Die triste Welt der Influencer
Viele träumen davon, aber nur wenige schaffen es. Influencer sind oft gar nicht so glücklich, wie es scheint, und müssen zudem fürchten, von virtuellen Konkurrenten abgelöst zu werden. Dennoch wächst der Einfluss von Influencern auf Gesellschaft und Politik.

Auf den Punkt gebracht
- Traumjob. Millionen am Konto, weil man sein tolles Leben mit allen im Internet teilt – kein Wunder, dass alle Influencer werden wollen.
- Brutale Realität. In Wahrheit aber scheitern die meisten an ihrem Traum und selbst die, die es schaffen, sind oft nicht so glücklich wie es scheint.
- Virtuelle Konkurrenz. Neuerdings bevölkern auch virtuelle Influencer die sozialen Medien, die ihren menschlichen Kollegen Konkurrenz machen.
- Meinungsstark. Ganz und gar nicht virtuell sind politische Influencer, die vor allem in den USA populär sind und klassische Medien unter Druck setzen.
Schauspieler werden ist out. Popstar auch und Astronaut sowieso. Wie Umfragen zeigen, ist der Traumberuf von Kindern heutzutage ein ganz anderer: Influencer.
Wie könnte es auch anders sein. Influencer sind fast alle schöne Menschen, die um die Welt jetten, gut essen, sich perfekt schminken oder einfach nur den ganzen Tag Computer spielen – und ihren Traum von einem Leben im Internet teilen. Dafür werden sie von ihren Followern bewundert, sogar geliebt und obendrein noch fürstlich entlohnt. So lautet jedenfalls die Theorie.
Mehr im Dossier Influencer
Die sogenannte „Content Creation“-Industrie ist mittlerweile 250 Milliarden Dollar schwer. Schätzungen zufolge arbeiten bereits 50 Millionen Menschen weltweit als Content Creators bzw. Influencer. Das Geschäftsmodell ist simpel: Manche Social-Media-Plattformen bezahlen für Views, damit zugkräftige Influencer Menschen auf ihre Plattformen locken. Ein Posting auf TikTok bringt für je 1.000 Views zwischen zwei und vier Cent ein, bei YouTube sind es zwischen zehn und dreißig Dollar. Wer wie Taylor Swift 280 Millionen Follower hat, kann damit richtig viel Geld verdienen. Wer am Beginn seiner Karriere steht und 1.000 Follower hat, tut sich schwer, damit seine Miete zu bezahlen.
Eine andere Einnahmequelle sind gesponserte Postings, bei denen ein Unternehmen dafür zahlt, dass sein Produkt in einem Posting mehr oder weniger offensichtlich angepriesen wird. Kylie Jenner vom Kardashian-Clan soll 2,3 Millionen Dollar pro Instagram-Post verdienen. Aber logischerweise sind auch Unternehmen hauptsächlich an jenen Personen interessiert, die bereits eine große Zahl an Followern haben.
1. Eine Illusion namens Influencer
Nur zwölf Prozent aller Influencer verdienen über 50.000 Dollar im Jahr. Und selbst wenn mehr abfällt: Wie so oft ist das Sein nicht so berauschend wie der Schein. Ein Traumjob ist das Influencing offenbar nur im kleinen Rahmen des Smartphone-Screens, auf dem die perfekte Welt suggeriert wird, wie der deutsche Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erzählt:
„Anton Rinas zum Beispiel, der nette Junge aus Bayreuth, auf YouTube bekannt als ‚ViscaBarca‘, hat über eine Million Follower und ein fünfstelliges Monatseinkommen. Aber sein berühmtestes Video trägt den Titel ‚Wieso mein Leben die Hölle ist‘, sein Buch aus dem gleichen Jahr heißt ‚RealTalk. Trug, Schein und Schulden. Mein Leben als Influencer‘. Lesen kann man darin Bekenntnisse über Ruhm, Neid und falsche Freunde, über die Fassade, die der Influencer für seinen Erfolg aufbaute, und über den Stress, pünktlich ein neues Video posten zu müssen.“
Mobbing und sexuelle Belästigung
Oft müssen auch andere leiden: „Mr. Beast“, dem mit aktuell 327 Millionen Followern größten YouTuber der Welt, wurden erst vor kurzem dramatisch schlechte Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeiter und eine Praxis der sexuellen Belästigung vorgeworfen. Und damit steht er nicht allein da.
Da wäre zum Beispiel der tiefe Fall der 27-jährigen Deutschen „AnnietheDuck“, die – wie viele andere Influencer – hauptsächlich damit bekannt wurde, sich beim Videospielen zu streamen. Sie war für ihre sympathische Art bekannt, doch seit ein paar Monaten melden sich mehr und mehr ehemalige Freunde und Kollegen zu Wort, die ihr üble Dinge wie Mobbing vorwerfen. Darunter ihre Ex-Freundin, die unter dem Nickname „Reved“ selbst 1,1 Millionen Follower auf der Streamingplattform Twitch hat und angibt, nach der Beziehung an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden.
Banal und bildfähig
Aber warum interessiert es überhaupt so viele Menschen, was ganz gewöhnliche andere Menschen im Internet posten? Experte Simanowski glaubt eine Antwort zu haben:
„Influencerinnen sind das vielleicht spannendste Phänomen des Internetzeitalters. Sie führen einen Job zu Ende, den die Medienentwicklung davor unfertig liegen ließ. Denn schon das Foto und später die Super-8-Kamera machten jeden noch so unbekannten Menschen und jede noch so banale Situation bildfähig. Aber diese Demokratisierung des Bildes blieb noch begrenzt auf ein kleines Publikum: Das Bild von einem selbst beim Sonntagsausflug verließ selten den überschaubaren Zirkel der Freunde und Verwandten. Das änderte sich erst mit den sozialen Netzwerken, die jedem Bild und Video seine Chance auf eine breite Öffentlichkeit gaben, ohne jegliche Qualitäts- und Relevanzprüfung.“
Alle können nun an alle senden beziehungsweise posten. Das mag nach Demokratisierung und Chancengleichheit klingen. Jedes Kind, das davon träumt, Influencer zu werden, hat theoretisch die Möglichkeit, Millionen Follower zu versammeln. Aber letztlich ist das doch nur eine Illusion, sagt Simanowski:
„Würden alle Menschen Influencer werden, hätte niemand mehr ein Publikum. Insofern predigen die Influencer-Propheten etwas, von dem sie selbst gar nicht wollen können, dass es wirklich eintritt.“
Zahlen & Fakten
Der unfreie Influencer
Warum es manche schaffen und andere nicht, ist kaum zu benennen. Ein bisschen läuft es wohl wie an der Börse: Wer einen Trend früh sieht und darauf aufspringt, kann damit sehr viel Geld machen. Und: Ganz wichtig ist es auch, sich bloß nicht zu verändern, sondern immer das zu liefern, was die Follower schon kennen, weiß der Professor.
„Auch ein Influencer ist nicht wirklich frei. Da kann er noch so oft behaupten, alles sei absolut authentisch. Er muss die Rolle spielen, mit der er sein Publikum geködert hat. Das gilt umso mehr, je mehr dieses Publikum zu seiner Einkommensquelle geworden ist und er sich an den Lebensstil gewöhnt hat, den er sich dadurch leisten kann.“
2. Virtuelle Influencer: Ein existenzielles Problem
Den Online-Stars droht eine ganz neue Konkurrenz. Was, wenn man in der virtuellen Welt gar keine echten Menschen mehr braucht? Auftritt „Lil Miquela“: Die 21-Jährige mit brasilianischen Wurzeln lebt in Los Angeles, hat in ihrem Instagram-Profil mit 2,5 Millionen Followern den Hashtag #BlackLivesMatter und erzählt ihren Followern dort unter anderem, wie sie sich in der Früh nach dem Aufstehen zuerst einmal die Zehe angestoßen und dann auch noch ihr liebstes Kaffeehäferl zerbrochen hat.
Bloß: Miquela existiert nur auf Instagram, sie ist ein virtuelles Geschöpf, und alles, was in ihrem Leben passiert, denkt sich jene Marketingagentur aus, die sie kreiert hat. Und Miquela ist beileibe nicht die Einzige. Nicht zu existieren ist der neueste Trend unter Influencern, erklärt Daniel Belanche, Professor für Marketing an der spanischen Universität Saragossa:
„Virtuelle Influencer reichen von animierten Figuren bis hin zu realistischen, menschenähnlichen Avataren. Sie können so echt aussehen, dass Social-Media-Nutzer nicht merken, dass sie KI-generiert sind. Die Wahrheit ist jedoch, dass virtuelle Influencer ihre virtuelle Natur offen zugeben, egal wie sie aussehen.“
Makellos und nie krank
Für Marketingunternehmen sind virtuelle Influencer natürlich ein Geschenk des Himmels, sagt Belanche.
„Aus der Perspektive der Content Creators bieten virtuelle Influencer eine ganze Reihe von Vorteilen. Sie können jederzeit überall sein, ohne dass sie reisen oder schlafen müssen. Das macht sie universal einsetzbar: Sie können in einer weit entfernten Stadt fotografiert werden, reale Menschen treffen, Kleidung tragen, die perfekt zu ihrem Körper passt, und so weiter. Da sie nicht lebendig sind, brauchen sie keine Ruhepausen oder Make-up, sie gehen nicht auf Urlaub, werden nicht krank und haben keine Arbeitsrechte. Virtuelle Influencer altern nicht, sie haben keine familiären Verpflichtungen, sind nicht schlecht gelaunt und verursachen keine Skandale (es sei denn, diese sind auf eine Entscheidung des
Unternehmens zurückzuführen).“
Lil Miquela beispielsweise wirbt für Unternehmen wie Dior, Prada oder Samsung. Heißt das, dass die Uhr für menschliche Influencer tickt? Ja und nein. Denn deren größter Nachteil ist auch ihr größter Vorteil, glaubt Belanche: dass sie aus Fleisch und Blut und voller menschlicher Makel sind.
„Diese Tatsache bringt mehrere Vorteile mit sich, die schwer zu reproduzieren sind: wie zum Beispiel die Möglichkeit, ein Produkt oder eine Marke zu erleben (etwa bei Kosmetik) oder eine eigene Meinung zu haben, die manchmal unvorhersehbar oder sogar unberechenbar sein kann. Menschliche Influencer haben ein eigenes Leben, eine eigene Familie, Gefühle und Ängste; solche Eigenschaften kann man einer nicht lebenden Figur nicht ohne Weiteres zuschreiben. All das verleiht ihren Profilen in den sozialen Medien Realismus und Wahrhaftigkeit und erhöht somit den Einfluss auf ein menschliches Publikum, das sich mit den Influencern identifiziert.“
3. Angeblich alternativ: Politische Influencer
Viele glauben, Influencer seien hauptsächlich junge Frauen, die Schminktipps geben und den Inhalt ihres Kleiderschranks herzeigen. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Mehr und mehr werden soziale Medien – und damit Influencer – auch zur primären Nachrichtenquelle für Konsumenten. Eine Umfrage des britischen Reuters Institute an der Oxford University hat ergeben, dass 55 Prozent der TikTok- und 52 Prozent der Instagram-Nutzer diese Plattformen zur Informationsbeschaffung nutzen und nicht klassische Medien. Wie Nic Newman, Autor der Studie am Reuters Institute, erklärt, hängt es von der Plattform ab, ob klassische Journalisten oder Influencer dominieren:
„Unsere Forschung hat gezeigt, dass auf neueren Plattformen wie TikTok und Instagram sowie auf altbekannten Videoplattformen wie YouTube die Mainstream-Medien immer mehr von sogenannten Creators, Influencern und einzelnen Persönlichkeiten sowie von kleineren, alternativen Nachrichtenkanälen ersetzt werden. Dies steht im Gegensatz zu Netzwerken wie Facebook und X (ehemals Twitter), wo Mainstream-Medien und Journalisten nach wie vor den Ton angeben, wenn es um Nachrichten geht. “
Meinung statt Nachrichten
Newman wollte in einer Folgestudie wissen, welche Influencer im News-Bereich besonders bekannt sind, und hat das unter Nutzern von Social-Media-Plattformen nach Ländern abgefragt. Die Ergebnisse in den USA interessierten ihn am meisten.
„Im Vergleich zu europäischen Ländern werden soziale Netzwerke und Videoplattformen in den USA viel intensiver genutzt, wobei sich politische Kommentare stark auf YouTube konzentrieren. X (ehemals Twitter) ist ein weiteres wichtiges Netzwerk, dessen Besitzer Elon Musk die Nachrichtenschiene besonders fördert. Kürzlich hat X seine Strategie auf Videoformate ausgeweitet und unterstützt Leute wie Tucker Carlson, der sich nach seiner Entlassung bei Fox News eine große Anhängerschaft aufgebaut hat. “
Wie die meisten anderen Politik-Influencer mit großer Anhängerschaft macht Carlson nicht nur kein Hehl aus seiner Meinung, er ist auch im extremeren Segment angesiedelt, vor kurzem interviewte er etwa einen Holocaustleugner. Newman erklärt:
„Bemerkenswert ist, dass die am häufigsten genannten Persönlichkeiten allesamt für politische Kommentare oder Diskussionsformate bekannt sind – nicht jedoch für originären Nachrichtenjournalismus. Die meisten Inhalte sind parteiisch und machen kaum bis gar nicht den Versuch, auch andere Sichtweisen zu beleuchten. Viele dieser Akteure sind nicht wirklich ‚alternativ‘, da sie über jahrzehntelange Erfahrung in klassischen Medien verfügen. “
Klenk und Wolf statt Influencern in Österreich
In Europa sind traditionelle Medien noch besser aufgestellt, sagt Newman:
„In den meisten nord- und mitteleuropäischen Ländern werden soziale Medien etwas weniger intensiv genutzt als in den USA, was möglicherweise auch erklärt, warum alternative Nachrichtenquellen weniger Einfluss haben. In Großbritannien etwa dominieren etablierte Sender wie die BBC und Sky sowie Printmedien wie der Guardian. Doch auf YouTube und TikTok werden sie zunehmend von jugendorientierten Angeboten wie ‚Politics Joe‘, ‚LADbible‘ und ‚TLDR News‘ herausgefordert – sowie von politisch gefärbten Kanälen von links und rechts. “
In Österreich sind es weiterhin klassische Journalisten, die den Diskurs dominieren:
„In Österreich und Deutschland stoßen wir ebenfalls auf parteiische Kommentatoren und rechtsextreme Politiker, die sowohl jüngere als auch ältere Zielgruppen ansprechen. Dennoch dominieren Mainstream-Medien weiterhin die politische Berichterstattung. In Österreich wurde der ORF-Moderator Armin Wolf am häufigsten genannt, gefolgt von Florian Klenk, dem Chefredakteur des ‚Falter‘. Die Instagram- und TikTok-Konten der ‚ZiB‘ (‚Zeit im Bild‘) gehören zu den meistgenannten Nachrichten-Feeds, und auch nationale Zeitungsmarken wie ‚Der Standard‘ und ‚Kurier‘ werden häufig erwähnt. “
Trump hasst Swift (und eventuell auch umgekehrt)
Letzten Endes ist es aber sowieso schwierig, politische Influencer in eine Kategorie zu stecken. Auch die Breitenwirkung einzelner Akteure ist relativ: Tucker Carlsons knapp 14 Millionen Follower auf X mögen beeindruckend wirken, neben Taylor Swifts 283 Millionen auf Instagram verblassen sie aber. Politik und Entertainment sind nicht immer klar abzugrenzen, sagt Nic Newman:
„Taylor Swift postet nur selten über Politik, aber ihre jüngste Unterstützung für Kamala Harris zeigt, dass die Grenzen zwischen Unterhaltung und Politik zunehmend verschwimmen und Prominente eine größere Rolle spielen.“
Swift wurde zwar nicht als Influencerin, sondern als Popstar bekannt, aber sie hat über die sozialen Medien ein Sprachrohr, das in seiner Dimension neue Maßstäbe setzt. Das macht die Sängerin auch politisch zu einem Faktor – den sie zu nutzen weiß. Ihr Posting – mit Spitzen gegen Trump und seinen Vize-Kandidaten JD Vance –, mit dem sie Harris unterstützte, versetzte deren Kampagne in Extase und bewog Donald Trump dazu, das auf seinem eigenen sozialen Netzwerk „Truth Social“ zu kommentieren: „I HATE TAYLOR SWIFT“, schrieb er da.
Conclusio
Scheinwelt. Wer Instagram öffnet, befindet sich in einer Welt voller schöner Menschen, die ihren Traum leben. Aber die Realität ist in vielen Fällen eine andere – nur wenige Influencer schaffen es, von ihren Postings zu leben.
Scheinwesen. Ein neuer Trend macht die Angelegenheit noch einmal komplizierter: virtuelle Influencer, also Geschöpfe, die von Marketingagenturen erschaffen wurden und keine menschlichen Makel aufweisen.
Scheinwerfer. Immer mehr Fokus wird auch auf politische Influencer gelegt, die vor allem in den USA drauf und dran sind, den klassischen Medien ernsthaft Konkurrenz zu machen – allerdings meist mit Meinung, nicht mit Nachrichten.