Kein Platz für Spinner

Geld regiert die Welt, und für die Wissenschaft gibt es da keine Ausnahme. Akademische Forschung zu finanzieren, kann ausgesprochen mühsam sein.

Die Illustration zeigt eine Forscherin und einen Forscher, die in einem Labor durch eine Eisenkette gefesselt sind. Das Bild illustriert einen Artikel über die Finanzierung der Forschung durch Forschungsagenturen.
Vermehrt müssen die Wissenschaftler selbst das Geld für ihre Forschung auftreiben. Das bleibt nicht ohne Folgen. © Michael Pleesz
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Auf den Punkt gebracht

  • Nobelpreisträger. Die Freiheit, wie sie Anton Zeilinger für die Forschung fordert, ist an den heutigen Universitäten nur mehr eine blasse Erinnerung.
  • Geldmangel. Für die Finanzierung sind zum größten Teil Förderagenturen zuständig, deren Anforderungen in der Grundlagenforschung kaum zu erfüllen sind.
  • Bürokratie. Über die Qualität von Förderanträgen der Wissenschaftler entscheiden deren Konkurrenten auf dem jeweiligen Fachgebiet.
  • Forschungskorridor. In den EU-Fördertöpfen ist die Richtung der Forschungsinhalte vorgegeben. Wer gegen den Mainstream forschen möchte, geht meist leer aus.

Österreich jubelte, als der Nobelpreis 2022 an den Physiker Anton Zeilinger ging. An den Universitäten freuten wir uns über seine zahlreichen Interviews, in denen er locker erzählte, man möge sich „nichts pfeifen“, wenn andere sagen, man sei ein „Spinner“. Das Allerwichtigste sei eine „spannende“ Arbeit (Standard, 8. Oktober 2022). Wir stimmten in Abwesenheit zu.

Mit anderen Worten: Nobelpreisträger Anton Zeilinger und seine Kollegen Clauser und Aspect konnten seinerzeit den eigenen Interessen nachgehen, gegen den Mainstream schwimmen, trotzdem am Forschungsparkett bleiben und nach Jahrzehnten sogar die höchste Auszeichnung für ihre Arbeit bekommen, den Nobelpreis. Zeilingers Interviews erweckten im Publikum den Eindruck, dass Wissenschaftler – ähnlich wie Künstler – einfach ihrer Inspiration folgen können. 

Wie Forschung heute funktioniert

Die Realität im Jahr 2024 sieht anders aus. Was Anton Zeilinger einst möglich war, ist zu einer Erinnerung geworden. Das System Universität hat sich in den letzten Jahrzehnten progressiv gewandelt. Reformen und Sparmaßnahmen haben aus Forschungszentren, in denen auch „Spinner“ ihre verrückten Ideen pflegen konnten, leere Gebäudehüllen gemacht, in denen kein freies Forscherherz mehr schlägt.

Wie funktioniert Forschung heute? Ein Beispiel: Eine leitende Wissenschaftlerin, also nach internationaler Bezeichnung ein senior scientist, bekommt von der Universität ihre Dienstleistung bezahlt und den sogenannten Standardarbeitsplatz (Computer, Tastatur und Maus). Den Uni-Parkplatz muss sie aus eigener Tasche berappen; der gehört nicht zur Grundausstattung, selbst wenn sie keine Möglichkeit hat, mit Öffis in einer vertretbaren Zeit zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Will die Wissenschaftlerin ihre (sagen wir) Gedächtnisforschung betreiben – dazu ist sie ja da –, braucht sie Mittel zur Durchführung von Experimenten, die ihre Intuitionen oder Thesen bestätigen bzw. widerlegen. 

Reformen und Sparmaßnahmen haben aus Forschungszentren, in denen auch „Spinner“ ihre verrückten Ideen pflegen konnten, leere Gebäudehüllen gemacht, in denen kein freies Forscherherz mehr schlägt.

Ein Minimum an Equipment, zum Beispiel ein Elektroenzephalographie-Gerät, diverse Materialien und das Probandengeld, kann schnell 50.000 Euro kosten. Damit ist ein erstes Experiment möglich. Allerdings nur, wenn die Wissenschaftlerin alles ganz allein macht – von der Programmierung der Geräte bis hin zur Erhebung und Auswertung der Daten, dem Schreiben der Fachpublikation und der Präsentation der Forschungsresultate auf einer Konferenz. Eine Person, die sie unterstützt, wie zum Beispiel eine Doktorandin, würde für ein Jahr zusätzlich um die 40.000 Euro kosten, ein Post-Doc, also eine Person mit Doktorat, noch mehr.

Die Universität, die das Gehalt der Wissenschaftlerin bezahlt, ist längst nicht mehr für die Finanzierung der Forschung zuständig. Dafür sind sogenannte Förderagenturen – funding agencies – vorgesehen. Manche sind staatlich: der österreichische Wissenschaftsfonds (FWF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der Schweizer Nationalfonds (SNF). Andere sind privat, wie Stiftungen oder auch Firmen, die ihre Forschung an Universitäten outsourcen und on demand betreiben lassen.

Die Konkurrenz entscheidet über Finanzierung

Die Finanzierung des Forschungsprojekts der leitenden Wissenschaftlerin (wen leitet sie eigentlich?) beginnt mit der Antragstellung. Die Förderagentur gibt exakt vor, wie dies zu erfolgen hat: Ziele, Kurzbeschreibungen, Aufstellung der Kosten, aber auch die Bedeutung des Vorhabens für die Wissenschaft, zum Beispiel in fünf oder zehn Jahren, sowie die praktische Umsetzung der Forschungsresultate. Arbeitet man in der Grundlagenforschung, so wie Anton Zeilinger, sind die letzten beiden Anforderungen schwer zu erfüllen.

Die EU, die einen prall gefüllten Fördertopf hat, gibt ziemlich genau die Richtung der Forschungsinhalte vor: Denker, die gegen den Mainstream forschen möchten, gehen leer aus. Damit alles seine Richtigkeit hat, schreibt die Wissenschaftlerin drei bis sechs Monate intensiv an ihrem Antrag. Aus den im Dienstvertrag enthaltenen vierzig Stunden werden dann regelmäßig fünfzig oder sechzig pro Woche, bei gleichbleibendem Gehalt. Schließlich wird der Antrag digital eingereicht, und das Warten beginnt. Nach einigen Monaten, manchmal dauert es sogar länger als ein Jahr, erfährt die Hoffende, wie externe, ihr unbekannte Gutachter den Antrag bewertet haben. 

Die Mühlen der Bürokratie

Gutachter verfügen – in glücklichen Fällen – über die Expertise, die Qualität des Forschungsantrags zu beurteilen. Es sind Wissenschaftler, die im gleichen Bereich arbeiten, also die Konkurrenz. Was die anonymen „Richter“ sentenzieren, kann der Anfang, aber auch das Ende einer wichtigen Forschungsfrage sein, die möglicherweise die gesamte Disziplin in eine bahnbrechende Richtung vorantreiben könnte. Ist das Thema den Gutachtern nicht wichtig genug, sind die durchzuführenden Experimente nicht ausreichend beschrieben, wird der Antrag abgelehnt. Eine einzige DIN-A4-Seite kann das Forschungsvorhaben auf den Mond schießen.

Die Argumente sind nicht immer nachvollziehbar. Bei der Förderagentur kann sich die Wissenschaftlerin nicht beschweren. Als Antragstellerin ist man per Definition unterlegen und hat das Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Zum Glück geht es aber nicht immer schief. Eventuell winken die Gutachter das Projekt mit Änderungen durch, und die Wissenschaftlerin wähnt sich schon im Geldregen.

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Zahlen & Fakten

Rebellen der Forschung

Porträt von Ignaz Semmelweis.

Ignaz Semmelweis

Als „Semmelweis-Reflex“ bezeichnet man bis heute die reflexhafte, kategorische Ablehnung einer neuen Entdeckung, die weit verbreiteten Überzeugungen widerspricht, durch das wissenschaftliche Establishment ohne vorherige Überprüfung. Als der 1818 in Budapest geborenen Mediziner Ignaz Semmelweis seine Arbeit 1846 an der Geburtshilfeklinik im Allgemeinen Krankenhaus Wien aufnimmt, ist eine Geburt ähnlich gefährlich wie eine Lungenentzündung. Bis zu 15 Prozent der Mütter in seiner Abteilung sterben am Kindbettfieber. Dort untersuchen Ärzte und Studenten die Verstorbenen und gehen dann zu den Gebärenden. Die Hände waschen sie sich, wenn überhaupt, nur mit Seife. In der Zweiten Abteilung des Hauses werden Hebammenschülerinnen ausgebildet und keine Leichen obduziert – die Sterblichkeit ist dort signifikant niedriger. Semmelweis erkennt den Zusammenhang und weist seine Studenten 1847/48 an, vor Untersuchungen die Hände zu desinfizieren. Die Ergebnisse dokumentiert er in einer Studie: der erste praktische Fall von evidenzbasierter Medizin in Österreich. Trotz dieses Musterbeispiels für eine methodisch korrekte Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen werden seine Erkenntnisse von den führenden Medizinern seiner Zeit als „spekulativer Unfug“ abgelehnt. Hygiene gilt als Zeitverschwendung. Für den „Retter der Mütter“ selbst kommt die Anerkennung zu spät. 1865 liefern drei Arztkollegen den depressiv Gewordenen in die Landesirrenanstalt Döbling ein, wo er unter ungeklärten Umständen ums Leben kommt.

Aber so einfach ist es dann auch wieder nicht: Die staatliche Förderagentur kann die Wichtigkeit des Antrags und die exzellenten Gutachten loben, aber dennoch mit Bedauern mitteilen, dass der Fördertopf leer ist und die Antragstellerin sich doch an private Geldgeber oder andere Förderagenturen wenden möge. 

Same procedure as every year

Das Prozedere beginnt wieder von vorn, und die Wissenschaftlerin entscheidet sich letztendlich für eine Privatstiftung. Inzwischen ist vielleicht über ein Jahr vergangen, der Antrag wird umgearbeitet, die neue Literatur eingepflegt, die Ziele der Stiftung werden nun auch berücksichtigt. Das Forschungsvorhaben ist angepasst und so verändert, dass für diese Finanzierung die Chancen nicht allzu schlecht stehen. Und ja, endlich klappt es! Die Wissenschaftlerin bekommt die Finanzierung für das Forschungsmaterial und ein Jahr Gehalt für eine Assistentin, also eine nicht promovierte Kraft, die sie zuerst einlernen muss. 

Geld für Konferenzen ist allerdings nicht vorgesehen. Konferenzen sind dazu da, die eigenen Erkenntnisse in der Community zu präsentieren und auch Neues zu erfahren, das noch nicht publiziert wurde. Die Teilnahme-gebühren können variieren, aber durchschnittlich sind 200 Euro pro Tag üblich. Transportmittel und Unterkunft kommen noch dazu. In den USA muss man für eine Konferenz von fünf oder sechs Tagen mit circa 4.000 Euro für Flug, Hotel, Essen, Transport und so weiter rechnen. 

Aber auch dafür gibt es Fördertöpfe. Einen Antrag kann man jederzeit einreichen, vielleicht wird wenigstens der Flug bezahlt. Ist die Konferenz wirklich wichtig, muss die Wissenschaftlerin den offenen Teil aus der eigenen Tasche bezahlen, also ihre Forschung privat finanzieren. Fließt endlich das Geld von der Stiftung, sagen wir beispielsweise 100.000 Euro, an die Universität, hat die Wissenschaftlerin nur noch Zugriff auf 85.000 Euro. Warum?

Die Zeiten, in denen die Universitäten freies Forschen ermöglichten, ‚ohne Rücksicht darauf, ob es einen Nutzen haben könnte‘, sind längst vorbei.

Die Institution beansprucht den sogenannten Overlay für sich, als eine Art Bearbeitungsgebühr. Sie verwaltet das Geld, begutachtet die Einkaufsliste, stellt die Infrastruktur der Universität zur Verfügung. Durch die Affiliation zur Universität wird die Wissenschaftlerin in der Forschungsinstitution eingebettet, um auch von den Kollegen in der Community ernst genommen zu werden. Je berühmter die Universität, desto größer die institutionelle Aura. 

Unabhängige Forscher, die weißen Fliegen des Systems, sind rar und werden schief angeschaut, als ob die Arbeit für sie ein Hobby wäre. So lässt sich die Wissenschaftlerin die Affiliation etwas kosten. Was bleibt ihr denn übrig? Für ihre Forschung braucht sie Geld, und dieses muss sie von dort holen, wo es ist, also von außerhalb der Universität. Ihren Tribut an die Universität muss sie bezahlen, damit sie überhaupt dort forschen darf.

Von wegen „sich nichts pfeifen“

Sie beginnt ihre Arbeit mit bescheidenen Mitteln und hofft auf bessere Chancen beim nächsten Antrag. Ideal wäre, wenn sie sich einem Mainstream-Thema widmen könnte, welches über Förderagenturen und Stiftungen, von der Politik, von der Industrie, ja auch von der EU unterstützt wird. Aber vielleicht will die Forscherin lieber eine „Spinnerin“ bleiben, sich „nichts pfeifen“ und ihrer „spannenden Arbeit“ frei nachgehen, die aber leider nicht jene ist, die das Establishment von ihr wünscht. Es wird für sie schwierig werden, in Zeilingers Fußstapfen zu treten. Die Zeiten, in denen die Universitäten freies Forschen ermöglichten, „ohne Rücksicht darauf, ob es einen Nutzen haben könnte“ (Zeilinger), sind längst vorbei.

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Conclusio

Reformen und Sparmaßnahmen limitieren die Forschung. Das Beispiel einer Gedächtnisforscherin macht deutlich, dass die Universitäten zwar das Gehalt der Wissenschaftlerin bezahlen, aber nicht die Forschung selbst. Mittel für Equipment und Mitarbeiter müssen von Firmen oder staatlichen Förderagenturen eingeworben werden. Dort begutachtet die wissenschaftliche Konkurrenz die Projekte und geben EU-Richtlinien die Richtung vor. Wer gegen den Mainstream forschen will, geht oft leer aus. Fließt irgendwann Geld, behält die Universität davon 15 Prozent der Mittel ein. Die Teilnahme an Konfe­renzen muss zum Teil aus eigener Tasche finanziert werden. Nobelpreisträger Anton Zeilinger empfiehlt jungen Forschern, sich „nichts zu pfeifen“ und ihrer Inspiration zu folgen. In der Praxis ist dies jedoch kaum mehr möglich.

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