Als die Pizza Chicago nach Würzburg holte

In der dritten Folge von macht Hunger geht es um Italien: Peter Peter erklärt den Erfolg der Pizza, und warum die italienische Restaurantkultur keinen Dünkel kennt.

Gina Lollobrigida und ihr Ehemann sitzen an einem Tisch und bekommen grade Spaghetti serviert. Es stehen Wein und Weingläser auf dem Tisch. Die Teller sind einfach und dick. Es liegt auch Brot auf dem Tisch. Die Spaghetti dampfen. Die Serviererin lächelt.
Turin im April 1955: Gina Lollobrigida bekommt Spaghetti. © Getty Images

Beim italienischen Essen ist der Klassenkampf ganz im Hegelschen Sinne aufgehoben: In der Trattoria, im Ristorante oder der Osteria sind alle gleich. Nur das Essen nicht. In diesem Podcast mit Peter Peter geht es um die sture und flexible Vielfalt der italienischen Regionalküchen.

Der Podcast

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Die italienische Küche kennt keine Hierarchie.

In Italien hat jede Region nicht einfach nur ihre besonderen Speisen, ihre eigenen Spezialitäten und ihre typische Art der Zubereitung, sondern auch eigene Formen und Konsistenzen, die für ein Gericht ebenso wichtig sind wie die Zutaten, man denke nur an die Pasta. (In Bezug auf die Zutaten hebt Peter Peter im Podcast den Stolz auf die eigene Produktion hervor, die auch erklärt, warum Slow Food in Italien entstand und eben nicht in Bayern.)

Und Chicago ...

Die italienische Küche ist aber nicht nur stur oder resilient in ihrer Verwurzelung im Regionalen, sondern auch wandlungsfähig – sie wandelt sich und wandelt die Geschmäcker, wo sie hinkommt.

Zum Beispiel nach Chicago: Die Pizza dort ist dick und reich belegt. Das ist weder neapolitanisch, was nur den dicken Boden erklären würde, noch abruzzesisch oder römisch, wo die Pizza ebenfalls Verwandte und Vorläufer hat. Es ist echte italienische Pizza aus Chicago, so wie sie die italienischen Einwanderer in Chicago abwandelten. Die Einwanderer brachten nicht nur Spaghetti, Pizza und die offene klassenlose Gesellschaft in Form der Restaurants in die USA, sondern auch Espresso und eine Kultur des Auswärtsessens, die eben nicht der Abgrenzung nach unten dient, sondern dem Essen.

So kam es auch zur ersten Pizzeria in Deutschland: Nicolino di Camillo,1921 in den Abruzzen geboren und aufgewachsen, kam nach dem Zweiten Weltkrieg mit der US-Armee nach Nürnberg. Er arbeitete eigentlich als Küchenhelfer, schien aber auch des öfteren Pizza gemacht zu haben. Eine so gute, dass er von den Army-Kollegen fast genötigt wurde, doch seine eigene Pizzeria zu eröffnen.

Und zwar nicht irgendeine: Viele der US-Soldaten kamen aus Chicago und wollten genau diese Art Pizza und diese Art Lokal.

1952 eröffnete Camillo die Sabbie di Capri in Würzburg, und sie existiert mit einer Fusion-Küche bis heute. Die Capri bekam bald im Keller eine Blaue Grotte hinzu, die das aufkommende Italienfieber der 1950er Jahre bediente. Auch sie gibt es bis heute.

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Dies ist die dritte Folge unseres Podcast macht Hunger mit dem Gastrosophen Peter Peter. In unserer Podcastreihe macht Hunger geht es um die Kulturgeschichte des Essens und alle wirtschaftlichen Verstrickungen und politischen Machtspiele, die mit dem Essen und kulinarischen Traditionen verbunden sind. Die erste Folge über die Macht der Nationalgerichte können Sie hier nachhören, die zweite Folge (über französischen Küchendrill hier) und das weitere Programm von macht Hunger finden Sie hier:

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Zahlen & Fakten

Die Schauspielerin Paulette Goddard und der Künstler Andy Warhol sitzen an einem weiß gedeckten Tisch, wobei beide die Arme vor sich verschränkt halten. Goddard trägt große Ohrringe, ein Collier und eine Uhr mit weißem Armband, ein weißes Kleid mit Cape mit Pelzkragen und hat die Augen geschlossen. Warhol blickt von ihr weg zur Seite und trägt ein braunes Sakko mit großen Taschen vorn, einen Pullunder mit V-Ausschnitt udn eine gstreifte Kravatte zu einem hellgrauen oder hellblauen Hemd. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Italien und den globalen Erfolg der italienischen Küche. Es illustriert den Podcast macht Hunger mit Peter Peter.
Paulette Goddard und Andy Warhol im Sardi's in New York am 7. November 1973. Das Sardi's, 1921 als „Little Restaurant“ in einem Keller von Einwanderern aus dem Piemont, Melchiorre Pio Vincenzo „Vincent“ Sardi Sr. und Eugenia („Jenny“) Pallera, gegründet, kochte nicht italienisch, sondern – so Wikipedia – kontinental. Somit kann die Kaffeetasse von Paulette Goddard auch bis zum Rand gefüllt sein. Vielleicht ist es sogar Filterkaffee. © Getty Images

macht Hunger – Ihr Programm bis Mitte November

17. Oktober >> Urheberstreit – Wer hat das Patent auf Schnitzel? In Deutschland war das Wiener Schnitzel einst (also circa in den 1970er Jahren bis zum Ende der Sowjetunion) ein Synonym für gutbürgerliche Küche, und es machte nichts, eine Bratensoße darüber zu schütten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Österreich das Gericht, dessen Form auch die des Landes ist, als sein Kulturgut zu schützen versucht. Dabei ist das Schnitzel eigentlich ein italienisches Gericht. Oder nicht?

31. Oktober >> Essen global – Die Internationalisierung des Gaumens: „Der Grieche“ und „Der Italiener“ sind „um's Eck“, man geht auch „zum Chinesen“. Kein Tatort kommt ohne die Nachdenkpause in der Pommesbude aus, dabei gab es Pommes – die guten! – einst nur in Brüssel. Die Gaumenfreuden sind – Migration sei Dank – in Westeuropa internationaler geworden. Zugleich erlebt die Welt eine bedauerliche Standardisierung des Essens.

14. November >> Zucker, Zucker, Zucker: Oh Du süße Inflation: Zucker, tja, kann auch ganze Wirtschaften aufblähen und Spekulationsblasen erzeugen. Aktuell ist Zucker in Europa um 70 Prozent teurer als noch vor einem Jahr. Diese Folge von macht Hunger widmet sich der Wirtschaftsmacht der Lebensmittel.

Über Peter Peter

Portraitfoto von Peter Peter.
Beim Essen gibt es keine Zufälle: Gastrosoph Peter Peter zeigt im Podcast Machthunger wieviel politisches Kalkül im Essen steckt. © Gregor Kuntscher

Der Kulturwissenschaftler Peter Peter ist in der bayerischen Hauptstadt München aufgewachsen, hat in Klassischer Philologie promoviert und ist Autor zahlreicher Bücher über das Reisen und die Kochkulturen dieser Welt. Er lehrte an der von Slow Food gegründeten Università delle scienze gastronomiche in Pollenzo und Colorno. Seit 2009 lehrt er für den Masterstudiengang des Zentrums für Gastrosophie der Universität Salzburg das Modul „Weltküchen und Kochsysteme“ und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik.

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