Unsichere Wetten auf Chinas Zukunft
Ob China zum gefallenen Polizeistaat verkommt oder auf dem Weg zur globalen Supermacht voranschreitet, lässt sich kaum prognostizieren. Eine Annäherung.
Auf den Punkt gebracht
- Denkfehler. Zukunftsprognosen leiden allzu oft unter einem entscheidenden Fehler: der Annahme, alles müsse genauso weitergehen, wie bisher.
- Fallbeispiel. Chinas Zukunft ist keine Ausnahme. Basierend auf seinen bisherigen Erfolgen wird dem Land die Rolle als globale Nummer Eins prophezeit.
- Knackpunkt. Gerade die wirtschaftliche Entwicklung Chinas lässt aber eine Reihe an Alternativszenarien zu – von der Schuldenspirale bis zum sensationellem Wachstum.
- Dynamik. Das Supermacht-Szenario ist deshalb nicht vom Tisch. Auch deshalb, weil der Westen mit weit weniger Potenzial auftrumpfen kann als das Reich der Mitte.
Die Diskussion über Chinas derzeitige und künftige Rolle wird aus Sicht Europas und der USA im Kern defensiv geführt. Natürlich gibt es inzwischen eine Vielzahl von offensiven Erklärungen zur Selbstbehauptung der liberalen Demokratien, die von der Forderung nach weit schärferen Sanktionen gegen die Volksrepublik bis hin zum digitalen „De-Coupling“ reichen. Aber anders als zu Zeiten des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten strahlt das Gefühl der Verunsicherung über die eigenen Schwächen und sogar die Angst vor der wachsenden Macht des Reichs der Mitte durch alle Ritzen des mühsam aufgebauten Bretterverschlages, in dem sich die westlichen Demokratien derzeit zu sammeln versuchen.
Was waren das doch für Zeiten im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, in denen sich der demokratische Westen seiner Stärke und seines Selbstbewusstseins nicht nur aus unübersehbaren ökonomischen Gründen gewiss war? Als er seine normative Idee vom Zusammenleben der Freien und Gleichen nicht nur für überlegen, sondern vor allem auch als Voraussetzung dauerhafter Innovationsfähigkeit, Fortschritts und wirtschaftlichen Erfolges ansehen konnte?
Lehren der Geschichte
Chinas rasanter Aufstieg gelang, ohne diese inneren Voraussetzungen nach westlichem Muster zu schaffen. Nicht Chinas Größe und Wirtschaftskraft machen uns also Angst, sondern dass dem Land dieser Aufschwung ohne eine Übernahme unserer Wertvorstellungen gelang – womit auch unsere Gesellschaftsordnung erstmals auf einen ernsthaften Wettbewerber trifft. Denn ein wirklicher Konkurrent war die alte Sowjetunion nur in militärischer Hinsicht. Die Sowjetunion und Russland, so der frühere Kanzler der Republik Helmut Schmidt, seien nicht viel mehr als „Obervolta mit Atomraketen“.
Zahlen & Fakten
Nach 40 Jahren außergewöhnlichen Wachstums ist China nun auf dem Weg, die USA spätestens 2030 zu überholen und die größte Volkswirtschaft der Welt zu werden. Weniger als ein Jahrzehnt entfernt wird eine grobe bipolare Parität in der Welt existieren. Die zentralen Fragen, die sich daraus ergeben, lauten:
- Wie friedlich wird diese Koexistenz sein?
- Wo verlaufen die Linien globaler Kooperation – und bestimmen Rivalität und Konkurrenz ihr Verhältnis?
- Und vor allem: Wie entwickeln sich Krisensituationen und mit welchen Mitteln werden sie beherrschbar?
Derzeit geben wir meist lineare Antworten auf diese Fragen. China wird dabei als ein Land betrachtet, das nur einen Entwicklungspfad kennt: den des ungebrochenen Ausbaus seines wirtschaftlichen Erfolges und seines geopolitischen Einflusses. Dabei hat uns die jüngere Vergangenheit gelehrt, dass rückblickend auf eine Dekade gerade keine lineare Entwicklung vorherrschte, sondern allzu häufig Unvorhergesehenes, ja sogar Ungeheuerliches den wirtschaftlichen und politischen Verlauf völlig veränderte. Wer hätte 1979 den Fall der Mauer vorhergesehen? Wer 1981 die Auflösung der Sowjetunion? Oder wer hätte beim Beginn der NATO-Doppelbeschluss-Debatte und der Planung neuer Atomraketen in Europa darauf gewettet, dass die Präsidenten Reagan und Gorbatschow zehn Jahre später die totale Abrüstung dieser gerade erst stationierten Waffen schriftlich vereinbaren?
Die Zukunft läuft anders, als gedacht
Es lohnt deshalb auch im Falle Chinas etwas genauer hinzusehen und nicht nur lineare Entwicklungen in den Blick zu nehmen. China ist ein staatskapitalistisches System und der Regierung steht es frei, Ressourcen zu lenken und Entscheidungen zu beschleunigen. Der „China-Traum“ von Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Xi Jinping, ist für 800 Millionen chinesischer Bürger Realität geworden. Es dürfte allerdings eine sehr große Herausforderung sein, diese Entwicklung auf weitere 500 Millionen auszubauen und zu erweitern. Zugleich sind die inneren Spannungen des Landes nicht gelöst, sondern durch einen konsolidierten autoritären Staat nur unter Kontrolle gehalten.
Eine so rasante Entwicklung wie die in China hinterlässt fast schon unweigerlich große ethnische, religiöse und soziale Spannungen, auch Spannungen zwischen den Geschlechtern. Allein die demografische Herausforderung als Folge der jahzehntelangen Ein-Kind-Politik übertrifft alles, was wir in den entwickelten Demokratien des Westens vor uns haben – wenngleich auch die entwickelten Demokratien vor neuen Herausforderungen stehen. Vergleicht man aber China mit den Demokratien des Westens und speziell Europas, so gibt es weitaus mehr Unsicherheiten bei der Prognose über Chinas Zukunft als bei jeder der fortgeschrittenen industriellen Demokratien.
In der Vergangenheit hat allzu häufig Unvorhergesehenes, ja sogar Ungeheuerliches, den Lauf der Geschichte verändert.
Wenn wir also Chinas künftige Entwicklung analysieren, gibt es wenig Grund zur Annahme, dass sie sich einfach linear fortsetzt. Im Gegenteil: es gibt mehr Gründe dafür, dass sich die Lage in China schnell verschlechtert und großes Potenzial dafür, dass wir sie grundlegend unterschätzen. Klar scheint in jedem Fall zu sein, dass sich das Staatsmodell Chinas auch in einer knappen Dekade nicht geändert haben wird. So unsicher Prognosen über die Geschwindigkeit und die Richtung der chinesischen Reformen auch sind, so unklar die Balance zwischen staatlich kontrolliertem und privatem Sektor derzeit ist, die politische Stabilität des Landes ist für diesen Zeitraum gewiss.
Wenn wir nach der überschaubaren Zukunft Chinas fragen, geht es also hauptsächlich um eine einzige Entwicklungsachse: das Ausmaß, in dem Chinas historische wirtschaftliche Dynamik anhält. Der amerikanische Analytiker Ian Bremmer hat dazu einige interessante Szenarien entworfen, die mit sehr unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten einhergehen. Ob China tatsächlich globale Dominanz erhält oder aber an seinen wachsenden inneren Widersprüchen scheitert, hängt dabei vor allem von den Konsequenzen ab, welche die politische Führung aus dem wirtschaftlichen und sozialen Wandel Chinas zieht. Und der ist in der Tat gewaltig.
Kaiser Xi hat keine Kleider
Keine Frage: Xi Jinping ist der mächtigste chinesische Führer seit Mao Zedong. Seine Anti-Korruptionskampagne und die Stärkung der Kader der Kommunitischen Partei machten das riesige Land wieder effektiv verwaltbar. Seine gewaltigen Investitionen in Hochtechnologie und die Schaffung nationaler und globaler Tech-Champions wie Alibaba verwandelten China von einem Technologieimporteur zu einem Exporteur im digitalen Zeitalter. Und nicht zuletzt verließ Xi Jinping den nach innen gerichteten Entwicklungspfad des großen Reformers Deng Xiaoping und exponierte sich vor allem mit der Seidenstraßeninitiative als globaler Wettbewerber um politischen Einfluss.
Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass damit auch die früher über Jahrzehnte eingeübte schrittweise Konsensbildung innerhalb der kommunistischen Parteiführung ersetzt wurde. Partei und Staat werden nun von nur einem Mann geführt. China war eben gerade nicht vergleichbar mit den Zentralverwaltungswirtschaften der alten Sowjetunion, sondern ein feines, für Außenstehende meist unsichtbares, Gleichgewicht unterschiedlicher politischer und regionaler Kräfte. Heute wird das Reich der Mitte von einer Person geführt, die zunehmend von loyalen und gleichgesinnten Beratern umgeben ist. Deren Fähigkeiten werden eher an der Ausführung von Plänen gemessen als an ihrem Beitrag zur deren Entwicklung.
Das ist nicht ohne Risiko, denn einerseits kommt ein großer Teil der Effizienz- und Produktivitätssteigerungen in China aus dem privaten Sektor und nicht aus den ineffizienten und oft immer noch korrupten Staatsbetrieben. Genau dieser private Sektor wird aber zunehmend von Xi unter Druck gesetzt. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist das abrupte Ende der unternehmerischen Karriere von Jack Ma, dem wohl erfolgreichsten Geschäftsmann Chinas in der postindustriellen Wertschöpfung.
Szenario 1: Starker Polizeistaat, schwache Wirtschaft
Genau um diese digitale Wertschöpfung wird es aber in den kommenden zehn Jahren gehen. Arbeitskräfte werden nicht mehr der Motor des nationalen Wirtschaftswachstums in China sein. Zum einen sinkt die Relevanz von Arbeit angesichts zunehmender Digitalisierung und Automatisierung. Zum anderen verringern sich auch die Arbeitskostenunterschiede zu anderen Ländern wegen des steigenden Lebensstandards in China. Chinas demografische Entwicklung verstärkt den Druck noch: Die Erwerbsbevölkerung ist in den letzten zehn Jahren um 40 Millionen Menschen geschrumpft – der Anteil der über-65-Jährigen in China wird 2030 etwa 17 Prozent betragen. Das ist ein ernsthafter Schlag, der zudem in einem früheren Entwicklungsstadium der chinesischen Volkswirtschaft einsetzt, als dies in anderen Industriestaaten der Fall war. „Bevor China reich wird, wird es alt.“
Zahlen & Fakten
Parallel dazu könnten die USA und ihre Verbündeten versuchen, China wirtschaftlich unter Druck zu setzen. Sollten die USA beispielweise ihre Definition von „dual use“ (die zivile und militärische Nutzung – Anmerk.) auf alle Produkte ausdehnen, die auch nur im entferntesten im Militär- oder Geheimdienstapparat genutzt werden können, und zudem auch ihren Alliierten mit Sanktionen drohen, sollten sie diese Produkte an China liefern, würde es einer Reihe von chinesischen Unternehmen so ergehen wie derzeit Huawei. Eine abnehmende wirtschaftliche Dynamik wäre dann Chinas größtes Problem, denn sie würde schnell zu einer zunehmenden Verschuldung führen. Da die alternde Bevölkerung die hohe chinesische Sparquote senkt, könnte Peking weit weniger Geld in seine ambitionierten außenpolitischen Projekte, etwa die Neue Seidenstraße, investieren.
Vor allem aber könnte die chinesische Regierung dann nicht mehr scheiternde Banken und die wackeligen einheimischen Unternehmen stützen, in die sie investiert hat. Eine Welle von Insolvenzen und Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Der chinesische Traum würde zum Albtraum, das soziale Sicherheitsnetz könnte reißen. Xi bliebe nur der Weg, so gefestigt zu sein wie Putin in Russland: gestützt auf Militär und Geheimdienste. In diesem Szenario wäre China 2030 nicht länger ein Modell für globales Wachstum oder Regierungsführung, sondern ein gefährlicher, schwankender Polizeistaat mit einer gescheiterten Wirtschaft. Ian Bremmer schätzt die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Entwicklung zwar relativ gering ein – doch das Szenario zeigt, wie dramatisch falsch lineare Betrachtungsweisen werden können.
Szenario 2: Weniger Dynamik, mehr Kooperation
In einem weitaus wahrscheinlicheren und optimistischeren Szenario würde die chinesische Regierung die beschriebenen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen effektiver und proaktiver angehen. Ein kritischer Punkt wäre dabei allerdings, dass Xi Jinping zwar seine dritte Amtszeit bekäme, diese aber nicht reibungslos abliefe. Schon zu Beginn der Pandemie war es keineswegs so, dass die Politik des Staatspräsidenten innerhalb des Parteiapparates ohne Kritik verhallt. Nicht nur das anfangs schlechte Pandemie-Management wurde hinterfragt, sondern auch der vorhergehende offensive außenpolitische Kurs Xis. Immerhin begab sich China dadurch in den Mittelpunkt internationaler Kritik, statt sich – wie von Deng empfohlen – möglichst unsichtbar auf seine innere Entwicklung zu konzentrieren.
Es ist keineswegs so, dass die Politik Xi Jinpings innerhalb des Parteiapparates ohne Kritik verhallt.
In diesem Szenario würde Xi die Konsolidierung seiner Macht nicht fortsetzen. Stattdessen gäbe es interne Debatten über Chinas politische Richtung, da die wirtschaftlichen und internationalen Herausforderungen des Landes immer bedeutender würden. Staatliche Unternehmen könnten scheitern, der Schuldenberg zu groß und das Wachstum zu langsam werden. Dann würde China in den Abgrund blicken und sich zurückziehen. Xi gäbe in diesem Szenario dem privaten Sektor wieder mehr regulatorische Flexibilität. Internationalen Rückschlägen gegen die chinesische Politik würde mit Bemühungen um Kooperation begegnet, um zumindest Europa davon abzuhalten, gemeinsam mit den USA eine harte Haltung gegen China einzunehmen.
In jedem Fall würden sich Chinas geopolitische Ambitionen in diesem Szenario automatisch einschränken: Es stünde einfach weniger Geld bereit für die Seidenstraße, den Klimaschutz, den Schuldenerlass in Entwicklungsländern und militärische Modernisierungsprogramme. Chinas Wirtschaftswachstum hätte sich bis 2030 deutlich verlangsamt und die Welt würde nicht mehr auf Bipolarität zusteuern. Als größte sich entwickelnde Volkswirtschaft der Welt würde China noch immer einen wichtigen, aber eben keinen dominanten Platz einnehmen. Dafür würde seine vergleichsweise große Stabilität es aber zu einem attraktiven Ziel für internationale Investitionen machen – und ohne die ständig wachsende Angst vor gegenseitiger Dominanz würden sich die längerfristigen Aussichten für die internationale Zusammenarbeit langsam, aber stetig verbessern.
Szenario 3: Robustes Wachstum, hybride Weltwirtschaft
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass China nicht vor einem großen Schuldenberg landet, wie praktisch alle anderen Entwicklungs- und Schwellenländer. In einer Welt, in der sich die Lieferketten nach innen wenden, könnte Chinas massiver Binnenmarkt, seine robusten und zentralisierten Datenvorteile und seine Fähigkeit, Kapital in einem noch nie dagewesenen Ausmaß in die Sektoren der nächsten Generation zu lenken, ein anhaltendes Wirtschaftswachstum ermöglichen – selbst wenn die demografischen Bedingungen und das internationale Umfeld weniger günstig werden.
Xi Jinpings „Doppelzirkulationsplan“ würde sich dann als die richtige Strategie zur richtigen Zeit erweisen: Vom inkrementellen Wandel („den Fluss überqueren, indem man die Steine ertastet“, wie es Deng Xiaopings China vor Jahrzehnten tat) zum Erkennen einer massiven Veränderung in der globalen Wirtschaft und hin zur entsprechenden Anpassung. In einer digitalen Wirtschaft, in der die chinesische Technologie in den meisten Schlüsselbereichen genauso gut ist wie die der USA und zudem weitaus besser als in Europa, müsste sich China weniger um die Aufrechterhaltung guter Beziehungen sorgen, weil es technologisch zur „indispensible nation“ geworden ist.
Zahlen & Fakten
Chinas „Doppelzirkulationsplan“
- Der „Doppelzirkulationsplan“ („dual circulation strategy“) ist Teil des 14. Fünfjahresplans (2021-2025).
- Der Plan beruht auf zwei Eckpfeilern: sinkende Exportabhängigkeit („external circulation“) bei gleichzeitig steigendem Binnenkonsum („internal circulation“).
- Regionale Handelsabkommen und ein der Ausbau des Technologie-Sektors sind Kernpunkte der Strategie, mit der China auf den Handelskonflikt mit den USA und den pandemiebedingten Wirtschaftseinburch reagieren will.
- Die bislang größten Stolpersteine: der Mangel an Kaufkraft in der chinesischen Bevölkerung und Chinas nur schleppend vorankommende Chip-Industrie.
Chinas „Belt and Road“ würde vor dem Hintergrund seiner technologischen Bedeutung zu einer der wichtigsten internationalen Gruppierungen des 21. Jahrhunderts werden, an deren Treffen mehr Staatsoberhäupter teilnehmen würden als an der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Dort getroffene wirtschaftliche Entscheidungen würden maßgeblich die Zukunft von Entwicklungsländern beeinflussen. Noch wichtiger wäre, dass sich die Mitgliedsstaaten auch in diplomatischen, technologischen und militärischen Fragen zunehmend hinter chinesische Standards stellen würden. Dabei käme es jedoch nicht zu einer von China geführten Allianz, und es gäbe auch keinen Kalten Krieg mit dem Westen, denn Chinas Rolle als Handelspartner wäre für den Großteil der Länder zu wichtig, um es zu ignorieren.
Die direkten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wären in diesem Szenario nach wie vor konkurrierend und angespannt, mit begrenztem, aber realem Konfliktpotenzial in Bereichen, welche die nationale Sicherheit beider Seiten betreffen. Taiwan würde zu einem wichtigen Krisenherd werden. Menschenrechtsfragen hingegen würden keine Rolle mehr spielen; Chinas wirtschaftliches und politisches System wäre mächtig genug, um vom Rest der Welt als legitim und „dauerhaft“ akzeptiert zu werden. Das Ergebnis dieser Entwicklung wäre eine hybride Weltwirtschaft, die teils einen „freien Markt“ kennt, teils „staatskapitalistisch“ organisiert ist.
Je nachdem, welches dieser Szenarien man für wahrscheinlich hält, ändern sich die geopolitischen und weltwirtschaftlichen Implikationen gewaltig. Ian Bremmer schließt seine Analyse mit den Worten: „Es gibt mehr Gründe zu glauben, dass Chinas Führung heute den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Und es gibt mehr Gründe für Bescheidenheit im Westen, wenn man darüber nachdenkt, wie China es geschafft hat, eine technologische Supermacht zu werden – etwas, das kein Entwicklungsland je zuvor geschafft hat – und warum das wahrscheinlich nicht plötzlich aufhören wird.“
Conclusio
Bis 2030 soll China die USA als weltweite Wirtschaftsmacht ablösen. Das prognostizierte Wirtschaftswachstum unterstützt diese These, lässt aber einen wichtigen Punkt außer Acht: Politische und wirtschaftliche Entwicklungen laufen keineswegs immer linear ab. Der Westen täte gut daran, Chinas beträchtliches Potenzial nicht zu unterschätzen, aber er sollte den Aufstieg des Landes zur Supermacht auch nicht als in Stein gemeißelt betrachten. Immerhin sieht sich das Reich der Mitte innenpolitisch mit Spannungen konfrontiert, die es durchaus auch international noch zu Fall bringen könnten – etwa in Form seiner rasch alternden Bevölkerung und grassierenden sozialen Ungleichheit. Hochmut ist hier aber fehl am Platz, denn der Westen steht vor ganz ähnlichen Problemen. Und hat in in den letzten Jahren weniger den „Großen Sprung nach vorne“ geleistet als seine einstige Überlegenheit verspielt.