„Eine klare Ansage machen“

Der islamistische Terrorismus muss an seinen ideologischen Wurzeln bekämpft werden, fordert Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Die Ethnologin und Vergleichende Kulturwissenschaftlerin, Susanne Schröter, leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Die Ethnologin und Vergleichende Kulturwissenschaftlerin, Susanne Schröter, leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. © Matthias Nemmert

Die Ethnologin und Vergleichende Kulturwissenschaftlerin Susanne Schröter kritisiert die lasche Haltung der Schulen im Umgang mit religiösem Mobbing und das Wegschauen der Behörden bei Gewalttaten in muslimischen Familien. Die derzeitigen Präventionsmaßnahmen wirkten nicht. Die Autorität von Lehrern und Behörden müsse wiederhergestellt werden. Nicht weniger als die liberale Demokratie stünde auf dem Spiel. Jetzt räche sich die Denkfaulheit der bürgerlich-liberalen Mitte, die sich zu wenig mit unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Doch ein größerer Teil der Bevölkerung habe verstanden, dass es nicht mehr weitergehen soll wie bisher.

Der Pragmaticus: Die Berichte über Terroranschläge häufen sich. Ist die Terrorgefahr seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 gestiegen? 

Susanne Schröter: Die Zahl ist auf jeden Fall deutlich gestiegen. Das Massaker der Hamas hat wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Über Gaza werden jede Menge Fake-Bilder und Fake-News über die sozialen Netzwerke geteilt. Man erzählt dabei eine Geschichte, die von vorne bis hinten nicht stimmt. Es werde ein Krieg gegen die Muslime geführt, und die Juden, der israelische Staat, seien da federführend, heißt es. Diese falschen Erzählungen sind brandgefährlich und haben dazu beigetragen, dass der organisierte Terrorismus wieder im Aufschwung ist. Die konstruierten Helden- und Tätergeschichten mobilisieren junge Menschen für Gewalt.


Es radikalisieren sich also immer mehr Jugendliche?

Ja. Linke Parteien spielen das immer wieder herunter und sagen, das sei alles nur eine Folge davon, dass zu wenig Sozialarbeiter in den Schulen oder Jugendzentren unterwegs sind. Und auf der konservativen Seite betrachtet man das Phänomen eher systemisch. Dazwischen gibt es kaum Verständigung. Am Ende kommt man zu keinem einheitlichen Handeln, sondern bekämpft sich gegenseitig. Davon profitieren islamistische Akteure, aber auch Regime wie jenes von Putin, die das nutzen, um unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Deshalb müssen wir realisieren, dass wir ein Problem haben. Erst dann können wir neue Maßnahmen andenken. Denn die, die wir jetzt haben, wirken nicht. Und zwar gar nicht.

Die Präventionsmaßnahmen, die wir jetzt haben, wirken nicht. Und zwar gar nicht.


Welche Maßnahmen setzen wir denn in der Regel jetzt?

Soziale und psychosoziale Betreuung, Gespräche auf Augenhöhe, Empowerment-Programme und Antidiskriminierungsprogramme, die zum Teil so ausgelegt werden, dass diejenigen, die islamistische Umtriebe bekämpfen wollen, als diskriminierend wahrgenommen werden. Das Ergebnis sind immer größere Parallelgesellschaften und Schulen, in denen sich Lehrkräfte zum Teil gar nicht mehr trauen, heiße Themen anzusprechen, weil sie mit den Reaktionen nicht fertig werden.

Und was müssten wir tun?

Eine klare Ansage machen. Viele dieser jungen Leute kommen aus sehr autoritären Familien. Die reagieren überhaupt nicht auf die sozialdemokratischen oder grünen Gesprächsangebote. Das ist für sie Kindergartenkram. Sie würden viel eher auf eine klare Ansage mit klaren Konsequenzen reagieren. Und das müsste schon beim religiösen Mobbing in der Schule beginnen. Diese kleinen, selbst ernannten Imame, die während des Ramadans die Brotdosen der Mitschüler kontrollieren. Oder aufpassen, dass niemand Wasser im Toilettenraum trinkt. Das müsste man komplett unterbinden. Man müsste auch unterbinden, dass religionsunmündige Mädchen mit Verschleierung in die Schulen kommen. Und man muss die Autorität der Lehrer wiederherstellen.

Der Politische Islam betrachtet die Religion als ausschließlichen Ordnungsrahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Müssten wir dieser Lesart des Islams ähnlich entschlossen entgegentreten wie der nationalsozialistischen Wiederbetätigung?

Ja. Das Beispiel zeigt sehr gut, dass wir in der Lage sind, uns zu wehren, wenn wir einen Feind erst einmal erkannt haben. Nur wird selbst der gewaltbereite Politische Islam nicht als Feind erkannt, sondern bis in die Reihen von Gewerkschaften und Kirchen hinein entweder als Partner beim Kampf gegen einen imperialistischen Westen oder als Opfer des Westens betrachtet. Selbst Gewalttäter erkennt man nicht als Feind, sondern hält sie für irregeleitete Jugendliche oder für Opfer, die nur eine Antwort auf die erlittene Diskriminierung suchen. International sehen wir das an der Glorifizierung der Hamas und der Hisbollah als Widerstandsbewegungen gegen einen vermeintlichen israelischen Apartheidstaat.

Diese Umdeutung von erklärten Feinden in Opfer erschwert vieles. Dabei machen die Feinde selbst gar kein Hehl aus ihrer Feindschaft. Die Präventionsmaßnahmen gegen den Islamismus sind meiner Meinung nach allesamt gescheitert.

Woran liegt das?

Mittlerweile meint man, dass es nicht klappen kann, wenn die Experten der NGOs, die Geld für ihre Präventionsprogramme bekommen, weiß und nicht muslimisch sind. Also stellt man Muslime ein, die das Hohelied des antimuslimischen Rassismus und der Diskriminierung aller Muslime singen. Und das geht ganz klar auf eine linke, postkoloniale Agenda zurück, für die der Islam in all seinen Ausprägungen immer Allianzpartner war. Aber die Linke braucht natürlich ein revolutionäres Subjekt.

Die Arbeiter hat sie ja nicht mehr.

Weil die Arbeiter nicht mitgegangen sind, begann die Linke in den 1970er- Jahren im globalen Süden nach einem revolutionären Subjekt zu suchen, und da waren vor allem die Muslime ansprechbar, weil sie zum Teil einen ähnlichen Blick auf die Welt haben. Wenn etwa von der postkolonialen Linken erzählt wird, Israel sei das letzte Bollwerk des europäischen Kolonialismus in der arabischen Welt, dann ist das ziemlich genau das Gleiche wie der Spruch von Ali Erbaş, dem Leiter der türkischen Religionsbehörde, der gesagt hat, Israel sei der rostige Dolch im Körper der muslimischen Geografie. Da sind islamistische und linke postkoloniale Konzepte sehr stark anschlussfähig.

Susanne Schröter im Interview.
Interview mit Susanne Schröter im Rahmen der ICITES Conference in Wien. © Matthias Nemmert

Kennen wir das nicht schon von 9/11? Man braucht nur Israel gegen die USA zu tauschen, und schon verläuft der Diskurs der deutschsprachigen Intellektuellen ziemlich gleich.

Das begann schon früher. Wir können bis zur Islamischen Revolution im Iran gehen. Der Schah, ein autoritärer, aber doch weitgehend säkularer Herrscher, wurde durch eine breite Allianz in der Bevölkerung gestürzt, weil er immer mehr mit Folter und Geheimdienst regiert hat. Als er Teheran verlassen hatte, ist mit dem nächsten Flieger Ayatollah Khomeini aus dem Pariser Exil eingetroffen. Die islamistischen Führer wurden ja häufig vom Westen aufgenommen und gerettet, Khomeini genauso. Er hat dann aus dieser Revolution einen fürchterlichen, islamisch fundierten Staat gemacht.

Aber die französischen Intellektuellen zum Beispiel haben das alle gefeiert: Wunderbar, jetzt ist endlich dieser westliche Imperialismus niedergeschlagen worden. Sie haben sogar behauptet, diese Form des Islam sei so herrlich spirituell und dem westlichen Materialismus positiv entgegengesetzt. Sie haben erst gemerkt, dass es in die falsche Richtung ging, als die Linke im Iran selber massakriert oder außer Landes getrieben wurde.

Alice Schwarzer hat von vornherein erkannt, dass der Islamismus für Frauenrechte tödlich ist.

Alice Schwarzer war da eine rühmliche Ausnahme.

Ja, und dafür wird sie als antimuslimische Rassistin und als islamophob gebrandmarkt. Islamkritische linke Intellektuelle gelten heute überall in Europa als rechtspopulistisch, und deshalb werden sie ausgeschlossen. Der gestandenen Linken Alice Schwarzer, einer Feministin der ersten Stunde, ist genau das passiert. Nur weil sie von vornherein mit klarem Blick erkannt hat, dass der Islamismus für Frauenrechte tödlich ist.

Warum radikalisieren sich auch Einwanderer der zweiten und dritten Generation?

Weil sie es nicht geschafft haben, hier Fuß zu fassen. Wir müssen selbstverständlich Hindernisse für die vollständige Integration beseitigen. Die liegen auch aufseiten unserer Gesellschaften. Aber wir haben auch verabsäumt, deutlich zu machen, dass es nicht reicht, hier keine Straftaten zu begehen oder sich wirtschaftlich irgendwie zu erhalten. Zur westlichen Gesellschaft gehört auch – und das ist das ganz, ganz große Tabu –, dass es Werte und Normen jenseits der Strafbarkeit gibt. Dass wir unsere Freiheit hier in jahrhundertelangen Kämpfen errungen haben und sie gerne bewahren wollen. Wer dabei mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Aber alle anderen eben nicht.

Es kann nicht jede Form des islamischen Lifestyles bei uns Geltung erhalten. Das betrifft ja auch die Muslime selbst: Diejenigen, die vor Khomeini aus dem Iran geflohen sind, sind die härtesten Kritiker des Islamismus; sie verstehen überhaupt nicht, dass wir so lasch sind.

Die Mehrheit der Muslime ist nicht in den anerkannten Glaubensgemein- schaften organisiert. Wie erreichen wir die?

Über die institutionellen Dialoge gar nicht. Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland gehören auch keiner Kirche mehr an, und wir haben trotzdem keine Organisation der Nicht-Kirchgänger. Dennoch sind diese Menschen natürlich absolut Teil der Gesellschaft und haben alle Möglichkeiten, sich in Interessenverbänden zu organisieren und ihre Interessen auch durchzusetzen.

Wie die Mehrheit der Muslime tickt, wissen wir gar nicht.

Dennoch treten die friedlichen Muslime öffentlich kaum in Erscheinung. Nach dem Massaker vom 7. Oktober haben sich überall zigtausende öffentlich mit der Hamas solidarisiert, aber kaum welche haben gegen das Massaker protestiert. Warum ist das so?

So bitter das ist, vielleicht müssen wir hinterfragen, ob die Mehrheit der Muslime sich tatsächlich gegen solche Akteure positioniert oder ob sie das vielleicht innerlich gar nicht tut. Nach dem 7. Oktober hat die Politik händeringend Partner in den muslimischen Verbänden gesucht, die sich gegen das Massaker stellen. Das hat weitgehend nicht geklappt. Und selbst dort, wo Muslime irgendeine Erklärung unterzeichnet haben, haben sie am nächsten Tag auf ihren eigenen Homepages alles widerrufen. Bei den vielen Umfragen über die Einstellung zu Juden, zu unserer Gesellschaft, zur Scharia und Ähnlichem kommt reichlich Bedenkliches heraus.

Vor kurzem hat eine Studie unter Studenten der islamischen Theologie gezeigt, dass die überwiegende Anzahl das Studium nur gewählt hat, um in Deutschland missionieren zu können. Und die Einstellungen zu Gewalt und islamistischen Normen sind wirklich beunruhigend. Die Vorstellung, wir hätten hier suspekte muslimische Verbände und auf der anderen Seite eine riesige Masse von Muslimen, die absolut anderer Meinung ist, stimmt vermutlich gar nicht. Damit will ich natürlich nicht alle Muslime in einen Topf schmeißen. Wir haben selbstverständlich auch diejenigen, deren Stimmen laut vernehmlich sind, und manche von denen müssen unter Polizeischutz leben, weil sie sich das freie Wort nicht verbieten lassen. Aber wie die Mehrheit der Muslime tickt, wissen wir doch gar nicht.

Sind muslimische Gesellschaften inhärent gewalttätiger als liberale? 

Eine Folge des Appeasements gegenüber den islamistischen Organisationen ist der Unwille, etwas gegen die eigenen Parallelgesellschaften zu tun. Wir lassen Menschen, die von diesen Strukturen unter Druck gesetzt werden oder Gewalt erfahren, komplett im Stich. Das betrifft vor allem muslimische Frauen und Mädchen, aber auch Homosexuelle in den Reihen der muslimischen Communitys, zum Teil auch Kinder. Islamismus ist letztendlich auch religiös begründetes Patriarchat. Die Frauenhäuser sind voll mit muslimischen Frauen und ihren Kindern.

Gibt es Zahlen dazu?

Nein, dazu gibt es natürlich keine Zahlen, aber wenn man die Leitungen von Frauenhäusern fragt, ist das völlig klar. Und wir haben nicht nur Morde auf Volksfesten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern natürlich auch in muslimischen Familien, wo Frauen umgebracht werden, die hier Freiheitsrechte in Anspruch nehmen möchten, die ihnen per Gesetz zustehen. Das passt den Brüdern, Ehemännern oder Vätern aber nicht, und im Zweifelsfall werden sie dann umgebracht. Das wird in der Presse viel zu selten behandelt und oft auch nicht als Gewalt im Namen der Ehre deklariert.

Die Frauenhäuser sind voll mit muslimischen Frauen und ihren Kindern.

Sondern als Beziehungstat?

Sehr gerne als Beziehungstat. Und wenn einmal eine öffentliche Debatte im Gang ist, kommt gleich wieder der Einwand, die Österreicher und die Deutschen seien ja auch gewalttätig. Stimmt, natürlich gibt es häusliche Gewalt auf allen Ebenen, aber sie tritt eben vermehrt in diesen muslimischen Kontexten auf. Die Migrationsforschung hat schon in den 1990er-Jahren begonnen, die interne Gewalt in den muslimischen Communitys nicht mehr zu thematisieren, weil man Angst hatte, dass das von den Falschen ausgenutzt wird. Oder weil es die Opferkategorie der Muslime und Migranten unterminiert hätte.

Das Wegsehen von Behörden führte zum jahrelangen sexuellen Miss- brauch von Kindern und Jugendlichen in Rotherham und anderen englischen Orten. Ist #MeToo nur höheren sozialen Schichten vorbehalten?

Auf jeden Fall. Und das waren nicht Opfer innerhalb der Communitys, sondern des Anti-Weißen-Rassismus. Da haben die Polizei und die Sozialarbeiter einfach zugeschaut. Und zwar erklärtermaßen, weil sie Angst hatten, als Rassisten bezeichnet zu werden, wenn sie eingreifen und das öffentlich machen. Wäre diese Art der Gewalt von Rechtsradikalen ausgegangen, wäre sie mit Recht als größter Skandal der Nachkriegszeit verstanden worden. Aber so haben alle versucht, die Taten unter den Teppich zu kehren.

Kann man die Debatte über den Politischen Islam wieder in die Mitte bringen, statt sie den Rechtsaußen-Parteien zu überlassen?

Das ist sehr, sehr schwierig. Rechts- und Linksextreme und die Linke überhaupt haben eine klare Agenda. Das ist in der politischen Mitte selten der Fall. Die bürgerlich-liberale Mitte muss einfach intellektuell satisfaktionsfähiger werden. Sie muss sich mehr auseinandersetzen mit der Gesellschaft, in der sie lebt. Die Denkfaulheit, die sie an den Tag legt, rächt sich jetzt. Dabei steht schlicht und ergreifend die liberale Demokratie auf dem Spiel. Deren Feinde sind nicht nur die Rechtsextremen. Wenn man wirklich eine wehrhafte Demokratie haben möchte, ohne die Freiheit zu begraben, dann gehört an allererster Stelle dazu, das ganze Bild in den Blick zu nehmen und nicht nur einen Ausschnitt.

Worauf könnten wir aufbauen?

Ich glaube, wir sind an einem Punkt, an dem ein größerer Teil der Bevölkerung verstanden hat, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen soll. Jetzt wäre die Chance für politisches Spitzenpersonal der bürgerlich-liberalen Mitte, das aufzugreifen und Handlungen zu setzen, die zurechtrücken, was ins Abseits geraten ist. Die Bevölkerung würde ganz gewiss mitgehen.

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