Wie die EU Deutschland ausbremst

Deutschland hätte eigentlich genug eigene Probleme. Doch die Europäische Union verschärft die Lage mit bürokratischen Schikanen, Markteingriffen und fehlgeleiteter Geldpolitik.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) während einer Pressekonferenz nach Gesprächen mit dem thailändischen Premierminister Srettha Thavisin (nicht im Bild) am 13. März 2024 in Berlin. Im Hintergrund ist die Flagge der EU zu sehen. Das Bild illustriert einen Kommentar darüber, wie die EU Deutschland ausbremst.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) während einer Pressekonferenz am 13. März 2024 in Berlin. © Getty Images

Die Hoffnung, dass die grüne Transformation ein neues Wirtschaftswunder entfachen wird, ist verflogen. Für das Jahr 2024 hat das Wirtschaftsministerium für Deutschland eine Wachstumsrate von 0,1 Prozent prognostiziert. Besonders irritiert, dass Deutschland in der Europäischen Union (EU) Schlusslicht ist.

Das Problem ist, dass über zwei Dekaden eine zu expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), überbordende Staatsausgaben und wuchernde Regulierung die marktwirtschaftlichen Grundpfeiler der deutschen Wirtschaft unterhöhlt haben. Für eine Rückkehr zu alter wirtschaftlicher Stärke wären anhaltend höhere Zinsen, entschlossene Ausgabenkürzungen des Staates und eine umfassende Deregulierung erforderlich. Doch inzwischen sind Deutschland in der EU die Hände gebunden.

Das gilt zuallererst für die Geldpolitik. Zwar wurde die EZB nach dem Muster der unabhängigen Deutschen Bundesbank mit dem Ziel der Preisstabilität in den europäischen Verträgen verankert. Doch wurde sie Stück für Stück nach dem Muster der Banca d’Italia umgebaut. In Reaktion auf die europäische Finanz- und Schuldenkrise hat die EZB die Zinsen dauerhaft auf null gesenkt und sich zu einem wichtigen Finanzierer von Staatsausgaben gemacht.

Zwar hat die EZB seit Mitte 2022 die Leitzinsen angehoben, um die Inflation zu bekämpfen. Doch ist der Abbau des hohen Bestandes der Staatsanleihen in der Bilanz der Euro-Notenbank bisher weitgehend ausgeblieben. Jüngst hat die EZB sogar angekündigt, dass sie in Zukunft strukturell Anleihen in ihrer Bilanz halten will.

Die Rückkehr zu einer straffen Geldpolitik, die auf Dauer eine Finanzierung von Staatsausgaben ausschließen würde, ist in weite Ferne gerückt.

Der Grund liegt nahe: Weil viele südliche Euro-Staaten wie Griechenland, Italien und Frankreich hoch verschuldet sind, könnte die Zins- und Schuldenlast ohne Staatsanleihekäufe der EZB schnell unerträglich werden und der Euro auseinanderbrechen. Wohl deshalb hat sich die EZB im Juli 2021 selbst ermächtigt, im Notfall unbegrenzt Staatsanleihen einzelner Euro-Länder zu kaufen. Die Rückkehr zu einer straffen Geldpolitik, die auf Dauer eine Finanzierung von Staatsausgaben ausschließen würde, ist – möglicherweise bald gerechtfertigt durch grüne geldpolitische Ziele – in weite Ferne gerückt.

Die ursprünglichen Schuldenregeln sollten verhindern, dass die Euro-Staaten Druck auf die EZB ausüben, Staatsanleihen zu kaufen. Es ist bekannt, dass die Kontrolle der Staatsfinanzen in der EU weitgehend gescheitert ist. Die Schuldenlast der Euro-Staaten lag 2023 bei 90 % statt 60 % des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts. Zudem drängen die südlichen Euro-Staaten darauf, die Regeln zur Begrenzung der Haushaltsdefizite und Schuldenstände weiter aufzuweichen.

In Deutschland pocht zwar Finanzminister Christian Lindner darauf, die deutsche Schuldenbremse und die EU-Schuldenregeln einzuhalten. Doch das ist nicht sinnvoll, wenn Deutschland den Schritt alleine versucht. Als Deutschland zwischen 2003 und 2007 einen konsequenten Sparkurs verfolgte, um die Maastricht-Schuldengrenzen einzuhalten, flossen die wachsenden deutschen Ersparnisse in den Süden der Währungsunion ab, wo sie die Regierungen und Haushalte zu mehr Konsum und Schulden ermunterten. Das führte in die europäische Finanz- und Schuldenkrise, die milliardenschwere Hilfen Deutschlands für die Krisenländer erzwungen hat.

Seitdem sind die Unterschiede bei Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung im Euroraum größer denn je. 2023 lag das Haushaltsdefizit in Italien laut IWF bei 5,0 % des Bruttoinlandsprodukts (statt maximal 3,0 %), in Deutschland bei 2,9 %. Die Staatsverschuldung als Anteil am Bruttoinlandsprodukt lag in Italien bei 140,6 % und in Deutschland bei 64,8 %. Das macht es wahrscheinlicher, dass die hoch verschuldeten Länder auf eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden drängen werden. Entweder durch ein gemeinsames Finanzministerium in Brüssel und/oder – was wahrscheinlicher ist – durch Inflation. Aus dieser Sicht macht es wenig Sinn, dass Deutschland mit dem Ziel der Einhaltung von Schuldenzielen wichtige Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung unterlässt.

Und dann ist da noch die Wachstumsbremse Regulierung. „Deutschland ächzt unter der Bürokratie-Last!“, war in der Presse zu lesen. Bereits im August 2023 visierte deshalb der deutsche Justizminister Macro Buschmann ein Bürokratieentlastungsgesetz an. Doch eigentlich dürfte die Bürokratie in Deutschland gar nicht so gewachsen sein, weil seit 2015 eine Bürokratiebremse nach dem Prinzip „One in, one out“ sicherstellt, dass bei einer neuen Regulierung eine alte weichen muss.

Selbst wenn sich also die Bürger in Deutschland eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien wünschen würden, dann müsste es dafür auch Mehrheiten in der EU geben.

Doch da wurde die Rechnung ohne Brüssel gemacht. Die EU hat nicht nur konventionelle Glühbirnen, Plastikstrohhalme und ab 2035 Verbrennermotoren verboten. Es sind auch Bürokratiemonster wie ein Lieferkettengesetz und ein Klimazoll entstanden. Die sogenannte Taxonomie der Europäischen Union will alle Unternehmen nach Umwelt- und Klimakriterien klassifizieren und daran die Kreditvergabe der Banken ausrichten. Damit verbunden sind umfangreiche Berichtspflichten und Rechtsrisiken für Unternehmen und Banken.

Selbst wenn sich also die Bürger in Deutschland eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien wünschen würden, dann müsste es dafür auch Mehrheiten in der EU geben. Innerhalb des Rats der Europäischen Zentralbank müsste sich trotz zahlreicher für eine lockere Geldpolitik stehenden Tauben eine Mehrheit für eine dauerhaft restriktivere Vorgangsweise finden. Alle Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion müssten mit entschlossenen Strukturreformen ihre Staatsausgaben reduzieren. Im Rahmen des europäischen Green Deals vorangebrachte Regulierungsprojekte wie die Taxonomie und der Klimazoll sowie das Lieferkettengesetz müssten in einem gemeinsamen Beschluss ad acta gelegt werden.

Dem steht entgegen, dass die hohe Verschuldung einiger südlicher EU-Länder im Rahmen des Aufbauplans NextGenerationEU zu einer wichtigen Einkommensquelle geworden ist. Das derzeit vergleichsweise hohe Wachstum in Italien wird nicht nur darauf zurückgeführt, dass Italien die Maastrichtkriterien zur Fiskaldisziplin ignoriert. Sondern die EU gewährt auch großzügige Unterstützungen, wohl auch um den Euro zu kitten. Von dem 809 Milliarden Euro schweren Programm profitieren neben Polen insbesondere Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland. Das am meisten begünstigte Italien erhält 123 Milliarden Euro in Form von Krediten und 72 Milliarden in Form von Zuschüssen.

Die als Ausnahme erfolgte Finanzierung des Umverteilungsplans durch die Ausgabe von EU-Bonds könnte Schule machen, weil damit alle EU-Länder die Schuldenregeln umgehen können. Denn EU-Schulden werden nicht auf die nationalen Schuldenstände angerechnet. Mit Verweis auf einen zusätzlichen Ausgabenbedarf für die europäische Verteidigung haben wichtige EU-Vertreter bereits die Neuauflage von EU-Schulden ins Spiel gebracht. Die noch vergleichsweise hohen Zinsen auf die EU-Anleihen könnten gesenkt werden, wenn die EZB auf Dauer mehr EU-Anleihen kaufen würde.

Deutschland müsste bei dem kollektiven Umdenken eine führende Rolle spielen.

Dauerhaft zentralbankfinanzierte EU-Schulden und -Ausgaben würden nicht nur den Einfluss der Nationalstaaten einschließlich Deutschlands in der EU weiter zurückdrängen. Sie würden auch das Wachstum in der EU weiter unterwandern, weil der staatliche Einfluss in der Wirtschaft weiter zunehmen würde. Mehr Subventionen für „grüne Unternehmen“ im Rahmen der Green Deals der EU würden den Binnenmarkt der EU weiter unterminieren, da von Subventionen meist politisch einflussreiche Unternehmen profitieren.

Aus dieser Sicht könnte sich für das Vereinigte Königreich der Brexit noch als Glücksfall erweisen, weil er politische Freiheitsgrade für dringend nötige Reformen geschaffen hat. Für die EU27 ist es hingegen an der Zeit, über die richtige Richtung des Integrationsprozesses nachzudenken. Mehr Binnenmarkt und weniger Zentralisierung wären für mehr Wachstum erforderlich. Deutschland, das einst ein wichtiger Verfechter des freien Wettbewerbs in der EU war, müsste bei dem kollektiven Umdenken eine führende Rolle spielen.

Buchcover von „Deutschlands fette Jahre sind vorbei: Wie es dazu kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können“. Das Bild illustriert den Kommentar „Wie die EU Deutschland ausbremst“.

Deutschlands fette Jahre sind vorbei: Wie es dazu kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können von Gunther Schnabl. Erschienen im FinanzBuch Verlag.

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