Totes Pferd: Die Zweistaatenlösung

Der Tod von Yahya Sinwar ändert nichts daran: Mit der Zweistaatenlösung reitet die internationale Gemeinschaft ein totes Pferd. Zeit, abzusteigen. 

Die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, hier mit ihrem israelischen Amtskollegen Israel Katz, fordert von Israel ein Bekenntnis zur Zweistaatenlösung. Tel Aviv, 6.9.2024.
Die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, hier mit ihrem israelischen Amtskollegen Israel Katz, fordert von Israel ein Bekenntnis zur Zweistaatenlösung. Tel Aviv, 6.9.2024. © Getty Images

Seit Jahrzehnten fordert der Westen einen palästinensischen Staat. Der Adressat dieser Forderung ist immer und ausschließlich Israel. Dabei wird nicht nur vergessen, dass Israel bereits im Moment seiner Staatsgründung einem palästinensischen Staat zustimmte, sondern dass es zig Versuche in den letzten 76 Jahren gab, einen zu etablieren. Völlig ignoriert wird dabei allerdings eines: der Wunsch der Palästinenser. 

Man muss nur die Demonstrationen in Deutschland, die Reden der Politiker und die Narrative in den Medien verfolgen. Alles dreht sich um ein „freies Palästina“. Zu oft wird allerdings vergessen, dass die Interpretation dieses Terminus unterschiedlich ausfällt. Denn für die einen bedeutet ein „freies Palästina“, dass ein unabhängiger Staat neben Israel etabliert wird und für die anderen, dass Israel selbst zerstört werden muss und in den Landesgrenzen ein palästinensischer Staat errichtet. Je nach politischer und religiöser Ausrichtung finden wir völlig gegensätzliche Interpretationen. 

Für eine lange Zeit wurde vom Gros der deutschen Bevölkerung die Vorstellung eines freien Palästinas als Zweistaatenlösung definiert. Seit Israel aber als Kolonialmacht umgedeutet wurde, hat sich der Diskurs grundlegend verschoben. Jetzt muss nicht mehr zwingend über eine friedliche Lösung nachgedacht werden. Schließlich darf der Unterdrückte gegenüber seinem Unterdrücker Widerstand leisten. Die postkolonialen Theorien haben in den letzten Jahren ganze Arbeit geleistet, die genozidalen Fantasien gegenüber Israel zu legitimieren und für eine breite Masse ethisch plausibel zu machen. 

Dass Israel fast 2000 Jahre von allen möglichen Großmächten kolonialisiert wurde und die Araber im Zuge ihrer islamistischen Expansion ab 705 n. Chr. als Zeichen der totalen Herrschaft und Erniedrigung eine Moschee auf dem größten Heiligtum der Juden, dem Tempelberg, erbauten, wird dabei gerne ignoriert. Denn die als „braun“ definierten Araber können durch die westlich-orientalistische Brille keine Imperialisten oder Kolonialisten sein. 

In Israel weiß man es längst. Palästinenser, arabische Israelis, palästinensische Israelis und jüdische Israelis wissen es.

Obwohl an dieser Stelle eigentlich jegliche Wissenschaftlichkeit endet, können die Verkünder dieser Theorie sich weiterhin als Akademiker bezeichnen und bekommen nun auch noch Zuspruch aus größeren Teilen der Mitte der Gesellschaft. Dabei sind sie natürlich nichts weiter als Rassisten.

Aktuell stehen wir deshalb vor zwei Problemen: Das orientalistische Narrativ führt zum einen dazu, dass Israels Zerstörung als Befreiung der Unterdrückten legitimiert wird, und zum anderen, dass die Rufe nach der Zweistaatenlösung ausschließlich an Israel gerichtet werden. Das kann man als doppelte Realitätsverzerrung deuten. 

Auch die Palästinenser sind gegen die Zweistaatenlösung

Dabei müsste man sich eigentlich nur von seinem orientalistischen Denken befreien und anerkennen, dass Araber ursprünglich und ausschließlich von der arabischen Halbinsel stammten und die gesamte MENA-Region (Middle East North Africa, Anm.) kolonialisierten, sowie Palästinensern in Israel, der Westbank, Gaza und Ostjerusalem zuhören. Letzteres führte dazu, dass man sofort verstünde, dass die Mehrheit der Palästinenser keine Zweistaatenlösung will. Die einen wollen sie nicht, weil für sie ein „befreites Palästina“ die Zerstörung Israels bedeutet, und die anderen wollen sie nicht, weil sie unter keinen Umständen unter einer palästinensischen Regierung leben wollen. 

Diese Tatsachen müssen endlich anerkannt werden. Und zwar im Westen. Denn hier in Israel weiß man es längst. Palästinenser, arabische Israelis, palästinensische Israelis und jüdische Israelis wissen es. Durch die fehlende Anerkennung der offensichtlichen Tatsachen dreht man sich seit Jahrzehnten argumentativ im Kreis, ohne weiterzukommen. Dabei ist die Zweistaatenlösung tot. Während es vor dem 7. Oktober noch eine gewisse Masse innerhalb der israelischen Bevölkerung gab, die dem Konzept gegenüber positiv eingestellt war, gibt es jetzt nur noch einen versprengten Rest, der weiterhin davon überzeugt ist, dass ein palästinensischer Staat neben Israel etabliert werden kann. 

Trotzdem tingeln weiterhin deutsche Politiker durch den Nahen Osten und faseln irgendetwas von der Gründung eines palästinensischen Staates. Die erste Bedingung, die dabei immer genannt wird, ist der Abzug der jüdischen Siedler aus der Westbank. Damit kann Israel weiterhin die Verantwortung zugeschoben werden, wissend darum, dass man politisch auf palästinensischer Seite sowieso nicht weiterkommt. 

Neue Perspektiven

Aber jüdische Präsenz gab es immer in Judäa und Samaria. Auch über die 2000 Jahre Kolonialherrschaft hinweg. Erst als mit Staatsgründung fünf arabische Staaten gleichzeitig Israel angriffen und Jordanien die Westbank sowie Ostjerusalem eroberte und Ägypten Gaza einnahm, wurden die in Judäa und Samaria lebenden Juden vertrieben. 

Als die von den Arabern eroberten Gebiete im Sechstagekrieg von Israel zurückgeholt wurden, siedelten Juden eben wieder dort an, wo sie auch schon die letzten 3000 Jahre gelebt hatten. Die Vorstellung, die Westbank müsse judenrein gemacht werden, damit die zartbesaiteten Palästinenser in Ruhe ihren Staat gründen können, ist ein weiterer Beweis für den radikalen Orientalismus. „Soft Bigotry of low Expectations“ wird diese Form des Rassismus im Amerikanischen genannt (sanfte Bigotterie durch niedrige Erwartungshaltung, Anm.). Aber humanistische Ebenbürtigkeit impliziert, dass Erwartungshaltungen, die man an andere richtet, nicht abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit sind.

Während jedes Einkaufszentrum in Israel Sicherheitsvorkehrungen auf Flughafen-Niveau anbieten muss, braucht keine Moschee oder muslimische Einrichtung Polizeischutz. Keine.

Deswegen war der Abzug aus Gaza 2005 auch ein falsches Zugeständnis an den Westen und eine israelische Fehlentscheidung, die allerdings darauf beruhte, dass jüdisches Leben ohne militärische Sicherheit in Gaza nicht gewährleistet werden konnte. Wie auch in keinem anderen arabisch-muslimischen dominierten Landesabschnitt, obwohl die 20 Prozent arabischen Israelis ohne militärischen Schutz in Israel leben können. Während jedes Einkaufszentrum in Israel Sicherheitsvorkehrungen auf Flughafen-Niveau anbieten muss, braucht keine Moschee oder muslimische Einrichtung Polizeischutz. Keine. So unterschiedlich kann ein Leben als Minderheit aussehen. Juden können von einem solchen Alltag in Deutschland nur träumen.

Die Frage bleibt, was mit Gaza und der Westbank passieren müsste, damit endlich Ruhe einkehrt. Und meine Antwort darauf lautet: Die Lösung muss von den Palästinensern selbst kommen – nicht vom Westen und nicht von Israel. Eine Grundvoraussetzung allerdings wäre, dass Juden auf arabisch-muslimisch dominiertem Gebiet leben dürften, ohne Gefahr zu laufen, abgeschlachtet zu werden. Genauso also, wie Araber in Israel leben können. 

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