Regenerative Landwirtschaft: Nur Greenwashing?

Wer sich nachhaltig geben möchte, es aber nicht sein will, findet im Begriff regenerative Landwirtschaft einen passenden Deckmantel. Analyse eines riskanten Hypes.

Auf einem Stück Land, das sehr trocken ist, findet ein Seminar über regenerative Landwirtschaft statt.
Ein Seminar zum Thema Bodengesundheit der Soil Health Academy in New Mexico im Sommer 2022. Die Academy wurde von einem Vertreter einer ökologisch orientierten regenerativen Landwirtschaft, Gabe Brown, gegründet. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Ganzheitlich. Ursprünglich war regenerative Landwirtschaft ein umfassendes und anspruchsvolles Konzept.
  • Geteilt. Heute existieren verschiedene Auslegungen des Konzepts und seiner Methoden. Nicht alle sind wirklich nachhaltig.
  • Gekapert. Anders als „ökologisch“ oder „biologisch“ ist regenerative Landwirtschaft nicht geschützt und daher anfällig für Greenwashing.
  • Gefahr. Indem Nachhaltigkeit nur suggeriert wird, behindert der Begriff eher die Transformation zu nachhaltigen Landwirtschaftspraktiken.

Nicht zuletzt, weil Konsumentinnen und Konsumenten das so wollen, hat Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft seit einigen Jahren Konjunktur. Zumindest nach außen. Denn nicht überall, wo Nachhaltigkeit draufsteht, ist auch Nachhaltigkeit drin.

Mehr Landwirtschaft

Unter den gerade gehypten Begriffen fällt vor allem die Bezeichnung „regenerative Landwirtschaft“ auf. Kann man den Hype als harmloses kosmetisches Marketing abtun? Aus agrarwissenschaftlicher Sicht nicht: Hinter der Marketingstrategie steckt nämlich zu oft der Versuch, eine Landwirtschaft zu promoten, die alles andere als nachhaltig ist. Das ist nicht harmlos.

Die Kosten dieses Greenwashings zahlen nämlich Gesellschaft, Landwirte und Konsumenten. „Regenerative Landwirtschaft“ ist dabei nur ein weiteres Beispiel eines gekaperten Begriffs. Mit „Agrarökologie“ versucht man seit Jahren Ähnliches.

Vorweg möchte ich festhalten: Es gibt viele seriöse Netzwerke und viele engagierte Landwirte, die mit „regenerativer Landwirtschaft“ viel Gutes für den Boden und die Landwirtschaft erreichen wollen. Doch deren starkes Verständnis von regenerativer Landwirtschaft droht unterzugehen. Denn weder der Begriff noch die eingesetzten Methoden sind verbindlich definiert. Somit gibt es keine öffentliche, unabhängige Kontrolle, und jeder kann behaupten, regenerative Landwirtschaft zu betreiben und damit Nachhaltigkeit suggerieren, wo keine ist. Dieses Greenwashing führt zur Förderung teils fragwürdiger Projekte – besonders bei den internationalen großen Agrarkonzernen aber auch in der Forschung und der landwirtschaftlichen Praxis.

Starke Ursprünge

Regenerative Landwirtschaft ist ein Begriff, der im Öko-Landbau in den USA entstand. Dort existiert auch die einzige wissenschaftliche und handelstechnische Definition und Zertifizierung des Konzepts: Das Label des Rodale Institutes, einem Pionier des ökologischen Landbaus in den USA, nennt sich „regenerative organic“.

Der Politikwissenschaftler Kenneth A. Dahlberg verweist auf das so genannte „Regenerationsprojekt“ des ökologischen Forschungsinstituts, das Bauern und Gemeinden in den USA Anfang der 1980er Jahre dazu ermutigen sollte, den Ansatz zu verfolgen. Der Begriff regenerativ sei von Rodale deshalb gewählt worden, so Dahlberg in einem Beitrag 1994, weil er weniger leicht zu kapern schien als der Begriff nachhaltig. Schon damals war Green Washing offenbar ein Problem.

Die australische Bodenökologin Christine Jones 2003 definiert: „Landwirtschaft ist regenerativ, wenn Böden, Wasserkreisläufe, Vegetation und Produktivität kontinuierlich verbessert, statt lediglich erhalten werden. Dabei nehmen auch Vielfalt, Qualität, Vitalität und Gesundheit von Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen gemeinsam zu.“ Der Ansatz von Jones wird in Deutschland oft als „aufbauende Landwirtschaft“ bezeichnet.

Regenerative Landwirtschaft in Polen: Ein jüngerer Mann befestigt Tomatenstauden in einem offenen Gewächshaus aus Planen in einem großen Garten mit Gemüse und Kräutern.
Ökologische regenerative Landwirtschaft auf der Krakau City Farm in Polen im Sommer 2023. © Getty Images

Die Idee des Verbesserns, die mit dem Konzept der regenerativen Landwirtschaft verbunden ist, findet sich auch in der Enzyklopädie der lebenserhaltenden Systeme von 2010: „Als regenerative Landwirtschaft wird ein Ansatz in der Landwirtschaft bezeichnet, der Pestizide und Kunstdünger ablehnt und dabei die Regeneration des Mutterbodens, die Biodiversität und den Kreislauf des Wassers verbessern soll.“ Diese Definition entspricht nahezu vollständig den Prinzipien des ökologischen Landbaus der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (International Federation of Organic Agriculture Movements), kurz IFOAM.

Zu erkennen ist: Verschiedene Organisationen und Autoren interpretieren regenerative Landwirtschaft heute leicht unterschiedlich und setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Dennoch lassen sich gemeinsame Schlüsselprinzipien feststellen:

  • Erhöhung der Bodenbiologie und -gesundheit
  • Förderung der Biodiversität
  • Verbesserung des Wasserrückhaltevermögens des Bodens
  • Minimierung von Bodenstörungen
  • Integrierte Viehwirtschaft

Auf internationaler Ebene macht man inzwischen allerdings die Beobachtung, dass Konzerne und Entscheidungsträger dann auf die Wortschöpfung „regenerative Landwirtschaft“ ausweichen, wenn sie nachprüfbare Änderungen des Agrarsystems und der Anbauweisen, wie sie im Begriff Ökolandbau gesetzlich definiert sind, vermeiden wollen.

Dies ist unter anderem daran erkennbar, dass Begriffe wie „ökologischer Landbau“ oder „Biolandwirtschaft“ vermieden werden – trotz der wissenschaftlich belegten Vorteile der ökologischen Methoden, die im Einklang mit der von diesen Akteuren angeblich angestrebten Nachhaltigkeit stehen.

Die Distanz hat einen Grund: Anders als die regenerative Landwirtschaft unterliegt der Öko-Landbau gesetzlich geregelten und streng kontrollierten Zertifikaten, Regeln und Prüfkriterien. Im ökologischen Landbau ist zum Beispiel der Einsatz chemisch-synthetischer Düngemittel verboten, ebenso chemisch-synthetische Pestizide, weil diese erwiesenermaßen einer Agrarpraxis, die im Einklang mit der Natur ist, entgegenstehen.

Old Farming, new Framing

Konzerne wie Syngenta übernehmen mit dem Begriff regenerative Landwirtschaft (ein Video zum Thema ist aufschlussreich) einige alternative Methoden – kontinuierliche Bodenbedeckung, pfluglose Bodenbearbeitung, teilweise Zwischensaaten oder Mischkultur –, um zugleich den Einsatz von Pestiziden in einer Präzisionslandwirtschaft zu verankern, die so mit der regenerativen Landwirtschaft verknüpft wird.

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Ökologischer Landbau

  • Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide ist verboten.
  • Bodenbearbeitung erfolgt bodenschonend je nach Bedarf.
  • Weite Fruchtfolge nach Fruchtfolgeregeln mit Zwischenfrüchten ist vorgeschrieben.
  • Die Düngung erfolgt ausschließlich mit organischem Dünger.
  • Tiere: Begrenzung auf zwei Großvieheinheiten zur Vermeidung von Überdüngung.
  • Die Fütterung ist gentechnikfrei, oft mit Futter aus eigenem Anbau.
  • Kontrollen erfolgen einmal jährlich.

Regenerative Landwirtschaft

  • Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide ist ungeregelt.
  • Bodenbearbeitung oft als Mulch- oder Direktsaat, Glyphosat-Einsatz ist möglich.
  • Fruchtfolge ist ungeregelt, Zwischenfrüchte sind häufig, aber nicht vorgeschrieben.
  • Die Düngung ist ungeregelt und kann mit Mineraldünger erfolgen.
  • Obergrenzen für Tiere sind ungeregelt.
  • Die Fütterung ist ungeregelt, daher kann jedes Futter zum Einsatz kommen.
  • Kontrollen erfolgen unregelmäßig.

Cargill, eines der größten Unternehmen der Welt im Bereich Futtermittel, Nestlé und PepsiCo setzen ebenso auf regenerative Landwirtschaft, PepsiCo schaltet dazu aufwändige Advertorials, wie etwa in der Financial Times. 2021 kündigte das Unternehmen an, regenerative Praktiken auf sieben Millionen Hektar einzusetzen, Cargill spricht von zehn Millionen Hektar bis 2030, Nestlé will 1,2 Milliarden Schweizer Franken investieren.

Bei genauerem Hinsehen stellt man immer wieder fest, dass die Ambitionen sich auf eine konservierende Bodenbearbeitung, manchmal in Kombination mit Zwischenfrüchten, beschränken und Pestizid- und Mineraldüngereinsatz beibehalten. Systemische Änderungen sind nicht vorgesehen.

Das Investorennetzwerk FAIRR hat im Herbst 2023 insgesamt 79 börsennotierte Agrifood-Unternehmen auf ihre Nachhaltigkeitsversprechen hin untersucht. Von den 50 Unternehmen, die angaben, dass regenerative Landwirtschaft für sie eine Lösung für Klimawandel und Artensterben sei, hatten zwei Drittel keinerlei quantifizierbare Ziele, lediglich vier Unternehmen nannten ergebnisorientierte Ziele oder konkrete Investitionssummen.

Statt des New Farming, das im Sinne von Klimaschutz und Ernährungssicherheit notwendig wäre, etabliert sich somit ein „New Framing“, das eine große Gefahr für eine ehrliche und effektive Transformation der Landwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit ist.

Regenerative Landwirtschaft light

Die Behauptungen zum Zwecke des Marketings sind nicht folgenlos. Ein Beispiel: Der auch im Öko-Landbau tätige Zertifizierer Control Union bietet mit regenagri landwirtschaftlichen Betrieben und ihren Abnehmern ein Siegel für regenerative Landwirtschaft an. Kriterien sind regenerative Maßnahmen inklusive einer Reduktion des Einsatzes von Pestiziden und Mineraldünger, wobei der vollständige Bewertungskatalog nicht öffentlich zugänglich ist. Zertifiziert sind bisher laut Angaben von Control Union über 250.000 Betriebe, die insgesamt eine Million Hektar Land bewirtschaften, vor allem Baumwollanbau in Indien und der Türkei sowie Kaffee- und Sojaanbau in Brasilien.

Die Control Union wirbt damit, dass Produzenten und Abnehmer, die sich ebenfalls zertifizieren lassen können, die Zertifizierung dazu nutzen können, um öffentliches Vertrauen in die Produkte aufzubauen, und um Zugang zu Umweltbeihilfen und Emissionshandel zu erhalten. Das heißt: Produkte aus zertifiziert regenerativer Landwirtschaft (mit Pestiziden, Mineraldünger und Gentechnik) werden künftig in Konkurrenz zu Bioprodukten treten – und Verbraucher und Verbraucherinnen verwirren sowie das Greenwashing potenziell auf Finanzmärkte und den Emissionshandel ausdehnen.

Es gibt jedoch auch eine Gegenbewegung: Die 2017 in den USA gegründete Regenerative Organic Alliance zertifiziert ebenfalls – einige Hundert Betriebe tragen das Siegel, drei davon in der EU. Die Prinzipien umfassen alle Kriterien des Ökolandbaus bzw. der biologischen Landwirtschaft – inklusive Verzicht auf synthetische Pestizide und Mineraldünger sowie der Integrationn von Viehwirtschaft.

Regenerative Landwirtschaft in Deutschland: Landwirt Hauke Sierck bei einem Obstbaum-Setzling für einen geplanten Agroforst-Anbau. In einem mit einem mobilen Zaun abgesteckten Gehegen scharren Hühner.
Landwirt Hauke Sierck auf Hof Fuhlreit in Schleswig-Holstein. Er arbeitet unter anderem mit Agroforst-Anbau. © Getty Images

Solange regenerative Landwirtschaft nicht einfach nur in ideologischen Pflugverzicht mündet, der nach wie vor in konventionellen Betrieben mit einem hohen Glyphosateinsatz erkauft wird und sogar klimaschädlich sein kann, ist es eine durchaus begrüßenswerte Sache, wenn die Agrarindustrie sich mit Alternativen auseinandersetzt. Ebenso ist es zu begrüßen, wenn sich immer mehr konventionelle Betriebe mit Managementmethoden beschäftigen, die zum Bodenaufbau beitragen können und sich unter einem Begriff zusammenfinden, um diese auszuprobieren und Erfahrungen zu auszutauschen.

Doch der Hype um die „regenerative Landwirtschaft“ trägt bislang wenig dazu bei, das Wissen aus dem Bereich ökologischer Managementtechniken auch in der globalen Konzernlandwirtschaft zu verankern. Für die Entwicklung und Verbreitung regenerativer Techniken, wie zum Beispiel Permakultur oder Agroforst, gibt es allerdings auch innerhalb des Öko-Landbaus selbst noch deutlichen Spielraum nach oben. Um den „regenerativen ökologischen Landbau“ zu fördern, müssten deutlich mehr finanzielle Mittel in Ausbildung investiert werden.

Doch nicht nur in der Ausbildung auch in der Forschung hapert es an zukunftsfähigen Investitionen: In Deutschland fließen beispielsweise bisher nur zwei Prozent der Agrarforschungsmittel in agrarökologische Forschungsfelder, auf europäischer Ebene ist der Beitrag ähnlich gering. Das steht in krassem Gegensatz zum Öko-Aktionsplan auf Europäischer Ebene und den seit Jahren international belegten Fortschrittspotentialen des Öko-Landbaus und agrarökologischer Methoden.

Diese Widersprüche haben eindeutig politische Gründe, denn die Förderung von Anbaumethoden, die ohne den Einsatz synthetischer Düngemittel und Pestizide auskommen, bedrohen das Geschäftsmodell einer riesigen Agrarbranche, die sich auf diese „Betriebsmittel“ spezialisiert hat und damit das Kerngeschäft mächtiger Chemiekonzerne. Das schlägt sich deutlich im politischen Lobbying nieder.

Doch wenn die EU-Kommission ihr 2019 in der Farm to Fork-Strategie formuliertes Ziel von 25 Prozent Öko-Landbau auf der EU-Landwirtschaftsfläche bis 2030 wahr machen will, dann müssten nicht nur 25 Prozent der Forschungsmittel in diese Richtung fließen, sondern auch nichtnachhaltige Agrarmethoden strenger benannt und sanktioniert werden.

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Conclusio

Eine regenerative Landwirtschaft, die die biologische Landwirtschaft als Basis definiert, könnte dazu beitragen, die Produktion von Lebensmitteln noch deutlich nachhaltiger zu machen: im Sinne einer besseren Anpassung an den Klimawandel und damit der Stabilisierung von Erträgen und der Regeneration der Grundlagen der landwirtschaftlichen Produktion, Stichwort Boden. Um dies zu leisten, müsste der Begriff definiert und verlässliche Prüfkriterien entwickelt werden. Außerdem müssten die Defizite im Bereich der Ausbildung als auch im Bereich der Förderungen für ökologische Anbaumethoden ausgeglichen werden.

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