Landleben: Sehnsucht ohne Ende

Es bleibt oft bei der Sehnsucht nach dem Land: Jobs und Immobilienpreise zwingen zum Kompromiss im Speckgürtel. Die Stadtflucht der Coronajahre dürfte ein Ausreißer sein.

Eine große Platane steht auf einer Wiese in einer hügeligen Landschaft, im Hintergrund sieht man die Bischofsmütze. Das Bild ist Teil eines Beitrags, in dem es um die Sehnsucht nach dem Land geht.
Landidylle mit Bischofsmütze im September 2017. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Sehnsuchtsindiz. Die stetig wachsenden Speckgürtel sind Indiz der Sehnsucht nach einem Leben außerhalb der Stadt.
  • Realitätscheck. Die Immobilienpreise in der Stadt und auf dem Land bestimmen entscheidend mit, ob sich die Sehnsucht nach dem Land erfüllt.
  • Coronatest. Die Jahre der Pandemie haben vorübergehend mehr Spielraum bei der Wahl des Wohnortes gelassen.
  • Zukunftsoffen. Die Städte werden weiterhin die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zentren sein, die Coronajahre waren vermutlich ein Ausreißer.

Seit den 1990er Jahren haben sich die größeren Stadtregionen als demographische Wachstumsmotoren im österreichischen Siedlungssystem etabliert. Auch weisen die Prognosen darauf hin, dass sich das Bevölkerungswachstum mittel- und langfristig auf die Stadtregionen konzentrieren wird – die touristischen Intensivregionen im Westen gelten als die Ausnahme dieser Regel.

Mehr Stadt, Land, Job


Die Gründe für diese Entwicklung liegen erstens im langfristigen Strukturwandel zu einer tertiären Wissensgesellschaft: neue, gut bezahlte Arbeitsplätze der Dienstleistungsgesellschaft konzentrieren sich zunehmend auf die Städte.

Zweitens finden sich dort auch die großen höheren Bildungseinrichtungen – sprich Universitäten. Gerade für die jungen Erwachsenen stellen diese – neben dem kulturellen Angebot und dem urbanen Lebensgefühl – ein wesentliches Motiv dar, in die großen Städte zu ziehen, um meist dort auch zu bleiben.

Und drittens zielt auch die internationale Migration in hohem Maße auf die Stadtregionen, weil dort Arbeitsplätze verfügbar sind, oder weil die entsprechende kulturelle Community dort bereits existiert. Umgekehrt führte diese Gemengelage aus wirtschaftlichen und demographischen Faktoren dazu, dass immer mehr Regionen in Österreich von Abwanderung und Überalterung geprägt sind.

Das „Betongold“ der Städte

Diese Polarität der räumlichen Entwicklung spiegelt sich in einer zunehmenden Spreizung der Immobilienpreise, allen voran der Bodenpreise, wider: Während Baulandpreise in den Gemeinden im nördlichen Waldviertel etwa bei 15 Euro je Quadratmeter liegen, muss man in guten Wiener Lagen weit über 1.000 Euro zahlen – also eine Streuung um den Faktor 100!

Eine Frau sitzt telefonierend in einem Sessel. Die Künstlerlin hat sich gemütlich im Schaufenster eingerichtet, vor dem Menschen vorbeigehen. Die Sehnsucht nach dem Landleben hat oft Gründe in den hohen Wohnungskosten in den Städten.
Berlin im April 2023: Die Künstlerin Joana V. ist in das Schaufenster einer Galerie gezogen und macht aus der Berliner Mietenkrise eine künstlerische Intervention. © Getty Images

Dieses enorme Preisgefälle ist einerseits eine Folge der ungleichen demographischen Entwicklung in Österreich, andererseits wurde der Boom an den städtischen Immobilienmärkten seit der globalen Finanz- und Eurokrise ab 2009 auch durch Investoren angeheizt. Diese erkannten die städtischen Wohnungsmärkte als sicheres und profitables Anlagefeld – Stichwort „Betongold“.

Die Folge dieser Kombination aus demographischem Wachstum und starker investorenseitiger Nachfrage hat dazu geführt, dass die Debatte um die Leistbarkeit am Wohnungsmarkt ein Dauerbrenner geworden ist. Ganz nebenbei: Der Aufstieg der KPÖ in Graz und in Salzburg belegt die gesellschaftspolitische Sprengkraft der Wohnungsfrage.

Preis zwingt zum Kompromiss

Laut ökonomischer Theorie kommt es zwischen regionalen Arbeits- und Immobilienmärkten zu einem Ausgleich: Dort wo die Löhne höher sind, sind auch die Wohnkosten höher. Umgekehrt sind gemäß dem Gleichgewichtsmodell in Regionen mit niedrigerem Lohnniveau auch die Wohnkosten geringer. Ausgleichende Gerechtigkeit, sozusagen.

Wie gehen städtische Haushalte mit dieser Situation pragmatisch um? Sie optimieren, indem sie jene Wohnstandorte präferieren, wo einerseits die Wohnkosten gering sind, andererseits eine Nähe zu den attraktiven urbanen Arbeitsmärkten gegeben ist.

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Zahlen & Fakten

Darstellung der Bevölkerungsentwicklung in Österreich mit den am stärksten gewachsenen Regionen innerhalb von 20 Jahren.

Der Sog der Zentren

  • Im Schnitt der letzten zwanzig Jahre hat in Österreich vor allem das Umland der Städte Einwohner gewonnen.
  • Dieses Phänomen ist auch aus Deutschland bekannt. Es zeigt, dass sich vielleicht viele Menschen ein Leben im Grünen wünschen, aber nur wenige es auch realisieren können. Die Daten stammen von Statistik Austria.

Dieser Mechanismus erklärt vereinfacht, warum das Umland der Städte, also die Außenzonen der Stadtregionen seit Jahrzehnten das höchste Bevölkerungswachstum aufweisen. Unabhängig von den ästhetischen und raumplanerischen Aspekten dieser Entwicklung – immerhin hat Österreich gute Chancen auf den Europameistertitel in den Kategorien Flächenverbrauch und Bodenversiegelung – es ist letztlich eine rationale Entscheidung der Haushalte: Denn um den Preis einer 75m²-Eigentumswohnung in guter Wiener Lage lässt sich in Suburbia der Traum vom Einfamilienhaus mit Garten, Doppelgarage und Zweitauto realisieren.

Die Folge der anwachsenden suburbanen Speckgürtel war im Hinblick auf die Ausgestaltung der Siedlungsstrukturen ein Hybrid zwischen Stadt und Land. Der Geograph Thomas Sieverts hat dafür den sehr treffenden Begriff „Zwischenstadt“ geprägt. Dieser drückt aus, dass sich das klassische Gegensatzpaar Stadt-Land aufgelöst hat, zumindest an den Rändern sehr diffus geworden ist. Mit den Städtern, die zu Suburbaniten mutiert sind, haben auch städtische Lebensstile, Ideen und Wertvorstellungen in den ländlichen Räumen Einzug gehalten.

Und dann kam Corona

Mit den Lockdowns kam es zum einem kurzzeitigen, aber radikalen Änderung der beschriebenen Entwicklungen. Die Vorteile, die die großen Städte boten, waren mit einem Schlag aufgehoben: das urbane Kultur- und Freizeitangebot existierte nicht mehr; Urbanität – also Nähe, Dichte, Austausch – waren verunmöglicht oder auf den virtuellen Raum beschränkt.

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Zahlen & Fakten

Corona-Knick

  • Die Sehnsucht nach dem Landleben ist nicht neu. Die Corona-Pandemie ermöglichte es vielen, im Home Office zu arbeiten. Wer konnte, zog auf's Land.
  • Diese Pandemie-Effekte gibt es in Österreich ebenso wie in Deutschland. Allerdings ist damit noch keine komplette Trendumkehr verbunden. Vor allem die regionalen Zentren profitieren von der Sehnsucht nach mehr Grün. Die Daten stammen von Statistik Austria.

Arbeitnehmer wurden massenhaft ins Homeoffice verabschiedet, und an den Universitäten fand für einige Semester nur Distance Learning statt. Kurz gesagt: Die Agglomerationsvorteile, die Treiber der räumlichen Entwicklung, waren außer Kraft gesetzt. Das Gleichgewicht ist zugunsten jener gekippt, die am Land, in der Zwischenstadt, jedenfalls im Grünen, gewohnt haben.

Tatsächlich lassen sich Effekte dieser Ausnahmejahre mittlerweile in der Bevölkerungsstatistik erkennen. Eine aktuelle Studie der Statistik Austria zeigt, dass nach dem ersten Lockdown tatsächlich mehr Personen aus der Stadt in den ländlichen Raum gezogen sind. Dass es sich hier nicht um das klassische Phänomen der Suburbanisierung gehandelt hat, zeigt sich daran, dass das Wanderungsziel häufig Regionen weit abseits der Stadtregionen waren.

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Zahlen & Fakten

Kartendarstellung als Heatmap der Wanderungssalden im Schnitt der Jahre 2019 bis 2022.
© Michael Paukner

Stadtflucht

  • Nicht erst die Pandemie hat ländliche Regionen und das Umland attraktiv gemacht.
  • Der Durchschnitt der Wanderungssalden in den Jahren 2019 bis 2022 zeigt, dass der Trend älter ist als das pandemische Homeoffice.
  • Die Städte verlieren zwar nicht absolut an Einwohnern und wachsen weiterhin. Die Daten zeigen aber, dass das Land an Attraktivität gewonnen hat. Die Daten stammen von Statistik Austria.

So hat sich im Waldviertel den langjährige Trend der Abwanderung umgekehrt: in den Jahren 2020/2021 haben Zwettl, Waidhofen an der Thaya oder Horn einen positiven Wanderungssaldo erlebt. Gleiches gilt für das östliche Mühlviertel (Perg), das Salzkammergut (Gmunden), das Alpenvorland (Scheibbs, Kirchdorf an der Krems) oder die Südoststeiermark. Internationale Studien zeigen, dass es sich hier um einen Trend handelt (oder gehandelt hat?), der nicht auf Österreich beschränkt ist. Auch in Spanien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Schweden kam es zu deutlichen Anstiegen einer Wanderung, die als Stadtflucht interpretiert werden kann.

Zur Zukunft der Stadt

Die Frage lautet nun: sind die Entwicklungen der Jahre 2020 und 2021 nur ein kurzfristiges Phänomen oder ist handelt es sich um eine nachhaltige Trendumkehr in der der regionalen Bevölkerungsdynamik? Führt die Sehnsucht nach der vermeintlichen ländlichen Idylle zu einem Ende der Stadt? Ohne die Zukunft wissen zu können: Ich denke nicht.

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Zahlen & Fakten

Mehrere Reihen parkender Autos in der Prater Hauptallee in Wien. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Sehnsucht nach dem Land und die Zukunft der Stadt.
Die haben alle einen: Parken in der Prater Hauptallee in Wien 1955. © Getty Images

Seit Stunden – Lieder der Stadt II

Paris und London entledigen sich gerade der Parkplatzfrage, die Herbert Grönemeyer 1984 noch so aufbrachte: Mambo heißt sein Song über das Auto und die Stadt.

Ich hass' nichts mehr
Als mich zu verspäten
Die Sonne brennt
Und im Auto ist's heiß
Ein Hupkonzert wie von tausend Trompeten
Ich will zu dir
Nun steh' ich hier
So'n Scheiß
Ich drehe schon seit Stunden
Hier so meine Runden
Es trommeln die Motoren
Es dröhnt in meinen Ohren
Ich finde keinen Parkplatz
Ich komm' zu spät zu dir
Mein Schatz
Du sitzt bei Kaffee und Kuchen
Und ich muß weiter suchen
An jeder Ecke steh'n Politessen
Lauern wie Panther
Zum Sprung bereit
Hier kannste nicht parken
Das kannste vergessen
Haben alles im Griff
Weit und breit
Ich drehe schon seit Stunden ...
Auto fängt an zu kochen
Puls an zu pochen
Werde langsam panisch
Klitschnaß geschwitzt
Es ist nicht zu fassen
Solche Automassen
Haben die kein zuhause
Ich will zu dir
Ich drehe schon seit Stunden ....
... und Kuchen
Und ich kurv' hier rum.

Dafür sprechen vor allem zwei Gründe: Erstens waren die Wanderungen in den beiden Pandemie-Jahren in ihrer Quantität überschaubar. Es sind nur wenige hundert Wanderungsfälle ausreichend, die in den peripheren Bezirken zu einer Umkehr der Wanderungsbilanz führen.

Zweitens sind mit der Aufhebung der Corona-Maßnahmen auch wieder jene Faktoren wieder wirksam geworden, die die Attraktivität und Anziehungskraft der Städte ausmachen: die Urbanität in all ihren Facetten ist wieder zurückgekehrt. Wer offenen Auges durch die Gassen und Straßen unserer Städte geht, kann sich leicht davon überzeugen.

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Conclusio

Die Sehnsucht nach dem Land ist kein Mythos, allerdings ist es unrealistisch, dass die Stadtflucht der Coronajahre weiter anhält. Eine Auswertung zeigt, dass die Landlust eher ein statistischer Ausreißer und ein vorübergehendes Phänomen ist. Die Binnenwanderung während Corona war allerdings nicht die typische Suburbanisierung, wie man sie seit den 1990er Jahren kennt. Es haben tatsächlich periphere Regionen von der Wanderungsbewegung profitiert. Gegen eine dauerhafte Trendumkehr sprechen aber die Immobilienpreise und – aufgrund der Arbeitsplätze und ihrer Dichte – die anhaltende Attraktivität der Städte.

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