Grünes Licht für Abschiebungen nach Syrien?

Bundeskanzler Nehammer und Innenminister Karner sehen im Sturz des Assad-Regimes eine neue Chance für Abschiebungen und Ablehnungen von Asylanträgen. Ganz so einfach wird das freilich nicht. Außenpolitik darf sich nicht von Wunschdenken leiten lassen.

Syrer versammeln sich am 09. Dezember 2024 auf dem Umayyad-Platz, um den Zusammenbruch der 61-jährigen Herrschaft des Assad-Regimes mit Gesängen und Autokonvois in Damaskus, Syrien, zu feiern.
Syrer versammeln sich am 09. Dezember 2024 auf dem Umayyad-Platz, um den Zusammenbruch der 61-jährigen Herrschaft der Baath-Partei mit Gesängen und Autokonvois in Damaskus, Syrien, zu feiern. © Getty Images

Alles war für immer, bis es nicht mehr war: Die Assad-Familie (Vater und Sohn) hatte Syrien seit 1970 und damit 54 Jahre in der Hand. Eine Zeitspanne vom Jom-Kippur-Krieg über das Ende des Kalten Krieges bis hin zu 9/11 bzw. dem „war on terror“ und – als letzte große geopolitische Episode – eben dem „Arabischen Frühling“.

Der ist seit geraumer Zeit vorbei, die naiv-westlichen Hoffnungen auf den Aufbau liberaler Demokratien im Nahen Osten sind verflogen. Assad konnte sich mit tatkräftiger Unterstützung aus Russland, dem Iran und der Hisbollah lange im Amt halten. Dem Anschein nach war nach unzähligen Toten und Vertriebenen zuletzt relative Ruhe eingekehrt.

Von einem „eingefrorenen Konflikt“ war die Rede, also einem solchen, der zwar nicht beendet, aber zumindest nicht mit voller Intensität geführt wurde. Die „normative Kraft des Faktischen“ (Georg Jellinek) schlug damit voll durch, Assad schien rehabilitiert, im Mai 2023 wurde er wieder in die Arabische Liga aufgenommen, noch im Juli dieses Jahres sprach Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg davon, dass Assad „fest im Sattel“ sitze: „Wir als Europäer müssen endlich einsehen, dass es ohne Assad keine Lösung in Syrien geben wird. … Als Politiker müssen wir die Welt sehen, wie sie ist, und nicht, wie wir sie uns wünschen. Das wäre Wunschdenken.“

An „Taten messen“

Nur: Auch hinter diesen Aussagen stand Wunschdenken, nur eben in eine andere Richtung –Zusammenarbeit mit einem Diktator, der ein politisch und religiös gespaltenes Land mit eiserner Hand und Unterstützung von außen zusammenhält. Dahinter lag das außen- und innenpolitische Anliegen, syrische Flüchtlinge entweder gar nicht erst aufzunehmen oder jedenfalls in ihre Heimat abschieben zu können: „Ohne Dialog mit dem Regime wird es nicht gehen: Das würde … zu einem Rückgang der illegalen Migration führen und Rückführungen von Syrern in ihr Heimatland ermöglichen“, wie Schallenberg weiter ausgeführt hatte.

Angesichts der Entwicklungen ist es auch Wunschdenken, wenn das Innenministerium nun Asylverfahren aussetzt.

Trotz dieser wie Milch gealterten Aussagen wiederholt die Regierung nun dasselbe rhetorische Spiel. Dann eben nicht mit Assad, sondern Abu Muhammad al-Dscholani (oder wem auch immer), dem Anführer der siegreichen Haiʾat Tahrir asch-Scham (kurz HTS). Also einem ehemaligen Al-Kaida- bzw. Nusra-Front-Mann und vom FBI gesuchten Terroristen (bis zu zehn Millionen US-Dollar Kopfgeld!), der in letzter Zeit seine gemäßigte Seite entdeckt haben will: Anfang Dezember sprach er in einem Interview auf CNN davon, dass die religiösen Gruppen in der Region Hunderte von Jahren friedlich nebeneinander gelebt hätten und von einem Rahmen, der die Rechte von allen schützt und gewährleistet.

Das klingt alles schön und gut, aber heißt für sich genommen nicht viel. Dscholanis HTS hat im Vorjahr gefoltert, Hilfe für Vertriebene unterbunden, Kinder misshandelt, Zivilisten getötet und zahlreiche Menschen eingesperrt, die sich ihrer strikten Interpretation der Scharia verweigert hatten. Erinnerungen an die Taliban werden wach, die nach ihrer Rückeroberung Afghanistans versöhnliche Töne angeschlagen hatten. Außenminister Schallenberg hatte damals davon gesprochen, dass man sie an ihren Taten messen müsse. Angesichts der aktuellen Lage – man denke nur an die systematische Unterdrückung der afghanischen Frauen („Gender Apartheid“) – fällt die Beurteilung mittlerweile eindeutig aus.

Flüchtlinge als Pokerchips

Angesichts dieser Entwicklungen ist es auch Wunschdenken, wenn das Innenministerium nun Asylverfahren aussetzt, Bundeskanzler Nehammer davon spricht, dass „die Sicherheitslage in Syrien nun auch neu bewertet werden“ müsse, „um Abschiebungen künftig wieder zu ermöglichen“ und Herbert Kickl eine „Schwerpunktaktion Remigration“ fordert.

Zum einen wird die Sicherheitslage in den jeweiligen Herkunftsländern ohnehin laufend neu evaluiert. Zum anderen kann derzeit niemand abschätzen, wie es weitergeht. Von einer Föderation mit Autonomie für die unterschiedlichen Volksgruppen bis hin zu einem zentralistisch-islamistischen Regime ist alles möglich. Je weniger Wissen, desto mehr Spekulation.

Dscholani selbst hatte im bereits erwähnten CNN-Interview zwar die Rückkehr von Flüchtlingen aus der Türkei und Europa in den Raum gestellt. Er scheint nur allzu gut zu wissen (es ist auch offenkundig), was europäische Ohren hören wollen.

Regierungen in Herkunftsländern setzen Menschen schon lange als ‚Pokerchips‘ ein, nehmen sie also nur im Zuge von Tauschgeschäften zurück.

Der Glaube, dass er oder irgendwelche anderen neuen Machthaber einfach so massenhaft Menschen aus Syrien „zurücknehmen“ würden, wäre aber gar naiv (Stichwort Wunschdenken). Regierungen in Herkunftsländern setzen Menschen schon lange als „Pokerchips“ ein, nehmen sie also nur im Zuge von Tauschgeschäften zurück: Geldzahlungen, Waffen oder Visa- und Handelserleichterungen. „Weapons of Mass Migration“ nennen Zyniker das. Wenn Österreichs Regierung jetzt plump-offen kommuniziert, wie dringend sie Syrer abschieben möchte, treibt sie den Preis dafür zusätzlich in die Höhe.

Mehr Flüchtlinge, neue Flüchtlinge?

Bis es soweit ist, falls es jemals soweit kommt, kann aber ohnehin noch viel Zeit vergehen. Bis dahin werden Syrer hier bleiben (dürfen), ob aus faktischen oder rechtlichen Gründen. Die Gründe für scheiternde Abschiebungen sind wohlbekannt (wenngleich das Innenministerium keine Zahlen dazu hat!) und ändern sich auch mit neuen Machthabern nicht, zumal man noch nicht einmal weiß, wer jetzt der syrische Amtskollege des österreichischen Innenministers wird: Mangelhafte Kooperation mit den Herkunftsländern und Ineffizienz unserer Behörden.

Und ja, auch die Frage, ob man überhaupt abschieben darf bzw. ob die Betroffenen Anspruch auf Asyl oder zumindest subsidiären Schutz haben, bleibt relevant. Wenn Syrien nun ein radikalislamistisches Regime wird, könnten auch mehr, nicht weniger Flüchtlinge kommen – verfolgte Alawiten (die Bevölkerungsminderheit, der al-Assad angehört), Christen (Assad hatte sich gern als Schutzherr geriert) oder Schiiten etwa. Die Hoffnung, dass Syrien nun ein sicheres und allzu kooperatives Abschiebeland wird, mag aus innenpolitischem Kalkül – jedenfalls aus Sicht der ÖVP oder der FPÖ – nachvollziehbar sein. Realistisch ist sie vorerst nicht.

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