Oh, wie schön ist Panama

Donald Trump will Grönland und den Panamakanal annektieren und Kanada in die USA eingliedern. Er begründet das mit „nationalen Sicherheitsinteressen“ und der Rivalität mit China. Anders gesagt: Er denkt in Einflusssphären. Europas Staaten müssen sich fragen, wo sie hingehören.

Der designierte US-Präsident Donald Trump spricht während eines Treffens mit republikanischen Gouverneuren im Mar-a-Lago Club am 09. Januar 2025 in Palm Beach, Florida. Trump erwägt die Kontrolle über Grönland und den Panama-Kanal zu übernehmen und Kanada in die USA einzugliedern, begründet durch „nationale Sicherheitsinteressen“ und Rivalität mit China. Europas Staaten müssen sich fragen, wo sie hingehören.
Der designierte US-Präsident Donald Trump während eines Treffens mit republikanischen Gouverneuren im Mar-a-Lago Club am 09. Januar 2025 in Palm Beach, Florida. Trump erwägt, die Kontrolle über Grönland und den Panama-Kanal zu übernehmen und Kanada in die USA einzugliedern. © Getty Images

Trump möchte den Panama-Kanal und Grönland übernehmen, gegebenenfalls mit Einsatz des US-Militärs. Ach ja, und Kanada soll der 51. Bundesstaat werden. Die lange Liste– vorläufig rhetorischer – Dammbrüche des neu gewählten ehemaligen Präsidenten hat damit neue Beispiele. Der letzte Präsident, der die US-Grenzen dermaßen offensiv ausgedehnt hat, war William McKinley, der „Gründungsvater des US-Imperialismus“ – in seine Amtszeit fallen die Errichtung eines stehenden, also dauerhaften Heers und die Annexionen der Philippinen, Puerto Ricos und Guams (die „large policy“) nach dem kurzen und relativ (!) unblutigen Krieg mit Spanien (Außenminister John Hay sprach von einem „splendid little war“).

Das kam nicht von ungefähr. Die USA sehen Zentral- und Lateinamerika seit jeher als ihren geopolitischen Hinterhof. Schon 1823 begründete der damalige US-Präsident James Monroe die nach ihm benannte „Monroe-Doktrin“, die – auf das Kürzeste heruntergebrochen – besagt, dass die USA sich nicht in Europa einmischen und im Gegenzug in ihrer Hemisphäre ein Ende des europäischen Kolonialismus fordern. Das entsprach den damaligen Entwicklungen, zwischen 1808 und 1826 hatte Spanien die Kontrolle über alle seine Gebiete mit Ausnahme Kubas und Puerto Ricos verloren, das von Portugal kolonialisierte Brasilien war bereits 1822 unabhängig geworden.

Carl Schmitts „Nomos der Erde“

Die Monroe-Doktrin markierte einen Wendepunkt der Weltgeschichte. Der berühmt-berüchtigte deutsche Staatsrechtslehrer Carl Schmitt (in seinem Artikel Der Führer schützt das Recht aus dem Jahr 1934 gab er Hitler gewissermaßen seinen verfassungsrechtlichen Sanctus) erwähnte sie seinem Buch Der Nomos der Erde ganze 58 Mal. Er sah in ihr den Anfang vom Ende der globalen europäischen Vorherrschaft: „Das System des europäischen Gleichgewichts, in dem die Ordnung des 18. und 19. Jahrhunderts einen Ausdruck fand, ließ sich nicht einfach auf ein Welt-Gleichgewicht des Erdballs übertragen“. Das damit beginnende „neue“ Völkerrecht musste sich mit „Raumproblemen“ beschäftigen, die man – wie er meinte – nicht mehr als „unjuristisch“ abtun konnte

Volk ohne Raum

Das Denken in Einflusssphären sollte später historisch belastet werden. Die in Büchern wie Hans Grimms Roman Volk ohne Raum aus dem Jahr 1926 formulierte These von der der Überbevölkerung Deutschlands – zu viele Menschen mit zu wenig Platz – diente dem nationalsozialistischen Deutschland als Rechtfertigung, ja gar als Handlungsanweisung für seine Eroberungsfeldzüge, insbesondere den Angriff auf die Sowjetunion.

Adolf Hitler widmete sich in Mein Kampf ausführlich der „Bedeutung der Grundfläche des Staates“, lamentierte, dass Deutschland „keine Weltmacht mehr“ sei, weil es „in seinem Verhältnis zur Grundfläche jämmerlich beschaffen ist“: „Heute befinden wir uns in einer Welt von sich bildenden großen Machtstaaten, in der unser eigenes Reich immer mehr zur Bedeutungslosigkeit herabsinkt“, Deutschland müsse „mit einem Schlage aus seiner ungünstigen strategischen Lage befreit“ werden.

Einfluss und Sphären

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde innerhalb der USA intensiv darüber diskutiert, wie man sich verhalten solle. Aufgrund der überraschenden und schnellen Niederlage der französischen Armee gingen Strategen des „Council of Foreign Relations“ von einem weiteren Sieg Nazideutschlands über das Vereinigte Königreich aus. Die Welt, so die Annahme, könnte nach dem Krieg daher in zwei Einflusssphären aufgeteilt werden: Wenn die Achsenmächte Europa (mit Ausnahme der neutralen sowjetischen Gebiete) sowie Teile des Mittleren Ostens und Nordafrikas kontrollieren, sollten die USA ihren Machtbereich von Kanada bis nach Brasilien absichern (die „Quarter Sphere“).

Jedes europäische Land muss sich mehr denn je damit auseinandersetzen, zu welcher Einflusssphäre es gehören möchte.

Dieses Szenario wurde aufgrund des weiteren Kriegsverlaufs in wenigen Monaten verworfen. Weil das Vereinigte Königreich sich militärisch behaupten konnte, galt es nicht mehr als ohnehin verloren, sondern als Partner, den es militärisch zu unterstützen galt. Anders gesagt: Die Briten sollten, mitsamt ihren Handelsrouten, Teil einer erweiterten US-Einflusssphäre werden, die um Indien, Südostasien, Australien und Japan (man hoffte damals noch, es aus dem eben erst geschlossenen Dreimächtepakt herauslösen zu können) erweitert wurde.

Die Rückkehr von Carl Schmitt

Während und nach Ende des Zweiten Weltkriegs folgte bekanntlich eine andere Aufteilung der Welt. Carl Schmitt schrieb 1954 in seinen Aufsatz zum „neuen Nomos der Erde“ vom „Zerfall der Erde in zwei Teile, in eine östliche und eine westliche Hälfte, die einander in einem kalten und gelegentlich auch heißen Kriege gegenüberstehen.“ Daneben setzte eine Vielzahl von Staaten auf „Blockfreiheit“, auch Österreich konnte sich mit der Neutralität dem militärischen Lagerdenken entziehen.

Mit Ende des Kalten Kriegs wurden Hoffnungen laut, das Denken in Einflusssphären aus den Köpfen zu bekommen – was auch daran lag, dass sich die Sowjetunion erst aus Ländern wie Afghanistan zurückzog und später ohnehin zerfiel. Russland beschränkte sich wiederum auf seine unmittelbare Region und die ehemals sowjetischen Militärbasen in Syrien und Vietnam, selbst die Aufnahme von Ländern des ehemaligen Ostblocks in die NATO wurde hingenommen.

Dennoch ist kühle Geopolitik in dieser Phase nie ganz verschwunden. Das war spätestens nach dem Irakkrieg und später in der berühmten Rede Wladimir Putins auf der der Münchner Konferenz 2007 klar, bei der er sich gegen „das unipolare Modell“ aussprach. Die USA hätten ihre „nationalen Grenzen in jeder Hinsicht überschritten“, insbesondere die NATO-Osterweiterung bedrohe Russland, da sie immer näher an seine Grenzen gerückt sei.

Im Westen wurde diese Kritik, ob berechtigt oder nicht, ernst genommen: Angela Merkel hat in ihrem vor Kurzem erschienen Buch Freiheit einmal mehr ihre Entscheidung verteidigt, sich gegen eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens zu stellen: Sie „hielt es für eine Illusion anzunehmen“, dass der Status als Beitrittskandidat sie geschützt hätte, „dass also dieser Status so abschreckend gewirkt hätte, dass Putin die Entwicklungen tatenlos hingenommen hätte“.

Schicksalsjahre: 2008 – 2014 – 2022

Der Rest ist traurige, aber hinlänglich bekannte Geschichte. Russland rechtfertigte sowohl das Vorgehen gegen Georgien als auch gegen die Ukraine mit raumbezogenen Argumenten: Medwedew behauptete 2008, dass die NATO Georgien sonst aufgenommen hätte, bei der Annexion der Krim ging es um die russische Flotte in Sewastopol bzw. den allgemeinen Zugang zum Schwarzen Meer als Tor zur Mittelmeerregion und beim Großangriff (abermals) vom 24. Februar 2022 führte Putin auch die „Bedrohung“ durch die NATO-Expansion und eine – infolge der Maidan-Revolution abermals pro-westliche – Ukraine an.

Kritiker der USA werfen ihr gerne vor, dass sie ihrerseits keinen pro-russischen (oder pro-chinesischen) Nachbarn akzeptieren würden. Was die Bevölkerung will, dass viele Länder des ehemaligen Ostblocks bzw. der Sowjetunion aus freien Stücken und gerade aufgrund der Sorge vor Russland der NATO beitreten wollten, hat in diesem Denken jedenfalls keinen Platz.

Wo bleibt Europa?

Wenn Donald Trump jetzt offen von Expansion im Namen der Sicherheit spricht, ist das also kein neues Spiel, ganz im Gegenteil. Es gibt schlichtweg mehr Akteure, von den Regionalmächten und kleineren Staaten, die gerne pauschalisierend als „globaler Süden“ zusammengefasst werden, bis hin zu China und seiner Seidenstraße oder den Interessen im Südchinesischen Meer. Damit sind einmal mehr bei Carl Schmitt und seiner alten, zu Beginn des Kalten Krieges formulierten Frage angelagt, ob es zur Bildung „mehrerer selbstständiger Großräume“ kommen könnte, „die unter sich ein Gleichgewicht und damit eine Ordnung der Erde zustande bringen.

Wenn Donald Trump jetzt offen von Expansion im Namen der Sicherheit spricht, ist das kein neues Spiel, ganz im Gegenteil.

Die EU spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Dass Grönland einerseits Autonomie genießt und andererseits zu Dänemark und damit einem NATO-Staat gehört, dürfte Trump egal sein. Er weiß um die Schwächen Europas Bescheid: Kaum eigene Rohstoffe, die fehlende – eigenständige – Verteidigungsfähigkeit und die unterschiedlichen Interessen und Prioritäten ihrer Mitglieder. Die politmediale Sehnsucht, den Wahlsieg von Donald Trump als „Weckruf“ zu verstehen, wirkt vor diesem Hintergrund schlichtweg grotesk. Wenn 2016 und 2022 keine waren, wird auch 2024 keiner sein. Und selbst wenn, ist der Aufbau einer genuinen und funktionierenden gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nichts, was man in ein paar Monaten tun könnte.

So muss sich jedes europäische Land mehr denn je damit auseinandersetzen, zu welcher Einflusssphäre es gehören möchte. Die Zeiten des unhinterfragten Transatlantismus sind vorbei, die USA setzen verstärkt auf bilaterale Beziehungen. Während Polen oder das Baltikum traditionell an ihrer Seite stehen, haben Ungarn und die Slowakei erste Weichenstellungen in Richtung Russland und China (mit dem der slowakische Premierminister Robert Fico erst vor Kurzem eine „strategische Partnerschaft“ unterzeichnet hat) vorgenommen, Tschechien könnte mit einem Wahlsieg von Babiš 2025 folgen. Die außenpolitische Zukunft Frankreichs und Deutschlands bleibt indes ungewiss, die AfD oder Marine Le Pen sind nicht gerade für ihre Putin-kritische Haltung bekannt.

Quo vadis Österreich?

Bei alledem hat auch unser kleines Österreich zum Abschluss ein paar Worte verdient. Hier erlebt die Neutralität eine Art „Revival“, mit der FPÖ hat bei den letzten Wahlen eine Partei die meisten Stimmen bekommen, die in ihrem Wahlprogramm davon spricht, dass sie „unsere Heimat auch davor schützt, in fremde Kriege hineinzogen zu werden, was beispielsweise im Falle einer NATO-Mitgliedschaft jederzeit möglich wäre“.

Die Sehnsucht nach außenpolitischem Biedermeiertum, bei dem man sich auf eine Rolle als Vermittler oder Gastgeber für Verhandlungen beschränkt, ist emotional durchaus nachvollziehbar. Je komplexer und gefährlicher die Welt da draußen, umso eher will man sich von ihr abschotten. Wie weit das – allein aufgrund der Lage oder der wirtschaftlichen Verflechtung mit Rest-Europa – möglich ist, sei dahingestellt.

Die Schweiz hat die Notwendigkeit zur militärischen Zusammenarbeit gegen Bedrohungen größerer Aggressoren erkannt, weswegen sie sich, wie Österreich, der Sky Shield-Initiative angeschlossen hat. Die FPÖ will hier so schnell wie möglich aussteigen. Realistische Pläne und Konzepte dazu, wie Österreich eigenständig seinen Luftraum oder überhaupt das eigene Staatsgebiet effektiv schützen will, hat sie bislang aber keine vorgelegt. Vielmehr regiert bei ihr und auch in weiten Teilen der Bevölkerung anscheinend das Prinzip Hoffnung: Wenn wir alle in Ruhe lassen, werden uns alle in Ruhe lassen. Na schauen wir mal.

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