Die Macht des Virtuellen
Virtuelle Influencer sind ein wahr gewordener Traum für Marketing-Unternehmen: Sie müssen nicht schlafen, sind nie krank und verursachen nur solche Skandale, die sich die Unternehmen ausgedacht haben.

Auf den Punkt gebracht
- Fast echt. KI-generierte Influencer können so echt aussehen, dass Nutzer keinen Unterschied zu echten Menschen erkennen würden.
- Allzeit bereit. Sie bieten für Marken und Marketing große Vorteile: Sie schlafen nicht, es werden niemals krank und verursachen keine Skandale.
- Fehl am Platz. Trotzdem gibt es viele Produkte, für die sich menschliche Influencer besser eignen – Gesichtscreme etwa.
- Nahezu menschlich. Und noch einen Vorteil haben menschliche Influencer: Es gibt sie wirklich, weshalb sich Nutzer eher mit ihnen identifizieren.
Social-Media-Influencer werden zunehmend von Marken für ihre Kampagnen genutzt. Sie übernehmen nahtlos die Rolle, die früher klassische Stars aus den Massenmedien spielten. Im Gegensatz zu diesen begründen Influencer ihren Ruhm auf ihre informativen oder unterhaltsamen Veröffentlichungen auf Instagram oder TikTok. Da Influencer kommerzielle „Ratschläge“ mit Posts über das alltägliche Leben kombinieren, werden sie oft als eine Art Mischung aus Prominenten und Freunden wahrgenommen, die eine höhere Vertrauenswürdigkeit und soziale Bindung aufweisen als herkömmliche Testimonials.
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In einigen Ländern wie Frankreich wurden die entgeltlichen Einschaltungen von Influencern deshalb mittlerweile auch rechtlich mit klassischer Werbung gleichgestellt. Aber wie in vielen anderen Sektoren ist auch hier die künstliche Intelligenz (KI) auf dem Vormarsch und bringt eine neue Art von Influencern hervor: die virtuellen Influencer.
Eine Aktivistin, die nicht existiert
Es handelt sich dabei also um keine realen Personen, sondern um komplett KI-gestaltete Charaktere, die von innovativen Marketingagenturen geschaffen werden. Virtuelle Influencer reichen von animierten Figuren bis hin zu realistischen, menschenähnlichen Avataren. Sie können so echt aussehen, dass Social-Media-Nutzer nicht merken, dass sie KI-generiert sind. Die Wahrheit ist jedoch, dass virtuelle Influencer ihre virtuelle Natur offen zugeben, egal, wie sie aussehen.
„Lil Miquela“, die schon auf den ersten Blick nicht als echter Mensch wahrgenommen wird, ist das paradigmatische Beispiel eines virtuellen Influencers. Die Agentur Brud, ihre Designerin und Inhaberin, hat ihr eine spezifische Identität als 20-jähriges US-amerikanisches Mädchen im urbanen Stil mit brasilianischen Wurzeln verliehen, das in Los Angeles lebt, seine eigene Musik singt und in den sozialen Medien als Aktivistin auftritt. Mit 2,5 Millionen Influencern auf Instagram hat sie nicht nur zur Expansion und Bekanntheit der Startup-Agentur beigetragen, die sie ins Leben gerufen hat.
Aber trotzdem für Prada wirbt
Die virtuelle Influencerin generiert auch Einnahmen durch die Zusammenarbeit mit Marken, darunter so bekannte wie Samsung, Prada oder Dior. Auch viele andere auf KI spezialisierte Kommunikationsunternehmen haben virtuelle Influencer mit eigenen Identitäten in Bezug auf Geschlecht, Alter, Ethnie, Stil und so weiter geschaffen, um ihr eigenes Publikum zu erreichen. Manchmal mit Tausenden, manchmal sogar mit Millionen von Followern auf Instagram und/oder TikTok.
Virtuelle Influencer altern nicht, sie haben keine familiären Verpflichtungen, sind nicht schlecht gelaunt.
Aus der Perspektive jener, die Inhalte in sozialen Medien erstellen, bieten virtuelle Influencer eine ganze Reihe von Vorteilen. Sie können jederzeit überall sein, ohne dass sie reisen oder schlafen müssen. Das bedeutet, dass sie in vielen Kontexten eingesetzt werden können: Sie können in einer weit entfernten Stadt fotografiert werden, reale Menschen treffen, Kleidung tragen, die perfekt zu ihrem Körper passt, und so weiter. Da sie nicht lebendig sind, brauchen sie keine Ruhepausen oder Make-up, sie gehen nicht auf Urlaub, werden nicht krank und haben keine Arbeitsrechte. Virtuelle Influencer altern nicht, sie haben keine familiären Verpflichtungen, sind nicht schlecht gelaunt und verursachen keine Skandale (es sei denn, diese sind auf eine Entscheidung des Unternehmens zurückzuführen).
Noch sind menschliche Influencer überzeugender
Aufgrund dieser Unterscheidungsmerkmale haben Forscher, darunter auch ich, begonnen zu untersuchen, wie Konsumenten virtuelle Influencer im Vergleich zu menschlichen Influencern wahrnehmen und wie sie auf sie reagieren. Im Allgemeinen kommen die meisten qualitativen und quantitativen Studien zu dem Schluss, dass menschliche Influencer wirksam und überzeugend sind, weil ihre Anhänger Ähnlichkeiten wahrnehmen und sich mit ihnen identifizieren und weil sie als näher, vertrauenswürdiger und stärker beziehungsbildend wahrgenommen werden als virtuelle Influencer.
Zahlen & Fakten
Virtuelle Influencer werden jedoch oft als einzigartig, originell und innovativ wahrgenommen. Das deutet darauf hin, dass sich Follower aus Gründen, die eher mit Image- oder Rollenaspekten zusammenhängen (zum Beispiel Suche nach Neuartigkeit, transgressive Ästhetik), mit ihren Inhalten beschäftigen – und nicht, weil sie sich mit ihnen identifizieren. Daher scheinen die Nutzer davon auszugehen, dass menschliche Influencer authentischer sind, weil sie eine Person sind, die soziale Bindungen eingeht und ihre eigene Meinung vertritt, sogar mit einem Ruf, den es zu schützen gilt. Während virtuelle Influencer eine Art vorbestimmter, segmentbasierter Charakter sind, der ihren Anhängern als Schaufenster präsentiert wird.
Lebendig in den sozialen Medien
Allerdings gibt nicht jeder virtuelle Influencer vor, die Rolle zu spielen, die von menschlichen Influencern gespielt wird, so dass sie alternative Strategien verwenden, um den Markt anzusprechen. Virtuelle Influencer eignen sich sehr gut als „Gesicht“ oder zur Personalisierung einer bestimmten Marke, als Maskottchen oder markenbezogene Figur. Die beliebteste virtuelle Influencerin mit mehr als 7 Millionen Followern auf Instagram ist „Lu von Magalu“, die ein menschenähnliches Aussehen hat und sich ganz der Werbung für die Produkte und Angebote des brasilianischen Einzelhändlers Magalu widmet, der sie besitzt. Ein virtueller Influencer, der ausschließlich für eine Marke arbeitet, vermeidet das Risiko, sich auf externe Mitarbeiter zu verlassen, die die Marke enttäuschen oder verraten könnten.
Andere erfolgreiche virtuelle Influencer sind animierte Figuren, die, nachdem sie aus anderen Gründen bekannt waren, in den sozialen Medien „lebendig“ wurden. Zum Beispiel Barbie, die auf Instagram von 3,5 Millionen Nutzern verfolgt wird. Unter den weniger menschenähnlichen virtuellen Influencern finden wir auch eine Kategorie von Influencern, die einfach nur animierte Cartoons sind, Witze erzählen oder ihre Follower zum Lachen bringen. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit auf TikTok. Einer von ihnen ist „Nobody Sausage“, einem lustigen Cartoon mit einem Würstchen, der von 21 Millionen Menschen auf TikTok verfolgt wird.
Menschliche Influencer haben ein eigenes Leben, eine eigene Familie, Gefühle und Ängste.
Werden also virtuelle Influencer die menschlichen Influencer ersetzen? Werden die Konsumenten den Profilen und Ratschlägen der virtuellen Influencer so sehr folgen, dass sie zu einer Gruppe von (nicht realen) Meinungsführern werden? Die Antwort auf beide Fragen lautet nein, zumindest nicht kurz- und mittelfristig. Es gibt jedoch einige Aspekte, die ein tieferes Nachdenken und Reflektieren verdienen und die darauf hindeuten, dass virtuelle Influencer eine Chance haben könnten, einen Platz auf dem Markt zu finden.
Vom Vorteil, ein Mensch zu sein
Obwohl die Arbeit der menschlichen Influencer nicht durch virtuelle Influencer gefährdet wird, sollten die menschlichen Influencer die Vorteile der Tatsache nutzen, dass sie echte Menschen sind. Diese Tatsache bringt mehrere Vorteile mit sich, die schwer zu reproduzieren sind: wie zum Beispiel die Möglichkeit, ein Produkt oder eine Marke zu erleben (etwa bei Hautkosmetik) oder eine eigene Meinung zu haben, die mit der Subjektivität jeder Person zusammenhängt und die manchmal unvorhersehbar oder sogar unberechenbar, aber sehr menschlich sein kann.
Menschliche Influencer haben ein eigenes Leben, eine eigene Familie, Gefühle und Ängste; Eigenschaften, die man einer nicht lebenden Entität nicht ohne Weiteres zuschreiben kann. Was ihren Profilen in den sozialen Medien Realismus und Wahrhaftigkeit verleiht und somit ihre Einflusskapazität auf ein menschliches Publikum erhöht, das sich mit ihnen identifiziert.
Im Gegensatz dazu haben virtuelle Influencer die Möglichkeit, Verbrauchersegmente zu beeinflussen, die die Einzigartigkeit und Originalität dieser künstlichen Influencer schätzen. Das sind vor allem junge User und Konsumenten in Nischenmärkten. Experten sind sich einig, dass sich virtuelle Influencer vor allem auf ihr Image verlassen, so dass ihre Attraktivität, Einzigartigkeit und die Möglichkeit, sich auf eine bestimmte Ästhetik oder ein bestimmtes Outfit zu konzentrieren, von entscheidender Bedeutung sind.
Virtuelle Influencer: Kleines Problem mit der Authentizität
Virtuelle Influencer können auch sehr gut eine Verbrauchergruppe repräsentieren oder eine soziale Rolle spielen (etwa ein bestimmtes soziales Anliegen unterstützen), ohne die Ungereimtheiten oder Meinungsänderungen, die manchmal bei realen Menschen auftreten. So kann ein virtueller Influencer beispielsweise sehr gut den Stil und die Werte einer bestimmten sozialen Gruppe in Bezug auf das Image, die Ästhetik, die Outfits, die Verteidigung einer Sache, die Art der Posts, die verwendete Marke und so weiter repräsentieren und dabei alle unbeabsichtigten Folgen vermeiden, die diese erkennbaren Merkmale für einen echten menschlichen Influencer in dieser Rolle haben könnten.
Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass sich menschliche und virtuelle Influencer ergänzen können.
Es gilt auch zu bedenken, dass virtuelle Influencer überhaupt keine authentische Meinung haben, da sie vollständig von dem Unternehmen abhängen, das die Fäden hinter ihnen zieht. Die technologische Entwicklung könnte diesen Punkt jedoch ändern, da virtuelle Influencer auf der Grundlage der analytischen und prädiktiven Fähigkeiten von KI wertvolle Ratschläge geben können, die nicht auf der subjektiven Meinung einer Person, sondern auf aggregierten Vorlieben, früheren Online-Bewertungen oder objektiveren Informationen über Produkte und Marken basieren.
Das heißt, dass die Verbraucher es zu schätzen wissen, dass sie nicht zu subjektiv sind (wie es manchmal bei Menschen der Fall ist). Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass sich menschliche und virtuelle Influencer ergänzen können. In einem Experiment, das auf Instagram-Posts basierte, fanden wir heraus, dass menschliche Influencer effektiver für hedonistische Erlebnisdienstleistungen werben (zum Beispiel Hotelerlebnisse), während virtuelle Influencer eher als nützliche Ratgeber für utilitaristische Produkte (zum Beispiel einen innovativen Laptop) wahrgenommen werden.
Und auch mit dem Vertrauen
Virtuelle Influencer sind gekommen, um zu bleiben und einen (noch kleinen) Anteil am wachsenden Markt der Social-Media-Influencer zu haben. Trotz ihrer offensichtlichen Vorteile, nicht durch menschliche Unzulänglichkeiten eingeschränkt zu sein, zögern die Nutzer, ihnen zu vertrauen, da sie als nicht authentisch wahrgenommen werden, was die Identifikation zwischen Influencer und Follower beeinträchtigt. Wir sollten uns des Wertes menschlicher Influencer bewusst sein, die dafür geschätzt werden, dass sie persönliche Aspekte ihres Lebens zeigen, dass sie subjektive Erfahrungen und Gefühle haben oder dass sie ihre eigene Meinung zu Produkten, Marken oder anderen Themen haben.
Virtuelle Influencer scheinen jedoch das Potenzial zu haben, Verbraucher in bestimmten Kontexten zu beeinflussen, zum Beispiel um bestimmte Marktsegmente anzuziehen, die durch einzigartige Ästhetik und innovative Merkmale motiviert sind. Sie können auch exklusiv von Marken als Maskottchen oder als Zeichentrickfiguren für Humor- und Unterhaltungszwecke eingesetzt werden. Schließlich bieten virtuelle Influencer, die durch analytische KI gesteuert werden die Möglichkeit, zu wachsen und neben den traditionellen Influencern zu bestehen, indem sie den Konsumenten wertvolle ergänzende Informationen für ihre Entscheidungsfindung liefern.
Conclusio
Virtuelle Influencer haben einen großen Vorteil und einen großen Nachtteil: Sie existieren nicht. Das macht sie einerseits zu einem idealen Marketing-Tool, andererseits fehlen ihnen eben alle Eigenschaften, die sie authentisch und nahbar machen würden.