Mit Sicherheit politisch

Österreichs veraltete Sicherheitsstrategie wird neu ausgearbeitet. Damit die Strategie nicht zum Rohrkrepierer wird, ist parteiübergreifende Zusammenarbeit gefragt.

Pilatus PC-6 / B2-H2 Turbo Porter des Österreichischen Bundesheeres während der Airpower 2022 Flugshow in der Kaserne Fliegerhorst Hinterstoisser am 2. September 2022 in Zeltweg. Das Bild illustriert einen Artikel zur Österreichischen Sicherheitsstrategie.
Pilatus PC-6 / B2-H2 Turbo Porter des Österreichischen Bundesheeres während der Airpower 2022 Flugshow in der Kaserne Fliegerhorst Hinterstoisser am 2. September 2022 in Zeltweg. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zeitenwende. Die veränderte internationale Ordnung und die Krisen der letzten Jahre machen es notwendig, eine neue Sicherheitsstrategie auszuarbeiten.
  • Der Fahrplan. Alle österreichischen Parlamentsparteien beteiligen sich an diesem Prozess. Die Strategie soll bis zum Ende der Legislaturperiode fertig sein.
  • Herausforderung. Die Neutralität muss mit einer vertiefenden europäischen Solidarität vereinbart werden.
  • Politisches Gewicht. Damit die neue Österreichische Sicherheitsstrategie mehrere Legislaturperioden überdauert, braucht es eine breite politische Zustimmung.

Russland ist ein wesentlicher sowie strategischer Partner für die EU und Österreich. Die NATO konzentriert sich statt auf Bündnisverteidigung auf das internationale Krisenmanagement. Ein Blick in die Tageszeitungen lässt diese Aussagen ziemlich veraltet wirken und dennoch sind sie Teil der derzeit noch gültigen Österreichischen Sicherheitsstrategie.

Neben den oben angeführten Aussagen umfasst das zentrale strategische Dokument der Republik Österreich, noch weitere Aussagen, die obsolet geworden sind. Das ist auch nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass diese Strategie in den Grundzügen vor mehr als vierzehn Jahren entworfen wurde. 2011 würde die „Österreichische Sicherheitsstrategie – Sicherheit in einer neuen Dekade“ durch die Bundesregierung beschlossen, am 3. Juli 2013 folgte der Entschließungsbeschluss des Parlaments.

Eine ereignisreiche Dekade

Die derzeitige Österreichische Sicherheitsstrategie wurde vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise geschrieben. Seit dieser Krise hat sich die Welt massiv verändert. Die vergangene Dekade war hochdynamisch. Ein Dreivierteljahr nach dem Parlamentsbeschluss besetzte Russland die Krim, der Krieg in der Ostukraine folgte. Zwei Jahre später im Herbst 2015 begann die Migrationskrise, bei der mehr als eine Million Menschen nach Österreich kamen, wobei der Großteil in Richtung Deutschland weiterzog. Im Juni 2016 entschied sich die Mehrheit der britischen Bevölkerung für den BREXIT. Erstmals in der Geschichte verlor die Europäische Union ein Mitglied.

Die COVID-19 Pandemie begann im Herbst 2019 und breitete sich mit voller Wucht im Frühjahr 2020 global aus. Die Pandemie führte nicht nur zu Lockdowns und Einschränkungen für die Bevölkerung, sondern auch zu massiven Problemen in den Lieferketten. Die Verwundbarkeit der globalisierten Wirtschaft wurde augenscheinlich. Darüber hinaus haben in der vergangenen Dekade die Auswirkungen des Klimawandels massiv zugenommen. Extremwetterereignisse haben bereits heute massive Auswirkungen auf die Menschen, nicht nur im globalen Süden, sondern auch hier in Mitteleuropa.

Der Krieg kehrte als Mittel zur Durchsetzung von nationalen Interessen zurück.

Schließlich nahmen in den vergangenen Jahren auch zwischenstaatliche Konflikte zu. Der Krieg kehrte als politisches Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen zurück. Dies zeigte sich beispielsweise in der militärischen Auseinandersetzung zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Bergkarabach, aber vor allem auch im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ab dem Februar 2022.

Seit dem Beschluss der aktuellen Strategie hat sich die Welt massiv verändert. Die internationale Ordnung ist in ihren Grundfesten erschüttert. Die Auseinandersetzungen zwischen Staaten, Regionen aber auch zwischen den Ordnungsvorstellungen, wie zum Beispiel revisionistischen, autokratischen Regimen des globalen Südens sowie Norden und liberalen Demokratien des Westens, nehmen zu. Es ist daher höchste Zeit, dass sich die Österreich strategisch auf die kommenden Jahre vorbereitet und eine neue Österreichische Sicherheitsstrategie beschließt.

Ambitioniertes Ziel

Anfang April 2023 setzte sich die Bundesregierung ein ambitioniertes Ziel: Noch in dieser Legislaturperiode soll eine neue Sicherheitsstrategie beschlossen werden. Wenn man bedenkt, dass die derzeit gültige Strategie über einen Zeitraum von knapp vier Jahren entwickelt wurde, sind jetzt nur knapp 19 Monate vorgesehen.

Die Entscheidung der Regierung wurde durch die Oppositionsparteien einhellig begrüßt, gleichzeitig förderten diese aber eine frühzeitige Einbindung in die Erstellung und eine baldige Debatte im Parlament. Am 27. April war die Sicherheitsstrategie Thema in Nationalrat. Durch die FPÖ wurde eine Entschließung eingebracht, die in leicht abgeänderter Form beschlossen wurde. Dieser lautet: „Die Bundesregierung wird in Anbetracht des Krieges in Europa aufgefordert, schnellst möglich die Sicherheitsstrategie 2013 unter Einbeziehung aller im Hauptausschuss des Nationalrates vertretenen Parteien unter Berücksichtigung der Leitlinien des 'strategischen Kompass' der EU zu überarbeiten.“

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Zahlen & Fakten

Die Bearbeitungen zur neuen Strategie begannen im Frühsommer 2023. Alle Parlamentsparteien wurden eingeladen zwei Experten für eine Art Beirat zu nominieren. Diese sollten mit ihrer Fachexpertise die Erstellung des neuen Dokuments unterstützen, wobei die Textierungen grundsätzlich durch die Ministerien und in einem interministerialen Abstimmungsprozess erstellt werden.

Free Rider

Die neue Strategie soll dabei weit über die klassischen Aspekte der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hinaus gehen. Gerade die vergangenen Jahre haben die Verzahnung von unterschiedlichen Politikbereichen gezeigt. Daher sollen neben den Aspekten der Außen- und Verteidigungspolitik sowie der Inneren Sicherheit auch Fragen der Energiewende, der wirtschaftlichen Transformation und der Versorgungssicherheit berücksichtigt werden. Schließlich sollen auch neue Bedrohungsszenarien wie Cyber-Angriffe oder hybride Konfliktführung Berücksichtigung finden.


Gretchenfrage „Nun sag‘, wie hast du’s mit der Neutralität?“

Eine wesentliche Herausforderung in der Formulierung der neuen Strategie wird das Thema der Neutralität darstellen. Bundeskanzler Karl Nehammer hatte bereits im Frühjahr 2022, nach Beginn des Krieges in der Ukraine, festgestellt, dass er nicht beabsichtigt die immerwährende Neutralität auch nur zu diskutieren. Daher sieht die Bundesregierung auch in der neuen Strategie ein Festhalten an bzw. Weiterentwicklung der Neutralität vor. Dies wird insofern ein spannender Spagat, da ebenso der Strategische Kompass der Europäischen Union berücksichtigt werden soll.

Die Herausforderung ist, die Neutralität mit der europäischen Solidarität unter einen Hut zu bringen.

Gerade im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und der Beteiligung Österreichs mit nicht-letalen Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der EU wurde Österreich durch die Russische Föderation als „unfreundlicher Staat“ klassifiziert. Damit stellt sich die Frage, wie die neue Strategie eine vertiefende europäische Solidarität mit der Neutralität unter einen Hut bringen möchte. Hierbei ist es auch erforderlich den latenten Vorwürfen des „Rosinenpickens“ bzw. der „Trittbrettfahrerei“ gegenüber der österreichischen Sicherheitspolitik entgegenzutreten.

Sicherheit ≠ Landesverteidigung

Ein weiterer spannender Aspekt wird die Synchronisierung der Umfassenden Landesverteidigung mit der Umfassenden Sicherheitsvorsorge sein. Während erstere verfassungsrechtlich in Artikel 9a des Bundesverfassungsgesetzes verankert ist, blieb zweite im Konzeptstadium bzw. auf Ebene eines Regierungsbeschlusses stecken. Eigentlich hätte die Umfassende Landesverteidigung durch die Umfassende Sicherheitsvorsorge abgelöst werden soll. Eine legistische Verankerung ist jedoch nicht vollzogen worden.

Die derzeitige Österreichische Sicherheitsstrategie negiert weitgehend die verfassungsrechtlich festgelegte Umfassende Landesverteidigung und beruft sich auf die Umfassende Sicherheitsvorsorge. Klar ist, das haben auch die Krisen der vergangenen Jahre eindeutig gezeigt, die österreichische Sicherheit und deren Verteidigung kann nur gesamtstaatlich erfolgen. Daraus ergibt sich die Frage, auf welche Grundlage sich die neue Strategie stützt. Sollte die Umfassende Landesverteidigung modernisiert werden, wäre auch eine Überarbeitung des Landesverteidigungsplans möglich. Dieser könnte die konkrete Umsetzung der definierten sicherheits- und verteidigungspolitischen Ziele steuern bzw. ausdefinieren.

Legitimität und politisches Gewicht

Schlussendlich stellt sich auch die Frage der Form der Beschlussfassung der neuen Sicherheitsstrategie. Rechtlich gesehen werden solche strategischen Dokumente nicht in Gesetzesform gegossen. Sie sind grundlegende politische Papiere, die Richtschnüre für politische Entscheidungen darstellen. Daher wäre es grundsätzlich möglich die neue Österreichische Sicherheitsstrategie nur durch einen Ministerratsbeschluss zu erwirken. Diese Form der Entscheidung hat allerdings ein nur sehr geringes politisches Gewicht.

Die Bundesregierungen der kommenden Legislaturperioden müssen sich durch ein solches Dokument nicht gebunden fühlen, wie man zum Beispiel in der zuvor angesprochenen Umfassenden Sicherheitsvorsorge gesehen hat. Eine höhere politische Legitimität wäre durch eine Entschließung des Nationalrates gegeben. Auch diese hat keine bindende Wirkung würde aber ein höheres politisches Gewicht bedeuten. Hierbei kommt es natürlich auf das Quorum des Beschlusses an. Sollte die Entschließung nur mit den derzeitigen Regierungsparteien beschlossen werden, wäre die politische Bindung wiederum weniger gegeben als wenn auch die Oppositionsparteien zustimmen würden. Wobei man feststellen muss, dass die Zustimmung der Oppositionsparteien in dieser Legislaturperiode sich als mehr als fraglich darstellt.

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Conclusio

Die Überarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie von 2013 ist dringend notwendig und wurde von Experten bereits seit Jahren gefordert. Die Bundesregierung hat sich im April 2023 ein ambitioniertes Ziel gesetzt und möchte noch in dieser Legislaturperiode eine neue Strategie beschließen. Strategische Grundlagendokumente sind für einen Zeitraum von mehreren Legislaturperioden angelegt. Daher sollte ein solches Dokument nicht überhastet formuliert und entschieden werden. Die österreichische Politik sollte eine möglichst umfassende Abstimmung und Entschlussfassung anstreben. Andernfalls droht der neuen Österreichischen Sicherheitsstrategie ein früher Tod durch Ignoranz.

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