Bedingte Lizenz zum Töten
Kriegsrecht: Selbst auf dem Schlachtfeld ist nicht alles erlaubt. Das „ius in bello“ soll unnötiges Leiden verhindern.
Auf den Punkt gebracht
- Verschriftlicht. 1864 wurde die erste Genfer Konvention angenommen. Sie beinhaltet das humanitäre Völkerrecht als Grundsatz und gilt bis heute.
- Solferino. Henry Dunant veröffentlichte Eindrücke, die vom Krieg geprägt waren, in einem Buch. Die Folge: 1863 wurde das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gegründet.
- Kriegführung. Bestimmungen zur Kriegsführung selbst wurden bei den Friedenskonferenzen in Den Haag ausverhandelt.
- Verschmelzung. Das humanitäre „Genfer Recht“ und das „Haager Recht“ verschmolzen und mündeten 1977 in die Zusatzprotokolle zur Genfer Konvention.
- Fehlende Erweiterung. An „hybride Kriege“ oder „Cyber-Kriege“ hatten die damaligen Verhandler ebenso wenig gedacht wie an den Einsatz von KI.
Die Wurzeln des Kriegsrechts reichen historisch weit zurück. Erste Vorschriften gab es schon im antiken Griechenland, bei den Römern (insbesondere in den Schriften von Cicero, Titus Livius und Claudianus) und im fünften Buch Mose (Deuteronomium). Vertraglich festgelegte Bestimmungen zum Krieg folgten jedoch erst 1864. Damals wurde die erste Genfer Konvention angenommen. Ihre Grundsätze prägen das humanitäre Völkerrecht bis heute: die Pflicht zur Versorgung verwundeter Soldaten unabhängig von ihrer Nationalität, die Unverletzlichkeit von Krankenpersonal und die Etablierung des roten Kreuzes auf weißem Untergrund als Erkennungszeichen.
Die dahinterstehende Ratio war und ist so einfach wie nachvollziehbar: Wenn es zu einem Krieg kommt, sollen die Auswirkungen auf die Betroffenen so weit wie möglich gelindert werden. Ein Gedanke, der auf den Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant zurückgeht, der im Rahmen einer Geschäftsreise die Schrecken des Krieges, konkret der Schlacht von Solferino 1859, mit eigenen Augen gesehen hatte. Seine Eindrücke von verwundeten Soldaten, um die sich niemand ausreichend gekümmert hatte, verarbeitete er in seinem berühmten Buch Eine Erinnerung an Solferino aus dem Jahr 1862:
„Was für Todeskämpfe, was für leidvolle Szenen spielen sich in diesen Tagen des 25., 26. und 27. Juni ab. Die Wunden sind durch Hitze und Staub, durch Mangel an Wasser und Pflege entzündet, und so werden die Schmerzen immer stärker. Erstickende Dünste verpesten die Luft, trotz der lobenswerten Anstrengungen der Intendantur, alle in Lazarette verwandelten Räumlichkeiten sauber zu halten. Immer fühlbarer wird der Mangel an Hilfskräften, an Krankenwärtern und Dienstpersonal, denn die Transporte, die nach Castiglione abgehen, bringen von Viertelstunde zu Viertelstunde neue Züge von Verwundeten“, wie es in einer von vielen eindringlichen Passagen heißt.
Wenn es zu einem Krieg kommt, sollen die Auswirkungen auf die Betroffenen so weit wie möglich gelindert werden.
Dunant nahm dieses Leid zum Anlass, etwas zu tun: „Wäre es nicht wünschenswert, dass die hohen Generale verschiedener Nationen, wenn sie gelegentlich … zusammentreffen, diese Art von Kongress dazu benutzten, irgendeine internationale rechtsverbindliche und allgemein hochgehaltene Übereinkunft zu treffen, die, wenn sie erst festgelegt und unterzeichnet ist, als Grundlage dienen könnte zur Gründung von Hilfsgesellschaften für Verwundete in den verschiedenen Ländern Europas?“
Was er hier andachte, führte 1863 zur Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, einer nichtstaatlichen Organisation zum Schutz von Verwundeten, Kriegsgefangenen oder Zivilisten auf Basis völkerrechtlicher Bestimmungen.
Kriegsrecht: Genfer und Haager Recht
Den größten Sprung machte das ius in bello mit den vier Genfer Konventionen von 1949, die, wie ihr Entstehungsjahr zeigt, vor dem Hintergrund der Gräuel des Zweiten Weltkriegs ausverhandelt wurden. Davon zeugen Bestimmungen wie das Verbot „unmenschlicher Behandlung, einschließlich biologischer Experimente“. Allerdings finden wir in den Genfer Konventionen nur wenige Bestimmungen zur Kriegsführung selbst. Hier spielt eine andere Stadt eine Rolle: Den Haag, wo 1899 und 1907 zwei bedeutende Friedenskonferenzen abgehalten wurden, bei denen auch (neben einem Vertrag zur friedlichen Streitbeilegung) Regeln für die Kriegsführung beschlossen wurden. So finden wir Verträge zur Neutralität im Land- und Seekrieg, zum Beginn von Kampfhandlungen oder zum Landkrieg.
Zahlen & Fakten
Was im Krieg verboten ist
- Der direkte Angriff auf Zivilisten und zivile Objekte. Wenn diese von Angriffen auf militärische Ziele betroffen sind oder sein könnten, ist die Verhältnismäßigkeit des erwarteten militärischen Vorteils zu wahren.
- Biologische, chemische und Nuklearwaffen (die übrigens auch deshalb untersagt sind, weil sie nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden können).
- Blindmachende Laser oder Waffen, die primär durch Splitter verletzen und die im menschlichen Körper nicht durch Röntgenstrahlen entdeckt werden können.
- Gezieltes Aushungern sowie gezielte Zerstörung der Umwelt.
- Die Ankündigung, keine Überlebenden zulassen.
- Angriffe auf Staudämme oder Atomkraftwerke, sofern sie nicht zur maßgeblichen Unterstützung von Militäroperationen dienen und es keine Alternativen gibt, diese zu beenden.
- Plünderungen und Geiselnahmen.
- Das Vortäuschen, sich ergeben zu wollen.
- Missbrauch der Anwesenheit von Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ oder der Symbole des Roten Kreuzes zur Tarnung.
- Angriffe auf sich ergebende, kampfunfähige Soldaten oder auf solche, die sich per Fallschirm aus einem Flugzeug retten (während des Sinkflugs und sofern sie sich ergeben, sobald sie auf dem Boden gelandet sind).
Was im Krieg erlaubt ist
- Kombattanten und sonstige Kämpfer dürfen jederzeit und überall angegriffen und getötet werden, also während eines Fronturlaubs in der Heimat, bei der Ausübung von Freizeitaktivitäten und selbst im Schlaf. Auch für Angriffe auf militärische Objekte gibt es keine zeitlichen und räumlichen Beschränkungen. Das gilt für Panzer ebenso wie für Kasernen oder das gegnerische Verteidigungsministerium.
- Befehlshaber töten. Liegt die Entscheidung über einen Krieg in der Hand des Präsidenten und/oder steht er an der Spitze der militärischen Befehlskette, ist auch er ein legitimes Angriffsziel (sogenannter Enthauptungsschlag).
- Militärische Objekte zerstören. Bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit dürfen auch Objekte zerstört werden, die sowohl eine zivile als auch eine militärische Funktion haben. Das betrifft jedwede Form der Infrastruktur, von Verkehr (beispielsweise Brücken, die für Truppen- oder Waffentransporte genutzt werden) über Kommunikation (Radio- und TV-Stationen, Satelliten) bis hin zur Energiewirtschaft.
Die Haager Landkriegsordnung spielte insbesondere bei den Nürnberger Prozessen (20. November 1945 bis 14. April 1949) gegen führende Repräsentanten des NS-Regimes eine entscheidende Rolle, untersagt sie doch „die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder der feindlichen Armee“, den „Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötig Leiden zu verursachen“, oder „die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums außer in den Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt wird“.
Dementsprechend spricht man hier oft vom „Haager Recht“. Allerdings wurde die Haager Landkriegsordnung – die formell bis heute in Kraft ist – durch spätere Verträge weithin überholt, konkret durch die beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen (eines für zwischenstaatliche Konflikte und eines für Bürgerkriege) aus dem Jahr 1977.
Atombomben und Kriegsverbrechen
Sie entstanden im Lichte des Vietnamkriegs und der Unabhängigkeitskriege in den Kolonien. Die Protokolle beinhalten sowohl Regeln zum Schutz von Zivilisten und Kombattanten als auch zur Kriegsführung selbst. Das humanitäre „Genfer Recht“ und das „Haager Recht“ sind also gewissermaßen verschmolzen.
Die alten Regeln gelten noch
Seit damals ist viel passiert. An „hybride Kriege“ oder „Cyber-Kriege“ hatten die Autoren der genannten Verträge ebenso wenig gedacht wie an den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Die Staatengemeinschaft hat auf technologische Veränderungen zwar mit neuen Verträgen zu speziellen Waffen- und Munitionstypen reagiert, ein weiteres Zusatzprotokoll zur Kriegsführung entstand aber nicht. Ob es notwendig ist, sei dahingestellt.
Die elementaren Grundsätze des ius in bello – die Vermeidung unnötigen Leids und der Schutz von Zivilisten – gelten jedenfalls nach wie vor.
Conclusio
Regeln für die Kriegsführung sind fast so alt wie der Krieg selbst. Denn selbst auf dem Schlachtfeld oder im Umgang mit dem Feind ist nicht alles erlaubt. Das sogenannte „ius in bello“ soll unnötiges Leiden verhindern und den Schutz von Zivilisten sicherstellen. Zivilisten und zivile Objekte dürfen niemals direkt angegriffen werden; wenn sie von Angriffen auf militärische Ziele betroffen sind oder sein könnten, ist die Verhältnismäßigkeit zum erwarteten militärischen Vorteil zu wahren, was Auslegungssache ist. Die Kriegsführung von „hybriden Kriegen“, „Cyber-Kriegen“ oder der Einsatz künstlicher Intelligenz sind nicht geregelt.