Angeblich alternativ: Politische Influencer
Politische Influencer positionieren sich als Alternative zu klassischen Medien. Oft entspringen sie diesen und sie setzen auf Meinung statt Nachrichten – nicht selten am Rand des politischen Spektrums.

Auf den Punkt gebracht
- Neue Konkurrenz. Vor allem in den USA bekommen klassische Medien immer mehr Konkurrenz von politischen Influencern.
- Meinungsstark. Nahezu alle von ihnen berichten aber nicht, was passiert, sondern sie präsentieren ihre Meinung zum Weltgeschehen.
- Am Rand. Auffällig ist, dass viele von ihnen am Rand ihres jeweiligen politischen Spektrums angesiedelt sind.
- Verspätete Revolution. In Österreich ist von all dem noch nicht viel zu spüren, auch in den sozialen Medien dominieren klassische Journalisten.
In den vergangenen Jahren haben große soziale Netzwerke und Videoplattformen, die leistungsstarke Kreativwerkzeuge und eine kostenlose weltweite Verbreitung bieten, eine Bühne für eine immer breitere Vielfalt an Stimmen und Perspektiven geschaffen. Die meisten dieser Inhalte haben keinen Nachrichtenbezug, und vieles davon bleibt weitgehend unbeachtet. Doch einige Accounts und Einzelpersonen gewinnen in Bereichen wie Politik, internationalen Angelegenheiten und anderen Themenbereichen zunehmend an Einfluss.
Mehr im Dossier Influencer
Unsere Forschung am Reuters Institute hat gezeigt, dass auf neueren Plattformen wie TikTok und Instagram sowie auf altbekannten Videoplattformen wie YouTube die Mainstream-Medien immer mehr von sogenannten Creators, Influencern und verschiedenen Persönlichkeiten sowie kleineren, alternativen Nachrichtenkanälen herausgefordert werden. Dies steht im Gegensatz zu Netzwerken wie Facebook und X (ehemals Twitter), wo Mainstream-Medien und Journalisten nach wie vor den Ton angeben, wenn es um Nachrichteninhalte geht. In unserem aktuellen Bericht wollten wir mehr darüber erfahren, wer diese politischen Influencer sind, welche Art von „Nachrichten“ sie verbreiten und welche Auswirkungen dies auf die Gesellschaft hat.
Politische Influencer sind vor allem in den USA beliebt
Zu diesem Zweck haben wir zufällig ausgewählte Personen, die eine Reihe beliebter Netzwerke wie Facebook, X, YouTube, Instagram und TikTok nutzen, gebeten, bis zu drei Mainstream- und/oder alternative Accounts zu nennen, denen sie am häufigsten in Bezug auf Nachrichten folgen. Aus den gesammelten Daten haben wir die beliebtesten Accounts und Nachrichtenmarken ermittelt. Diese Analyse wurde in rund 20 Ländern durchgeführt, in diesem Artikel stellen wir jedoch nur die Ergebnisse aus fünf Ländern vor: dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutschland und Österreich.
Im Vergleich zu europäischen Ländern werden soziale Netzwerke und Videoplattformen in den USA viel intensiver genutzt, wobei sich politische Kommentare stark auf YouTube konzentrieren. X (ehemals Twitter) ist ein weiteres wichtiges Netzwerk, auf dem Nachrichtenschaffende in den vergangenen Jahren vom Besitzer Elon Musk gefördert wurden. Kürzlich hat X seine Strategie auf Videoformate ausgerichtet und unterstützt Einzelakteure wie Tucker Carlson, der nach seiner Entlassung bei Fox News eine große Anhängerschaft aufgebaut hat.
Politische Influencer sind meistens Männer
An der Spitze unserer Liste der meistgenannten politischen Influencer steht folglich auch Carlson, gefolgt von Joe Rogan, der eine erfolgreiche tägliche Show auf YouTube (und auch auf Spotify) betreibt. Bemerkenswert ist, dass die am häufigsten genannten Persönlichkeiten (Top Ten) allesamt für politische Kommentare oder Diskussionsformate bekannt sind – nicht jedoch für originären Nachrichtenjournalismus. Die meisten Inhalte sind parteiisch, mit wenig bis gar keinem Versuch, andere Sichtweisen zu beleuchten. Zudem besteht die gesamte Top-Ten-Liste ausschließlich aus Männern. Viele dieser Personen sind nicht wirklich „alternativ“, da sie über jahrzehntelange Erfahrung in den traditionellen Medien verfügen.
Unabhängig von der politischen Ausrichtung weisen diese Formate oft eine ähnliche Ästhetik auf: Sie ähneln einer Mischung aus Podcast und TV-Show.
Einige dieser US-Amerikaner gehören zu größeren Online-Netzwerken wie Daily Wire und Blaze TV (konservativ) sowie Young Turks und Medias Touch (progressiv), die mehrere Content-Ersteller unter einer gemeinsamen Marke vereinen. Unabhängig von der politischen Ausrichtung weisen diese Formate oft eine ähnliche Ästhetik auf: Sie ähneln einer Mischung aus Podcast und TV-Show, in der meist männliche Moderatoren mit übergroßen Mikrofonen vor allem männliche Gäste interviewen.
Nachrichten unter dem Schreibtisch
Die Popularität einiger dieser politischen Influencer, die ohne klare Richtlinien oder Transparenz agieren, wirft ernsthafte Fragen auf. Alex Jones zum Beispiel wird regelmäßig der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fehlinformationen beschuldigt. Zudem wurden mindestens zwei weitere rechtsgerichtete Kommentatoren laut einem aktuellen Bericht des US-Justizministeriums im Rahmen einer russischen Einflusskampagne mit Millionenbeträgen bezahlt, um die öffentliche Meinung bei den US-Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen.
In der US-amerikanischen Influencer-Szene geht es jedoch nicht nur um Parteipolitik. Akademiker und andere Fachleute bieten unabhängige und sachkundige Einschätzungen zu Konflikten wie im Gazastreifen und in der Ukraine an, während alternative Narrative – darunter musikalische Memes – auf TikTok populär geworden sind. Vitus Spehar präsentiert unter @underthedesknews Nachrichten im Liegen, um sich von der standardisierten Berichterstattung im Fernsehen abzuheben. Sein Account hat mehr als 3 Millionen Abonnenten und richtet sich mit einfachen Erklärungen zu aktuellen Ereignissen an ein jüngeres Publikum.
Aus Popstars können politische Influencer werden
Donald Trump wurde von unseren Befragten ebenfalls häufig erwähnt und hat 65 Millionen Follower auf X. Dennoch verblassen selbst diese Zahlen im Vergleich zu Taylor Swifts 250 Millionen Followern auf Instagram. Die Musikerin postet zwar selten über Politik, aber ihre jüngste Unterstützung für Kamala Harris verdeutlicht, wie die Grenzen zwischen Unterhaltung und Politik zunehmend verschwimmen und Prominente dabei eine größere Rolle spielen.
Piers Morgan strahlt seine Sendung „Uncensored“ nur noch online aus, um sich von den „unnötigen Fesseln“ des linearen Fernsehens zu entziehen.
In den meisten nord- und mitteleuropäischen Ländern werden soziale Medien etwas weniger intensiv genutzt, was möglicherweise auch erklärt, warum alternative Nachrichtenquellen weniger Einfluss haben.Im Vereinigten Königreich dominieren etablierte Sender wie die BBC, Sky und der Guardian. Doch auf YouTube und TikTok werden sie zunehmend von jugendorientierten Kanälen wie Politics Joe, LADbible und TLDR News herausgefordert – sowie von politisch gefärbten Kanälen von links und rechts.
In der Liste der beliebtesten Einzelaccounts sind auch viele Journalisten von Mainstream-Medien vertreten. Ein weiterer Name auf der Liste ist Piers Morgan, der seine Sendung „Uncensored“ mittlerweile nur noch online ausstrahlt, um sich von den, wie er sagt, „unnötigen Fesseln“ des linearen Fernsehens zu entziehen.
In Österreich dominieren Wolf und Klenk
In Frankreich beobachten wir, dass die Mainstream-Medien auf sozialen Plattformen von alternativen Medien herausgefordert werden, darunter eine Reihe junger politische Influencer. An der Spitze steht der 27-jährige YouTuber und Podcaster Hugo Travers, bekannt als Hugo Décrypte. Mit 2,6 Millionen Abonnenten auf YouTube und 5,7 Millionen auf TikTok ist er eine wichtige Nachrichtenquelle für junge Franzosen geworden. Travers interviewt regelmäßig hochrangige Politiker und globale Persönlichkeiten wie Bill Gates. Nachrichtenmarken wie Brut und Konbini haben ebenfalls ein großes Publikum durch ihre Verbreitung in sozialen Netzwerken aufgebaut. Gleichzeitig haben traditionellere französische Medien Schwierigkeiten, sich an die jüngeren Generationen anzupassen.
Zahlen & Fakten
In Österreich und Deutschland stoßen wir ebenfalls auf parteiische Kommentatoren und rechtsextreme Politiker, die als politische Influencer sowohl jüngere als auch ältere Zielgruppen ansprechen. Dennoch dominieren Mainstream-Medien weiterhin die politische Berichterstattung. In Österreich wurde der ORF-Moderator Armin Wolf am häufigsten genannt, gefolgt von Florian Klenk, dem Chefredakteur des Falter. Die Instagram- und TikTok-Konten von ZiB (Zeit im Bild) gehören zu den meistgenannten Nachrichten-Feeds, und auch nationale Zeitungsmarken wie Der Standard und der Kurier werden häufig erwähnt. In Deutschland hat die öffentlich-rechtliche ARD frühzeitig begonnen, mit vertikalem Video-Storytelling zu experimentieren, und wir beobachten das Aufkommen junger Nachrichtenmacher wie Tilo Jung, der mit seiner Webshow "Jung & Naiv" erfolgreich versucht, politische Themen für ein breites Publikum verständlich zu machen.
Politische Influencer: Auswirkungen auf den Mainstream
Der Blick auf die fünf ausgewählten Länder zeigt, dass nachrichtenbezogene Inhalte in den USA häufiger zitiert werden als in Großbritannien, Österreich, Deutschland oder Frankreich. In den USA werden auch mehr alternative Nachrichtenquellen genannt als etablierte Medien und Journalisten. Diese Entwicklungen könnten auf ein stärkeres unternehmerisches Denken und die Marktgröße in den USA zurückzuführen sein. In weiten Teilen Europas spielen hingegen Mainstream-Medienmarken und Journalisten weiterhin eine größere Rolle.
In den fünf untersuchten Ländern gehören die beliebtesten Akteure fast ausschließlich zu einer weißen, männlichen Elite.
In allen untersuchten Ländern stellen wir fest, dass viele der am häufigsten zitierten Accounts von parteipolitischen Kommentatoren und Politikern betrieben werden, die von ihren Anhängern großes Vertrauen genießen, obwohl einige von ihnen Verschwörungstheorien verbreiten oder für irreführende Darstellungen kritisiert werden. Die Zunahme von Meinungsvielfalt bedeutet jedoch nicht notwendigerweise eine größere Diversität: In den fünf untersuchten Ländern gehören die beliebtesten Akteure fast ausschließlich zu einer weißen, männlichen Elite.
Klassische Medien müssen noch viel lernen
Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Untersuchung ist die wachsende Popularität von politischen Influencern, die sich an jüngere Zielgruppen richten und vorwiegend Videoformate nutzen. In Frankreich ist Hugo Décrypte ein Vorreiter, der Nachrichten zugänglicher und unterhaltsamer macht. In anderen Ländern sprechen Marken wie Brut, Politics Joe und TLDR News ein junges Publikum an, indem sie jüngere Moderatoren einsetzen und Themen wie Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und psychische Gesundheit aufgreifen.
Die Vielfalt und Vitalität alternativer Stimmen auf sozialen Netzwerken zeigt in gewisser Weise die Schwächen der traditionellen Medien auf, insbesondere in Bezug auf Themen wie Vertrauen, Diversität und digitales Storytelling. All dies bedeutet, dass die traditionellen Medien noch viel lernen müssen, um in diesem zunehmend komplexen und wettbewerbsintensiven Umfeld ihr Publikum besser anzusprechen, ohne dabei ihre journalistischen Werte zu verraten.
Conclusio
Klassischen Medien ist – schon wieder – eine neue Konkurrenz erwachsen: Auf Plattformen wie Youtube, TikTok oder X finden politische Influencer ein Millionenpublikum. Sie punkten dort allerdings nicht mit klassischen Nachrichten, sondern mit Meinung – und häufig mit einer eher extremen.