Über die Prahlerei
Sich selbst zu loben ist kein Vergehen, solange das richtige Maß, der geeignete Adressat und die passende Leistung herangezogen werden.
Die Leistung eines Menschen werde nicht ins rechte Licht gerückt, wenn das Lob allein aus dem Mund der anderen kommt, belehrt uns Francis Bacon, der englische Philosoph, Staatsmann und Zeitgenosse von Shakespeare – der übrigens zwischenzeitlich in den Verdacht geraten ist, die Werke desselben geschrieben zu haben. Er folgt nicht der gängigen und billigen Auffassung, Prahlerei sei eine lässliche, aber unschöne Sünde, der gegenüber vorbildlich die heilige Bescheidenheit steht. Er zitiert in seinem Essay Tacitus, der über einen römischen Feldherrn sagte: „Er hatte ein Talent, bei allem, was er tat und sagte, sich ins Licht zu rücken.“ Tacitus meinte das ausdrücklich als Lob.
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Auch werden wir an Matthäus 5,14 erinnert, wo es heißt: „Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen …“
Abgestandenes Eigenlob
Man sollte den Gegenstand, auf den sich die Prahlerei richtet, nicht allzu weit aus der Vergangenheit holen. Wenn ich großtue mit etwas, das zwanzig Jahre zurückliegt, gebe ich damit zu verstehen, seither war nicht viel los mit mir. Und das heißt doch nichts anderes als: Es wird auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht viel los sein mit mir.
Die Folgen dessen, weswegen ich mich brüste, müssen noch wirksam sein: Vergesst nicht, was euch wohltut, habt ihr mir zu verdanken! Das soll bewirken, dass jene, vor denen ich prahle, meine Tat oder mein Wort unter immer neuem Blick betrachten. Ich darf um Himmels willen nicht in die Situation geraten, ihnen den Gegenstand meiner Prahlerei zu erklären. Sie müssen immer wissen, wovon ich spreche.
Ein Beispiel: Meine Mutter, die, wie sie selbst sagte, als „Kriegsbeute“ aus dem deutschen Frankenland nach Vorarlberg gekommen war und hier eine, wie sie wiederum sagte, „kulinarische Wüste“ vorgefunden hatte, prahlte damit, dass sie in unserem Land den Blätterteig eingeführt habe. Sie wollte damit auf die hohe Qualität ihrer Backwaren hinweisen. Die waren köstlich, so köstlich, dass jeden Samstag – Samstag war Backtag – die Nachbarskinder im Halbstundentakt bei uns klingelten und fragten, ob sie etwas brauche, ob man ihr irgendwie helfen könne, etwas besorgen könne, die Hecke schneiden solle und so weiter. Sie wussten, dann bekommen sie ein Stück Mehlspeise, allein für die gute Absicht. Meine Mutter backte von vornherein für die Nachbarn mit.
Und so wurde allmählich aus dem Wort „einführen“ das Wort „erfinden“ – meine Mutter war also die Erfinderin des Blätterteigs. Und schon schmeckten die Teilchen doppelt so gut, wie sie ohnehin schmeckten. Schließlich nagte man ja am Original! Hätte sie nicht geprahlt, hätte sich wahrscheinlich niemand darum gekümmert. Höchstens der eine oder andere hätte sich gewundert, dass es samstags um unser Haus herum gut riecht.
Dabei hatte ihre Prahlerei in Wahrheit einen anderen Grund, als auf ihre Qualitäten als Bäckerin hinzuweisen: Sie wollte ästimiert werden. Sie war eine Fremde, vor ihr war ausgespuckt worden, und sie war gehbehindert, ging erst auf Krücken, saß später im Rollstuhl. Es war die Zeit, als – um Gottes willen nicht laut und offiziell, aber doch umso fester im Stillen – die Meinung herrschte, solches Unglück sei eine Strafe, wofür auch immer.
Lob, wenn es ernst gemeint ist, entspringt einer Begeisterung.
Die Analyse zeigt, dass Prahlen nur auf ungefährer Augenhöhe einen Sinn hat. Womit sollte der Millionär vor dem Bettler prahlen? Womit sollte der Bettler vor dem Millionär prahlen? Der Geselle aber kann vor dem Meister prahlen, ein bisschen Gefälle darf sein. Solche Prahlerei macht sogar besonders Freude, weil sie beim Adressaten die Furcht erzeugt, er könnte über kurz oder lang zurückgestuft werden. Eine Freude, die meine Mutter genoss. Alle Nasenrümpfer und -rümpferinnen sollten wissen: Auf wenigstens einem Gebiet könnt ihr mir nicht das Wasser reichen! In einer Zeit, in der die Frau auf den Herd abonniert war – ich spreche von den Fünfzigerjahren –, zeigte dies schon beinahe eine moralische Überlegenheit an.
Prahlerei als Kompliment an uns beide
Francis Bacon schreibt weiter, Entschuldigungsreden, Untertänigkeit, „ja, auch maßvolle Bescheidenheit“ seien schließlich nichts weiter als eine geschickte Form der Prahlerei. Hinzufügen möchte ich eine Sentenz des von mir über alle Maßen geschätzten La Rochefoucauld: Wer einen anderen lobe, meine in Wahrheit sich selbst. Ich teile die Meinung, bewerte die Haltung aber nicht negativ. Lob, wenn es ernst gemeint ist – und Eigenlob ist immer ernst gemeint –, entspringt einer Begeisterung. Wenn ich den amerikanischen Schriftsteller Richard Ford lobe, denke ich bei mir, so wie er möchte ich schreiben können, und damit meine ich, eigentlich kann ich es oder bin wenigstens auf dem besten Weg dorthin.
Bei der Prahlerei kommt es auf die Dosis an. Wenn ich gar nicht prahle, vermittle ich den Eindruck, ich halte mich für so gut, dass ich Prahlerei gar nicht nötig habe. Wenn ich allzu üppig prahle, bin ich – wie Francis Bacon im letzten Satz seines Essays schreibt – „das Gespött der Weisen, die Bewunderung der Toren, der Abgott der Schmarotzer und der Sklave meines eigenen Dünkels“.