Die Puppen-Pionierin

Damit die Tochter ein schönes Spielzeug bekommt, entwickelt Käthe Kruse aus Stoff, Sand und einer Kartoffel den Prototyp ihrer kinderfreundlichen Puppen. Bald darauf ist sie eine gemachte Frau.

Foto von Käthe Kruse aus dem Käthe Kruse Puppenmuseum in Donauworth.
Aus ärmlichen Verhältnissen stammend und geschlagen mit einem treulosen Mann, schafft sie es dennoch, ihren Namen zu einer weltweit bekannten Marke zu machen. © Getty Images

Käthe Kruse. Der Name fällt sofort, wenn man auf die Suche nach Unternehmerinnen in der Geschichte geht. Aber warum? Was ist so interessant an der deutschen Puppenherstellerin, und was macht ihre Geschichte besonders? Ist es die Tatsache, dass ihre Biografie der deutschen Version des amerikanischen Traums entspricht, weil sie aus ärmsten Verhältnissen zur weltberühmten Unternehmerin wurde? Oder fasziniert sie auch deshalb so, weil sie – ausgerechnet mit Puppen! – einen Nerv der Zeit zu treffen verstand?

Aus der Enge in die weite Welt

Geboren wird Käthe 1883 in Schlesien – als uneheliches Kind einer Näherin. Die Verhältnisse sind bitter. Das Geld reicht kaum. Und doch lässt sie sich ihre Träume nicht nehmen. Sie will Schauspielerin werden und schafft den Sprung aus der Enge der Kindheit in das künstlerische Bohemien-Leben in Berlin um 1900. Sie bekommt ein Zweijahresengagement am Berliner Lessingtheater und spielt nebenher auf anderen Bühnen mit Erfolg.

In dieser Welt begegnet sie Max Kruse, einem bekannten Bildhauer und Bühnenbildner, fast zwanzig Jahre älter als sie, bald Vater ihrer ersten Tochter Maria, Mimerle genannt. Doch heiraten will er sie nicht. Er glaubt an die „freie Liebe“ – ein Ideal, das vor allem ihm etwas bringen soll. Käthe hingegen lebt mit den Konsequenzen. Als sie erneut schwanger wird, schickt Max sie fort. So geht sie samt Mutter und den bald zwei Töchtern zuerst in die Toskana, dann in die berühmte Künstlerkolonie am Monte Verità in der Nähe von Ascona im Tessin. Dort lebt sie mehr als bescheiden und versucht zu malen.

Max besucht sie selten – aber regelmäßig genug, dass sie wieder schwanger wird. Eine dritte Tochter wird geboren. Als 1911 ein Sohn nachfolgt, holt Max sie nach Berlin zurück und heiratet sie. Da liebt sie ihn längst nicht mehr und bekommt dennoch drei weitere Söhne mit ihm.

Doch Käthe – das ist eine ihrer großen Gaben – verliert weder ihren Mut noch ihre positive Lebenseinstellung. „Es gibt eben keine kleinen Dinge im Leben, überall ist’s tief. Man muss nur hinsehen wollen“, lautet ihr Motto.

Von der Notlösung zum Welterfolg

Sehr fein und ohne Selbstmitleid umreißt sie, worauf es im Leben ankommt, darauf, die Herausforderungen anzunehmen, die das Leben einem in den Weg stellt. Und so erfindet sie – fast nebenbei – etwas ganz Neues. Und zwar noch in den Jahren auf dem Monte Verità. Das zweijährige Mimerle wünscht sich eine Puppe, doch Max, der eine aus Berlin mitbringen soll, sagt bloß spöttisch: „Ick koof euch keene Puppen. Ick find se scheißlich. Macht euch selber welche.“ Und Käthe macht.

Aus Stoff, Sand und einer Kartoffel als Kopf entsteht eine weiche, anschmiegsame Puppe. Keine starre Porzellanfigur, wie sie zu dieser Zeit üblich ist. Sondern ein Kind, das nach Kind aussieht und das man umarmen und lieb haben kann. Ohne es zu wissen, trifft Käthe damit den Nerv der Zeit. Ihre Puppen passen zum reformpädagogischen Credo – sie erziehen nicht zur Mutterrolle, sie geben Raum zum Spiel.

Käthes Puppen werden von der Presse als ,das Ei des Kolumbus‘ gefeiert.

Dann geht es Schlag auf Schlag. 1910 präsentiert Käthe ihre Puppen erstmals öffentlich. Im Berliner Warenhaus Hermann Tietz bei der Ausstellung „Spielzeug aus eigener Hand“, einer Präsentation zugunsten alleinerziehender Mütter, die in Armut leben. Käthes Puppen werden von der Presse als „das Ei des Kolumbus“ gefeiert, die Resonanz ist überwältigend, nun wollen alle Käthe Kruses Puppen haben.

Danach kommt der erste Großauftrag aus Amerika, 150 Puppen für FAO Schwarz, den größten und bekanntesten Spielzeughändler New Yorks. Damit ist Käthe eine gemachte Frau. Als der nächste Auftrag über 500 Puppen aus Amerika ins Haus flattert, reicht die Produktion in Heimarbeit nicht mehr. Sie zieht von Berlin nach Potsdam und 1912 nach Bad Kösen, südöstlich von Leipzig, wo sie bald 150 Angestellte hat. Die Puppen bleiben Handarbeit. Auch auf zwei Weltausstellungen, 1913 in Gent und 1937 in Paris, ist sie mit ihnen vertreten.

Säuglinge und Soldaten

Doch der Weg zum internationalen Erfolg ist manchmal steinig. In den 1920er-Jahren versuchen immer mehr Spielzeughersteller, Käthe Kruses Erfolg zu kopieren und wie sie lebensechte Puppen herzustellen. So auch der größte Spielzeughersteller der Zeit, die Firma Bing mit Sitz in Nürnberg. 1925 – also vor genau 100 Jahren – klagt sie den Konzern und bekommt recht. Damit wird sie zur Pionierin des künstlerischen Urheberschutzes.

In ihrer Ehe mit Max haben sich die Verhältnisse längst umgedreht: Sie ist diejenige, die für den Wohlstand in der Familie sorgt, und Max, dessen Erfolg in den 1920er-Jahren empfindlich nachlässt, reagiert eifersüchtig. Ein weiterer Meilenstein ist 1928 die „Puppe VIII“, genannt „das deutsche Kind“ – mit Echthaar. Außerdem produziert das Unternehmen mittlerweile auch Schaufensterpuppen und Puppen für den Säuglingspflegeunterricht. Auch die Töchter arbeiten im Betrieb mit.

Im Zweiten Weltkrieg gilt Käthe Kruse als unpolitisch, sie fertigt sogar Puppen, die wie deutsche Soldaten aussehen. Das hält sie nicht davon ab, jahrelang ihren jüdischen Schwiegersohn Heinz Adler vor den Nazis zu verstecken. Er und Tochter Hanne werden das Unternehmen nach dem Krieg in Donauwörth fortführen, während das Werk in Bad Kösen von der DDR verstaatlicht wird und Käthe Kruse nach München übersiedelt. Sie zieht sich in den 1950er-Jahren aus dem Geschäft zurück und lässt sich, gemeinsam mit ihrer ältesten Tochter Mimerle, schließlich in Murnau nieder. Erfolgreich und doch überzeugt davon, dass sie „eigentlich gar nichts Besonderes“ geleistet habe, stirbt sie dort 1968. Vielleicht liegt darin ihr größtes Vermächtnis: dass das Außergewöhnliche bei ihr so selbstverständlich wirkt.

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