„Bezweifle, dass Verbrenner-Aus hält“

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr über das Verbrenner-Aus, die Zukunftschancen der europäischen Autohersteller und die Grenzen der Teuerung beim Autofahren.

Porträt von Gabriel Felbermayr. Das Bild illustriert ein Interview mit dem WIFO-Chef über das europäische Verbrenner-Aus.
Gabriel Felbermayr © Lukas Ilgner/ VGN Medien Holding/ picturedesk.com

Jobs in der Autoindustrie zählen zu den bestbezahlten überhaupt. Mit dem Verbrenner-Aus 2035 könnten einige dieser Jobs verloren gehen. Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien, im Interview mit Der Pragmaticus über die Risiken des europäischen Verbrenner-Aus, Chancen der heimischen Autoindustrie und warum Europa den allgemeinen Wirtschaftsstandort stärken muss, um marktfähig zu bleiben.

Ab 2035 dürfen in der EU keine Pkws mit Diesel- oder Benzinmotor mehr zugelassen werden. Wurde bei diesem Verbot zu wenig auf die wirtschaftlichen Spätfolgen geachtet?

Gabriel Felbermayr: Die Autoindustrie hat ihre zentralen Versäumnisse schon vor längerer Zeit selbst verursacht. Aber wenn man das Verbrenner-Aus anders gestaltet hätte, etwa über einen längeren, abgestuften Zeitraum, oder wenn man Hybridantrieben mehr Chancen eingeräumt hätte, wäre die heutige Position sicher besser. Rückblickend betrachtet war das sicher keine industriefreundliche Regulierung.

China ist innerhalb von zwei Jahren zum weltweit größten Autoexporteur aufgestiegen. Was bedeutet das für die europäischen Hersteller?

China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wo auch immer es sich mit voller Macht engagiert, werden schnell hohe Marktanteile erreicht. Die Hersteller wurden vom Staat stark gepusht, weil die Regierung erkannt hat, dass man in einem Industriezweig, in dem man bisher keine Chance hatte, wegen des Technologiewechsels schnell aufholen kann. Dagegen haben die Europäer die Herausforderungen der Transformation unterschätzt. Da war man sowohl in der Politik als auch in den Vorstandsetagen naiv.

Welche Gegenmaßnahmen würden Sie empfehlen?

In Zukunft wird wichtig sein, dass man nicht die Zulassungen zählt, sondern den Wertschöpfungsbeitrag betrachtet. Hier hat Deutschland zwar auch massiv verloren, liegt aber noch immer deutlich an der Spitze. Besonders in den oberen Preisklassen und bei Spezialfahrzeugen bin ich optimistisch, da gibt es in der Zukunft gute Chancen – auch für österreichische Zulieferbetriebe. Außerdem findet heute infolge der komplexer werdenden Technik immer mehr Wertschöpfung abseits des klassischen Antriebsstranges statt. Auch das verbessert die Chancen der europäischen Hersteller etwas.

Vom Massenmarkt wird sich die europäische Autoindustrie verabschieden müssen.

In den preiswerten Marktsegmenten wird es aber zunehmend schwierig?

Vom Massenmarkt wird sich die europäische Autoindustrie langsam verabschieden müssen. Besonders schwierig dürfte es für die französischen und italienischen Hersteller werden. Marken mit Premiumanspruch haben im Wettbewerb noch Vorteile. Die Chinesen werden zwar versuchen, auch ins margenträchtige Luxussegment vorzudringen. Aber dort können sie derzeit nicht einmal die eigene Kundschaft überzeugen. Warum sollte es ihnen also in Europa gelingen?

Sind Strafzölle der richtige Weg, um die europäische Industrie zu schützen?

Strafzölle werden langfristig nicht die richtige Strategie sein. Es hilft selten, wenn man im Glashaus sitzend mit Steinen wirft. Die Europäer fordern einen CO2-Grenzausgleich und subventionieren in manchen Bereichen – allerdings nicht in der Autoindustrie – auch großzügig. Also müssten wir auf jeden Fall mit Gegenmaßnahmen der Chinesen rechnen, die uns wohl härter treffen würden. Es wird also nur helfen, gesamtheitlich zu agieren. Ich halte es nicht für sinnvoll, die Autoindustrie zu stützen oder einen amerikanischen IT-Konzern nach Europa zu holen. Jeder Arbeitsplatz im neuen Intel-Werk wird den deutschen Staat drei Millionen Euro kosten, man wird aber auch die in Deutschland hergestellten Chips zu Weltmarktpreisen verkaufen wollen – im Bedarfsfall auch nach Asien. Deshalb sollte man die Milliarden nicht in Branchen oder gar einzelne Unternehmen investieren, sondern in Maßnahmen, die den allgemeinen Wirtschaftsstandort stärken – beispielsweise in die Senkung von Energie- und Lohnnebenkosten. Die Struktur der europäischen Wirtschaft muss so angepasst werden, dass sie ohne Subventionen auskommt. Der Standort Graz mit AVL List und Magna ist auch hier ein gutes Beispiel, weil die staatlichen Gelder zu einem guten Teil in Wissenschaft und Forschung flossen, wovon einige Unternehmen profitieren konnten.

Ist China überhaupt ein fairer Handelspartner? Stichwort Dumpingpreise und Umweltvorschriften …

Subventionen sind auch für China teuer. Die Wirtschaft war in den letzten Jahrzehnten vom allgemeinen Nachholbedarf, von Infrastrukturmaßnahmen und hohen Exportzuwächsen getrieben. Diese Phase läuft einem Ende entgegen und das Geldausgeben wird schwieriger. China kämpft mit ungleichen Mitteln, und eine Hoffnung der Europäer liegt darin, dass man sich diese Politik nicht mehr lange leisten kann. Aber es ist eben nur eine Hoffnung. Deshalb sind Anti-Dumping-Zölle wichtig, wie sie etwa bei Chemikalien oder Photovoltaik bereits eingesetzt werden.

Der deutsche Verband der Automobilindustrie VDA spricht von über 200.000 Arbeitsplätzen, die verlorengehen werden …

Diese Größenordnung erscheint mir nicht falsch. Aber heute schon von konkreten Zahlen zu sprechen wäre sehr spekulativ. Klar ist, der Produktionshöchststand von 2017 wird sich nicht halten lassen. Aber vergleicht man das Niveau mit dem vor der Finanzkrise 2008, ist die Situation überhaupt nicht dramatisch. Und Osteuropa steht immer noch sehr gut da, weil die Rahmenbedingungen durch ein flexibleres Arbeitsrecht, niedrigere Lohnkosten und günstigere Infrastrukturkosten deutlich besser sind.

Wie stark wird die traditionell starke österreichische Zulieferindustrie vom Abschwung betroffen sein?

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir nicht mehr so stark von Deutschland abhängig sind, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Obwohl die in Deutschland gebaute Anzahl der Fahrzeuge sinkt, hat die österreichische Zulieferindustrie sehr gut abgeschnitten, weil man nun an die ausländischen Werke der Hersteller liefert. Aber natürlich kann uns der Zustand der deutschen Hersteller nicht kaltlassen.

Welche Auswirkungen wird eine deutlich schwächere Autoindustrie auf die Gesamtwirtschaft haben?

In Deutschland und Österreich wird sich die Struktur der Beschäftigung ändern. In der Autoindustrie gehen Arbeitsplätze verloren, andererseits herrscht ein enormer Fachkräftemangel in allen Bereichen, die mit Umbaumaßnahmen für den Klimaschutz zu tun haben. Wer heute Motoren zusammenbaut, könnte morgen Wärmepumpen montieren. Für die Volkswirtschaft ist wichtig, darauf zu achten, dass nicht wertvolle, also gut bezahlte Arbeitsplätze durch weniger wertvolle ersetzt werden. Am besten wäre es, wenn noch wertvollere Jobs entstünden.

Es könnte durch den bevorstehenden Strukturwandel Wertschöpfung verlorengehen.

Wie könnten diese Arbeitsplätze aussehen?

In diesem Punkt habe ich meine Sorgen. Jobs in der Autoindustrie gehören zu den bestbezahlten überhaupt, selbst bei nur mittlerer Qualifikation. Ob das dann auch in der Energietechnik der Fall sein wird, scheint mir fraglich. Es könnte also durch den bevorstehenden Strukturwandel Wertschöpfung verlorengehen.

In Österreich hängen 900 Unternehmen mit rund 81.000 Mitarbeitern direkt an der deutschen Autoindustrie. Welche Strategien empfehlen Sie gegen den Abwärtstrend?

Ein Auto besteht nicht nur aus Verbrennerkomponenten. Besonders im wachsenden Elektronikbereich sehe ich Möglichkeiten. Ein gutes Beispiel ist die AVL List mit 4.000 Mitarbeitern in Graz. Das Unternehmen kommt aus der Verbrennertechnik, macht aber heute bereits mehr als die Hälfte seines Umsatzes im Bereich der Elektromobilität.

Ich bezweifle, dass das Verbrenner-Verbot in seiner heutigen Form halten wird.

Wird das Verbrenner-Aus so wie geplant haltbar sein?

Ich bezweifle, dass das Verbrenner-Verbot in seiner heutigen Form halten wird. Bei den europäischen Richtlinien werden Änderungen notwendig sein. Jeder, der schon einmal tiefer in Europas Osten vorgedrungen ist, wird verstehen, dass das Verbrenner-Verbot EU-weit und innerhalb der gesetzten Frist nur sehr schwer umsetzbar sein wird. Ausnahmeregeln werden notwendig sein. Ich glaube aber nicht, dass der komplette Beschluss gekippt wird. So funktioniert Europa nicht.

Ob nun mit Elektro- oder Verbrennungsmotor: Autofahren wird auf jeden Fall teurer. Wann werden die Kosten für das Auto zu einer Gefahr für die Volkswirtschaft?

Man wird deutlich zwischen urbanen und ländlichen Gebieten unterscheiden müssen. Wo es keine brauchbaren Alternativen in Form von öffentlichen Verkehrsmitteln gibt, werden ausgleichende Maßnahmen notwendig sein. Etwa durch die Differenzierung bei der CO2-Besteuerung – ähnlich dem Klimabonus. Wird das notwendige Autofahren zu teuer, könnte die Energiewende politisch am Widerstand der Bevölkerung scheitern.

Über Gabriel Felbermayr

Porträt von Gabriel Felbermayr. Das Bild illustriert ein Interview mit dem WIFO-Chef über das europäische Verbrenner-Aus.
Gabriel Felbermayr © WIFO / Alexander Mueller

1976 in Steyr, in Österreich, geboren, studierte Felbermayr Volkswirtschaftslehre und Handelswissenschaften an der Johannes-Kepler-Universität Linz, bevor er an das Europäische Hochschulinstitut in Florenz ging, wo er mit Aufsätzen zu Wachstum in offenen Volkswirtschaften promoviert wurde. Von 2019 bis 2021 war er Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und davor Direktor des ifo Zentrums für Außenwirtschaft in München. Seit Oktober 2021 ist er Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien und Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).

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