Wird Gentechnik die Welt ernähren?
Die konventionelle Landwirtschaft hat die Erde an den Rand der Katastrophe geführt. Mehr Gentechnik wird dieses Mammutproblem nur verschlimmern, erklärt Bio-Pionier Werner Lampert im Interview.
Dass es in Österreich Bioprodukte im Supermarkt zu kaufen gibt, ist unter anderem dem Engagement von Werner Lampert zu verdanken: Den ersten Biomarkt eröffnete der gebürtige Vorarlberger bereits Anfang der 1980er Jahre; in den 1990er und 2000er Jahren schuf er die beiden erfolgreichsten Biomarken „Ja! Natürlich“ und „Zurück zum Ursprung“. Die konventionelle Landwirtschaft sei von Politik und Konzernen an die Wand gefahren worden, sagt Lampert. Er setzt sich mit seinem Unternehmen Lampert Nachhaltigkeit für Transparenz bei Lebensmitteln und eine Landwirtschaft im Einklang mit Natur ein.
Herr Lampert, was sind die drängendsten Probleme für die Landwirtschaft heute?
Werner Lampert: Das drängendste Problem ist die Erderhitzung, die durch die Landwirtschaft ganz wesentlich befeuert wird. Nach Schätzungen des Weltklimarats haben Lebensmittel einen Anteil von 37 Prozent an den weltweiten Treibhausgasemissionen. Darin sind die Lebensmittelproduktion inklusive der Emissionen aus Land- und Forstwirtschaft, die Produktion von Dünger und Landnutzungsänderungen, wenn etwa Regenwaldflächen für den Anbau von Soja gerodet werden, enthalten. 37 Prozent! Womit hat dieser enorme Anteil zu tun? Natürlich mit der verrückten Viehhaltung, die wir heute in der Landwirtschaft haben. 63 Prozent des Ackerlandes in der Europäischen Union dienen dem Anbau von Tierfutter. Und damit nicht genug: Europa verbraucht außerhalb seiner Grenzen noch einmal eine Fläche von der Größe Deutschlands für den Anbau von Futtermitteln. Das muss man sich einmal vorstellen: 2021 hungerten etwa 828 Millionen Menschen, die Tendenz ist leider wieder steigend, und die EU verfüttert Unmengen von Proteinen an Vieh! Ein weiteres Problem ist die Fruchtbarkeit der Erde: So wie die konventionelle Landwirtschaft mit dem Boden umgeht, führt sie uns in eine ganz große Katastrophe, weil wir die Fruchtbarkeit des Bodens systematisch minimieren – durch den Einsatz von Kunstdünger und Giften, durch Verdichtung, den Verlust an Humus. Ohne fruchtbare Erde gibt es aber keine Ernährung, gibt es keine Menschen auf dieser Welt. Der Verlust des Humus ist zur gleichen Zeit verbunden mit CO2-Emissionen. Umgekehrt hat nichts so großes Potential wie die Land- und Forstwirtschaft, CO2 im Boden zu binden. Wenn wir jedes Jahr nur 0,4 Prozent Humus aufbauten, könnte der menschliche CO2-Ausstoß gepuffert werden, ein unglaubliches Ausmaß.
Die neue Gentechnik gilt als Maßnahme gegen den Ertragsverlust durch den Klimawandel. Welche Möglichkeiten hat die Landwirtschaft aus Ihrer Sicht, sich an den Klimawandel anzupassen?
Entweder wird die Landwirtschaft Methoden finden, mit der Erderhitzung umzugehen, oder die Erderhitzung wird die Landwirtschaft auslöschen. So einfach ist das. Elementar wird der Humusaufbau sein, denn Humus speichert nicht nur CO2, sondern auch viel Wasser und kann dieses schneller aufnehmen. Gleichzeitig liefert fruchtbare Erde mehr Ertrag. Mischkulturen, wie etwa Agroforst, und die Rückkehr zu alten robusten Sorten sind ebenfalls wirksame Maßnahmen.
Wenn Sie den Klimawandel, den Ukraine-Krieg, die Energiekosten und die Düngemittel-Knappheit betrachten, steht die Landwirtschaft gerade an einem Scheideweg?
Ja, definitiv.
In welche Richtung geht es?
Was im Moment in der Welt und in Europa passiert, beeinträchtigt die Landwirtschaft massiv, und es beeinträchtigt vor allem das Konsumverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten. Denn wenn die Preise um 20 bis 30 Prozent steigen, wenn die Energiekosten nur so davontraben, werden viele Menschen genau rechnen müssen, was sie sich leisten können, und sie greifen natürlich zu den billigsten Lebensmitteln. Das sind die, die am katastrophalsten für diese Welt und den Bestand dieses Planeten sind. Damit werden wir jetzt leben müssen, und ich denke, es wird zwei bis drei Jahre dauern, die wir durchtauchen und überstehen müssen. Aber wir werden diese zwei bis drei Jahre nutzen, um Bio noch besser und nachhaltiger zu machen. Zu Bio gibt es keine Alternative.
Biologische Landwirtschaft heißt auch, kein gentechnisch verändertes Saatgut und keine gentechnisch veränderten Futtermittel einzusetzen. Was ist für Sie der gewichtigste Einwand gegen einen Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen im biologischen Landbau?
Ich sehe nicht, dass die Gentechnik irgendein Problem der Landwirtschaft löst. Ich habe es in den 1990er Jahren erlebt. Als die erste Gentechnik in die Landwirtschaft Einzug hielt, wurde versprochen, wir bräuchten dadurch viel weniger Dünger, viel weniger Gift auf den Äckern, die Erträge würden stabiler. Das Ergebnis war: die Erträge waren nicht stabil, es wurde weit mehr Kunstdünger verwendet als vorher, und es wurden weit mehr Pestizide eingesetzt. Das Versprechen hielt keinen Moment. Es war nichts als Propaganda. Jetzt kommt die neue Gentechnik, wieder haben wir keine Erfahrung, wie die Pflanzen reagieren, wie das Umfeld der Pflanzen reagiert. Das Hauptproblem der Menschen neben der Erderhitzung ist der Biodiversitätsverlust, und diese neue Gentechnik zielt darauf ab, Biodiversität zu reduzieren, sie zu manipulieren, sie zu zerstören. Wenn wir Lebensmittel aus einer intakten Umwelt haben wollen – das ist ein Versprechen der biologischen Landwirtschaft – hat Gentechnik keinen Platz, das ist ganz klar.
Zahlen & Fakten
Das Problem mit dem Saatgut
- Genetische Verarmung: Eine der Ursachen für den Verlust an Vielfalt bei den Kulturpflanzen ist die Kommerzialisierung der Züchtung und des Saatguts seit dem 19. Jahrhundert. Die von Landwirten gezüchteten, regional spezifischen Landsorten verschwanden zugunsten einiger weniger genetisch einheitlicher Sorten, die für große Flächen und maschinelle Verarbeitung geeignet sind und gut auf Kunstdünger ansprechen.
- Abhängigkeit von Pestiziden: Die Vereinheitlichung der Pflanzen ging mit Monokulturen einher und führte zu Pflanzen und Anbaumethoden, die aufgrund ihrer Auslegung und ihrer Anfälligkeit für Krankheiten einen hohen Dünger- und Pestizidbedarf haben.
- Trügerischer Erhalt: Um die genetische Vielfalt zu bewahren, werden Saatgut-Banken angelegt. Weil das Saatgut allerdings nur zur Verjüngung ausgesät und vermehrt wird, ist keine dynamische Weiterentwicklung dieses Saatguts im Austausch mit (veränderlichen) Umweltbedingungen möglich, zudem steht das genetische Reservoir auch zur kommerziellen Weiterentwicklung von Saatgut zur Verfügung.
- Eigentum und Patente: Seit den 1980er Jahren findet eine Konzentration auf dem Agrarsektor statt, die von Zusammenschlüssen von Chemieunternehmen mit Saatgut-Produzenten ausging. Heute beherrschen drei Konzerne – Bayer-Monsanto, Syngenta und Corteva (DuPont-Dow) 60 Prozent des globalen Marktes für Saatgut und auch den globalen Markt für Dünger und Pestizide. Den Unternehmen gelingt es immer häufiger, bestimmte Genabschnitte patentieren zu lassen, etwa Gensequenzen aus der Wildtomate oder von Brokkoli. Die Patente sind umstritten und werden rechtlich bekämpft, da mit der Patentierung die Züchtung und der Anbau aller Pflanzen, die den nunmehr patentierten Genabschnitt enthalten, verboten wären.
Befürworter der sogenannten neuen Gentechnik sagen, dass man die so entstehenden Pflanzen nicht von klassischen Züchtungen unterscheiden kann. Können Sie dem Argument etwas abgewinnen?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Saatgutkonzerne erklären uns, dass die neue Gentechnik, CRISPR/Cas, eigentlich dasselbe Verfahren wie der normale züchterische Vorgang sei. Doch diese Wissenschaft hat die Landwirtschaft in diese Katastrophe geführt, in der sie heute ist. Die konventionelle Landwirtschaft ist mit viel Macht und Geld – im Übrigen aus unseren Steuermitteln – an die Wand gefahren worden. Nicht nur bei den Pflanzen: Dass eine Kuh 14.000 bis 18.000 Kilogramm Milch im Jahr geben muss und nach einer oder zwei Laktationen kaputt ist, ist die Leistung eben dieser Wissenschaft. Im Bio-Bereich gibt es ein Postulat, das in der Vergangenheit verloren ging, aber wieder aufzuleben beginnt, und das ist wichtig: Dass wirklich Bäuerinnen und Bauern im Besitz des Saatguts und des Wissens sind, wie man Saatgut vermehrt. Dass sie ihr Saatgut selbst produzieren können, das ist eigentlich die Grundbedingung einer biologischen Landwirtschaft, das ist die Grundbedingung einer Landwirtschaft schlechthin. Und das wird natürlich mit der CRISPR/Cas-Methode zerstört. Das ist erneut eine Enteignung der Bäuerinnen und Bauern, es wird ihnen wieder ein Produktionszweig, etwas, das zu ihnen ursächlich gehört, genommen.
Auch CRISPR/Cas ist aus Ihrer Sicht konventionelle Gentechnik?
Ja, CRISPR/Cas ist ein Verfahren der Gentechnik wie die alten auch. Auch früher sprach man davon, dass die Eingriffe ins Erbgut präzise seien. Die Auswirkungen sind aber wieder nicht abschätzbar. Für mich gibt es daher auch keinen Grund, warum die Produkte nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssten. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen wissen, ob sie ein gentechnisch verändertes Produkt in Händen halten. Der europäische Gerichtshof darf da nicht schwach werden, das wäre schrecklich. Es wäre eine Manipulation und ein schwerer Schlag gegen die Bio-Landwirtschaft.
Ist eine Gentechnik vorstellbar, die mit biologischem Landbau vereinbar ist?
Nein.
Es wäre doch aber eine Möglichkeit, schnell neue Sorten zu entwickeln, indem man etwa auf die Wildformen zurückgeht?
Für einen biologischen Landbau ergibt Gentechnik keinen Sinn: Wir setzen keine synthetischen Pestizide und kein Gift ein. Was die Bio-Landwirtschaft braucht, sind Pflanzen, die an ihren Standort angepasst sind. Und das lässt sich problemlos mit traditionellen Zuchtmethoden erreichen, wenn die Landwirtinnen und Landwirte selbst über das Saatgut bestimmen. Es war ja unter anderem Gentechnik, die dafür gesorgt hat, dass die genetische Vielfalt verloren ging. Sie hat erst diese Sorten hervorgebracht, die jetzt ein Problem sind. Schöpfen wir lieber aus der noch vorhandenen Biodiversität, statt sie zu manipulieren.
Genschere: Züchtung im Zeitraffer
Durch den Krieg in der Ukraine wurde vielen erst die Abhängigkeit von globalen Lieferketten auch bei den Lebensmitteln bewusst. Wie erleben Sie die derzeitige Debatte um Ernährungssicherheit?
Die Politik hat in den letzten Jahrzehnten alles dazu getan, die lokale Ernährungssouveränität zu zerstören und den Konsumentinnen und Konsumenten vorgetäuscht, dass es kein Problem sei, wenn von überall auf dieser Welt Lebensmittel herkommen, wir müssten Lebensmittel sogar von dort beziehen, wo sie am billigsten sind. Die Ernährungssicherheit vor Ort wurde nicht mehr wertgeschätzt. Jetzt erleben alle, was Ernährungssouveränität eigentlich heißt: Schon seit bald 20 Jahren zeigt unser Unternehmen, welch hohes Gut die regionale Landwirtschaft ist. Dort, wo man wohnt, dort, wo das eigene Leben sich abspielt, von da müssen auch die Lebensmittel kommen. Wir dürfen das Recht nicht aus der Hand geben, selbst zu bestimmen, wie Landwirtschaft betrieben wird, wie Lebensmittel produziert werden. Das Selbstbestimmungsrecht ist Teil der Ernährungssouveränität.
Bereits kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges wurde die Forderung laut, nun die Biodiversitätsflächen aufzugeben, den Anteil der Biolandwirtschaft nicht über 25 Prozent hinausgehen zu lassen, weil deren Erträge zu gering seien und eben Gentechnik auf dem Acker zuzulassen, weil das die Erträge steigert.
Es gibt leider Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen Tunnelblick haben und umfassende Erkenntnisse nicht zulassen. Um die Probleme zu lösen, braucht es keine Gentechnik! CRISPR/Cas sehe ich als die neue Eskalationsstufe. So wie Putin seine Kriege führt, geht es in der Landwirtschaft zu. Jedes Jahrzehnt gibt es neue Eskalationen in der Landwirtschaft. Die letzte Stufe der Eskalation ist die Gentechnik, weil wir hoffen, dass wir dann alles so lassen können, wie es ist: Wir richten das Leben in den Böden, die Fruchtbarkeit, den Humus zu Grunde. Wir zerstören die Biodiversität, obwohl sie unsere Lebensgrundlage ist. Ohne Biodiversität gibt es aber keine frische Luft, kein gesundes Wasser, gibt es kein Leben auf dieser Erde. Wir zerstören also die Biodiversität und ersetzen sie durch Gentechnik. Das sind die Eskalationsstufen, in die wir hineingehen. Und ich bin gespannt, was nach dieser Gentechnik kommt, denn CRISPR/Cas wird die Probleme der Landwirtschaft nicht lösen, so wie die alte Gentechnik es nicht konnte. Wir sollten uns stattdessen überlegen, wie die Landwirtschaft transformiert werden kann, dass sie wieder produktiv ist, ohne zu zerstören. Dazu brauchen wir keine Gentechnik.
Landwirtschaft: Zeit für Plan B
Findet aus Ihrer Sicht gerade eine Art Backlash gegen die Bio-Landwirtschaft statt?
60 Jahre habe ich mit der Bio-Landwirtschaft zu tun, ich habe das einige Male erlebt. Es ist für die Chemiekonzerne und Saatgutproduzenten ein wirkliches Desaster, dass die biologische Landwirtschaft langsam so stark wird, und die Konsumentinnen und Konsumenten immer mehr auf Bio reflektieren. Also versucht man wieder einmal, Bio schlecht zu machen, Bio zurückzudrängen. Ich denke, dass wir jetzt in einer Zeit leben, wo Bio es sehr schwer haben wird. Umso wichtiger ist es, dass Bio zum Synonym für nachhaltige Landwirtschaft wird. Wir sind auf dem Weg dahin. Denn: Es wird auf diesem Planeten keine Zukunft für uns Menschen geben, wenn wir es nicht schaffen, unsere Lebensmittel nachhaltig zu produzieren und nachhaltig mit diesem Planeten umzugehen. Diese Schläge, die wir jetzt bekommen, müssen wir dazu nutzen, noch einmal klarer den Kern von Bio zu festigen, ihn herauszuschälen. Bio verbunden mit Nachhaltigkeit gehört die Zukunft, es gibt keine Alternative für Bio. Es gibt keine. Die industrialisierte Landwirtschaft ernährt die Welt nicht. 56 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion weltweit wird von Familienbetrieben aufgestellt. 98 Prozent der Betriebe sind kleinbäuerliche Betriebe – das darf man nie vergessen. Wenn wir von der industrialisierten Landwirtschaft sprechen, sprechen wir von einer durchkapitalisierten Landwirtschaft, aber nicht von der Lebenswirklichkeit, in der Menschen leben und nicht von der Landwirtschaft, die die Menschen ernährt.