Neutral bis zur Wehrlosigkeit

Das Bundesheer fragt regelmäßig die Einstellung der Bevölkerung zur Sicherheitspolitik in Österreich ab. Eine entscheidende Frage betrifft die sogenannte Wehrbereitschaft. Was sagen Sie: Würden Sie Österreich gegebenenfalls mit einer Waffe in der Hand verteidigen?

Soldaten einer Ehrengarde des österreichischen Bundesheeres (Bundesheer) werden während des Leutnantstages am Maria-Theresien-Platz am 28. September 2019 in Wiener Neustadt. Das Bild illustriert einen Artikel über die Wehrbereitschaft in Österreich.
Offiziere des österreichischen Bundesheeres (Bundesheer) am Tag der Leutnante am Maria-Theresien-Platz am 28. September 2019 in Wiener Neustadt. © Getty Images

Krieg in Österreich? Klingt unrealistisch, zumindest wenn man sich die jüngere Geschichte ansieht: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren herrscht in Österreich Frieden. Ja, ab und an wurde die Souveränität missachtet, aber Österreich selbst war dabei nie das Ziel: weder im Juli 1958, als US-Transportflugzeuge trotz Protesten des damaligen Außenministers Leopold Figl über Tirol in den Libanon flogen, noch anno 1999, als NATO-Jets im Zuge der Intervention gegen Serbien (als Reaktion auf die massiven Menschenrechtsverletzungen im Kosovo) „dutzendfach“ und abermals unerlaubt österreichischen Luftraum verletzten.

Wie man an diesen Beispielen sieht, hat Österreich aufgrund seiner geographischen Lage – „liegst dem Erdteil du inmitten“, wie es in der Bundeshymne heißt – seit jeher mittelbare militärische Bedeutung, also für Truppenverlegungen anderer Staaten. Das gilt heute, wo Moskau rund drei Flugstunden von Wien entfernt einen der intensivsten Angriffskriege der letzten Jahrzehnte führt, erst recht. Das weiß auch die Bevölkerung, dem eben erst veröffentlichten sicherheitspolitischen Meinungsbild des Bundesheers 2025 zufolge fühlt sich mehr als die Hälfte von den Spannungen zwischen dem Westen und Russland bedroht.

Nun sag, wie hältst du es mit der Waffe?

Damit kommen wir zur Gretchenfrage: „Wären Sie bereit, Österreich im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe zu verteidigen?“, fragt das Bundesheer darin ebenfalls. Die Antwort fällt ernüchternd aus, nur 17% sagen „ja“ und 15% „eher ja“. Ihnen stehen 16% „eher nein“-Antworten und satte 44% gegenüber, die klar nein sagen. Auch eine Pragmaticus-Umfrage kam letztes Jahr auf ähnliche Werte.

Bei näherer Betrachtung ergibt sich zwar ein differenzierteres Bild: Obwohl sie eher zum militärischen Handkuss kämen, sind Männer eher dazu bereit als Frauen, außerdem ist die Bereitschaft in jungen Jahren und im Alter niedriger als in der Lebensmitte. Bei den 30-39-jährigen sagen 24% ja, bei den 15-23-jährigen und bei den 24-29-jährigen nur jeweils 12%, ab 60 sind es auch nur 15%. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass die Mehrheit der Österreicher sich zwar nicht (mehr) allzu sicher fühlt, aber auch nicht militärisch zur eigenen Sicherheit beitragen will.

Angriff: von wem, durch wen?

Freilich kranken solcherlei Fragen an ihrer Theorie: Vielleicht würde manch Umfrage-Held im Falle eines Ernstfalles zum Deserteur und manch Feigling zum Kriegshelden. Um das herauszufinden, müsste etwas passieren, das hoffentlich nie passiert.

Außerdem bleibt offen, was man unter einem Angriff versteht. Völkerrechtlich lässt sich das zumindest im Abstrakten zwar relativ einfach sagen: eine massive militärische Attacke von außerhalb, also durch einen fremden Staat, eine internationale Organisation oder einen sonstigen dazu fähigen (terroristischen) Akteur. Ein denkbares Szenario wäre die Zerstörung von Infrastruktur, ob Flughäfen, Straßen oder Eisenbahnnetze, mit denen Truppen eines anderen EU-Landes verlagert oder Waffen transportiert werden.

Krieg hat viele Facetten, von der Frontlinie bis hin zu Videospiel-Parallelen.

Aber das ist nur keine besonders plastische, weil juristische Definition. Die meisten dürften eher an Bilder als an Worte denken: Manche an Schlachtfelder, Artillerie und Panzer, andere an Drohnenschwärme.

Es macht für die Beantwortung der Frage nach der Bereitschaft zur Landesverteidigung aber einen Unterschied, ob man sich in einem nassen und kalten Schützengräben sieht oder als Drohnen-Pilot fernab des Schlachtfeldes. Krieg hat viele Facetten, von der Frontlinie bis hin zu Videospiel-Parallelen: Es gibt wohl nicht wenige Menschen, die gar nicht realisieren, dass sie einen wertvollen militärischen Beitrag leisten können. Wie man aus der Ukraine hört, sind Gamer (also Menschen, die regelmäßig videospielen) gute, wenn nicht die besten Drohnen-Piloten.

Neutralität als Passivität

Jetzt mögen sich manche denken: Einfach heraushalten, dann passiert nichts. Also kein militärisches Gerät und schon gar nicht Soldaten aus anderen Ländern durch Österreich lassen, auch wenn man anderen damit die Verteidigung erschwert. „Jetzt gibt es meiner Meinung nach nur die Politik, zuzuschauen, wie sich die anderen die Schädel einhauen“, wie Erzherzog Franz Ferdinand es mal in Bezug auf einen möglichen Feldzug gegen Serbien ausdrückte.

Eine Haltung, die bis heute überlebt hat, aber im neuen, post-monarchischen Gewand: durch die Neutralität. Über ein Drittel (36%) assoziiert sie primär mit (militärischer) Nichteinmischung, wie die zitierte Umfrage des Bundesheeres ebenfalls zeigt. Bemerkenswerterweise kann ein gutes Viertel der Befragten mit dem Begriff aber auch nichts anfangen, macht also keine Angaben bzw. hat keine Meinung dazu, was Neutralität eigentlich bedeutet. So gesehen ist und bleibt sie eine Projektionsfläche, eine Art Selbstrechtfertigung dafür, den Krieg abzulehnen, ohne – wie wir gesehen haben – allzu viel für die eigene Verteidigung zu tun.

Keine Solidarität

Das gilt erst recht, wenn jemand anders angegriffen wird – zumal Österreichs Solidarität innerhalb der EU gewisse rechtliche Grenzen gesetzt sind. Die Beistandspflicht in Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union enthält auf Drängen der neutralen Staaten eine Einschränkung (die sogenannte irische Klausel), die sie von jedweder Verpflichtung entbindet. Wir können, müssen aber nicht militärisch zur Hilfe kommen.

Verfassungsrechtlich wäre das ohnehin nur durch Rüstungslieferungen aus oder durch Österreich möglich. Das Bundesheer selbst kann nur für humanitäre Hilfe, Such- und Rettungsdienste oder zur „Friedenssicherung“ ins Ausland entsendet werden, wie es im einschlägigen Gesetz heißt: Also vor und nach einem Krieg, nicht aber währenddessen. Wenn es zu einem Angriff auf ein anderes EU-Land kommt, muss das Bundesheer gehen bzw. darf es erst gar nicht kommen.

Das wird viele in der Bevölkerung beruhigen. Wer schon nicht für das eigene Land kämpfen will, wird das umso weniger für andere tun wollen. Dann darf man sich aber auch nicht wundern, wenn wir als „Schmarotzer“ gelten. Und Schmarotzern hilft man nicht gern, wenn sie einen – Gott (oder wer auch immer) bewahre – brauchen.

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