Warum Friedensverträge wertlos sind
„Make money, not war“: Trump und sein Umfeld scheinen sich von der Aussicht auf gemeinsame Wirtschaftsprojekte mit Russland buchstäblich kaufen zu lassen. Im Gegenzug für fragwürdige Sicherheitsgarantien soll die Ukraine weitere Gebiete abtreten, Menschen Russland ausliefern oder ihre Armee stark verkleinern. Rechtlich unhaltbar – aber wen interessiert das schon.

Versailles, Saint Germain, Potsdam oder Wien. Am Ende eines Krieges steht oftmals ein Friedensvertrag. Darin finden wir alle möglichen Bestimmungen, je nachdem, wie ein Krieg ausgegangen ist, wer wie entscheidend und gegen wen gewonnen hat oder welche Sonderfragen sich aufgetan haben.
Mehr von Ralph Janik
Das weiß man auch bzw. gerade in Deutschland und Österreich: Im „Zwei-plus-vier-Vertrag“ aus dem Jahr 1990, der, spät, aber doch, den endgültigen Schlussstrich unter den Zweiten Weltkrieg zog, finden wir die Festlegung der deutschen Grenzen, ein Bekenntnis zum Frieden, Rüstungsbeschränkungen oder das ausdrückliche Recht, „Bündnissen mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten anzugehören“.
Und im Staatsvertrag von Wien – der faktisch, aber nicht formal als Friedensvertrag gilt, weil Österreich keine eigenständige Kriegspartei des Zweiten Weltkriegs war – finden wir wiederum Bestimmungen zur Unabhängigkeit, ein Anschlussverbot an Deutschland, Österreichs Grenzen, Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte, den Schutz der slowenischen und kroatischen Minderheiten, die „Auflösung“ bestehender und neu gegründeter „nazistischer Organisationen“, abermals Beschränkungen bei der Aufrüstung oder Konzessionen zur Förderung von Erdöl durch die Sowjetunion.
Ein Friedens-„Vertrag“ für die Ukraine?
Bei einem Friedensvertrag für die Ukraine gäbe es manche Parallelen: Auch sie hat – wie jeder andere Staat– ein Interesse zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit, auch auf ihrem Gebiet leben Minderheiten, auch bei ihr pocht Russland darauf, dass sie keine allzu starken Streitkräfte hat, auch bei ihr geht es um Rohstoffe. Und was bei Österreich der „Anschluss“ war, wäre bei ihr der Beitritt zur NATO.
Ein entscheidender Unterschied bleibt aber: Die Ukraine hat diesen Krieg nicht begonnen, sie war auch nicht sonstwie auf Seiten irgendeines Aggressors – dass Putin den Angriff unter anderem mit der Ausdehnung der NATO begründet hat, ist rechtlich völlig unerheblich. Jedes Land kann frei entscheiden, einem Militärbündnis beizutreten. Ein völkerrechtlicher Kriegsgrund liegt erst dann vor, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht. Dementsprechend kann die Ukraine, nicht Russland, sich seit Jahren auf das Selbstverteidigungsrecht berufen und andere Länder sie dabei unterstützen.
Diese Unterscheidung zwischen Angreifer und Verteidiger ist bald 100 Jahre alt, sie galt folglich auch nach dem Zweiten Weltkrieg. So schlossen die Alliierten mit jenen europäischen Staaten, die auf Seiten Nazi-Deutschlands gekämpft hatten (wenn auch nicht bis zum bitteren Ende) 1947 die Pariser Friedensverträge, die Zugeständnisse erforderten: Auch hier finden wir Bestimmungen zur Einhaltung von Grund- und Minderheitenrechten, Grenzen oder Reparationszahlungen.
Unfreiwillige Friedensverträge
Letztlich hat das Völkerrecht aus den beiden Weltkriegen eine entscheidende Lehre gezogen: Jegliche Form militärischer Gewalt ist heute allgemein verboten. Daraus folgt, dass Aggression nicht belohnt werden darf, etwa durch die Anerkennung von gewaltsamen Gebietseroberungen. Daher ist auch die Krim zwar nicht faktisch, wohl aber rechtlich bis heute Teil der Ukraine.
Dazu gehört auch, dass Verträge, die durch die Anwendung von Zwang zustande kommen, rechtlich wertlos, also von Anfang an „ungültig“ sind.
Eine simple Erkenntnis mit einigen historischen Vorläufern: Zweifel an der Gültigkeit von Verträgen gab es schon bei jenem von Madrid aus dem Jahr 1526, bei dem Karl V. seinen „Vertragspartner“ Franz I. zuvor fast ein Jahr lang eingesperrt hatte, dem Statut von Bayona, bei dem Napoleon Ferdinand VII. zur Aufgabe der Krone gezwungen hatte, dem französisch-holländischen Vertrag von 1810, bei dem Napoleon seinen Bruder Louis in Paris festgehalten hatte, der Errichtung des japanischen Protektorats Korea, das aufgrund der Anwesenheit japanischer Soldaten in Seoul offenkundig nicht freiwillig eingegangen wurde, oder jenes von Böhmen und Mähren 1939, bei dem der Präsident und der Außenminister der Tschechoslowakei in Berlin persönlich bedroht wurden.
In anderen Fällen wurden nicht nur Staatenvertreter, sondern ganze Staaten gezwungen. Hier spielte es jahrhundertelang eine Rolle, ob ein Krieg „gerecht“ gewesen war – nur nach einem solchen konnte zweifelsfrei ein gültiger Friedensvertrag zustande kommen.
Jeder Vertrag, den die Ukraine unterzeichnet, weil sie ihn aufgrund des russischen Angriffskrieges unterzeichnen muss, ist ungültig.
Das änderte sich spätestens im 19. Jahrhundert, allen voran im Zuge des europäischen Kolonialismus: Ein besonders eindringliches und bis heute nachhallendes Beispiel ist der Vertrag von Nanking 1840, bei dem China nach dem Opiumkrieg – den die Briten begonnen hatten, um ihre Opiumexporteure dort zu schützen (!) – die Kontrolle über Hongkong abgeben oder britischen Händlern Immunität gewähren musste. China hat diese historische Schmach bis heute nicht vergessen, in der chinesischen Verfassung ist ausdrücklich vom Kampf gegen „Imperialismus“ und „hegemonialer Aggression“ die Rede. Vielleicht sollte man diese historischen Episoden bei heutigen Debatten rund um die weltpolitische Rolle Chinas und sein Verhältnis zu Europa im Hinterkopf behalten.
Modernes Völkerrecht: Verträge können nicht erzwungen werden
Heute wäre ein derartiger „ungleicher Vertrag“ – aus rechtlicher Sicht – jedenfalls nicht mehr möglich: Artikel 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention, das wichtigste und in diesem Punkt von allen Staaten akzeptierte Abkommen zu dieser Frage, ist eindeutig: „Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Drohung mit oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde“, wie es in Artikel 52 heißt (eine sinngemäß auf dasselbe hinauslaufende Bestimmung zu Zwang gegen einen Staatenvertreter befindet sich in Artikel 51).
Kurzum: Jeder Vertrag, den die Ukraine unterzeichnet, weil sie ihn aufgrund des russischen Angriffskrieges unterzeichnen muss, ist ungültig. Wie man ihn auch nennen würde, ob Memorandum, Abkommen oder Garantie, es wäre letztlich nicht mehr als eine politische Absichtserklärung, ein Zugeständnis an die bittere Realität, dass Trump kein Interesse an eigentlich selbstverständlichen Grundsätzen des Völkerrechts – Wahrung der territorialen Integrität und die Ablehnung von Krieg – hat. Rechtlich gebunden wäre die Ukraine (oder auch Europa) daran jedoch nicht. Die Ukraine könnte auch in fünf, zehn oder mehr Jahren versuchen, das verlorene Gebiet zurückzuerobern. Lediglich Russland könnte zu einem Friedensvertrag gezwungen werden, weil es rechtswidrig den Krieg begonnen hat. Der militärische Druck auf den Angreifer wäre aufgrund seines eigenen Drucks gewissermaßen gerechtfertigt.
„Heilung“ von Verträgen durch den Sicherheitsrat
Das alles bleibt vorerst graue Theorie: Auch wenn es manchmal danach aussah, deutet im Moment nichts darauf hin, dass Trump und Co. ein fundamentales Problem mit Russlands imperialen Ambitionen oder Unterwerfungsfantasien haben. Vielmehr scheint die Ukraine ihnen bei der Aussicht auf gute Geschäfte im Weg zu stehen. Und allgemein ist es natürlich leichter, auf die schwächere und von einem abhängige Partei Druck auszuüben: „You don’t have the cards“, wie Trump Selenskyj im Zuge seines Besuchs im Weißen Haus im Februar offen zu verstehen gegeben hatte.
Wenn Trump die Ukraine zu einem echten, also verbindlichen „Friedens“-Vertrag nötigen will, gäbe es nur eine Option: den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dieser hat aufgrund seiner zentralen Rolle zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit weitgehende Kompetenzen, er kann Sanktionen anordnen, militärische Maßnahmen autorisieren oder eben auch Bedingungen für „Frieden“ – streng genommen sollte man eher von einer zumindest teilweisen Kapitulation sprechen – festlegen. Dies aber nur, wenn keines der ständigen Mitglieder, also auch nicht Frankreich oder das Vereinigte Königreich, ein Veto einlegt. Die Zukunft der Ukraine, die derzeit zwischen einem teils okkupierten Rumpf bis hin zur vollständigen Unterdrückung durch Russland zu schwanken scheint, läge also auch hier in europäischen Händen.


