Die Zukunft heißt Soja
Europa will verstärkt auf den Anbau von Soja setzen. Und Angela Sessitsch schafft mit dem Projekt „Microbiomes4Soy“ die Voraussetzungen dafür.
Als Angela Sessitsch vor rund 25 Jahren mit ihrer Forschungsarbeit begann, war sie eine Vorreiterin. Wenn sie ihre Arbeit auf Konferenzen präsentierte, kam es durchaus vor, dass sie von Kollegen schief beäugt wurde. „Als ich damals meine Dissertation gemacht habe, war es wissenschaftlicher Konsens, dass jede gesunde Pflanze steril ist“, erzählt Sessitsch.
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Sie konnte zeigen, dass das eine überholte Vorstellung ist. „In meinen ersten Forschungsprojekten ging es eigentlich nur darum, zu zeigen, dass auch in der Pflanze Mikroorganismen gibt und dass die dort natürlich auch etwas tun.“ Heute würde das niemand mehr bezweifeln. Und die Biochemikerin Sessitsch forscht mittlerweile am Austrian Institute of Technology (AIT), ist eine der meistzitierten Wissenschaftlerinnen Österreichs und leitet seit kurzem ein Forschungsprojekt mit 17 Partnern in zehn Ländern, indem es um das Mikrobiom der Sojabohne geht.
Bakterien und Viren – aber gute
Unter Mikrobiom versteht man die Gesamtheit aller Mikroorganismen – Bakterien, Viren, Pilze, Archaeen und Protozoen – auf oder in einem größeren Organismus. Auch wenn das jetzt erstmal beängstigend klingt, weil man Viren und Bakterien hauptsächlich im Zusammenhang mit Krankheiten kennt: Das Mikrobiom will nichts Böses. Im Gegenteil. „Heute wissen wir, dass eine sterile Pflanze nicht überleben könnte. Und der Mensch könnte es ohne das Mikrobiom wahrscheinlich auch nicht.“ Mikrobiome gibt es eigentlich überall: Im Boden, in den Pflanzen, auf unserer Haut und, vielleicht am bekanntesten, in unserem Darm – es ist der Grund, warum die Kühlregale der Supermärkte voll mit probiotischen Joghurts sind.
Die EU will politisch unabhängiger werden, was die Eiweißversorgung angeht.
Angela Sessitsch
Das Mikrobiom, egal wo, ist in ständiger Veränderung. Probiotische Joghurts führen der Darmflora Bakterienstämme zu, die das Mikrobiom im Darm verbessern sollen. Und etwas Ähnliches versucht Sessitsch in ihrem aktuellen Projekt auch mit der Sojapflanze: Das Mikrobiom der Sojapflanze zu verbessern, indem es durch Zugabe anderer Mikroorganismen verändert wird – „Microbiomes4Soy“ eben, wie das von der Europäischen Kommission finanzierte Projekt heißt.
Soja ist das neue Fleisch
Aber warum ist das notwendig? Letzten Endes, weil wir zu viel Fleisch essen. Im Rahmen des Green Deal will die EU bis 2050 klimaneutral werden, und unsere Ernährung ist ein großer Faktor dabei. Ein Drittel der gesamten Emissionen in der EU ist auf Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion zurückzuführen. Und dafür ist vor allem die Fleischproduktion verantwortlich. Der Plan lautet also: Weg vom tierischen Eiweiß.
Das stellt die EU aber auch vor ein Problem: Denn aktuell ist Europa stark beim Getreideanbau, aber nicht bei der Produktion von pflanzlichem Eiweiß. „Die EU will politisch unabhängiger werden, was die Eiweißversorgung angeht“, erklärt Sessitsch. Eine Pflanze, die helfen soll, alle diese Sorgen verschwinden zu lassen, heißt Soja. Neben ihrer Rolle als Eiweißproduzent hat sie auch noch einen anderen Vorteil: „Soja ist eine ideale Pflanze, weil sie eine Leguminose ist und deshalb Stickstoff aus der Luft aufnehmen und der Pflanze zur Verfügung stellen“, erklärt Sessitsch. Das bedeutet: Es muss kein oder zumindest viel weniger Stickstoffdünger zugesetzt werden – denn der ist alles andere als nachhaltig.
Allerdings, ganz so einfach ist die Sache natürlich auch wieder nicht. Die Anbaubedingungen für Sojaanbau in Europa sind gut, aber noch lange nicht ideal. „Am Anfang kann Kältestress ein Problem werden, zum Beispiel wenn es im Mai – wo Soja angebaut wird – noch Frost gibt, was in Österreich passieren kann. Im südlichen Teil von Europa ist eher das Problem, dass im Sommer die Hitze zu groß werden könnte.“ Da kommen jetzt Sessitsch und das Mikrobiom ins Spiel: „Grundsätzlich geht es bei unserem Projekt darum, wie man pflanzenassoziierte Mikroorganismen nutzen kann, um die Stressresilienz zu verbessern.“ Das Mikrobiom der Sojabohne also so zu stärken, dass ihr Kälte und Hitze weniger schaden.
Mikroorganismen statt der Genschere
Konkret sieht das so aus, dass der Pflanze Mikroorganismen in der Hoffnung beigesetzt werden, sie resilienter zu machen. „Bei einem probiotischen Joghurt ist es insofern einfacher, weil man es täglich essen kann und weil das Darmmikrobiom wesentlich weniger komplex ist als ein Bodenmikrobiom.“ Dazu kommt, dass nicht immer vorherzusagen ist, wie Mikroorganismen miteinander agieren – und damit ist oft unklar, ob die Beisetzung eines bestimmten Mikroorganismus auch wirklich den Effekt hat, den sich die Forscherinnen und Forscher erhoffen.
Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn wir sinnvoll mit gentechnisch veränderten Pflanzen umgehen könnten.
Angela Sessitsch
Deshalb ist vieles in gewisser Weise Versuch und Irrtum: „Wir testen das zuerst in Glashausversuchen und dann in Feldversuchen“, sagt Sessitsch – denn es ist nicht gesagt, dass sich die Pflanze im Versuch und im Feld gleich verhält. Und die Resilienz ist nicht das Einzige, das optimiert werden soll: „Wir versuchen so auch die Wertigkeit von Soja zu verbessern – also Vitamingehalt und Proteingehalt und so weiter.“
Das klingt ein wenig so, als würde das Mikrobiom die Rolle der Gentechnik zu übernehmen: Weil gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU verboten sind, versucht man den Umweg über das Mikrobiom zu gehen. „Sagen wir mal so“, sagt Sessitsch: „Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn wir sinnvoll mit gentechnisch veränderten Pflanzen umgehen könnten.“ Vor allem, seit es die Genschere Crispr/Cas9 gibt, durch die „wirklich ganz kleine Veränderungen, die auch im Zuge einer Evolution vollkommen normal wären“, möglich wären. „Aber man braucht natürlich auch die Akzeptanz der Bevölkerung.“
Als der Hummus die Supermärkte eroberte
Ein gutes Stichwort. Denn selbst wenn es gelingt, die Sojabohne durch ihr Mikrobiom zu optimieren. Machen die Konsumenten den Plan der EU überhaupt mit? Ist Soja statt Schnitzel tatsächlich die Zukunft? Angela Sessitsch ist sich dessen sicher: „Schauen Sie in die Supermärkte. Da gibt es unzählige Sojaprodukte, Hummus aller Art und so weiter. Das war früher nicht so, da wurden Vegetarier als Exoten gesehen, die sich rechtfertigen mussten.“ Heute sei das ganz anders: „Ich würde sagen, dass wahrscheinlich ein Drittel unserer Studentinnen und Studenten vegetarisch oder sogar vegan lebt.“
Sie glaubt, dass Leguminosen wie Soja, Linsen oder Kichererbsen in unserer Ernährung in den nächsten Jahren massiv an Bedeutung zunehmen werden. Und auch einen anderen Trend prophezeit sie, der auch mit der Forschung rund um das Mikrobiom zu tun hat: „Es wird in Richtung Precision Nutrition oder Personalized Nutrition gehen“, sagt Sessitsch. „Weil jeder was anderes braucht. Jeder hat einen anderen Stoffwechsel, jeder hat ein anderes Mikrobiom.“ Je mehr wir um das Mikrobiom wissen, desto besser werden wir verstehen, welche Lebensmittel jemand verträgt, und vielleicht sogar, wann er sie zu sich nehmen sollte oder in Kombination mit welchen anderen Lebensmitteln.
Der gescheiterte Mikrobiom-Test
Es gibt sogar jetzt schon Unternehmen, die einen Mikrobiom-Test anbieten. „Leider sind die noch nicht sehr zuverlässig. Wir kennen Leute, die haben das bei drei Anbietern getestet und haben jeweils ganz unterschiedliche Ergebnisse bekommen“, erzählt sie. „Aber in diese Richtung geht es. Wir wissen ja, dass das Darmmikrobiom nicht nur für die Verdauung wichtig ist, sondern sogar auch bei psychischen Erkrankungen.“
Das Mikrobiom ist mittlerweile nicht nur im wissenschaftlichen Mainstream angekommen, es entwickelt sich heute zu einem großen Business und ist einer der zukunftsträchtigsten Forschungszweige. Und einige jener, die damals noch zweifelten, arbeiten heute im selben Feld wie Sessitsch.
Über diese Serie
Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast beim „Austrian Space Weather Office“ in Graz, bei Markus Hengstschläger, der gerade an Embryoiden forscht, beim ISTA in Klosterneuburg, wo Francesco Locatello an kausaler KI forscht und im Naturhistorischen Museum, wo am Bestand der Blatthornkäfer geforscht wird, bei Elisabeth Mertl vom OFI, die daran forscht, wie Tierversuche in Zukunft vermieden werden können sowie bei Peter Turchin, der glaubt, dass die Geschichte mathematischen Regeln folgt, anhand derer sich die Zukunft vorhersagen lässt.