Die Ursachen von Starkregen
Starkniederschlag nimmt mit der Temperatur zu – diese Regel gilt in den Nordost-Alpen nur bedingt, erklärt der Hydrologe Klaus Haslinger.
Für die zunehmenden Starkniederschläge wird in der Regel die Clausius-Clayperon-Gleichung als Erklärung herangezogen. Dieses physikalische Gesetz besagt, dass eine wärmere Atmosphäre mehr Wasserdampf speichern kann, je Grad etwa sieben Prozent mehr. Dieses Gesetz erklärt auch, warum es mit höheren Temperaturen sowohl zu mehr Starkregen-Ereignissen als auch zu mehr Dürreperioden kommen kann. Doch das Prinzip erklärt die Zunahme von Starkniederschlag in den Nordost-Alpen unzureichend. Der Hydroklimatologe Klaus Haslinger von GeoSphere Austria hat untersucht, warum das so ist.
Herr Haslinger, was beschäftigt Sie gerade?
Klaus Haslinger: Wir schauen uns anhand von aktuellen und historischen Beobachtungsdaten und Messreihen gerade an, wie sich die Intensität von Niederschlägen in der Vergangenheit verändert hat. Starkniederschläge nehmen zu, soviel ist bereits bekannt. Dazu gibt es auch verlässliche Messreihen in Bezug auf die Tagesniederschläge. Interessant wird es aber dort, wo wir nicht die Tagesniederschläge betrachten, sondern die stündlichen Niederschlagssummen. Dort ist die Datenbasis deutlich dünner und reicht nicht so weit zurück.
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Wie muss man sich die Messung von Niederschlägen generell vorstellen?
Heute wird Niederschlag mit automatisierten Messgeräten erfasst. Eine typische Methode ist ein Gefäß mit einer Waage auszustatten, durch die Gewichtsveränderung kann man dann ableiten, wieviel Niederschlag innerhalb welcher Zeit gefallen ist – die minütlichen Niederschlagswerte werden dann aufsummiert zu den stündlichen Werten, Tageswerten usw. Schon vor diesen Methoden hat man das Niederschlagskontinuum mit so genannten Niederschlagsstreifen gemessen. Ein Gefäß wurde mit einem Hebel an einem mit Luft gefüllten Ball verbunden, sodass der veränderte Wasserspiegel aufgezeichnet wurde. Von diesen Streifen liegen auch einige in digitalisierter Form vor.
Mit welchem Ergebnis?
Bei den Niederschlagsstreifen werden die Niederschlagsdaten von anderen Signalen überlagert, aber wir können trotzdem eine deutliche Zunahme von extremen stündlichen Niederschlägen seit den 1950er Jahren feststellen, vor allem solche, die mit Gewitter und der Konvektion im Sommer im Zusammenhang stehen. Das heißt, auch die Gewitter werden häufiger, weil durch den Klimawandel die Temperaturen höher sind, und somit mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre ist. Die Zunahme der Gewitterwahrscheinlichkeit haben einige Studien in den letzten Jahren bereits nachgewiesen.
Das heißt im Sommer muss man mit mehr Gewitter und mit mehr Starkregen rechnen?
Die Tage mit Gewitterpotenzial werden in Zukunft jedenfalls noch häufiger werden, das lässt sich, anders als noch vor zwei oder drei Jahren, nun mit Sicherheit sagen. Ebenso konnten wir zeigen, dass auch die stündlichen Niederschläge mit der Lufttemperatur steigen, weil eben höhere Temperaturen bedeuten, dass das Wasserhaltevermögen der Atmosphäre steigt. Die relative Luftfeuchtigkeit ist über die letzten 50 Jahre ungefähr gleichgeblieben, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die absolute Menge an Feuchtigkeit gestiegen ist.
Die stündlichen Niederschlagsdaten sind für diese Aussagen deshalb von Relevanz, weil man ansonsten die kurzzeitigen Starkregen-Ereignisse nicht erkennen könnte?
Ja, richtig. Hinzu kommt noch, dass sich stündliche starke Niederschläge auf die Einzugsgebiete von kleineren Flüssen sehr stark auswirken. Wenn sehr viel Wasser in sehr kurzer Zeit herunterkommt, kommt es schnell zu Hochwasser. Bei größeren Flusseinzugsgebieten braucht man eher tagelangen Dauerregen, damit ein Hochwasser entsteht. Das heißt, für diese Klimawandel induzierten, Starkniederschläge auf Stundenbasis sind kleine Einzugsgebiete relevanter. Die steigenden Temperaturen manifestieren sich mit häufigerem Hochwasser in kleinen Einzugsgebieten.
Der Klimawandel in den Alpen
Können Sie den Zusammenhang mit der Temperatur nochmals erklären? Ist es ein linearer Anstieg je höher die Temperatur, desto mehr Starkregen?
Der Anstieg ist sogar exponentiell, also stärker als linear. Für unseren typischen Temperaturbereich kann man ihn aber als linear mit den genannten sieben Prozent pro Grad Erwärmung annähern. Dieser Zusammenhang dominiert offenbar das Verhalten der typischen Schauer- und Gewitterniederschläge im Sommer. Auf Tagesbasis betrachtet ist die Temperatur hingegen nicht mehr die alleinige Ursache, die die Niederschlagsmengen bestimmt.
Bei den Tagesniederschlägen gibt es den Zusammenhang mit der Temperatur nicht?
Ja, bei den Tagesniederschlägen zeigt sich dieser Zusammenhang nicht direkt. Wenn man nur Temperatur und den Tagesniederschlag betrachtet, dann zeigt sich, dass dieser im Sommer mit steigender Temperatur abnimmt. Andere Mechanismen erklären die Zunahme besser, nämlich die Zugbahn von Tiefdruck-Systemen in Kombination mit ihrer Persistenz, das heißt, wie lang sich eine bestimmte Wetterlage an einem Ort hält. Starkniederschläge werden durch Drucksysteme getrieben, in Mitteleuropa ist zum Beispiel die Vb-Wetterlage relevant. Dabei zieht ein Tief vom Golf von Genua südlich und östlich der Alpen entlang Richtung Polen. Eine höhere Persistenz bedeutet, dass sich die Wetterlagen länger halten. Zusätzlich bringen sie durch die höheren Temperaturen noch mehr Feuchtigkeit mit sich.
Ist die Persistenz von Wetterlagen eine Folge des Klimawandels?
Das ist die große Frage, die noch nicht eindeutig geklärt ist. Wir hatten in den 1980er Jahren eine geringe Persistenz, seit den 1990er beobachten wir wieder eine zunehmend stärkere Persistenz. Es gibt noch Forschungsbedarf, um zu erheben, ob diese Dynamik in der Atmosphäre, dieses Zusammenspiel zwischen Hoch- und Tiefdruck-Systemen und ihre Persistenz, durch den Klimawandel beeinflusst wird oder nicht.
Also muss man nicht unbedingt von mehr Starkniederschlag in Österreich ausgehen, je wärmer es wird?
Nicht unbedingt mehr, aber stärker. Bei den stündlichen Niederschlägen ist dieser Zusammenhang auf jeden Fall da. Auch die Tagesniederschlagssummen werden steigen. Im Alpenraum zeichnet sich allerdings ab, dass die heißeren Sommer eher jene sind, die weniger Tiefdruckgebiete und damit insgesamt auch weniger Niederschlag bringen – also wie man es früher eher nur aus dem Mittelmeerraum gekannt hat. Das Spannende ist, dass es diesen negativen Zusammenhang zwischen Temperatur und Tagesniederschlag in anderen Ländern hingegen nicht gibt.
Wo nicht?
In den Niederlanden zum Beispiel ist ein eindeutiger positiver Zusammenhang zwischen den täglichen Niederschlägen und der Lufttemperatur nachgewiesen worden. Warum ist das so? Bei uns gibt es die Alpen. In den Niederlanden hat der Niederschlag eine andere Quelle und andere Mechanismen, auch wenn die Niederlande klimatisch nicht so weit weg sind. Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass man Niederschläge möglichst kleinräumig untersuchen sollte. In den Ostalpen ist die Vb-Wetterlage offenbar die prägende Kraft.
Diesen Vb-Fußabdruck spüren die Niederlande nicht so, weil die Strömungen durch die Alpen bereits aufgehalten werden?
In den Niederlanden wie im ganzen Nordwesten von Europa sind die Drucksysteme relevanter, die vom Atlantik kommen. In Österreich ist das anders. Wenn polare Kaltluft über Westeuropa weit genug südwärts vorstößt, kann sich ein Tiefdruckwirbel im Golf von Genua oder in Norditalien bilden, dann weiter nach Nordosten ziehen und so eine dieser Vb-Zugbahnen einnehmen. Daher gibt es die Hypothese, dass die Feuchtigkeit vom Atlantik und die gesteigerte Oberflächenverdunstung bei höheren Temperaturen, noch mehr Feuchtigkeit in den Nordwesten bringen. Zusammen mit regelmäßigen, verlässlichen Tiefdrucksystemen istsomit der Zusammenhang von Niederschlag und Temperatur in den Niederlanden deutlicher als bei uns, wo große Tagesniederschläge stärker an bestimmte Wetterlagen gebunden sind, deren zukünftiges Verhalten noch wenig geklärt ist.
Ist es also verkürzt, wenn man sagt, Extremwetter nehmen durch die höheren Temperaturen zu?
Grundsätzlich ist es richtig, dass speziell kurzfristige Starkregen durch die höheren Temperaturen zunehmen, also intensiver werden und auch häufiger vorkommen. Aber für bestimmte lokale Situationen sind die Temperaturen keine ausreichende Erklärung. Man muss sich unbedingt lokal anschauen, was die Entstehungsmechanismen sind. Gerade im Ostalpen-Raum haben wir ein meteorologisch und klimatologisch komplexes Gebiet. Durch die Alpen sind die Drucksysteme und Luftströmungen von großer Bedeutung für das Wetter, nicht nur für Schnee und Regen, sondern auch für Trockenheit. Man darf sich nicht zu vereinfachenden Aussagen hinreißen lassen.
Besteht die Gefahr, dass man sich dann nicht genug vorbereitet auf das was kommt? Die Schäden von dem Hochwasser in Bayern wären vermeidbar gewesen, hätte man die Polder gebaut.
Ich sehe das pragmatisch: Auch wenn ich das aus den Modellen nicht zweifelsfrei herleiten kann, dass solche Extremwetter noch mehr zunehmen, dann sieht man ja aber aus den Beobachtungsdaten eindeutig, dass es eine Zunahme gibt. Ebenso eindeutig ist, dass wir an diese Wetterextreme nicht gut angepasst sind. Und auch die Zunahme von Starkregen mit den Folgen für kleinere Flusseinzugsgebiete ist eindeutig. Das heißt, ich muss besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten des Abflusses richten. Kanäle sind oft zu klein dimensioniert, es gibt keine Retentionsflächen und Überschwemmungsgebiete. Um die richtigen Schutzmaßnahmen zu treffen, braucht man keine detaillierte Zahl. Da sollte es als Antrieb reichen zu wissen, dass es in Zukunft häufiger vorkommt.
Über Klaus Haslinger
Klaus Haslinger ist Hydroklimatologe der GeoSphere Austria. Für den Pragmaticus hat er sich mit dem Risiko von Dürren in den Alpen auseinandergesetzt.
Über diese Serie
„Was beschäftigt Sie gerade?“ ist eine Interviewreihe des Pragmaticus, in der unsere Expertinnen und Experten von ihrer Forschung und allem, was sie beschäftigt, erzählen. Die Themen und der Umfang des Gesprächs sind offen.