Der Klimawandel in den Alpen

Der Rückzug der Gletscher ist nur ein Indiz: Der Meteorologe Andreas Jäger erklärt im Podcast, was Klimawandel in den Alpen heißt.

Der Reschensee ohne Wasser. Zwei Prsonen gehen auf dem Boden des Sees im Hintergrund die Alpen. Das Bild illustriert einen Beitrag über den Klimawandel in den Alpen.
Der Reschensee im April 2024: Das Wasser des Stausees ist abgelassen, da die Straße rund um den See vor Felsstürzen und Murengängen abgesichert werden muss. © Getty Images

Hochwasser im Winter; Trockenheit, die sich über Wochen hält; Extremregen, der auch nicht weggehen will, Muren, Steinschlag: Der Meteorologe Andreas Jäger erklärt, warum der Klimawandel sich in den Alpen so und nicht anders zeigt, und er fragt sich, was die Menschheit eigentlich davon abhält, dagegen aktiv zu werden.

Der Podcast mit Andreas Jäger

35 Grad zwei Monate lang. Das ist das Klima, wo wir hinsteuern.

Andreas Jäger

Solange sich keine Wetterextreme zeigen, sei es relativ leicht, die Veränderungen auszublenden, meint Andreas Jäger: „Man nennt das Shifting Baselines Syndrome. Wenn eine Veränderung sehr langsam vor sich geht, bemerkt man sie nicht. Wenn man die Grundlinie im Tennis ein Jahr lang täglich um einen Millimeter nach vorn rückt, macht man den Aufschlag schließlich 36 Zentimeter weiter vorn. Die Alpen haben sich bereits komplett verändert.“

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Zahlen & Fakten

Darstellung der Temperaturabweichung in Österreich im Vergleich zum Jahresmittel 1961-2010. Die Grafik illustriert den Klimawandel in den Alpen.
Temperaturabweichung in Österreich im Vergleich zum Jahresmittel 1961 bis 2010 (Referenzwert). Die Daten stammen von Geosphere Austria und Berkeley Earth. © Climate Stripes, Ed Hawkins, University of Reading

Vom Regen ...

Die Alpen fangen Niederschläge ab und sorgten in einem insgesamt kühleren Klima dafür, dass ein Teil dieses Wassers als Schnee gespeichert wurde. „Aber wir haben zunehmend immer höhere Schneefallgrenze, das heißt es regnet immer weiter rauf. So entstehen Probleme mit Winterhochwasser, die wir früher nicht kannten. Weniger Schnee bedeutet auch, dass sich zum Beispiel das Grundwasser nicht so gut neu bildet.“

Wir haben ein doppeltes Problem: Weil es wärmer ist, kann die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen, und zugleich sind die Wetterlagen viel stabiler.

Andreas Jäger

Mit dem wärmeren Klima werden Starkniederschläge häufiger. Bei einem sehr warmen Atlantik und Mittelmeer tragen die auf die Alpen treffenden Luftmassen sehr viel mehr Wasser mit sich, weil eine wärmere Atmosphäre mehr Wasserdampf halten kann. Je Grad Temperaturerhöhung sind es sieben Prozent mehr. Zugleich steigt die Wahrscheinlichkeit von Starkniederschlägen um 17 Prozent an. Sie kommen also exponentiell häufiger vor.

... in die Dürre

Zugleich aber nehmen auch Dürren zu. Paradox ist das nicht: „Man muss sich einfach vorstellen, die Luft ist heißer. Das kann eine Schönwetterlage über sechs Wochen bei 25 Grad sein. Das ist eigentlich perfektes Badewetter. Oder fünf Wochen mit 35 Grad. Dann haben wir schon Dürreschäden. Jetzt stellen Sie sich vor, wir haben diese 35 Grad zwei Monate lang. Das ist das Klima, wo wir hinsteuern“, so Andreas Jäger.

Die Wetterlagen würden mit ansteigenden Temperaturen stabiler sein, sich also verfestigen. „Wir haben ein doppeltes Problem: Weil es wärmer ist, kann die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen, und zugleich sind die Wetterlagen viel stabiler. Das heißt, wenn einmal die Sonne scheint, dann länger als früher. Wenn es einmal regnet, dann länger als früher. Es gibt ein größeres Potenzial für mehr Dürren und zugleich kann man im gleichen Sommer schon eine Überschwemmung haben, weil es dann nicht mehr aufhört zu regnen. Beides hat die gleiche Ursache, nämlich eine wärmere Luft.“

Schnee

Die Zeit, der in den Alpen eine geschlossene Schneedecke liegt, ist seit den 1980er Jahren um 25 Prozent kürzer. Nicht nur der Skitourismus leidet darunter: Die weiße Oberfläche des Schnees reflektiert Sonnenlicht zurück, hat also einen kühlenden Effekt. Wenn die Schneebedeckung um 25 Prozent reduziert ist, wird durch die dunkle Oberfläche in der Zeit auch entsprechend mehr Wärme absorbiert. Frischer Schnee reflektiert 0,8 bis 0,9 Prozent des Lichts zurück, Asphalt 0,05 Prozent.

Die Zukunft der Alpen

„Wenn durch die Wärme der Schnee weniger wird, dann kommt eine dunklere Oberfläche hervor, die wieder entsprechend wärmer macht. Wir sprechen von einer positiven Rückkopplung in dem Sinne, dass ein Signal, das in eine gewisse Richtung geht, noch einmal verstärkt wird. Deswegen sind die Alpen auch ein besonders sensibles Thermometer für den Klimawandel. Und deswegen reagieren auch die Gletscher so unglaublich sensibel.“

Aus dem Gleichgewicht

Nähern wir uns mit diesem Klima nicht einfach dem so genannten römischen Klimaoptimum? „Natürlich ist in der Zeit da ein Wald gestanden, wo jetzt die Gletscher sind, aber das Problem ist, es ist jetzt noch nicht im Gleichgewicht. Die Gletscher ziehen sich noch weiter zurück.“ Die Ausdehnung der Gletscher entspräche noch nicht den aktuellen Temperaturen, erklärt Jäger. Eine Einschätzung, die auch die Glaziologin Andrea Fischer beschreibt.

Anders als beim römischen Klimaoptimum, das ein lokales Klima beschreibt, handelt es sich heute zudem um eine globale Temperaturerhöhung. „Es gibt bei den Gletschern eine Verzögerung von ein paar Jahrzehnten. Genauso bei der Erde. Wenn wir heute aufhören, CO2 auszustoßen, steigt die Temperatur doch noch etwas an für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre. So lange dauert es, bis das ganze System zum Stehen kommt. Das System ist irrsinnig träge und Gletscher sind besonders träge.“

Über Andreas Jäger

Andreas Jäger ist Meteorologe und Moderator bei ServusTV und beim ORF. Er ist der Autor mehrerer Bücher, 2021 erschien im benevento Verlag das Buch Die Alpen im Fieber, in dem es um die Auswirkungen des Klimawandels in den Alpen geht. Wie das Klima Wetter macht, zeigt er in seinem Blog.

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