Was gegen Übergewicht bei Kindern hilft

Adipositas trifft alle Schichten, aber auf Prävention bei Kindern und Jugendlichen ist trotzdem unerlässlich: Denn wer in jungen Jahren schon zu schwer ist, wird es wahrscheinlich für immer bleiben.

Ein kleines Mädchen steht auf einer Waage, während es ein Sandwich mit Erdnussbutter isst. Das Bild illustriert einen Artikel zum Thema Prävention bei übergewichtigen Kindern.
Mehr als die Hälfte aller Erwachsenen in Österreich ist übergewichtig. Weil es sehr schwer ist, Übergewicht wieder loszuwerden, muss Prävention bereits bei den Kindern ansetzen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zu viel. Schon bei Kindern und Jugendlichen ist Übergewicht und Adipositas weit verbreitet.
  • Zu wenig. Deshalb ist Prävention unerlässlich. Das Problem: Es gibt kaum Daten, mit denen Experten arbeiten können.
  • Zu streng. Bei der Präventionsarbeit ist es wichtig, realistisch zu bleiben und Schokolade etwa nicht zu verteufeln.
  • Zu nachlässig. Ein weiteres Problem sind manchmal die Eltern: Kinder und Jugendliche nehmen vor allem dann zu, wenn sie nicht in der Schule sind.

Wir wissen es fast alle: Abnehmen ist schwierig. Diese Erfahrung machen wir nicht nur persönlich, sie ist auch wissenschaftlich belegt: Um ein Kilogramm Fettgewebe loszuwerden, müssen 7.000 bis 8.000 Kalorien eingespart werden. Und mit einem Kilo ist es bei vielen nicht getan – mehr als die Hälfte aller Erwachsenen in Österreich ist übergewichtig, rund 17 Prozent haben krankhaftes Übergewicht, Adipositas genannt.

Adipositas ist laut WHO die größte Gesundheitsbedrohung dieses Jahrhunderts. Nicht alle Übergewichtigen, aber die meisten leiden an den vielen Folgeerkrankungen. Zuallererst ist Diabetes mellitus die Hauptfolge der Übergewichtigkeit. Laut einer aktuellen Publikation im Fachjournal Lancet wird sich die Zahl der Diabetiker in Europa bis 2030 verdoppeln. Es wird geschätzt, dass wir allein in Österreich derzeit 800.000 Typ2-Diabetiker haben – diese Personen sind zu Beginn nicht insulinabhängig und haben auch keine der typischen Symptome. Die Ursache ist fast immer Adipositas. Und jeder einhundertste Jugendliche mit Adipositas hat bereits einen Typ2-Diabetes, fast immer unerkannt.

Datenwüste Österreich: Eigentlich eine Schande

Gerade weil das Loswerden von überschüssigem Fett so schwierig ist, müssen wir zwei Dinge tun: Wir müssen der Entwicklung von Übergewicht vorbeugen, also präventiv vorgehen; das günstigste Alter für Prävention ist das Schulalter ab zirka 6-7 Jahren. Denn es gut belegt, dass zirka 80 Prozent der Jugendlichen mit Übergewicht oder Adipositas auch als Erwachsene übergewichtig oder adipös sein werden. Wenn wir präventive Maßnahmen nach der Pubertät beginnen, ist es meist zu spät.

Wir arbeiten als Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin im Auftrag des Bildungsministeriums an drei Wiener Schulen, wobei nur an einer Schule ein strukturiertes Präventionsprogramm, bestehend aus einer kindergerechten Ernährungsschulung und einem speziell für dieses Alter entwickeltem Sportprogramm durchgeführt wird.  An einer Schule wird keine Prävention durchgeführt, an der anderen ein von einem Sportverein initiiertes Sportprogramm. Die Ernährungssituation ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich lassen sich die Kinder und Jugendlichen zwischen sieben und elf Jahren in vier Gruppen unterteilen:

Normalgewichtige55-60 Prozent
Untergewichtigerund 2-3 Prozent
Übergewichtigerund 15–25 Prozent
Adipöserund 15–25 Prozent

Diese Daten sind für präventive, aber auch therapeutische Maßnahmen extrem wichtig; sie sind leider von allen anderen Schulen nicht verfügbar. Es werden zwar alle Kinder in den Schulen gewogen und gemessen, aber diese Zahlen werden weder ausgewertet noch publiziert. Das ist eigentlich eine Schande. Um gezielte Maßnahmen zu setzen – es bestehen offenbar große Unterschiede zwischen den Schulen – wären diese Daten unabdingbar.

Wie entsteht Übergewicht oder Adipositas?

Eine Vielzahl von Faktoren ist dafür verantwortlich: Mangelnde Bewegung ist einer davon. Wenn Jugendliche sich nicht jeden Tag ausreichend körperlich bewegen, kann Übergewicht entstehen. Das Überangebot von kalorienreichen Lebensmitteln, die überall vorhanden sind, der zweite wichtige kausale Faktor: Wenn der Körper, ganz egal welchen Alters, mehr Energie zugeführt bekommt als er benötigt, muss er diese überschüssige Energie in Form von Fettgewebe speichern. Er kann sie nicht ausscheiden. Der Körper kann nicht overrult werden. Sozial schlechter gestellte Kinder und Jugendliche sind eher in Gefahr, übergewichtig zu werden; genauso wie solche mit Übergewicht in der Familie – auch aus genetischen Gründen.

Manchmal werden sie vom Turnunterricht befreit, dann sitzen sie erst recht nur vor dem Computer und bewegen sich nicht.

Bereits im jungen Alter können Übergewicht und Adipositas auch abseits von Diabetes schwere gesundheitliche Folgen haben. Viele der übergewichtigen Jugendlichen haben bereits Knieprobleme oder Knorpelveränderungen, können teilweise nicht länger als zehn Minuten Sport machen. Manchmal werden sie vom Turnunterricht befreit, dann sitzen sie erst recht nur vor dem Computer und bewegen sich nicht. Die Fettleber bei Jugendlichen ist oft unerkannt, aber ein Risikofaktor für später auftretende Erkrankungen.

Vielfach vernachlässigt sind psychische Probleme: Diese Jugendlichen vereinsamen, sie werden diskriminiert und ausgeschlossen, weil sie nicht in das gewohnte Körperbild passen. Ein jobsuchender Jugendlicher mit starkem Übergewicht hat mir erzählt, dass ihn sogar das AMS mit den Worten „Nimm einmal ab und dann komm wieder“ nach Hause geschickt hat. Das ist natürlich Unsinn: Das kann er alleine nicht.

Prävention: Behutsames Vorgehen wichtig

Wenn wir die Pandemie der Übergewichtigkeit eindämmen wollen, müssen wir zwischen zwei Maßnahmen unterscheiden: Eine allgemeine Prävention einerseits und konkrete Hilfe für solche Jugendlichen, die bereits adipös sind, andererseits. Es gibt Jugendliche mit acht, neun Jahren, die bereits sechzig, siebzig Kilo haben. Sie sprechen auf präventive Maßnahmen nicht mehr an, die brauchen eine wirksame Therapie. Sie muss professionell durchgeführt werden und auch Anreize enthalten. Dabei ist die Einbeziehung der Eltern ein ganz wesentliches Element.

Bei allgemeinen Präventionsmaßnahmen wiederum ist es wichtig, behutsam vorzugehen: Wenn ein untergewichtiges Kind jeden Tag hört, dass es keine Schokolade und kein normales Joghurt essen darf, sondern nur mehr Gurken, Radieschen und Paprika, kann es passieren, dass solche Kinder in die Anorexie rutschen.

Übergewichtige wissen oft am besten Bescheid, wie eine gesunde Ernährung aussehen würde. Aber sie halten sich nicht daran.

Unser Institut führt deshalb jetzt eine Kampagne zum „gesunden Warenkorb“ durch, in der wir davon wegkommen wollen, dass Dinge wie Mehlspeisen grundsätzlich etwas Böses sind und es nur mehr Äpfel und Melonen geben darf. Es muss gezeigt werden, wie ein Warenkorb für ein Wochenende oder ein paar Wochentage aussehen kann. Dabei ist der Fleischkonsum zu reduzieren, mehr Obst, Gemüse und kalorienarme Lebensmittel sollen in den Warenkorb kommen – aber im Warenkorb darf trotzdem durchaus Schokolade, Eis und auch ein gezuckertes Getränk sein. Wir wollen das Verhalten ändern. Denn Wissen allein heißt noch nicht, dass sich die Leute entsprechend verhalten. Wir müssen wirksame Mechanismen finden, die das Verhalten ändern. Übergewichtige wissen oft am besten Bescheid, wie eine gesunde Ernährung aussehen würde. Aber sie halten sich nicht daran.

Die Eltern sind ein heikler Punkt

Deshalb versuchen wir zu zeigen, dass man Fleisch und Süßem nicht komplett abschwören muss. Wir haben auch Kinder gebeten, selbst Warenkörbe zu erstellen, denn auch solche spielerischen Ansätze helfen. Auch weil bekannt ist, dass Erziehung auch umgekehrt funktioniert, dass also auch Kinder ihre Eltern erziehen.

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Zahlen & Fakten

Die Einbeziehung der Eltern ist insgesamt ein wichtiger, aber auch heikler Punkt. Wir versuchen sie mit Emails und mit Elternabenden zu erreichen. Aber oft kommen zu diesen Abenden nur wenige Eltern und vor allem die, die sowieso schon ein Gesundheitsbewusstsein haben. Wie man alle anderen Eltern erreicht, ist eine schwierige Frage. Die internationale Datenlage zeigt jedenfalls, dass es nur mit Anreizen funktionieren kann, nicht mit Bestrafungen. Diejenigen, die mitmachen, bekommen Prämien oder Sportgeräte oder was auch immer.

Covid macht dick

Die Eltern zu erreichen ist auch deshalb so wichtig, weil Studien zeigen, dass Jugendliche am Wochenende und in den Ferien besonders stark zunehmen. Vor allem die Adipösen, weil dort zu Hause zu wenig auf eine gesunde und altersentsprechende Ernährung geachtet wird. Zudem haben die Kinder zu Hause oft leider auch weniger Zugang zu Bewegung. Während der Covid-19-Pandemie in den Jahren 2020 und 2022, als die Schulen lange geschlossen waren, haben die Kinder im Vergleich zu 2019 um 1,8 Kilogramm mehr zugenommen. Der Zugang zu vermehrter Ernährung zu Hause – Stichwort Kühlschrank – und die geringere Möglichkeit, sich zu bewegen, hat also zu einer deutlichen Zunahme des Gewichts geführt.

Bekannt ist zudem, dass Eltern übergewichtiger Kinder die Schuld oft nur auf die Schule und die Ernährung dort schieben. Aber die Schule kann immer nur ein Teil sein. Das Problem der Adipositas bei Jugendlichen hat viele Ebenen und um es zu lösen, müssen alle – Eltern, Lehrer und Ärzte – zusammenarbeiten. Wenn irgendeiner der Beteiligten sagt, „das ist Unsinn, das bringt nichts“, dann haben wir schon verloren.

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Conclusio

Mehr als die Hälfte aller Erwachsenen in Österreich ist übergewichtig. Weil es wahnsinnig schwer ist, Übergewicht wieder loszuwerden, muss Prävention bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen. Da sonst aus übergewichtigen Kindern zwangsläufig übergewichtige Erwachsene werden. Bei der Prävention ist es unerlässlich, dass alle Beteiligten zusammenarbeiten: Lehrer, Ärzte und auch die Eltern.

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