Warum Landleben ein Ausweg ist

Städte haben alles. Doch wahr ist auch: Das Landleben ist eine handfeste Lösung für viele aktuelle Probleme, darunter auch der Klimawandel.

Eine Bachstelze sitzt auf einer Holzbank am Randes eines Weges mit Gräsern und Bäumen. Das Bild ist Teil eines Beitrags mit dem Titel Ausweg Landleben, bei dem es um die ökologischen Vorteile des Landlebens geht
Abendstimmung im Naturpark Schlei in Schleswig Holstein. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Eigenversorgung. Auf dem Land kann man sich selbst mit Lebensmitteln versorgen und ist unabhängig vom Angebot der Supermärkte.
  • Gesundheit. Wer auf dem Land lebt, stärkt sein Immunsystem ganz nebenbei. Der gesündere Lebensstil spart außerdem Geld.
  • Entschleunigung. Während die Stadt mit Kultur und Unterhaltung bietet, punktet das Landleben mit einem stressfreien ruhigen Alltag.
  • Komplementär. Das Landleben ist nicht der Gegensatz des Stadtlebens, sondern seine gesellschaftlich notwendige Ergänzung.

Schon vor vier Jahrzehnten habe ich mit meiner jungen Familie den Schritt aufs Land gewagt. Nach einer Kindheit und Jugend in einer Heidelandschaft mitten in der DDR südlich der Lutherstadt Wittenberg und nach anderthalb Jahrzehnten Großstadtleben kam es zur Entscheidung.

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Der innige Wunsch nach einem gesundheitsbewussten Leben, nach einer glücklichen Kindheit für Tochter und Sohn, nach einem umwelt- und klimafreundlichen Lebensstil und einem selbstbestimmten Dasein war fühlbar stärker als das Sicherheitsdenken.

Unabhängigkeit

Als Naturwissenschaftler wusste ich schon damals um die globalen ökologischen Bedrohungen. Der erste Bericht des Club of Rome erschien im Jahre 1972 und schaffte es auf Schmuggelwegen bis in den Osten. Ich selbst habe bis Anfang der achtziger Jahre für das Gebiet der DDR Schadstoffstudien erarbeitet, vor allem die Belastung der Gewässer mit Nitraten, Pestiziden und Schwermetallen.

Die Auswertungen der Datensammlungen verlangten geradezu nach einer ökologischen Wende. Doch die staatlich angeordnete strikte Geheimhaltung erlaubte keine offene Debatte. Nach fünfjähriger Tätigkeit des Sammelns, Bewertens und Verschweigens musste ich erkennen: Meine Arbeit sicherte mir zwar ein Einkommen, sie war aber absolut wirkungslos und damit höchst unbefriedigend. Eine solche Tätigkeit macht letztlich krank.
 
Der ländliche Raum, so meine Kindheitserfahrung, sollte zumindest ein Überleben ohne festes Einkommen ermöglichen. So schuf ich mir mit meiner Familie eine Souveränität, um jene Herausforderungen anzupacken, die mir wirklich wichtig erschienen. Ganz oben steht bis heute das Engagement zur Sicherung unserer fundamentalen Lebensgrundlagen. Das weitgehend autarke Landleben verschaffte mir und uns die Freiheit, das Buch „Zurück zur Natur?“ zu schreiben. Es wurde zum Kultbuch der ostdeutschen Umweltbewegung und weckte bei vielen Menschen ein ökologisches Bewusstsein.

Ausweg Landleben

Dann kam die Wendezeit. Die Macht lag auf der Straße und ich wurde ich politisch aktiv, ging erneut nach Berlin. Mein Herzensthema: Der ökologische Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft. Als Ausschussvorsitzender für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit in der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR trat ich für den Ausbau der erneuerbaren Energien ein.

Die ersten Windräder drehten sich bereits an der Küste und die Solarzellen waren auch schon erfunden. Mit meinen Plädoyers erntete ich aber nur Hohn und Gelächter, ein Ausgehen der Lichter wurde prophezeit. Eine demokratisch gewählte Mehrheit glaubte fest daran, dass wir einen „gesunden Mix aus Kohle, Öl, Gas, Atom und Erneuerbaren“ bräuchten, genauso, wie es der Westen ja vormachte, scheinbar sehr erfolgreich. Bequem sollte das Leben sein, Konsum und Wachstum wurden angebetet, bloß keine Experimente!
 
Durch diese Ohnmachtserfahrung frustriert, entschloss ich mich, wieder aufs Land zurückzukehren und im eigenen Leben das umzusetzen, was mir auf der politischen Bühne im großen Maßstab versagt blieb: Den Fußabdruck reduzieren, von fossilen Energien verabschieden, die kommenden Generationen im Blick haben, für das Gemeinwohl Sorge tragen und dabei gesund und zufrieden leben.

Das widerstandsfähige Land

Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein: In guten Zeiten lebt es sich in der Stadt angenehmer, in schlechten Zeiten haben die Landbewohner die besseren Karten. Das Land bietet zwar nicht die Bequemlichkeit, es ist aber widerstandsfähiger. Die Lebensbasis findet sich in direkter Nachbarschaft: Fruchtbarer Boden, auf dem Nahrung wächst, gemäßigtes Klima durch viel Grün, Wasser, saubere Luft, Stabilität durch biologische Vielfalt.

Abendstimmung an einem Flussgebiet mit Aulandschaft und Pferden. Das Bild ist Teil eines Beitrags über den Ausweg Landleben. Die abgebildete Oder war 2022 Schauplatz eines großen Fischsterbens aufgrund von Braunkohleabbau.
Im Mai 2023 an der Oder in der Nähe von Kienitz, Brandenburg. © Getty Images

Wenn über Landleben gesprochen wird, stehen zumeist die Defizite im Vordergrund. Dabei gibt es auch Vorzüge, Gratisleistungen, die in den Metropolen nur gegen einen Preis oder gar nicht erhältlich sind. Man braucht auf dem Land kein Abo für ein Fitnesstudio. Bewegung, Naturkontakt und das unverfälschte Erleben der Tages- und Jahreszeiten sind gut für die körperliche und psychische Gesundheit. Landbewohner erkranken nachweislich seltener an Allergien, Asthma, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Autoimmunerkrankungen und sogar Schizophrenie. Das Leben im ländlichen Raum ist zumeist friedlicher mit weniger Kriminalität und weniger Wohnungseinbrüchen, das belegt die Statistik.

Das saisonale und regionale Essen, mit dem sich Sterne-Köche schmücken, gibt es im eigenen Garten zu konstanten Preisen und Bio dazu. Nicht zu übertreffen ist der erntefrische Genuss der Erdbeeren, Trauben, Himbeeren und Pfirsiche. Äpfel, Kartoffeln, Möhren, Porree, Kohl und Dutzende anderer Nahrungsmittel stehen fast das ganze Jahr über zur freien Verfügung. Die frische Ware vor der Haustür erübrigt tägliches Einkaufen, es raubt nur Zeit und Geld. Ich kaufe niemals Obst oder Gemüse, koche und backe selbst. Die freie Landschaft bietet Zusätzliches: Nüsse, Wildkräuter, Wildbeeren, Wildobst, Pilze zum Trocknen. Wem das Naturwissen fehlt, kann Rat und Hilfe in der Nachbarschaft finden.

Ökologisch besser

Was vielen Menschen nicht bekannt ist: Der Energie- und Flächenanspruch für lokal erzeugte Nahrungsmittel ist weit geringer als bei einem Weg über die Agrar- und Lebensmittelindustrie, der oft mit Importen, Zusätzen und hohem Verarbeitungsgrad verbunden ist. Verpackungsmüll entfällt komplett. Ein Verschwenden oder Wegwerfen wird undenkbar, wenn man selbst an der Erzeugung beteiligt ist. Es ist die kürzeste Lieferkette der Welt, ein wahrer Supermarkt unter freiem Himmel.
 
Sich auch mit Strom und Wärme zumindest teilweise selbst zu versorgen und von steigenden Preisen unabhängig zu werden ist auf dem Land einfacher zu realisieren. Sonnenenergie für Strom, Warmwasser und Wärme ist im ländlichen Raum leichter nutzbar. Ich habe mich von fossiler Abhängigkeit schon vor Jahrzehnten vollständig befreit. Insgesamt kann man außerhalb von Ballungsräumen mit weniger Geld auskommen, Preissteigerungen tangieren mich kaum, Erwerbsarbeit zu reduzieren fällt dann leichter. Das Leben ist insgesamt weniger konsumorientiert, die Verführung durch Außenwerbung entfällt.

Landidylle mit Hängematte? Die kann man auch haben. Aber in erster Linie verlangt das Landleben Tätigsein, körperlichen Einsatz, Eigenverantwortung und Kreativität. Improvisationstalent und handwerkliche Fähigkeiten sind sehr von Vorteil, Kompetenzen zum Reparieren und Selbermachen sind gefragt, Perfektionismus ist nur hinderlich. Der Vorteil: Wer aktiv ist, lebt gesünder und hat eine höhere Lebenserwartung. Die meisten Hundertjährigen leben auf Dörfern mit Selbstversorgung, und sie sind sozial eingebunden.

Stadt gegen Land

In der Vergangenheit waren die Metropolen die Gewinner, die Landkreise die Verlierer. Sollten sich die Verhältnisse künftig umkehren? Vieles auf dem Land ist inzwischen anders geworden als die Klischees von gestern uns erzählen wollen. Motivierte Menschen aus den Ballungsräumen kommen zunehmend in die Provinz und sorgen für frischen Wind. Auch jene jungen Menschen, die zur Ausbildung in die Großstädte gezogen sind und wieder zurückkommen, bringen neue Ideen mit, wirtschaftlich wie auch kulturell.

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Zahlen & Fakten

Foto der U-Bahn in Berlin, die an der Stelle oberirdisch geführt wird. Das Bild ist Teil eies Beitrag über den Ausweg Landleben.
U-Bahn-Romantik in Berlin 2022 als die U-Bahn 120 wurde. Im Hintergrund ein Baum (blattlos). © Getty Images

„Ich seh‘ nur Bäume“ – Lieder der Stadt V

  • Der Song Zurück zum Beton von S.Y.P.H. entstand 1978 und kommt aus der westfälischen Halbprovinz Solingen. Ob Hommage an die Stadt oder ironisierter Hass auf die Stadt ist unklar. Jedenfalls hat Solingen keine U-Bahn.

Ich glaub ich träume
ich seh nur Bäume
Wälder überall
Ich merk auf einem Mal
Ich bin ein Tier hier
ein scheiss Tier hier

Da bleibt mir nur eins:

Zurück zum Beton
Zurück zum Beton
Zurück zur U-Bahn
Zurück zum Beton
Da ist der Mensch noch Mensch
da gibt's noch Liebe und Glück
Zurück zum Beton
Zurück zum Beton

Ekel Ekel Natur Natur
Ich will Beton pur
Blauer Himmel Blaue See
Hoch lebe die Beton Fee
Keine Vögel Fische Pflanzen
Ich will nur im Beton tanzen

So entstehen Co-working- und Co-living-Wohn- und Lebensformen, weil es einfach mehr Platz zu günstigen Preisen in „unfertigen Orten“ gibt. Junge Kreative entdecken das „Neuland“, sie experimentieren, gründen Start-ups, schaffen Neues.

Die Wanderungsstatistiken belegen den Trend. Corona war nur ein Brandbeschleuniger, die Entwicklung gab es schon vorher und sie wird weitergehen. Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Die Digitalisierung und der Wandel hin zu mehr ortsunabhängigem Arbeiten erleichtert den Umzug.

Die lange beklagte schlechte Versorgung mit schnellem Internet ist in Auflösung begriffen, jeder Politiker hat verstanden, das dies zur Grundversorgung gehört und vorrangig auszubauen ist. Homeoffice-Regeln erleichtern den Abschied von der Großstadt als Wohnort. Das macht auch das Wohnen im teuren Speckgürtel der Metropolen nicht mehr zur besten Lösung. So werden auch eher abgelegene ländliche Gebiete zunehmend attraktiv, an denen bislang der Trend zum Landleben vorübergegangen war.

Ohne Land keine Stadt

Die Zuwanderung Richtung Land ist bitter nötig, um die Metropolen am Leben zu erhalten. Die Stadt hängt am Tropf des Landes. Ohne intakte Ökosysteme, ohne funktionierende ländliche Räume gibt es kein Überleben der Stadt, denn das Land ist der Versorger, die Stadt der Verbraucher, was Nahrung, Wasser, Sauerstoff, Energie und Rohstoffe angeht. Das Land bietet zudem Erholungsräume und biologische Vielfalt. Um all das werden wir uns gemeinsam mehr kümmern müssen.
 
Die größten Herausforderungen, vor denen wir stehen – die Klimakrise, die Wasserkrise, die Ernährungskrise und die Biodiversitätskrise – können ohne stärkeres Engagement in den ländlichen Räumen nicht bewältigt werden. Die Landwirtschaft ist zu ökologisieren, Gifte routinemäßig für die Erzeugung unserer Nahrungsmittel einzusetzen, um menschliche Arbeit zu ersetzen, ist nicht zukunftsfähig.

Unsere Wälder sind wiederzubeleben, Flüsse und Moore zu renaturieren, der Landschaftswasserhaushalt neu auszurichten, Gewässer zu sanieren, die Kulturlandschaft mit ihrer Artenvielfalt zu pflegen. Es werden zunehmend Manager im Klima-, Umwelt- und Naturschutz in den Landkreisen benötigt und auch gesucht. Wer dafür sorgt, sorgt für die Zukunft. Warum in die Großstadt zur Arbeit pendeln, wenn es doch genug Arbeit in den Landkreisen gibt, Arbeit, die weit wichtiger ist als die Unterhaltungsindustrie und die Werbebranche.
 
Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung künftig in Städten leben wird, ohne kreative Menschen, die auf dem Land leben und wirken, stirbt die Stadt. Nur mit aufgeklärten und motivierten Menschen lässt sich die nötige Transformation in Gang bringen.

Stadtmenschen sind gefragt

Dabei fällt der Stadtbevölkerung eine zentrale Rolle zu. Von ihr muss die ökologische Wende ausgehen. Ihr Konsumverhalten, ihre Nachfrage entscheidet darüber, wie und was produziert wird. Jede und Jeder sollte sich beim Kaufen die Frage stellen: Wer bekommt eigentlich mein Geld und wofür? Die Erzeugung von gesunden Nahrungsmitteln, von Trinkwasser, sauberer Luft und akzeptablem Klima verlangt die Bereitschaft, faire Preise an die Produzenten zu zahlen. Nur mit einer gerechten Entlohnung werden die Kreisläufe verlässlich und nachhaltig.

Warum eigentlich liegen die Arbeitseinkommen in den klimaschädlichen Industriezweigen, wie Automobil- und Chemieindustrie deutlich höher als in klimaschonenden Branchen?  Eine Aufwertung der ökologischen Leistungen sowie der ländlichen Arbeit ist unumgänglich.

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Conclusio

Stadt und Land sind kein Gegensatz – um die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen, brauchen sich beide gegenseitig. Das Landleben bietet allerdings schon jetzt die Chance für ein unabhängiges Leben, das besser im Einklang mit den ökologischen Grenzen des Planeten steht. Für eine lokale und eigenständige Versorgung mit Lebensmitteln zum Beispiel ist das Land die bessere Wahl. Doch brauchen sich Stadt und Land gleichermaßen. Nachzulesen auch in Paul Dörfler: Aufs Land (Hanser)

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