Vertrauen in Impfungen: Die Fehler-Pandemie

Impfpflicht und Schikanen für Ungeimpfte haben die Gesellschaft tief gespalten. Politik, Medien und Teile der Wissenschaft verursachten einen Vertrauensverlust. Welche Lehren ziehen wir daraus?

Illustration zum Thema Vertrauen in Impfungen: Eine Hand hält ein Megaphon aus dem Viren in gelb, grün, blau und rot strömen und sich in der Luft verteilen. Medien und vor allem die Politik hätten während der Corona-Pandemie das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft, Medien und Politik untergraben, weil die Corona-Maßnahmen zu drastisch waren und als alternativlos dargestellt wurden, kritisiert der Mediziner Martin Sprenger, dessen Beitrag im Rahmen eines Dossiers zur Corona-Pandemie durch die Zeichnung illustriert wird.
Zu oft hat die Politik gegen die Regeln guter Gesundheitsinformation verstoßen, sagt Martin Sprenger. © Francesco Ciccolella
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Auf den Punkt gebracht

  • Impfskepsis: Während 2016 nur rund fünf Prozent kein Vertrauen in Impfungen hatten, nahm diese Skepsis während der Pandemie deutlich zu.
  • Vertrauensverlust. Unter anderem haben Rufe nach einer Impfpflicht und inkonsistente Zulassungen die Menschen verunsichert.
  • Falschinformation. Offizielle Kampagnen über die Schutzwirkung der Impfung waren teilweise falsch, ohne dass sie je richtiggestellt wurden.
  • Lehren. Aufarbeitung von Fehlern und mehr Transparenz in der Kommunikation können das Vertrauen wieder stärken.

Impfungen haben vielen Infektionskrankheiten ihren Schrecken genommen. Aktuell sind in Österreich circa 130 Impfstoffe zugelassen. Ob eine Anwendung sinnvoll ist, muss für jeden dieser Impfstoffe, basierend auf wissenschaftlich gesicherten Fakten, einzeln betrachtet werden. 

Das Dossier zum Thema

Trotz ihrer Bedeutung sind Impfungen ein sensibles Thema. In einer 2016 in Deutschland durchgeführten Befragung bezeichneten sich drei Viertel als Impfbefürworter, knapp ein Fünftel hatte teilweise Vorbehalte, und fünf Prozent äußerten eine „(eher) ablehnende“ Haltung. In Österreich und der Schweiz war die Situation ähnlich.

Mit der Corona-Pandemie hat die ablehnende Haltung gegenüber Impfungen zugenommen. Corona-Impfstoffe sind davon genauso betroffen wie essenzielle Kinderimpfungen. So sind laut Gesundheitsminister Johannes Rauch die zunehmenden Masernfälle in Österreich auf eine sinkende Durchimpfungsrate zurückzuführen. Verantwortlich für diesen Vertrauensverlust seien Fake News in sozialen Medien, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner. Dieser Befund mag zum Teil durchaus stimmen, unterschlägt aber den unrühmlichen Beitrag, den Politik, Medien und Teile der Wissenschaft geleistet haben.

Die Impfung wurde zum Freibrief fürs Abfeiern, obwohl sie die Virus-Übertragung kaum reduzierte.

Den ersten Vertrauensverlust verursachten die Vorsitzende der Bioethik-Kommission Christiane Druml und der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer, als sie sich schon im Mai 2020 für eine Impfpflicht aussprachen. Nachdem im Sommer die Europäische Kommission einer beschleunigten Zulassung zugestimmt und Geheimverträge mit den Impfherstellern abgeschlossen hatte, forderte auch der damalige Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres eine Impfpflicht, und der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse, Andreas Huss, empfahl, nur geimpften Personen den Besuch von Konzerten zu erlauben.

Die große Impf-Show

Am 27. Dezember 2020, einem Sonntag, wurden die ersten mRNA-Impfungen an der MedUni Wien live im ORF übertragen und politisch inszeniert. Obwohl alle Beteiligten wussten, dass viel zu wenig Impfstoff vorhanden war und auch länger nicht lieferbar sein würde. Österreich hatte auf das Präparat von AstraZeneca gesetzt, dessen Zulassung sich aufgrund von Problemen verzögerte. Ende Jänner 2021 richtete Kanzler Sebastian Kurz deshalb der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) aus, sie möge rascher und unbürokratischer vorgehen

Nach der bedingten Zulassung wurde der Impfstoff von AstraZeneca wegen der schlechten Datenlage nur für unter 65-Jährige empfohlen. Medien berichteten von einer nahezu hundertprozentigen Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe gegen Erkrankung und Übertragung. Politiker versprachen ein rasches Ende der Einschränkungen für Geimpfte. Das Marketing lief perfekt. 

180-Grad-Wende

Über Nebenwirkungen las man wenig. Dabei waren die Impfreaktionen zum Teil heftig. Anfang März 2021 wurden mehrere Todesfälle mit der Impfung von AstraZeneca in Zusammenhang gebracht. Die skandinavischen Länder nahmen den Impfstoff sofort aus dem Programm. In Österreich wurde zuerst jeder Zusammenhang bestritten. Ein paar Wochen später bestätigten ihn aber die Gesundheitsbehörden. Anfang April wurde AstraZeneca nur mehr für über 65-Jährige empfohlen, da die seltenen Komplikationen vor allem jüngere Menschen betrafen. Diese 180-Grad-Kehrtwendung wurde schlecht kommuniziert. Viele kannten sich nicht mehr aus.

Ende Mai 2021 war endlich genügend Impfstoff im Land, und die mRNA-Impfungen wurden auch für Jugendliche zugelassen. Anstatt auf eine hohe Impfquote in den Risikogruppen zu achten, fokussierte die österreichische Kampagne auf junge Menschen. „Baby, lass uns impfen!“ wurde der neue Werbeslogan. Im Herbst folgte um viele Millionen Euro die nächste Werbekampagne. „Alle gehen in den Club. Nur nicht Branko, sein Impfpass ist blanko“, lautete ein Slogan. 

Die Impfung wurde zum Freibrief fürs Abfeiern. Dabei war zu diesem Zeitpunkt klar, dass diese das Übertragungsrisiko kaum reduzierte. Kinder und Jugendliche wurden mit allen Mitteln zu einer Impfung gedrängt, obwohl sie sehr selten schwer erkranken. Viele ließen sich nur impfen, um nicht von Sport- oder Freizeitaktivitäten ausgeschlossen zu werden.

Pandemie der Ungeimpften

Ebenfalls im Herbst 2021 wurden in ganz Österreich Plakate aufgehängt und in vielen Zeitungen Inserate mit der Botschaft abgedruckt: „Von 100.000 vollständig geimpften Menschen müssen bei Kontakt mit dem Coronavirus 99.996 Personen nicht ins Krankenhaus.“ Das wäre eine Wirksamkeit von über 99,99 Prozent. Die Realität lag damals bei 80 bis 90 Prozent. Trotzdem wurde diese Fehlinformation, freigegeben durch einen wissenschaftlichen Beirat, medial verbreitet und nie richtiggestellt.

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Zahlen & Fakten

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Aber es sollte noch schlimmer kommen. Ende 2021 machte der Mythos von der „Pandemie der Ungeimpften“ die Runde. Interimskanzler Schallenberg drohte diesen mit „ungemütlichen“ Weihnachten und ist mitverantwortlich für den sogenannten „Lockdown für Ungeimpfte“ zwischen 14. November 2021 und 31. Jänner 2022, der beinahe zwei Millionen Menschen vom sozialen Leben ausschloss. Darunter waren auch viele einfach geimpfte und genesene Personen.

Vertrauen in Impfungen

Mit der Debatte über eine allgemeine Impfpflicht erreichte die Polarisierung einen neuen Höhepunkt. Obwohl klar war, dass die Maßnahme bei einem respiratorischen, ständig mutierenden Virus, das vor allem für hochbetagte Menschen gefährlich ist und bei einer Impfung, die keine sterile Immunität erzeugt, wissenschaftlicher Unsinn war. Trotzdem sprachen sich viele Wissenschaftler, Journalisten und Politiker dafür aus. Die damalige Verfassungsministerin Karoline Edtstadler meinte sogar: „Mit der Einführung der Impfpflicht ist es eigentlich rechtswidrig, in Österreich zu wohnen und nicht geimpft zu sein.“ Am 20. Jänner 2022 wurde die allgemeine Impfpflicht mit großer Mehrheit im Nationalrat beschlossen. Erst Monate später wurde sie wieder außer Kraft gesetzt. 

Auch der Umgang mit Genesenen war alles andere als wissenschaftlich. Obwohl früh erwiesen war, dass eine Infektion mindestens ebenso lange und gut vor einem schweren Verlauf schützt wie mehrere Impfungen, wurde diese Tatsache weder im „Grünen Pass“ noch bei den Impfempfehlungen berücksichtigt.

Die Politik hat dem Vertrauen in Impfungen mehr geschadet, als es den Verschwörungstheoretikern jemals gelungen wäre

Noch im Herbst 2022 konnte man auf der Homepage des Gesundheitsministeriums lesen: „Respiratorische Infektionen hinterlassen keine dauerhafte systemische Immunität. (...) Genesenen ab einem Alter von fünf Jahren werden also insgesamt mindestens drei Impfungen für die Grundimmunisierung empfohlen.“ Auch diese Fehlinformation wurde bis heute nicht korrigiert.

Tatsächlich gäbe es noch unzählige weitere Beispiele für die Politisierung und die Verletzung wissenschaftlicher Standards in der öffentlichen Kommunikation während der Corona-Jahre. Dies hat dem Vertrauen in Impfungen, aber auch in Behörden, Politik und Wissenschaft wahrscheinlich mehr geschadet, als es den viel gescholtenen Verschwörungstheoretikern jemals gelungen wäre. 

Lehren für die Zukunft

  • Jede Politisierung von Arzneimitteln ist zu unterlassen.
  • Öffentliche Institutionen müssen auch in Krisenzeiten unabhängig und nicht auf Zuruf der Politik agieren.
  • Alle Mitglieder des nationalen Impfgremiums sollten ihre Interessenkonflikte (etwa Verträge mit Pharmaunternehmen) öffentlich machen.
  • Die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen muss auch nach der Zulassung in der Anwendung transparent erhoben und korrekt kommuniziert werden.
  • Gerade weil Impfungen ein sensibles Thema sind, muss die öffentliche Kommunikation geltende Standards einhalten. Gute Gesundheitsinformationen sind verständlich, umfassend, unabhängig (keine offene oder verdeckte Werbung), unverzerrt (weder über- noch untertreibend), verlässlich und basieren auf wissenschaftlich gesicherten Fakten. 
  • Die in der Impfkampagne begangenen Fehler müssen transparent und ehrlich aufgearbeitet werden. So könnten Politik und Medien einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung von Vertrauen in Impfungen leisten. 
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Conclusio

Skepsis. Fehler bei der Covid-Impfkampagne haben das Vertrauen in Impfungen in Österreich nachhaltig erschüttert. Selbst essenzielle Kinderimpfungen wie jene gegen Masern werden zunehmend kritisch gesehen und verweigert.
Ursachen. Übertriebene Werbekampagnen, falsche Informationen über die Wirksamkeit der Impfung, inkonsistente politische Kommunikation und vor allem die Schikanen für Ungeimpfte wirken nach und wurden nie ernsthaft aufgearbeitet.
Verantwortung. Öffentliche Institutionen müssen unabhängig agieren und wissenschaftliche Standards in der Kommunikation einhalten. Die Politisierung von Arzneimitteln ist zu unterlassen. Interessenkonflikte müssen offengelegt werden.

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