere geschützt ist und sie ihr Eigentum frei nutzen, tauschen oder verschenken können, solange ihre Handlungen nicht die gleichen Rechte anderer verletzen. Der Einzelne kann frei wählen, handeln, mit anderen zusammenarbeiten und konkurrieren, wie er es für richtig hält.”

Transparentes Steuersystem

Wirtschaftliche Freiheit ist ein entscheidender Schritt in Richtung Wohlstand. Und eine niedrigere, transparentere Besteuerung ist ein wichtiger Teil davon. Die Reagan-Revolution von 1980 in den USA basierte zum Teil auf der berühmten Glockenkurve des Wirtschaftswissenschaftlers Arthur Laffer über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Besteuerung.

Ihre Botschaft war eindeutig: Ab einem bestimmten Niveau wird die Besteuerung kontraproduktiv, da höhere Steuersätze dem Staat weniger Steuereinnahmen bescheren. Der Grund dafür? Anreize für Arbeit und Investitionen sind wichtig. Bei höheren Grenzsteuersätzen ziehen es die Arbeitnehmer vor, Arbeit durch Freizeit zu ersetzen. Zu hohe Unternehmenssteuersätze schrecken den Geschäftsleute ab. In der Tat haben viele Länder die Bedeutung des „Laffer-Effekts“ erkannt und ihr Steuersystem entsprechend geändert.

In den vielen ärmeren Ländern können es sich die Menschen jedoch nicht leisten, nicht zu arbeiten. Sie schränken ihre offizielle Tätigkeit ein und gehen aus Gründen der Steuervermeidung schwarz arbeiten. Und genau das ist die Situation in der Ukraine: Unternehmen vermeiden es, Steuern zu zahlen.

Laut einer Umfrage des Institute for Economic Leadership im Juni 2022 war die beliebteste Form der Steuervermeidung in den jeweiligen Branchen für 68 Prozent der Befragten die Barzahlung von Gehältern. So gaben 30 Prozent an, nur die Hälfte ihrer Gehälter offiziell zu zahlen, und 21 zahlten nur die Hälfte der fälligen Körperschaftssteuer. Fast 40 Prozent der Befragten gestanden ein, Ausgaben zu fälschen.

Juli 2023: Bauarbeiter in Kiew reparieren eine Straße, die durch russische Angriffe beschädigt wurde.
Juli 2023 – Das Leben in Kiew geht weiter: Bauarbeiter in reparieren eine Straße, die durch russische Angriffe beschädigt wurde. © Getty Images

Es ist kein Wunder, dass die Steuervermeidung so hoch ist, wenn man bedenkt, dass ein ukrainischer Arbeitgeber 40 Prozent des Gehalts eines Arbeitnehmers an Steuern zahlen kann, wenn er eine Einkommenssteuer von 18 Prozent und Sozialabgaben von 22 Prozent kombiniert. Im Jahr 2022 wurde außerdem eine Militärsteuer in Höhe von 1,5 Prozent eingeführt. Für eine relativ armen Volkswirtschaft sind diese Zahlen vergleichsweise hoch.

Geringere Steuern, höhere Einnahmen

Einige Länder haben eine niedrigere Besteuerung eingeführt, mit erfolgreichen Ergebnissen bei den Steuereinnahmen. Bulgarien etwa führte eine Flat Tax von zehn Prozent sowohl für die Körperschafts- als auch für die Einkommenssteuer ein. Irland steigerte seine Steuereinnahmen um bis zu 50 Prozent, nachdem es seinen Körperschaftssteuersatz in den Jahren 2000-2003 um die Hälfte gesenkt hatte. Auch in der Ukraine könnten die Lehren aus dem Laffer-Effekt umgesetzt werden.

Mehr als die Hälfte der Befragten erklärt, dass sie bereit wären, offiziell Steuern zu zahlen, wenn die Steuern niedriger wären, und 28 Prozent, dass sie ihren Anteil an den offiziellen Gehältern erhöhen würden. Weniger als zwei Prozent erklären, dass sie trotzdem keine Steuern zahlen würden. Genau wie in anderen Ländern, die radikale Steuerreformen durchgeführt haben, könnten die Steuereinnahmen steigen.

Eine niedrigere Besteuerung ist nicht das einzige Teil des Puzzles. Auch Einfachheit und Transparenz sind wichtig. Bei der Besteuerung geht es um das Vertrauen in die Regierung. In einer Gesellschaft mit geringem Vertrauen und geringer Verwaltungskapazität sind die Steuersysteme oft suboptimal. Sie stützen sich auf wirtschaftlich weniger effiziente Abgaben wie Umsatz-, Handels- oder Mehrwertsteuern.

Diese werden gerade deshalb gewählt, um Steuerhinterziehung zu vermeiden, die durch effizientere Steuern, wie die Gewinnsteuer, leichter möglich ist. Wie der Wirtschaftswissenschaftler Simeon Djankov und die ukrainische Parlamentsabgeordnete Maryan Zablotskyy in Erinnerung rufen, ist dies in der Ukraine der Fall.

Deals mit Beamten

Die inoffiziellen Praktiken der Steuererhebung laufen auf direkte Verhandlungen zwischen Unternehmen und Steuerbehörden hinaus, die den Regierungsvertretern einen großen Ermessensspielraum einräumen. Dies führt nicht nur zu „ausgehandelten“ niedrigeren effektiven Steuersätzen, sondern öffnet auch der Korruption Tür und Tor. Herr Djankov und Herr Zablotskyy plädieren für eine Vereinfachung des Systems mit einem einheitlichen Steuersatz.

Wenn es um Steuertransparenz geht, ist Estland, einst Teil der Sowjetunion, wahrscheinlich das beste Beispiel. Seit neun Jahren wird es von der Tax Foundation mit Sitz in den USA als bestes Steuersystem eingestuft. Das baltische Land, das 1994 eine Flat Tax eingeführt hat (die aber seit 2018 mit der Einführung neuer Steuerklassen etwas progressiver geworden ist), verfügt über ein sehr transparentes, vorhersehbares und einfach zu handhabendes Steuersystem.

Kein Wunder, dass es die Kosten für das Zahlen von Steuern sowie wirtschaftliche Ineffizienzen reduziert, aber auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger stärkt – eine Voraussetzung für eine gut funktionierende Demokratie, die dann ihre öffentlichen Ausgaben klug verwalten wird.

Mehrere Szenarien

Erstens kann der Krieg ein nationales Gefühl der Gleichheit und Rechenschaftspflicht und damit eine geringere Toleranz gegenüber Korruption hervorrufen. Aber er kann auch zu mehr Korruption führen, wie die jüngsten Skandale zu bestätigen scheinen.

Zweitens könnte sich die Trägheit in der Steuerverwaltung selbst als Hindernis erweisen, da sich alte Gewohnheiten trotz neuer Anreize hartnäckig halten. Eigene Interessen könnten den Reformprozess verlangsamen.

Internationale Kreditgeber haben ein Interesse daran, dass eine gewisse Abhängigkeit von ihnen durch öffentliche Schulden aufrechterhalten wird.

Drittens würden angesichts des Umfangs der internationalen Hilfe ausländische Organisationen wahrscheinlich ein Wörtchen mitzureden haben oder über eine Art Lobby verfügen. Institutionen wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind keine großen Fans von Pauschalsteuern oder Steuerwettbewerb. Auch die internationalen Kreditgeber haben ein Interesse daran, dass eine gewisse Abhängigkeit von ihnen durch öffentliche Schulden aufrechterhalten wird.

Niedrigere und transparentere Steuern in der Ukraine dürfen jedoch nicht zu einer wachsenden Staatsverschuldung nach dem Krieg beitragen. Dies ist ein Teil des internen Krieges, in dem die Ukraine siegen muss, genauso wie sie die eindringenden russischen Truppen besiegen muss.

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Conclusio

Die Ukraine kämpft nicht nur gegen Invasoren, sondern auch gegen grassierende Korruption. Der Wiederaufbau könnte an ineffizienter und korrupter Finanzierung scheitern. Einen wesentlichen Anteil hat das Steuersystem. Weniger, dafür transparent zu entrichtenden Steuern könnten die Schwarzarbeit eindämmen, Investoren anlocken und untern Strich der Staatskasse sogar mehr Geld bringen. Der Grad an Freiheit und Transparenz werden maßgeblich für den künftigen Wohlstand des Landes verantwortlich sein.

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