Plötzlich wieder schlank

In den sozialen wie klassischen Medien werden neue Medikamente wie Semaglutid, die das Abnehmen massiv erleichtern sollen, gehypt. Wie vielversprechend sind sie wirklich?

Das Bild zeigt eine Spritze mit dem neuen Medikament Semaglutid. Es wird ursprünglich für die Behandlung von Diabetes, jedoch mittlerweile auch zur Gewichtsreduktion bei Übergewicht eingesetzt.
Das Medikament Semaglutid, das ursprünglich zur Behandlung von Diabetes eingesetzt wurde, wird mittlerweile auch zur Gewichtsreduktion bei Übergewicht eingesetzt. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Risikofaktor. Von Herzinfarkt bis Krebs: Fettleibigkeit ist ein Risikofaktor für unzählige Folgeerkrankungen.
  • Anstieg. Seit den 1970ern zeigt sich überall auf der Welt ein massiver Anstieg von Übergewicht und Fettleibigkeit.
  • Hoffnung. Neue Medikamente wie Semaglutid sollen nun Betroffenen helfen, einfacher abzunehmen.
  • Hype. Um diese Medikamente ist vor allem in den sozialen Medien ein enormer Hype entstanden.

Vor kurzem kam ein 28-jähriger Mann zu mir in die Ordination, und er erzählte mir von einem neuen Medikament, das gegen Übergewicht Wunder wirken soll. Er hatte auf TikTok davon gehört, auch Prominente wie Elon Musk sollen es nehmen. Er selbst hatte schon oft versucht, mittels Diäten sein Gewicht zu reduzieren, hat dabei auch abgenommen, jedoch immer wieder zugenommen. Ein bekanntes Phänomen.

Nun wollte er einiges über dieses neue Medikament wissen; und schlussendlich wollte er es auch selbst einsetzen. Er hatte viele Fragen, die ich natürlich versucht habe, zu beantworten. Es hat damit begonnen, dass er wissen wollte, ab wann man überhaupt als fett oder adipös gilt und wie man das berechnet.

Wann spricht man von Adipositas?

Übergewicht und Adipositas sind zwei Begriffe, die mehr oder weniger künstlich voneinander getrennt wurden – beide meinen sie übermäßiges Gewicht, welches man mit sich herumträgt. Berechnet wird das durch den Body-Mass-Index (BMI). Er setzt sich aus der Körpergröße und dem aktuellen Körpergewicht zusammen, dabei wird das Gewicht durch die Größe (in Metern zum Quadrat) dividiert. Eine Frau mit einer Körpergröße von 1,70 Meter und einem Körpergewicht von 83 Kilogramm hat beispielsweise einen BMI von 28,7 – und ist damit übergewichtig. Ab einem BMI von 25 spricht die Wissenschaft von Übergewicht, ab 30 von Adipositas.  

Kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und so weiter), Diabetes, erhöhtes Vorkommen von Krebs, erhöhtes Vorkommen von Schäden des Körperskeletts und vor allem auch der Gelenke – für all das und vieles mehr ist Adipositas ein wesentlicher Risikofaktor. Es ist nicht gesund, zu dick zu sein; trotzdem sind es immer mehr Menschen weltweit. Übergewicht und Adipositas sind in unserer modernen westlichen Welt im Wesentlichen getrieben durch übermäßiges Nahrungsangebot und den Mangel an körperlicher Bewegung.

Ein komplexes Problem

Sehr gute Daten aus den USA zeigten, dass die körperliche Aktivität in den letzten fünfzig Jahren fast um die Hälfte abnahm, sitzen analog dazu um dreißig Prozent zunahm. Eine Reihe anderer Faktoren macht das Problem noch einmal komplexer: das Mikrobiom, der Stress des Alltags, verschiedenste Medikamente, die Esskultur, Crashdiäten, Schlafmangel, Hormone, der Lebensstil ganz allgemein und teils auch die Vererbung. Zu Adipositas und Vererbung lässt sich sagen, dass die Gene selten der einzige Grund für Übergewicht sind, sie können aber im Konzert mit anderen Faktoren durchaus mitspielen. Zu viele Kilos auf die Gene zu schieben ist allerdings nicht richtig.

Wer übergewichtig oder adipös ist, der denkt sogar anders: Das Gehirn reagiert anders auf Bilder und Geschmack von Lebensmitteln.

Das Problem explodierte in genau diesen vergangenen fünfzig Jahren: Das Vorkommen von Übergewicht und Adipositas in Österreich hat sich seit 1975 fast verdreifacht. In der Europäischen Union und auch in Österreich sind fast fünfzig Prozent aller Menschen übergewichtig und 20 Prozent davon adipös. Wer übergewichtig oder adipös ist, der denkt sogar anders: Das Gehirn reagiert anders auf Bilder und Geschmack von Lebensmitteln; diese Menschen haben mehr Hungerhormone und sind langsamer satt. Dieser Prozess ist erst in den vergangenen Jahren in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Und er erklärt, warum so viele Menschen ohne medikamentöse – oder gar chirurgische – Hilfe nicht abnehmen können.

Der TikTok-Hype

Welche Medikamente gab es bislang für die Gewichtsreduktion? Eine ganze Reihe, die aber alle keinen durchschlagenden Erfolg erzielen konnten. Die Operation mit Magenverkleinerung beziehungsweise Bypassoperation im Darmbereich ist hingegen durchaus zielführend. Hier konnte eine Studie zeigen, dass durch diese Operation und die darauffolgende Gewichtsreduktion auch eine Reduktion der Krankheitshäufigkeit und der Sterblichkeit erreicht werden konnte. Diese Operation hat allerdings auch mannigfaltige Komplikationen und sollte deshalb nur in schweren Fällen eingesetzt werden.

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Zahlen & Fakten

Was hat es nun also mit dem neuen Medikament auf sich, das nicht zuletzt auf TikTok gehypt wird? Es hat sich gezeigt, dass Medikamente, die ursprünglich für die Behandlung von Diabetes eingesetzt wurden, einen starken gewichtsregulierenden Effekt zeigten. Diese Medikamente gehören zur Gruppe der GLP1-Rezeptor-Agonisten. GLP steht für „Glucagon-like Peptide“, das ist ein Hormon, das normalerweise nach der Nahrungsaufnahme aus dem Darm freigesetzt wird. Es hat physiologisch viele direkte Effekte bei Menschen.

Wie wirken diese Medikamente?

So führt es in der Bauchspeicheldrüse zur Freisetzung von Insulin, zur Unterdrückung von Glucagon (das den Blutzucker steigen lässt); es senkt das Herzinfarktrisiko und verbessert die Herzfunktion. In der Leber führt es zur Reduktion der Leberglukoseproduktion, im Magen-Darm-Trakt zur Verzögerung der Magen- und Darmentleerung und speziell im Gehirn zu einer Reduktion der Energieaufnahme, das heißt zu einer Appetitregulation. Diese Medikamente, die unter die Haut gespritzt werden müssen, führen deshalb bei Patienten mit Diabetes zu einer deutlichen Verbesserung des Blutzuckerlangzeitwertes, zu einer Gewichtsreduktion und in großen Studien auch zur Reduktion von kardiovaskulären Erkrankungen, von Nierenerkrankungen und vielem mehr.

Die Daten für Semaglutid zeigen eine mittlere Verringerung des Körpergewichts von fast 15 Prozent nach einer Behandlungsdauer von eineinhalb Jahren.

Die in den sozialen Medien und auch in vielen Zeitungen momentan besprochenen Medikamente, die in diese Kategorie fallen, sind Semaglutid und – vor allem in den USA – auch Tirzepatid (GLP-1 und GIP-Agonist). Beide werden einmal wöchentlich verabreicht. Die Daten für Semaglutid zeigen eine mittlere Verringerung des Körpergewichts von fast 15 Prozent nach einer Behandlungsdauer von eineinhalb Jahren. Das ist im Vergleich zu anderen Medikamenten sehr beeindruckend, mit denen eine Gewichtsreduktion von fünf bis maximal 10 Prozent erreicht wird.

Das zweite der Medikamente, Tirzepatid, konnte eine noch größere Gewichtsabnahme zeigen. Im Rahmen einer Studie konnte gezeigt werden, dass durch die Gewichtsreduktion auch alle anderen mit Übergewicht und Adipositas assoziierten Krankheiten einer deutlichen Verbesserung zugeführt werden konnten. So verbessert sich die Glukosestoffwechsellage, der Blutdruck, die Herzkreislaufsituation, die Gelenksituation und vieles mehr.

Semaglutid: Fehlende Langzeitstudien

Wie die meisten Medikamente, können natürlich auch Semaglutin und Tirzepatid Nebenwirkungen haben: Durch die Störung beziehungsweise Verlangsamung der Magenentleerung treten zu Beginn häufig Übelkeit und Erbrechen auf, ebenso Durchfall. Der Beipackzettel listet zudem Hypoglykämien, eine Störung der Säurezusammensetzung des Blutes, Ketoazidosen, akute Bauchspeicheldrüsenentzündungen, zu Gallensteinbildungen, Komplikationen bei der diabetischen Augenerkrankung, Anstieg der Herzfrequenz und natürlich auch eine lokale Reaktion auf den Einstich auf.

Dennoch sind diese neuen Medikamente eine tolle Bereicherung der bislang doch sehr geringen medikamentösen therapeutischen Möglichkeiten. Es handelt sich allerdings trotzdem um Medikamente, die streng nach Indikation durch Ärzte und Ärztinnen verordnet werden sollten – und nicht durch TikTok. Man muss zudem bedenken, dass wir Erfahrungen mit diesen Substanzen erst ungefähr zehn Jahre lang haben, bei manchen Medikamenten noch kürzer. Langzeitige Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen. Nichtsdestotrotz hoffen wir als Ärzte, dass die Erkrankung Adipositas bald einer medikamentösen Therapie zugeführt werden kann.

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Conclusio

Neue Medikamente wie Semaglutin und Tirzepatid könnten eine wahre Revolution sein – sie bringen erstaunliche Ergebnisse beim Gewichtsverlust. Aber es ist auch Vorsicht geboten: Langzeitstudien fehlen noch, zudem können diese Medikamente starke Nebenwirkungen haben.

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