Kalte Hände trieben den Mann aus Warschau (1879–1974) nach Hollywood, wo Goldwyn zu einem der einflussreichsten Produzenten aufstieg. Dass manche seiner Filme das Label „Kunst“ verdienen, nahm er gelassen in Kauf.
Dass Kunst nichts mit Geschäft zu tun haben soll, ist eine romantische Forderung. Im 18. und 19. Jahrhundert blühte in Europa das Bürgertum, in den Städten wuchs der Reichtum. Die Bourgeoisie ließ sich feiern und schmückte ihr Image mit Kultur – was zur Folge hatte, dass der Ruf des Künstlers, Schriftstellers, Komponisten an Gewicht gewann, woraus sich die Idee des Genies entfaltete.
Die pragmatischen Amerikaner haben das stets anders gesehen. Vielleicht sogar umgekehrt – was den Film, ihre gleichsam autochthone Kunst, betrifft, gewiss: Film ist eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Wenn dabei Kunst herauskommt, soll es recht sein – solange die Kasse stimmt. Die großen Filmproduzenten Hollywoods waren Geschäftsleute. Einer der größten: Samuel Goldwyn.
Der Regent erschafft sich selbst
Leicht fällt es, zehn, zwanzig Schauspielerinnen und Schauspieler des internationalen Films aufzuzählen. Bei den Regisseuren muss man schon kräftig grübeln, Drehbuchautoren kennen nur noch die Cineasten. Den Produzenten kennt niemand, und nur wenige wissen, was dessen Aufgabe eigentlich ist. Samuel Goldwyn soll geantwortet haben: „Wir regieren.“ Seit 1924 hören und sehen wir am Beginn vieler Hollywoodfilme den Löwen von Metro-Goldwyn-Mayer brüllen. Jeder liebt und respektiert Löwen. Der König der Tiere – der König von Hollywood. Das war Samuel Goldwyns Einfall.
Als der Mann 1879 in Warschau geboren wurde, hieß er: Szmul Gelbfisz. Seine Eltern waren sehr religiös, chassidisch ultraorthodox. Dieses Leben wurde von Riten und Vorschriften eingezäunt. Als sein Vater starb, war Szmul sechzehn, er verließ Polen. Die Entscheidung, nach Westen zu gehen, fiel ihm leicht – im Osten, im zaristischen Russland, herrschte ein noch brutalerer Antijudaismus als in Polen. Ja, er ging. Zu Fuß ging er von Warschau nach Hamburg, das sind mehr als 800 Kilometer. Manchmal nahm ihn ein Pferdewagen mit, manchmal versteckte er sich in einem Güterzug.
Hamburg genügte ihm nicht, er wollte den Kontinent verlassen. Das Israel des modernen Juden hieß Amerika. Zwischenstation legte er in England ein, dort lernte er die neue Sprache und änderte seinen Namen auf Samuel Goldfish.
Wer der Neigung folgt, sagte er, kann sich irren, wer aber der Not folgt, macht immer alles richtig. Er selbst interpretierte dieses Bonmot so: Neigung ist Luxus, und Luxus gönnen sich die anderen. Wer hingegen Luxus produziert, tut dies aus einer Not heraus. Er will Geld, weil er Geld braucht.
Sobald er genügend beieinander hatte, setzte er über nach Kanada und von dort in die USA. Sein Leben lang habe er gefroren, immer kalte Hände, das sei seine Not gewesen. Also wurde er Handschuhmacher. Der Erfolg stellt sich ein, wenn er notwendig ist. Die Handschuhmacherei war erfolgreich. Die Firma produzierte extravagante Produkte, grell eingefärbtes Ziegenleder. Zur Kundschaft zählten vor allem Künstler aus der Showbranche. Unter ihnen der Vaudeville-Star Jesse L. Lasky. Der erzählte Goldfish vom Film und dass dieses Geschäft das Geschäft der Zukunft sei. Die Menschen in Amerika beginnen, Geld zu verdienen, das heißt, sie haben mehr Zeit als früher. Und was machen sie mit ihrer Zeit und ihrem Geld? Sie wollen sich unterhalten.
Der Erfolg stellt sich ein, wenn er notwendig ist.
Goldfish ließ sich überzeugen – und heiratete Laskys Schwester Blanche. Zögerlichkeit – eine weitere Maxime – könne sich nur leisten, wer im Luxus aufgewachsen ist. 1916 gründete Goldfish mit Laskys Bekannten, den Selwyn-Brüdern, die Goldwyn Pictures Corporation.
„Goldwyn“ – die Zusammenziehung der Namen der Gründer war zunächst nur als Firmenname gedacht, doch Goldfish gefiel das Konstrukt so gut, dass er seinen Namen ein drittes Mal änderte, diesmal endgültig: auf Samuel Goldwyn. Als Markenzeichen der jungen Company kreierte er den brüllen Löwen.
Nach sechs erfolgreichen Jahren verließ Goldwyn die Firma im Streit und gründete Samuel Goldwyn Productions. Die Selwyn-Brüder wiederum fusionierten ihre Anteile mit der Filmfirma eines gewissen Louis B. Mayer. Der war ein aus Russland emigrierter Jude, dessen Familie vor den Pogromen geflohen war. So entstand Metro-Goldwyn-Mayer, abgekürzt MGM. Den brüllenden Löwen behielt die Company einfach bei.
Wenn zehn Cent genug sind
Was ein Filmstar ist – nämlich eine mythische Figur, eine Art Übermensch, den antiken Helden vergleichbar –, das wurde zu jener Zeit am Beginn des 20. Jahrhunderts definiert: Greta Garbo, John Gilbert, Clark Gable, Jean Harlow, Gary Cooper, Marlene Dietrich, Judy Garland und viele mehr waren die Stars von MGM.
Samuel Goldwyn war ein visionärer Geschäftsmann – die Frage, ob Film Kunst sei, soll ihn ungeduldig gemacht haben. Er konnte sehr grob werden. Sein Zynismus war gefürchtet. Um alle seine Freunde von einer Telefonzelle aus anzurufen, habe er nicht mehr als zehn Cent benötigt, heißt es. Als Louis B. Mayer 1957 starb, kam er wie tausende Menschen zur Beerdigung – er wolle sicher sein, „dass er wirklich tot ist“. Er starb siebzehn Jahre später im Alter von vierundneunzig Jahren.