Wie Nordkorea den Ukraine-Krieg verändert
Mit der Entsendung von Soldaten wird Nordkorea zur Kriegspartei. Damit darf es von jedem Staat – sofern die Ukraine darum bittet – angegriffen werden. Nicht nur völkerrechtlich ein weiterer Dammbruch.
In Deutschland wird seit Beginn der Unterstützung für die Ukraine intensiv darüber diskutiert, ob und ab wann man dadurch zur Kriegspartei wird. Die Debatte war von Verkürzungen und auch Propaganda geprägt, man denke nur an die plumpen Analogien zum Zweiten Weltkrieg („deutsche Panzer gegen Russland“ – als ob Russland und die Sowjetunion oder die BRD mit Nazideutschland ident wären). Am Ende stand stets das russische Spiel mit der deutschen Angst, in einen Krieg hineingezogen zu werden, Angst vor einem Nuklearangriff, Angst vor einem kalten Winter und fehlender Energieversorgung, Angst, Angst, Angst.
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Nur: Während Deutschland auf „De-Eskalation“ setzt, ist Russland um Eskalation bemüht. Manche Beobachter verweisen darauf, dass es hier den längeren Hebel hat. Mit „Eskalationsdominanz“ hat ein neues Wort Eingang in die Debatte gefunden – egal, was der Westen und mit ihm die Ukraine tun, Russland kann und wird mehr tun, so die These.
Nordkorea
Womit wir bei Nordkorea wären. Ein „Einparteienstaat unter Führung einer dynastischen, totalitären Diktatur“, wie es Freedom House beschreibt. Dementsprechend war er lange über weite Strecken isoliert, zahlreiche Staaten und auch der UNO-Sicherheitsrat, dem bekanntlich auch Russland und China angehören, haben ab den 1990er-Jahren massive Sanktionen gegen das nordkoreanische Atomwaffenprogramm verhängt.
Völlig allein ist Nordkorea jedoch nicht, ganz im Gegenteil. In den letzten Jahren ist es zu einer weltpolitischen Schachfigur geworden. Wer keine Berührungsängste hat – Russland und eben auch China –, hat es sich warm gehalten, um gegebenenfalls ein Druckmittel zu haben. Oder gar einen „Partner“.
Dass schon bald mehrere Tausend nordkoreanische Soldaten in der Ukraine kämpfen könnten, kommt also nicht von ungefähr. Zur Erinnerung: Die ersten nordkoreanischen Waffenlieferungen an Russland erfolgten bereits im September 2022, seitdem kam es zu mehreren Gipfeltreffen zwischen Kim Jong-un und Wladimir Putin, vergangenen Juni wurde ein „Verteidigungs“-Pakt zur verstärkten militärischen Zusammenarbeit unterzeichnet.
Kriegspartei
Mit der direkten Beteiligung am russischen Angriffskrieg wird Nordkorea zu einem „Mitkriegführenden“, es ist gewissermaßen ein „Co-Aggressor“, der einen anderen Staat angreift.
Zur Erklärung: Im Völkerrecht wird zwischen indirekter und direkter „Gewalt“ („force“, wie es im englischsprachigen Original der Satzung der Vereinten Nationen heißt) unterschieden: Also zwischen Waffenlieferungen und/oder der Ausbildung von Kämpfern auf der einen und dem Entsenden eigener Streitkräfte auf der anderen Seite.
Das ist nicht nur ein semantischer Unterschied. Solange ein Staat einen Angriffskrieg nur indirekt unterstützt, bleibt er – so kontra-intuitiv das auch klingen mag – durch das Gewaltverbot geschützt. Die Ukraine und ihre Unterstützer durften Nordkorea trotz seiner massiven Waffenlieferungen nicht direkt angreifen.
Solange ein Staat einen Angriffskrieg nur indirekt unterstützt, bleibt er durch das Gewaltverbot geschützt.
Das ändert sich jetzt. Als Kriegspartei ist Nordkorea – nicht nur nordkoreanische Soldaten, sondern als Staat, mitsamt seinem gesamten Gebiet und selbst seinem Staatsoberhaupt Kim Jong-un – sowohl für die Ukraine als auch für alle Staaten, die es um Hilfe bittet, ein legitimes Angriffsziel. Wer rechtswidrig (mit) angreift, darf rechtmäßig angegriffen werden. Umgekehrt gibt es keine Rechtsgrundlage, einen Staat anzugreifen, der die Ukraine unterstützt. Das ist nur logisch, es gibt ja schließlich auch keine, um die Ukraine anzugreifen.
Südkorea und die USA
Damit kommt vor allem Südkorea ins Spiel, das die Informationen über nordkoreanische Truppenbewegung in Richtung Ukraine ebenso im Auge hat wie die Waffenlieferungen. Die russisch-nordkoreanische Kooperation bereitet naheliegenderweise große Sorgen. Russland hat nicht nur Rohstoffe und Waren zu bieten, sondern auch Militärtechnologie. Nordkorea ist ein Staat mit weit gediehenen nuklearen Ambitionen, Russland eine Atommacht. Den Rest darf man sich dazu denken.
Wo Südkorea, da sind die USA nicht weit. Auch die seltsame Beziehung zwischen Kim Jong-un und dem ehemaligen und vielleicht schon bald neuerlichen Präsidenten Donald Trump ändert nichts am strategischen Dilemma Nordkorea. Die USA haben Südkorea schon im Koreakrieg unterstützt, heute sind dort 28 500 ihrer Soldaten stationiert (Trump hat bereits angekündigt, dafür zukünftig das Vierfache an Zahlungen verlangen zu wollen).
Profiteur China
Bleibt China, das vom russischen Angriffskrieg profitiert wie keine andere Großmacht. Während der Handel mit Russland auf neue Rekordhöhen gestiegen und Moskau zum abhängigen Juniorpartner geworden ist, reibt sich der westliche Rivale auf. Viel muss China dafür nicht tun, während andere sterben und Geld verlieren, importiert es seit Beginn der EU-Sanktionen fast die Hälfte aller russischen Rohölexporte.
Seit Beginn des russischen Großangriffs treibt Beobachter die Frage um, ob 2022 näher am Ersten oder am Zweiten Weltkrieg liegt.
China hat Russland wirtschaftlich gerettet und hält den Krieg am Leben. Wieso manche westliche Stimmen auf ernsthafte Friedensbemühungen aus Peking hoffen, bleibt vor diesem Hintergrund schleierhaft.
Weltkrieg und Recht
Seit Beginn des russischen Großangriffs treibt Beobachter die Frage um, ob 2022 näher an 1914 und damit dem ersten oder an 1939 beziehungsweise dem Zweiten Weltkrieg liegt. „Schlafwandelt“ die Welt in einen Krieg, den kaum jemand in dieser Form will oder kommt es zu einem Schulterschluss gegen Aggressoren? Oder sind beide Parallelen historisch wertlos, weil wir uns schlichtweg in einer gänzlich neuen Situation befinden?
Wie dem auch sei: Nordkoreas Beteiligung weckt Erinnerungen an das Jahr 1943 und die italienische „Esercito Cobelligerante Italiano“, die 1943 auf Seiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eingetreten ist – das klassische Beispiel für einen „Mitkriegführenden“. Vier Jahre später ist der Friedensvertrag mit Italien in Kraft getreten. Davon scheint man heute weiter entfernt denn je. Vielleicht sollte man die Suche nach historischen Parallelen vorerst sein lassen.