Aufrüstung statt Entrüstung
Europa muss seine Sicherheitspolitik wegen der Machtübernahme von Donald Trump überdenken. Trotz seiner spalterischen Tendenzen braucht es Dialog mit dem neuen US-Präsidenten statt moralischer Empörung.

Donald Trumps Rückkehr an die Spitze der Vereinigten Staaten markiert nicht nur einen Wechsel der amerikanischen Exekutive, sondern könnte ein neues Zeitalter der Unberechenbarkeit und Fehlkalkulationen in der internationalen Politik einführen. Trumps erste Amtszeit war geprägt von einem disruptiven, oft unberechenbaren Umgang mit internationalen Beziehungen; seine zweite Amtszeit könnte noch unberechenbarer werden. Dies liegt einerseits daran, dass er persönlich mit den Kontrollmechanismen präsidialer Macht vertraut ist, andererseits an der Besetzung seiner Regierung mit vorwiegend MAGA-treuen Loyalisten. Die Trump-Politik wird durch drei zentrale Elemente geprägt werden: Big-Tech-Feudalismus, wirtschaftlicher Protektionismus und einen (zumindest rhetorisch) militanten Unilateralismus.
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Man sollte dennoch die Kirche im Dorf lassen. Ein Zusammenbruch der internationalen Ordnung – ein Zustand völliger Anarchie oder ein Abgleiten der USA in die Autokratie – ist unter Trump unwahrscheinlich. Das Kennzeichen seiner Politik wird jedoch erhöhte Unberechenbarkeit und eine weitere potenzielle Destabilisierung bestehender internationaler Normen und Abkommen sein. Seine Vorliebe für schnelle, bilaterale „Deals“, oft unter Umgehung etablierter diplomatischer Normen und multilateraler Institutionen, gepaart mit seiner Missachtung traditioneller diplomatischer Gepflogenheiten, stellt eine Herausforderung für den globalen Status quo dar, vor allem hinsichtlich des regelbasierten Verständnisses von internationaler Politik, wie es in Europa praktiziert wird.
Seine Bereitschaft, direkt mit autoritären Regimen transaktionale Übereinkommen zu verhandeln, während er gleichzeitig langjährige Verbündete angreift, schafft ein Umfeld, in dem bestehende Abkommen unsicherer und diplomatische Normen weniger relevant werden. Dieses Vorgehen könnte zu systematischen Fehlkalkulationen und unvorhergesehenen Konflikten führen, selbst wenn es den einen oder anderen Konflikt abschreckt.
Trumps Politik deutet auf einen potenziellen Wandel der Vereinigten Staaten von einer – zumindest rhetorisch – Status-quo-Macht hin zu einer stärker revisionistischen hin. Dieser Wandel hat erhebliche Auswirkungen auf die globale Sicherheit. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit militärischer Konflikte, ein Szenario, das ausführlich in meinem Buch Die Rückkehr des Krieges behandelt wird, ist eine deutliche Warnung, wenn alle führenden Militärmächte der Welt – die USA, China und Russland – revisionistische Ziele verfolgen.
Das muss nicht bedeuten, dass die USA selbst Kriege starten. Vielmehr lädt die neue Unberechenbarkeit Washingtons potenzielle Gegner wie China in Ostasien, den Iran im Nahen Osten oder Russland in Osteuropa zu Fehlkalkulationen ein, wie die USA im Falle einer militärischen Aggression reagieren würden, weil – im Gegensatz zur Vergangenheit – wegen Trumps Unberechenbarkeit Amerikas rote Linien schwerer abzuwägen sein werden.
Mehr Konflikte zwischen Großmächten können auch zu mehr Konflikten in deren Peripherie führen. Nach Daten der Universität Uppsala und des Friedensforschungsinstituts Oslo aus dem Jahr 2024 erlebt Afrika derzeit mehr Konflikte als jemals zuvor seit mindestens 1946. Allein im Jahr 2024 wurden 28 staatliche Konflikte in 16 afrikanischen Ländern identifiziert – mehr als in jeder anderen Region der Welt und doppelt so viele wie vor 15 Jahren. Die Konsequenzen sind möglicherweise größere Fluchtbewegungen nach Europa, die indirekt zu politischer Instabilität beitragen könnten, indem Anti-Einwanderungs- und Flüchtlingsressentiments von links- und rechtspopulistischen Gruppierungen bedient werden, die ebenfalls revisionistische Agenden verfolgen.
Vor allem der Geist der Helsinki-Vereinbarungen von 1975, die lange Zeit als die Leitprinzipien für die europäische Sicherheitsarchitektur dienten – darunter die Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedliche Konfliktlösungsprozess – könnten in einem zunehmend machtpolitischen Klima an Bedeutung verlieren. Dies könnte dazu führen, dass kleinere Staaten wie Österreich und internationale Organisationen in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt und ihre Handlungsfähigkeit verringert werden.
Die USA bleiben, ungeachtet aller Herausforderungen, für Europa der wichtigste Sicherheitspartner, wenn auch nicht der berechenbarste.
Europa wäre gut beraten, seine legalistische Helsinki-Weltansicht zu adaptieren und zu realisieren, dass wir in eine neue Welt von Jalta abdriften. Jalta, ein Kurort in der heutigen Ukraine, wurde 1945 zum Schauplatz einer Konferenz zwischen den Führern der Vereinigten Alliierten, Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Joseph Stalin, an dem die Welt quasi in Einflusssphären von Großmächten aufgeteilt wurde. Anstelle einer liberalen Ordnung im Geiste Helsinkis könnte es vermehrt zu regionalen Machtbalancen und Jalta-ähnlichen Machtverhältnissen kommen, in denen Großmächte ihre Einflusszonen definieren. Dies erfordert von Europa ein Umdenken in seiner sicherheitspolitischen Strategie, in der Machtpolitik und militärische Stärke an Bedeutung gewinnen werden.
Europa und Österreich im Besonderen sollten sich auf eine solche schleichende Transformation vorbereiten. Das Potenzial für verstärkten US-Unilateralismus und die mögliche Anerkennung von neuen Einflusssphären erfordern eine einheitliche und selbstbewusste europäische Antwort. Ein oft beschworener, aber realpolitisch äußerst schwieriger zu koordinierender Ansatz in Bezug auf Verteidigung, Sicherheit und Wirtschaftspolitik wird langfristig entscheidend sein.
Das betrifft vor allem den stets stiefmütterlich behandelten Bereich der gemeinsamen Verteidigung und die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie. Europa darf sich in den kommenden Jahren nicht auseinanderdividieren – eine äußerst schwierige Aufgabe, da Europa durch Machtvakuums in Paris und Berlin führungslos ist und gleichzeitig anfälliger für eine Politik der Spaltung und Herrschaft ist, die auch von Washington ausgenutzt werden kann. Gleichzeitig muss stetiger Dialog ohne moralische Entrüstung mit der Trump-Regierung gesucht werden. Die USA bleiben, ungeachtet aller Herausforderungen, für Europa der wichtigste Sicherheitspartner, wenn auch nicht der berechenbarste.