Aufgetischt und eingekocht

Mit Nationalgerichten und nationalen Kochkünsten lässt sich trefflich Politik machen. Eine gute Küche ist eine der wirksamsten Waffen des Nation Building.

Adrian van Utrecht, Stilleven 1644. Das barocke Bild zeigt von teuren Speisen überquellende Tische mit einem großen Hummer, Zitronen und Orangen, Wein, einem Schinken. Ein Papagei blickt auf die Speisen, die auf den Tischen liegen. Auf dem Boden sitzt ein Kapuziner-Affe und ist rote Früchte. Ein kleiner weißer Hund sieht ihm zu. Eine Gitarr, eine Harfe, eine Viline und Notenblätter liegen am Boden. Das Bild ist Teil eines Beitrags, wie mit Essen Politik gemacht wird, da es darstellt, dass Essen und möglichst exklusive Speisen ein Symbol für Wohlstand und Opulenz waren.
Adrian van Utrecht, Stilleven, 1644. Die exklusiven Speisen stehen für den Wohlstand der niederländischen Kaufleute und für den Überfluss. Im 17. Jahrhundert dominierten die Niederländer durch Handel und Kolonisation den Welthandel mit – für Europa – exotischen Gewürzen und Früchten. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Identität. Nationalgerichte machen es leichter, sich mit einem Nationalstaat zu identifizieren. Wer eine nationale Küche hat, hat auch eine Nationalkultur.
  • Nationalismus. Eine Nationalküche ist ein Bollwerk gegen unerwünschte Vereinnahmung und so wird das Nation sein erst glaubwürdig.
  • Wohlwollen. Neugier und Liebe gehen durch den Magen. So kann aus anfänglichem Interesse an einem neuen Rezept touristische Verbundenheit entstehen.
  • Belastbar. Kulinarische Grenzen sind stabile Grenzen, und man kann sich ihrer auch im Alltag versichern. Es reicht, Marille statt Aprikose zu sagen.

Mehr als nur eine Kurzmeldung: Italiens Regierung reichte vor kurzem den Antrag ein, die „Cucina italiana“ ins immaterielle UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen. Damit will es gleichziehen mit Frankreich und Mexiko, die ihre Kochtraditionen schon länger in der Prestige-Liga von Taj Mahal, Sixtinischer Kapelle oder Chinesischer Mauer platzieren konnten. Auch die Wiener Kaffeehauskultur erfreut sich seit 2011 dieser Auszeichnung.

Was noch im Essen steckt

Es geht nicht um pure Rezepte, sondern um damit verbundene Kulturtechniken, Konzepte von Gastlichkeit und lebendigen gastro­nomischen Diskurs. Die nationalkonservative Regierung von Giorgia Meloni betont, auf diese Weise Italiens Kulturerbe schützen zu wollen, und erhofft sich vor allem ein schlagkräftiges Argument gegen „Italian Sounding“, also ausländische Produkte, die irreführend mit ihrer Italianità werben.

Essen und Trinken ist politisch geworden, das wissen wir längst. Ernährungswende und Tierwohl versus sogenannte traditionelle Landwirtschaft. Flaschenpfand, Lebensmittelampel, Zuckergehalt von Soft Drinks. Gastro­nomische Selbstbestimmung und Selbstverpflichtung versus staatliche Verordnungen. Das sind Streitfragen, die die Gesellschaft und die Parlamente rund um den Globus umtreiben.

Außenpolitik

Die Küche ist aber auch außenpolitisch ein Faktor geworden. Denn Kulinarik kann ein Sympathieträger sein, der weit über die Landesgrenzen ausstrahlt. Vor einem Jahrzehnt propagierte Paul Rockower, der für die USA wie Israel im auswärtigen Dienst tätig war, den um 2000 erstmals auftauchenden Terminus Gastrodiplomacy und schärfte damit begrifflich einen Trend, der „Soft Skills“ zur Imageverbesserung eines Staates einsetzen will.

Helmut Kohl lächelt und scheint François Mitterrand auf die Schulter zu klopfen, während Mitterand die Hände zusaammengelegt hat und verhalten lächelt. Im Hintergrund stehen Richard von Weizsäcker und Bernadette Mitterand und blicken betreten. Das schwarzweiß Foto illustriert einen Beitrag über die Rolle des Essens in der Politik.
1986: Jacques Chirac (links) ist in Oggersheim bei Helmut Kohl (rechts) zu Gast und kam möglicherweise in den Genuss von Saumagen, ein – angeblich – pfälzisches Gericht, das Kohl wieder und wieder auftischte, um politische Gegner wie Partner für die jeweilige Sache zu gewinnen. Die Franzosen kamen besonders oft in den Genuss dieser Kohlschen Diplomatie. Im Hintergrund: Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bernadette Chirac. © Getty Images

Dazu muss man freilich erst einmal das kulinarische Profil eines Landes herausarbeiten, denn nicht allen schlägt automatisch ein so gesteigertes gastronomisches Interesse entgegen wie etwa Frankreich oder Japan. Die Definition, was heimische Küche ist, beziehungsweise die Postulierung von Nationalgerichten kann gerade bei relativ jungen Staatsgebilden einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum „nation building“ darstellen. So redimensioniert etwa die Politik Taiwans festlandchinesische Einflüsse und betont stattdessen Anleihen aus der japanischen Besatzungszeit und die Kräutersammler-Rezepte der austronesischen Ureinwohner der Insel.

Konflikte

Gelegentlich kommt es auch zu kulinarischem Kompetenzgerangel. Zu dieser Kategorie zählt die Beschwerde arabischer Regierungen, dass Falafel als israelische Spezialität vermarktet wird. Politisch brisant war die 2022 im Eilverfahren getroffene Entscheidung, die ukrainische Zubereitung von Borschtsch in die Liste des bedrohten UNESCO-Weltkulturerbes aufzunehmen.

Landesgrenzen decken sich nicht immer mit Rezeptgrenzen.

Auch wenn sowjetische und DDR-Kochbücher diese Rote-Bete-Suppe meist als ukrainisch verorteten, so ist Borschtsch oder Barszcz nun einmal in unterschiedlichen Variationen in slawischen Ländern von Polen und Belarus bis Sibirien verbreitet.

Ähnlich ist übrigens auch der Streit um die Käsekrainer zu sehen: 2014 wollte Slowenien die „Kranjska klobasa“ schützen lassen, weil das einstige k. u. k. Kronland, die Krain, heute zu slowenischem Staatsgebiet gehört. Doch schließlich akzeptierte man, dass die deutschsprachige Bezeichnung Käsekrainer beibehalten werden kann.

Landesgrenzen decken sich nicht immer mit Rezeptgrenzen. Manchmal zielt kulinarische Cancel Culture auch darauf ab, sich von historischen Geschmacksgemeinschaften zu distanzieren. Die griechische Militärjunta versuchte etwa, das osmanische Erbe durch die Umbenennung von „turkikós kafés“ in „ellinikós kafés“ abzuschütteln. Starkoch Auguste Escoffier taufte im Ersten Weltkrieg die klassische „Sauce Allemande“ kurzerhand in „Sauce Parisienne“ um.

Image

Gastrodiplomacy ist das Gegenteil von solchen „culinary clashes“. Sie steht für defensiven Nationalismus und versucht, durch positive Assoziationen das politische und wirtschaftliche Standing von Staaten aufzuwerten. Ein Beispiel liefert Israel, das mit dem superpositiven Image von Tel Aviv als weltoffener Genuss-Metropole ein Gegengewicht zu seiner umstrittenen Palästina-Politik einsetzen kann.

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Zahlen & Fakten

Portraitfoto von Peter Peter.
Beim Essen gibt es keine Zufälle: Gastrosoph Peter Peter zeigt im Podcast macht Hunger wieviel politisches Kalkül im Essen steckt. © Gregor Kuntscher

macht Hunger! Unser neuer Podcast

Eine Werbeunterbrechung: In unserer neuen Podcastreihe macht Hunger sprechen wir mit Peter Peter über die Politik des Essens: Politik, Wirtschaft und die Kulturgeschichte von Gerichten, Rezepten, Lebensmitteln und Kochkünsten werden ausführlich und anekdotenreich diskutiert. Podcast-Host Karin Pollack spricht mit Peter Peter über jede Küche dieser Erde, über kulinarische Traditionen, Restaurants und Foodies, die immer auf der Suche nach Neuem sind. macht Hunger ist eine Fressorgie für die Ohren. Überall, wo es Podcasts gibt. Jeden zweiten Dienstagnachmittag.

Dazu kommt, dass Herdkünstler wie Uri Buri in Akko oder Haya Molcho, die das Neni-Imperium aufgebaut hat, sich vehement für eine Anerkennung des levantinisch-arabischen Kocherbes aussprechen. Der Londoner Starkoch Yotam Ottolenghi hat nicht nur den Kochbuch-Bestseller Jerusalem geschrieben, sondern demonstrativ mit seinem arabischen Partner einen Rezeptband Falastin (arabisch: Palästina) herausgegeben.

Noch wichtiger ist der kulinarische Außenauftritt für Taiwan. Die Unabhängigkeit des Inselstaats wird nur noch von einem Dutzend Regierungen weltweit anerkannt. Deswegen ist das Land auf informelle diplomatische Kanäle angewiesen. Seit einem Jahrzehnt forciert die Politik kulinarische Werbung und konnte 2015 den Achtungserfolg verbuchen, dass CNN „Taiwanese food“ zum besten der Welt kürte. Auch wenn westliche Konsumenten kaum in die tieferen Geheimnisse der Inselküche eindringen, so bleibt dadurch der Name Taiwan auf dem internationalen Parkett präsent. Übrigens: Das Jugendgetränk Bubble Tea ist „made in Taiwan“.

Tourismus

Auch andere Staaten wollen im globalen Aufmerksamkeitswettbewerb punkten. Eine spannende Food-Szene mit tollen Restaurants aufzuweisen kann für die Anwerbung von hochqualifizierten Expats genauso wichtig sein wie die Infrastruktur, wie Kindergärten, Sportstätten oder Theater. Und jede positive Nachricht macht ein Land potenziell interessanter für Investoren.

Foto von Barack Obama bei einem Mittagessen mit Richard Daly in Chicago in einem traditionellen Deli. Ein Fotograph im Hintergrund dokumentiert das Treffen. Weitere Gäste des Lokals drehen sich zu der Szene um. Richard Daly deutet mit dem Finger udn Obama scheint überrascht innezuhalten.
Chicago 2004: Barack Obama kandidiert für den Senat und trifft sich mit Fotobegleitung zum Lunch mit Bürgermeister Richard Daly in Mannys Deli bei Coke und Sandwiches. © Getty Images

Paradebeispiele finden sich in unterschiedlichen Erdteilen: Dänemark landete mit dem Restaurant „Noma“ in Kopenhagen, das wegen seiner strikt skandinavischen Produktauswahl von einer internationalen Jury fünf Mal zum weltbesten gewählt wurde, einen Überraschungscoup. Nordische Küche, als grob belächelt, wurde auf einmal zum Ideengeber eines ambitionierten Nova-Regio-Stils.

Natürlich hängt so ein Erfolg auch an markanten Persönlichkeiten wie dem Chef René Redzepi. Aber letzten Endes liegt dem Phänomen eine konzertierte Aktion zugrunde, bei der ein Kochbuchautor, Designer und staatliche Stellen eine Imagewerbung planten. Eine Initialzündung, die sich bald verselbständigte und für erheblichen Gourmet-Tourismus sorgt.

Noch eine Nation, die Foodies früher kaum auf dem Schirm hatten, ist Peru. Auch hier gelang mit der Propagierung der „cocina andina“ eine kräftige Ankurbelung des Tourismus. Neben all den Narrativen von den Anden als Urheimat alter Kartoffel- und Tomatensorten traf vor allem eine Speise den Zeitgeist. Ceviche aus mariniertem rohen Fisch entzückte die Generation Sushi und gewann als „signature dish“ peruanisch-japanischer Fusionsküche weltweit Fans.

Standort

Musterknabe in Sachen Gastrodiplo­matie ist Südkorea, dessen Regierung bereits 2009 eine Summe von 40 Millio­nen Dollar in die Hebung des kulinarischen Images investierte. Hier steht ein Gericht im Vordergrund, das sich mühelos adaptierten lässt und zum veganen Zeitgeist passt: Kimchi, fermentiertes Kraut, hat eine Welle von vergorenen Nachahmungen ausgelöst.

Gastrodiplomacy erhöht die Standortattraktivität.

Professioneller als anderswo ist in Südkorea die gastronomische in eine allgemeine Charme-Offensive eingewoben, die jüngere Schichten anspricht. Foodbloggerinnen, Techno-Musik im Seouler „Gangnam Style“ und Netflix-Serien sorgen dafür, dass Korea zu den Top-Sehnsuchtsländern zählt. Die Tochter einer Freundin begann, verlockt von virtueller Popkultur, im zarten Alter von siebzehn, Koreanisch zu lernen. Und das ist wohl keine Ausnahme.

Gastrodiplomacy erhöht die Standortattraktivität, erweitert und entzerrt die touristische Landkarte. Wer hätte schon gedacht, dass neugierige Gourmets plötzlich in Länder wie Albanien oder Grönland reisen? Studien belegen, dass die Chance, ausländisches Essen zu probieren, zu den Hauptmotiven für die Wahl eines Urlaubslandes zählt. Bei der Entscheidung für Japan rangiert diese Begründung sogar klar auf Platz eins. Denn das Ziel des modernen Tourismus ist ein Paradoxon: bei immer kürzeren Reisen Land und Leute kennenlernen. Diese Illusion lässt sich punktuell am ehesten bei kulinarischen Begegnungen verwirklichen.

Diplomatie

Man muss nicht in die weite Welt schauen; auch Österreich ist ziemlich gut darin, Essen und Trinken politisch zu vermarkten. Es geht nicht nur um ministeriell gelenkte Initiativen wie den Aufbau der Datenbank „Kulinarisches Erbe“. Weltweit einzigartig ist die Aktion, das Land in „Genussregionen“ aufzuteilen und entlang der Straßen Schilder aufzustellen, welche die einzelnen Produkte bewerben. So wurden Gailtaler Speck, Wachauer Marillen oder Sauwalderdäpfel die neuen Sehenswürdigkeiten der Republik.

Eine Tischszene mit den Politikern der 1980er Jahre: Valéry Giscard d'Estaing, Helmut Schmidt, Lord Carrington, Jean François-Poncet, Margaret Thatcher und Hans-Dietrich Genscher bei einem Frühstück in einem hell-lila gestrichenen Raum in einem älteren Gebäude. Es stehen Blumen auf dem Tisch. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Essen und Politik.
April 1980: Ob Valéry Giscard d'Estaing (Mitte rechts) damit gerechnet hat, dass Helmut Schmidt (Mitte links) schon beim Frühstück raucht? Lord Carrington (vorne links), Jean François-Poncet (hinten links), Margaret Thatcher (hinten rechts) und Hans-Dietrich Genscher (vorne rechts) in Luxemburg. Es geht beim Treffen um das, was einmal die EU wird. © Getty Images

Politik wurde in Felix Austria immer schon nicht nur durch Heiratsdiplomatie, sondern auch über den Magen gemacht. Als die Habsburger im 19. Jahrhundert ihre Vormachtstellung im Deutschen Bund verloren, setzte die Donaumon­archie bewusst auf „culinary correctness“, um die Nationalspeisen der slawischen, ungarischen und italienischen Untertanen zu würdigen.

„Die Wienerin kocht Versöhnung der Nationalitäten, Eintracht der Völker“ schwärmte um 1900 ein gewisser Erich Felder. Dieser gastronomische Schmelztiegel war auch ein Hauptargument dagegen, sich nach 1918 Deutschland anzuschließen. Wie identitätsstiftend, wie staatstragend die österreichische Küche bis heute empfunden wird, kann man dar­an ablesen, dass die linguistische Abgrenzung zwischen Deutsch und Österreichisch fast immer an kulinarischen Ausdrücken vollzogen wird. Es geht um Karfiol und Fisolen versus Blumenkohl und ­Bohnen.

Um kostbare Claims wie die Bezeich­nung Marille im EU-Deutsch zu ver­ankern, ersann die österreichische Beitrittsdelegation eine besonders launige Variante der Gastrodiplomacy. Die Mär geht, dass man den Verhandlungspartnern über den Tisch Mozartkugeln zuschnippte: Die Mozartkugeldiplomatie war erfolgreich!

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Conclusio

Beim Essen kommen die Leute zusammen; auf dieser alten Weisheit basiert die Idee der Gastrodiplomacy. Die typischen Speisen eines Landes sind identitäts­stiftend für die Bürger und wichtig für die Imagepflege nach außen. Manchmal geht es auch darum, über Kochrezepte seine Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen – etwa in der Ukraine und in Taiwan. Immer mehr Länder überall auf der Welt vermarkten nicht nur ihre Bauwerke und andere Sehenswürdigkeiten, sondern ­lassen auch die Rezepte ihrer National­gerichte als kulturelles Welterbe schützen. Denn authentisches Essen und eine lebendige Restaurantszene können für Touristen ­genauso attraktiv sein wie die Landschaft oder das kulturelle Angebot. Österreich vermarktet sein kulinarisches Erbe seit ­jeher besonders geschickt. „Genuss­regionen“ gibt es sonst nirgends.

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