Regierungsprogramm richtet Bundesheer neu aus
Das neue Regierungsprogramm setzt einen Fokus auf die Zusammenarbeit des Heers im europäischen Verbund. Doch der existiert nicht, weshalb die Streitkräfte ziemlich alleine dastehen würden.

Vor etwas mehr als drei Jahren hat der russische Angriff auf die Ukraine den Krieg zurück nach Europa gebracht. Im Rahmen hybrider Kriegsführung finden täglich Angriffe auf das europäische und österreichische politische System sowie die Grundwerte unseres Zusammenlebens statt. Das internationale System zerbröckelt immer rasanter, nicht zuletzt durch einen US-Präsidenten Trump, der die transatlantischen Beziehungen nicht nur in Frage stellt, sondern aktiv zerstört. Die kommenden Jahre werden daher reich an Konflikten und auch Österreich muss folglich seine Landesverteidigung stärken, mit anderen Worten, wehrhafter werden.
Mit dem Koalitionsübereinkommen „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich.“, haben sich die Regierungsparteien ÖVP, SPÖ und NEOS im Bereich der Landesverteidigung ein ambitioniertes Programm zusammengestellt. Dessen Umsetzung wird allerdings insofern spannend werden, da damit nicht nur eine radikale Kehrtwende in der Ausrichtung der Streitkräfte einhergeht, sondern auch Entscheidungen auf EU-Ebene sowie verfassungsrechtliche Änderungen erforderlich sein werden und schließlich selbst der Budgetpfad in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2032 für die angesprochenen Investitionen vermutlich nicht ausreichen wird.
Neue verteidigungspolitische Ausrichtung
Das Regierungsprogramm äußert ein klares Bekenntnis zu einer europäisch verankerten Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aktives Engagement ist genauso beabsichtigt wie gemeinsame Fähigkeitsentwicklungen und Beschaffungen. Daher soll in der nächsten Legislaturperiode der Schwerpunkt der Landesverteidigung im (europäischen) Ausland liegen, mit einer wesentlichen Rolle von EU und OSZE. So heißt es im Regierungsprogramm: „Österreichs Sicherheitsinteressen sind primär an der europäischen Peripherie gefährdet. Zur Krisenbewältigung an den europäischen Außengrenzen und darüber hinaus strukturiert Österreich für die Aufgaben der GSVP seine Streitkräfte in hochmobilen und EU-interoperablen Einheiten, insbesondere als Beitrag zur GSVP.“
Damit würde das Bundesheer neu ausgerichtet werden. Denn das 2020 durch Verteidigungsministerin Tanner beschlossene Streitkräfteprofil „Unser Heer“, auf das der Aufbauplan ÖBH 2032+ ausgerichtet ist, sieht den Schwerpunkt auf der militärischen Landesverteidigung im Inland vor. Das würde nicht nur eine fundamentale Wende in der Ausrichtung des Bundesheeres bedeuten, sondern auch weitreichende europäische Entscheidungen erfordern.
Das Bundesheer könnte mit seiner Ausrichtung in die 2010er Jahre zurückversetzt werden.
Jedoch sehen die meisten europäischen Staaten die Zuständigkeit der Verteidigung bei der NATO. Österreich läuft damit Gefahr, seine Streitkräfte auf eine derzeit nicht-existente europäische Verteidigung auszurichten.
Und doch bleibt ein großes Fragezeichen, welche Gestalt diese Neuausrichtung konkret annehmen soll. Denn der zweite Halbsatz „[…] Österreich [strukturiert] für die Aufgaben der GSVP seine Streitkräfte in hochmobilen und EU-interoperablen Einheiten, insbesondere als Beitrag zur GSVP“, könnte auch meinen, dass die Ausrichtung des Bundesheeres auf das internationale Krisenmanagement umgedreht wird. Das wäre eine gravierende Zäsur: Das Bundesheer würde in seiner Ausrichtung in die 2010er Jahre zurückversetzt werden und sich auf das internationale Krisenmanagement beschränken, obwohl sich die faktischen Umstände seit damals doch deutlich verändert haben.
Aufbau ohne Plan?
Betrachtet man die oben angeführte neue verteidigungspolitische Ausrichtung, ist die geforderte Evaluierung und Anpassung des sich derzeit in der Umsetzung befindlichen Streitkräfteprofils „Unser Heer“ und des Aufbauplans ÖBH 2032+ naheliegend, allerdings mit einer immensen rüstungspolitischen und militärstrategischen Sprengkraft verbunden:
So soll die im September 2024 durch die Bundesregierung beschlossene Österreichische Sicherheitsstrategie überarbeitet und dem Parlament vorgelegt werden. Aufbauend auf diese soll eine „militärische Teilstrategie“ erstellt werden. Die Erstellung und der Beschluss dieser Dokumente erfordern allerdings Monate bzw. Jahre.
Damit könnte es, angesichts der sich derzeit rapide verschlechternden internationalen Lage und der Zunahme an Kriegen und Konflikten, zu einer fatalen Planungs- bzw. Umsetzungslücke im Bundesheer kommen. Sollte die Evaluierung des Aufbauplans auf Grundlage der geplanten „militärischen Teilstrategie“ und eines neuen Streitkräfteprofils erfolgen, würde dies zu einer Verzögerung wesentlicher Beschaffungen von mindestens zwei Jahren und damit einem Großteil der Regierungsperiode kommen.
‚Sky-Shield‘ und die Nachfolge der Eurofighter sind nicht berücksichtigt und würden zusätzliche Mittel erforden.
Hinzu kommt, dass nach dem Streitkräfteprofil „Unser Heer“ grundsätzlich die gleichen Verbände die Kontingente für den Auslandseinsatz abdecken, die auch für die militärische Landesverteidigung Österreichs erforderlich sind. Das Regierungsprogramm sieht hingegen Investitionen in „Strukturen und Systeme, die für Auslandseinsätze […] benötigt werden“ vor und damit die Schaffung eigener Verbände und Systeme ausschließlich für den Auslandseinsatz. Das würde wiederum zu einem „Zwei-Klassen-Bundesheer“ führen.
Schließlich werden aber auch konkrete Beschaffungen im Bereich der Luftverteidigung angesprochen, die durch den derzeitigen Aufbauplan nicht abgedeckt sind. Konkret sind das die Beschaffungen im Bereich der bodengebundenen Luftabwehr großer Reichweite (im Regierungsprogramm „Langstrecken-Luftabwehrraketensystemen“ genannt und Teil der bekannten „Sky-Shield“ Initiative) und die Entscheidung zur Nachfolge des Eurofighters. Beide Beschaffungen sind im Aufbauplan und dem Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz (LV-FinG) nicht berücksichtigt und würden zusätzliche Mittel für die Landesverteidigung erfordern.
Personal, Personal, Personal
Nicht weniger als 48 Punkte und Unterpunkte sprechen Maßnahmen im Personalbereich an. Dass das Thema Personalgewinnung eine wesentliche Herausforderung für die Einsatzbereitschaft des Bundesheeres darstellt, ist unbestritten. Zusätzlich zu den massiven Pensionsabgängen in den kommenden Jahren – Stichwort: Babyboomer – konnte bereits in den vergangenen Jahren die personelle Nährrate nicht erreicht werden. Das Bundesheer läuft damit Gefahr, in den kommenden Jahren zwar eine ausreichende Ausrüstung zu besitzen, aber kein Personal, das diese Systeme bedienen kann.
Politisch heikle Maßnahmen, die jedoch die Einsatzbereitschaft des Bundesheeres nachhaltig verbessern würden, wie zum Beispiel die Wiedereinführung der Truppenübungen für befristet beorderte Milizsoldaten oder die Verlängerung des Grundwehrdienstes, sind nicht vorgesehen.
Ceterum censeo neutralitatem esse servandam
In Abwandlung des Cato dem Älteren zugeschriebenen Ausspruchs, dass seiner Meinung nach Karthago zerstört werden müsse, schließt das Kapitel Landesverteidigung mit einem Bekenntnis zur verfassungsrechtlichen Neutralität. Dabei heißt es auch: „Österreich arbeitet aktiv an der Weiterentwicklung der GSVP und der Sicherheitspolitik internationaler Organisationen und leistet einen militärischen Solidarbeitrag.“
Nur, wie soll dieser „Solidarbeitrag“ aussehen? Während der militärische Solidarbeitrag im internationalen Krisenmanagement (im Rahmen der GSVP oder anderer Internationaler Organisationen) außerhalb des Unionsgebietes von den derzeitigen verfassungsrechtlichen Grundlagen gedeckt ist, bräuchte es für Einsätze des Bundesheeres auf dem Unionsgebiet eine Anpassung des Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG). Das Regierungsprogramm sieht eine Anpassung des „Entsenderegime“ in diesem Gesetz vor. Dazu braucht es jedoch die Zustimmung einer der beiden Oppositionsparteien und eine derartige Änderung würde sich wohl im Spannungsverhältnis (europäische) militärische Solidarität und Neutralität bewegen.
Fazit
Das Kapitel Landesverteidigung im Regierungsprogramm wirkt weniger wie ein durchdachtes Gesamtkonzept als vielmehr eine Zusammenstellung einzelner Parteiforderungen. Eine klare strategische Vision fehlt, was die Umsetzung erheblich erschweren dürfte. Eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik hätte weitreichende Konsequenzen für die Streitkräfteentwicklung. Während andere europäische Staaten verstärkt in Landes- und Bündnisverteidigung investieren, könnte Österreichs Bundesheer wieder stärker auf internationales Krisenmanagement ausgerichtet werden. Dies könnte laufende Beschaffungsprozesse ins Stocken bringen und in einer zunehmend unsicheren globalen Lage zu gefährlichen Planungslücken führen.