Virtopsy: Mit Hi-Tech auf Täterjagd

In Zürich wird an der Zukunft der Rechtsmedizin geforscht: Leichen werden mittels Virtopsy untersucht und Tatorte können via 3D-Brille besichtigt werden.

Ein mit Virtopsy erstelltes 3D-Modell eines Schädels, bei dem der Schusskanal rot markiert ist
Mittels Virtopsy kann ein 3D-Modell eines Schädels erstellt werden, bei diesem sind die Ein- und Austrittstelle einer Kugel zu sehen. © Institut für Rechtsmedizin Zürich
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Auf den Punkt gebracht

  • Autopsie 2.0. Die Methode der Virtopsy kann bereits in einem von drei Fällen eine klassische Autopsie ersetzen.
  • Virtueller Tatort. Die Digitalisierung von Tatorten kann Richter und Geschworene virtuell an den Tatort bringen.
  • Forensic Nurse. Die Innovationen in der Rechtsmedizin haben sogar einen neuen Berufszweig hervorgebracht.
  • Haarspalterei. Bei Haaren können Drogen und Medikamentenkonsum mittlerweile Monate zurück nachgewiesen werden.

Das traditionelle Fach Gerichtsmedizin hat sich in den letzten Jahren massiv gewandelt. Dies liegt bereits der Begrifflichkeit zugrunde. Früher sprach man von der Gerichtsmedizin, dieser Begriff wurde durch Rechtsmedizin ersetzt. Und diese hat sich heute sehr spezialisiert. Man spricht heute von forensischer Medizin, forensischer Bildgebung, forensischer Genetik, forensischer Toxikologie & Pharmakologie. Forensik stammt von dem lateinischen Wort „Forum romanum“ ab – welches für Markt oder Gerichtsplatz steht. Alle forensischen Wissenschaften dienen dem Gericht: Ziel ist es letztendlich, mit wissenschaftlichen, evidenzbasierten Methoden für Gerechtigkeit zu sorgen. Anwendung in der Forensik finden immer mehr auch neuste wissenschaftliche Errungenschaften wie genetische DNA-Methoden oder modernste Bildgebungsmethoden aus Technik und Medizin.

Rechtsmediziner kennt man aus Krimis und Fernsehserien – oft wird das Berufsbild etwas schrullig oder überzeichnet dargestellt. In früheren Filmdarstellungen wie der amerikanischen Serie „Columbo“ war der Ermittler ein forensisches Universalgenie, in heutigen Krimiserien wie „CSI“ wird die Forensik fast schon wie Science-Fiction dargestellt.

Virtopsy statt Autopsie

Das klassische Fach der Gerichtsmedizin war früher eine Disziplin, in dem die Autopsie der Grundpfeiler der Untersuchungsmethode war. Leichen wurden durch Skalpell und Messer eröffnet. Man suchte die Todesursache, um letztendlich der Staatsanwaltschaft dann in der Gesamtbetrachtung der polizeilich-kriminaltechnisch ermittelten Fallumstände mitzuteilen, welches die Todesursache des Opfers war. Aufgrund dieser Erkenntnisse konnte die Staatsanwaltschaft dann das Verfahren eröffnen. Bei Fremdeinwirkung sowie Unterlassung von Hilfeleistung oder Schutzmassnahmen sowie bei einem Unfallereignis eröffnet die Staatsanwaltschaft immer ein Verfahren. Natürliche Todesfälle oder selbstbeigebrachte Tötungen beziehungsweise Suizid interessiert die Staatsanwaltschaft nicht, da hier keine Fremdeinwirkung vorliegt.

Diese Methoden sind bereits heute so genau, dass bei einem Drittel der Verstorbenen am Institut auf eine rechtsmedizinische Autopsie verzichtet werden kann.

Das Fach hat sich seit der Jahrtausendwende hinsichtlich Autopsie enorm gewandelt, da heute mit modernen bildgebenden Methoden auch Leichen nicht-invasiv untersucht werden können. Bildgebende Verfahren wie Computertomografie und Magnetresonanz – bekannt aus dem Krankenhaus – werden nun auch bei Verstorbenen eingesetzt. Morphologischen und anatomische Befunde der Leiche werden nicht-invasiv, also ohne Gebrauch von Messer und Skalpell, mit Röntgenstrahlen oder Magnetfeldern untersucht und visualisiert.

Ein digitaler Zwilling, der nicht verwest

Diese Methoden sind bereits heute so genau, dass bei einem Drittel der Verstorbenen am Zürcher Institut für Rechtsmedizin auf eine rechtsmedizinische Autopsie verzichtet werden kann. Das wichtigste Produkt der Rechtsmedizin – das Gutachten – basiert dann nur auf den Befunden, welche mit modernster Bildgebungstechnologie erhoben wurden. In Zürich erhält jeder Verstorbene ein postmortal durchgeführtes CT – so kann innert Minuten entschieden werden, ob eine klassische Autopsie noch nötig ist. Diese Vorgehensweise wird von vielen Angehörigen geschätzt, auch Glaubensgemeinschaften wie dem Judentum und Muslime befürworten das, weil eine Leichenöffnung dort eigentlich nicht gestattet ist. Auch bei Katastrophen wie Flugzeugabstürzen oder großen Bränden haben sich forensische Bildgebungsmethoden insbesondere zu Identifizierungszwecken bereits bewährt.

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Zahlen & Fakten

Was ist die Virtopsy?

Warum muss man im 21. Jahrhundert Leichen eigentlich immer noch aufschneiden? Diese Frage beschäftigte den österreichischen Gerichtsmediziner Richard Dirnhofer, und er lieferte auch gleich die Antwort: Muss man gar nicht mehr. Bildgebende Verfahren wie CT oder MRT können eine klassische Obduktion ersetzen. Damit war die Virtopsy geboren. Das Verfahren ist zumindest in der Schweiz auch schon erfolgreich im Einsatz. 

In Ergänzung der Untersuchung des Körperinneren wurde auch zunehmend die Körperoberfläche von Verstorbenen sowie auch Lebenden mit modernster 3D-Oberflächenscanning-Technologie dokumentiert. Dieses Verfahren, Körperinneres wie Körperoberfläche in digitaler Weise zu dokumentieren, nennen wir Virtopsy. So entsteht vom realen verstorbenen Körper der Leiche ein digitaler Datensatz: Sozusagen ein „digitaler Zwilling“, welcher auch den Verwesungsprozess überdauert.

Tatort in Virtual Reality

Weil auch die Polizei begonnen hat, zum Beispiel Tatorte und involvierte Fahrzeuge bei Verkehrsunfällen zu digitalisieren, können mit diesen digitalen Körperdaten dann gesamtheitliche Rekonstruktionen gemacht werden. So können Tatorte und Unfallereignisse aufgrund der digital erfassten Daten von Menschen, aber auch von Gegenständen und Ereignisorten, virtuell rekonstruiert und hinsichtlich des Tatablaufs analysiert werden. In den letzten Jahren gelang es, diese forensische Rekonstruktionen mit sogenannten 3D-Brillen via „Virtual-Reality“ und „Augmented-Reality“ in die visuell erlebte Dreidimensionalität zu überführen.

Forensic Nurse: Ein neuer Berufszweig entsteht

In Ergänzung zu den modernsten digitalen Bildgebungsverfahren hat sich die Rechtsmedizin dahin gewandelt, dass immer mehr lebende Opfer – von interpersoneller Gewalt, Sexualdelikten et cetera – untersucht werden. Dabei werden die Menschen nicht nur auf ihren körperlichen Zustand hin untersucht, sondern insbesondere auch auf forensisch bedeutsame Verletzungen begutachtet.

Die Klischee-Vorstellung, dass sich die Rechtsmedizin nur mit Toten beschäftigt, ist ein Trugschluss.

In der Schweiz entsteht momentan nach amerikanischem Vorbild ein neuer Berufszweig der „Forensic Nurses“, welche unter der Supervision eines Rechtsmediziners selbstständig solche forensische Untersuchungen durchführen. Die Klischee-Vorstellung, dass sich die Rechtsmedizin nur mit Toten beschäftigt, ist also ein Trugschluss: So hält sich zum Beispiel am Zürcher Institut die Untersuchung von Verstorbenen und die Untersuchung von Lebenden heute die Waagschale. Die Untersuchung der Körper von lebenden Opfern und auch Tätern ist heute ein wichtiger Bestandteil der Rechtsmedizin geworden.

Jeder Kontakt hinterlässt eine Spur

Vor nunmehr über dreißig Jahren hat die DNA-Technologie das Fach der Rechtsmedizin revolutioniert. Früher versuchte man beispielsweise die Vaterschaft mit Aussehensmerkmalen oder Blutgruppendiagnostik zu bestimmen. Die moderne DNA-Technologie hat die Vaterschafts- sowie die Abstammungsanalytik vollständig abgelöst. Durch intelligente und exquisite Spurensicherung am Körper, an Ereignisorten, an Tatwerkzeugen und anschließender DNA-Analytik wird versucht, die Täterschaft zu eruieren. Wie es schon das nach dem Kriminaltechniker benannt  „Locard’sche Prinzip“ besagt: „Jeder Kontakt hinterlässt eine Spur“.

Früher waren dies Faserspuren, Haare oder sonstige Spuren. Heute sind das DNA-Spuren, die einerseits übertragen werden durch bloßes Berühren aber auch durch die Hinterlassenschaft von Körpersäften; sprich Blut, Speichel, Urin, Sperma, et cetera. Ist der Tatverdächte bereits in einer polizeilichen Datenbank hinterlegt, ergibt es einen „DNA-Treffer“ und die Handschellen klicken. Durch entsprechende Datenbanken können Spuren sowie Täter abgeglichen werden und allfälligen Serientätern kann das Handwerk gelegt werden.

Die DNA-Technologie und Ihre Anwendung in der Forensik hat das Fach enorm revolutioniert. Die neuste Entwicklung des „Phenotyping“ ermöglicht es heute schon, aufgrund einer aufgefundenen DNA-Spur ein annähernd gutes „Signalelement“ zu generieren: So ist es heute möglich, die Hautfarbe, die Haarfarbe, die Augenfarbe, das Lebensalter und die geografische Herkunft eines Menschen aufgrund einer DNA-Spur zu eruieren.

Der Wettstreit mit den Drogenlabors

Auch die Toxikologie hat sich enorm entwickelt. Die Zeiten von „Arsen und Spitzenhäubchen“ sind definitiv vorbei. Hat man früher nur den Alkohol und zirka zehn gängige Drogen und Medikamente analysiert, gelingt es heute mit modernster Technologie, in einem Durchlauf im Blut oder Urin Hunderte, wenn nicht Tausende Substanzen zu detektieren. Der High-Tech-Maschine bleibt nichts verborgen – im Gebiet der Toxikologie ist ein wirklicher Wettstreit zwischen der Entwicklung von neuen Substanzen in illegalen Drogenlabors und deren Detektion durch forensische Labore  entstanden.

Auch ist es heute mit der sogenannten Haaranalytik möglich, den Konsum von Substanzen wie Medikamenten und  Drogen über die zurückliegenden Wochen oder sogar Monate zu bestimmen. Je länger das Haar, umso längerfristige Aussagen sind möglich. Die Haarlänge ist vergleichbar mit einer „Fahrtenschreiberskala“ mit darin abgespeicherten Substanzen auf der Zeitachse. Je länger die Haare, die einen Zentimeter pro Monat wachsen, umso länger der Zeitraum, in dem bestimmt werden kann, was jemand konsumiert hat. Die Haare schaffen Klarheit über die Zeit und Art der konsumierten Substanzen.

Die Rechtsmedizin, die Forensik ist in enorme interdisziplinäre Innovationen und Weiterentwicklungen involviert. Die moderne Entwicklung lässt das perfekte Verbrechen immer unwahrscheinlicher werden. Dies sind auch die Triebwerke von Forensikern, welche Gerechtigkeit suchen und ermöglichen wollen und nie das forensische „feu sacré“ für die Wahrheitsfindung verlieren sollten.

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Conclusio

Ob Virtopsy oder neue Methoden in der Toxikologie: Am Institut für Rechtsmedizin in Zürich wird an vorderster Front an Innovationen in der Rechtsmedizin gearbeitet und CSI fast schon zur Realität. Bereits bei einem Drittel der Leichen kann auf eine klassische Autopsie verzichtet werden.

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