Hat die Demokratie versagt, Herr Rathkolb?
Wer nichts weiß, muss alles glauben, sagt man. Für Demokratien ist Ahnungslosigkeit ein Todesurteil, sagt der Historiker Oliver Rathkolb in der fünften Folge von Alles außer Politik mit Peter Filzmaier.

Oliver Rathkolb hat eine These zu der „nervösen Zeit“ unserer Gegenwart, zu Trump, Putin und zum Erfolg der AfD in Deutschland: Irgendwo und irgendwann in den acht Jahrzehnten Demokratie in Österreich und Deutschland seit 1945 müssen die demokratischen Institutionen ausgelassen haben, bei ihrer Aufgabe, „historisches, kritisches Orientierungswissen“ zu vermitteln.
Alles außer Politik: Peter Filzmaier und Oliver Rathkolb
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Man kann Vergangenheit nicht bewältigen, sie ist Teil unserer Gegenwart. Sie wird auch Teil unserer Zukunft sein.
Oliver Rathkolb, Historiker
Wer nichts weiß, wird zur Beute jener, die aus der Vergangenheit den Giftbecher der Demokratie machen und so die demokratische Zukunft klauen – Trump, Putin und die AfD sind für den Historiker die prominentesten Beispiele für die Macht der Geschichtsverdrehung und der schleichenden Abschaffung von Demokratie. Die besteht nicht lediglich darin Mehrheiten regieren zu lassen, sondern im politischen Aushandlungsprozess. Dieser ist ohne Wissen nicht zu haben. „Wenn ich mir heute die AfD in Deutschland anschaue, muss ich mir schon die Frage stellen: Wo ist die politische Bildung denn geblieben? Hat sie die jungen Menschen nicht erreicht?“, fragt Rathkolb.
Umfragen unter Jugendlichen und Erstwählern zeigten, dass sie Geschichte nicht mehr kritisch sehen. „Sie wollen nichts über den Holocaust hören. Sie wollen nichts über politische Mitverantwortung an der Shoah hören, ganz im Gegenteil.“ Sein Appell: „Ich glaube, wir müssen das Fach neu erfinden. Da wünsche ich mir von der neuen Regierung (in Österreich) mehr, als einfach wieder mal ein neues Fach Demokratiebildung einzuführen, sondern die politische Bildung wirklich auszubauen und zu stärken.“

Über Oliver Rathkolb
Oliver Rathkolb wurde im November 1955 in Wien geboren und wuchs in Gmünd im Waldviertel auf. Als Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien prägte er die Charakterisierung Österreichs als „paradoxe Republik“, deren Genese er in vielen Büchern aufzeigt. Er initiierte zahlreiche Ausstellungen zur Zeitgeschichte, so auch die aktuelle Ausstellung „Kontrollierte Freiheit. Die Alliierten in Wien“ im Wien Museum. Anlässlich dessen gab er dem Pragmaticus ein Interview über die Wirkung dieser Kulturpolitik. Im Interview zeigt er, dass die vier Besatzungsmächte unterschiedlich agierten, und dass der Ansatz der Sowjetunion erstaunlich restaurativ und rückwärtsgewandt war – was sich mit den Interessen der ersten österreichischen Regierung deckte, aber in überraschendem Gegensatz zur Kulturpolitik der KPÖ stand.
Über Peter Filzmaier
Peter Filzmaier stammt aus Wien und ist der Politanalyst des Landes. Die Frequenz seiner Auftritte in den Nachrichtensendungen des ORF kann als Indikator für die Intensität einer politischen Krise dienen. Filzmaier formuliert dann im berühmten Schnellsprech präzise Einschätzungen zur Lage der Parteien und zum Urteil der Wähler. Der Politikwissenschaftler forscht und lehrt ansonsten an den Universitäten Graz und Krems, wo er Professuren für Politische Kommunikation sowie Politikforschung innehat. Und er ist Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien. Alles außer Politik ist der einzige Podcast, in dem er nicht über Politik spricht.
Über Alles außer Politik
In „Alles außer Politik“ vollzieht der Politikwissenschaftler und Polit-Analyst Peter Filzmaier den Drahtseilakt, im Gespräch mit Wissenschaftlern und Experten aus verschiedenen Bereichen alles zu bereden und doch nicht bei der Politik anzustreifen. Gar nicht so leicht. Und doch ein weites Feld: Jeden 3. Donnerstag im Monat Gespräche über Alltag, Leben, Philosophie, Kultur und neue Ideen abseits des Politzirkus.
Wenn Sie mehr hören möchten: Sie finden alle unsere bisherigen Podcasts hier.
Was bisher besprochen wurde
Warum ist Geld so ein Tabu, Herr Felbermayr?
In Österreich redet man nicht über Geld, man veranlagt es auch nicht, sondern trägt es auf‘s Sparbuch. Warum? Peter Filzmaier und Gabriel Felbermayr in „Alles außer Politik“.