Wien bleibt rot und ist erfreut
Wien hat gewählt und alle freuen sich. Naja, fast alle. Auf einen faden Wahlkampf folgte ein fader Wahlabend. Das Morgen ist spannender als das Gestern. Ob das eine gute Nachricht ist, wird sich zeigen.

Michael Ludwig darf sich jedenfalls freuen, dass er sich seinen Juniorpartner aus allen drei Parteien aussuchen kann, die in den letzten Wochen statt eines Wahlkampfs öffentliche Bewerbungsgespräche geführt haben. Gut, es war (knapp) das zweitschlechteste Ergebnis der Wiener SPÖ in der Zweiten Republik und die Arbeiter wählen längst blau statt rot. Aber wen kümmert das schon, wenn man alle Bezirke gewinnt. Röter als rot kann eine Stadt nicht werden, und wenn einem keiner der möglichen Koalitionspartner das Leben schwer macht, besteht der Unterschied zu einer Alleinregierung nur darin, dass man ein paar Jobs weniger zu vergeben hat. Was bei rund 90.000 Personen, die direkt oder indirekt bei der Stadt Wien arbeiten, verschmerzbar scheint.
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Die Neos dürfen sich freuen, dass sie von den Wählern dafür belohnt worden sind, eine Regierung mit einem Stamokapler als Vizekanzler und einem Links-außen-Ökonomen der Arbeiterkammer als Finanzminister zu stabilisieren. Dass man trotz Rekorddefizit kurz vor der Wahl den Kauf eines Fußballstadions beschlossen hat, hat sich für die Stadtregierung sicher ausgezahlt. Panem et circenses gingen sich zwar inflationsbedingt nicht ganz aus – aber wenn das Volk schon weniger Brot hat, soll es ihm wenigstens nicht an Spielen mangeln. Jetzt haben die Neos die besten Chancen, in der Donaumetropole weiter mitregieren zu dürfen: Ihre programmatische Selbstverstümmelung von einer irgendwie-schon-auch-wirtschaftsliberalen Partei zu einer nur mehr gesellschaftsliberalen dürfte nicht unbelohnt bleiben.
Friede, Freude, Eierkuchen auch bei den Grünen. Sie haben rechtzeitig gemerkt, dass Klimaschutz allein nicht reicht. Um in Wien nachhaltig zu reüssieren, muss man auch eine sozialistische Lösung für die Wohnungsnot parat haben und ein klares Bild von der Stadt von morgen.
Im links-grünen Paradies radeln wir mit dem Lastenfahrrad von Dorf zu Dorf, pardon: von Grätzl zu Grätzl, umsäumt von hunderttausend neuen Bäumen. Nun könnten Menschen, die lieber am Land leben, auch einfach aufs Land ziehen, aber offensichtlich mag ein stabiler Teil der Bevölkerung die Vorstellung von einer Art politisch-korrektem Mühlviertel mit U-Bahn, Radwegen und Migranten. In der Postmoderne geht es nicht mehr darum, welche Politik gut für die Bürger ist, sondern mit welcher Politik man sich gut fühlt. Moral siegt haushoch über Wirkung: Niemand hat das besser verstanden als die Grünen.
Wien ist eine äußerst lebenswerte Stadt. Nur eben nicht für alle.
Ganz besonders laut gefreut hat sich die FPÖ, auch wenn nicht ganz klar ist, worüber eigentlich. Ja, sie hat sich ungefähr verdreifacht und in jedem Bezirk Stimmen dazu gewonnen, aber damit bleibt sie nicht nur hinter ihren Möglichkeiten, sondern auch in Opposition. Und wenn sich die Partei nicht koalitionsfähig macht, wird das zumindest in Wien und im Bund auch so bleiben. Mit schriller Brachialopposition um jeden Preis kann man erfolgreich Proteststimmen sammeln, aber für eine Koalition braucht es eine seriöse Gesprächsbasis zu möglichen Partnern. Sonst bleibt einem auf Dauer nur die Rolle des Krokodils im Kasperltheater. Und das bekommt bekanntlich nicht nur permanent Prügel, sondern garantiert dem Kasperl auch die Gunst des Publikums.
Ganz und gar nicht gefreut hingegen hat sich die ÖVP. So sehr nicht gefreut, dass der Wiener Landesparteiobmann Karl Mahrer inzwischen zurückgetreten ist – wenig verwunderlich, nachdem sich die Partei halbiert hat. Neue Gesichter werden freilich zu wenig sein, um an türkise Wahlerfolge anzuschließen. Die längst wieder tiefschwarze Partei wird nicht umhinkommen, sich darüber klar zu werden, warum man sie eigentlich wählen soll. Im Augenblick ist keine stringente inhaltliche Linie erkennbar, abgesehen von der Entschlossenheit, mit wem auch immer eine Regierung zu bilden. Auf Dauer dürfte das nicht reichen, weder in Wien noch im Bund.
Und jetzt?
Wien ist eine äußerst lebenswerte Stadt. Nur eben nicht für alle. So prächtig sich das imperiale Wien in den inneren Bezirken präsentiert, so angenehm sich das Leben in den Villenvierteln und am Rande der Weinberge anfühlt: wo das Einkommen niedrig und der Ausländeranteil hoch ist, sinken Lebensqualität, Bildungs- und Aufstiegschancen, im Steigen ist nur die Zahl der Gewaltverbrechen (im Gegensatz zur Gesamtkriminalität, die sich auf dem Vor-Corona-Niveau einpendelt).
Das rote Wien ist heute eine Stadt, die am attraktivsten für Besserverdiener und Nichtverdiener ist. Wer dazwischen liegt, darf mitzahlen, bekommt aber um den Preis eines neuen Volkswagens nur mehr einen alten Dacia, wenn überhaupt. Dennoch schwanken immer mehr Wiener entweder zwischen Resignation und Gleichgültigkeit, oder sie trauen Politikern zwar alles zu, aber nicht über den Weg: die Wahlbeteiligung lag bei äußerst mageren 62,74 Prozent. Wozu auch wählen, wenn von vornherein feststeht, dass sich an der Politik nichts ändert. So ist das Fazit dieser Wahl ein typisch Wienerisches: eh wurscht.