Die DNA-Analyse und ihre dunkle Seite

Die Etablierung der DNA-Analyse in der Forensik brachte die Wissenschaftlichkeit zurück in das Fach. Aber viel zu oft wird der Technologie blind vertraut.

Das Bild zeigt eine blutige Schere, die mit einem Wattestäbchen auf DNA-Spuren untersucht wird. Das Bild illustriert einen Artikel über DNA-Analyse-Methoden und deren Genauigkeit.
Die DNA-Analyse war zwar ein Segen für die Forensik, aber auch sie verdient unsere gesunde Skepsis. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Eine Revolution. Die DNA-Analyse revolutionierte die Forensik und wurde nach anfänglicher Skepsis weithin akzeptiert.
  • Gewonnener Krieg. Das lag auch daran, dass die STR-Analyse Skeptiker überzeugte und die DNA-Kriege beendete.
  • Neue Zweifel. Doch neue Anwendungen der DNA-Analyse, unter anderem um das Gesicht einer Person zu konstruieren, säen neue Zweifel.
  • Gesunde Skepsis. Die DNA-Analyse ist ein wichtiges Werkzeug, aber auch sie darf nicht überbewertet werden.

Als der genetische Fingerabdruck Mitte der 1980er Jahre Teil von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurde, war die forensische Wissenschaft in Aufruhr. Die Techniken, auf die sich Ermittler jahrzehntelang verlassen hatten, wurden zwar als wissenschaftlich und objektiv angepriesen, beruhten aber vielfach auf der Übereinkunft aller Beteiligten, dass sie gültig und zulässig sind. Der genetische Fingerabdruck hingegen kam aus der Wissenschaft, wurde durch Forschungsarbeiten validiert, und die Schlussfolgerungen wurden durch statistische Analysen und nicht durch menschliches Urteilsvermögen gezogen.

Das jedenfalls wurde von den Proponenten dieser neuen Methode behauptet. Aber Strafverteidiger (und ihre wissenschaftlichen Experten) stellten die neue Methode vor Gericht dennoch in Frage. Sie wollten wissen, wie sich die forensische Anwendung von DNA-Technologien von den Praktiken akademischer Labors unterscheidet und stellten die Zuverlässigkeit des genetischen Fingerabdrucks in vielerlei Hinsicht in Frage.

Die DNA-Analyse beseitigte Unrecht

Wie ich in meinem Buch Genetic Witness: Science, Law, and Controversy in the Making of DNA Profiling ausgeführt habe, führte das dazu, dass die Methode nachhaltig verbessert wurde. Es wurden Fragen zur Häufigkeit des Auftretens bestimmter genetischer Marker in bestimmten Bevölkerungsgruppen geklärt, es wurden Verfahren und Protokolle eingeführt, um die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse zu verbessern, Labors und Analytiker wurden besseren Standards unterzogen; und auch die Art und Weise, wie die Ergebnisse vor Gericht präsentiert wurden, wurde im Laufe der Zeit geändert.

Innerhalb weniger Jahre waren die meisten Anwälte und Wissenschaftler, die dem genetischen Fingerabdruck in der Forensik ursprünglich kritisch gegenüberstanden, von der Methode überzeugt: Die Technologie wurde so weit verbessert, dass sie nicht mehr kritisiert, sondern weithin genutzt wurde. Die Macht des genetischen Fingerabdrucks half beispielsweise zu zeigen, dass unschuldige Personen zu Unrecht inhaftiert waren.

Ein wichtiger Grund, warum sich der genetische Fingerabdruck durchsetzte, war die so genannte STR-Analyse. Diese Methode der DNA-Analyse brachte gegenüber früheren Analyseverfahren technisch zahlreiche Vorteile: Sie machte das Verfahren schneller, präziser und ermöglichte die Analyse viel kleinerer biologischer Proben; da bei dieser Methode kurze DNA-Abschnitte mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion vervielfältigt und dann mit einem Massenspektrometer analysiert werden, anstatt die vorhandene DNA mit Restriktionsenzymen zu zerschneiden und viel größere Segmente auf einem Gel mit Hilfe von Elektrizität zu trennen; und dann die Längen der Restriktionsfragmente mit dem Auge zu vergleichen.

Die DNA-Kriege sind vorbei

Die STR-Analyse beendete, was damals als „DNA-Krieg“ bezeichnet wurde: Die gesellschaftlichen und rechtlichen Kontroversen um den genetischen Fingerabdruck waren vorüber. Während die Erstellung von genetischen Fingerabdrücken einst selbst vor Gericht stand, trat die DNA-Analyse nun ihren Siegeszug an. Der genetische Fingerabdruck legte die Unzulänglichkeiten und den Rassismus des amerikanischen Strafrechtssystems offen, weil es zeigte, wie viele Menschen hinter Gittern durch die neue Methode entlastet werden konnte. Ihre doppelte Verwendung als Waffe sowohl der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft zu Be- oder Entlastung machte sie in den Augen der Öffentlichkeit noch mächtiger.

Wo immer Menschen beteiligt sind, bleibt das Potenzial für Voreingenommenheit, Fehler, versteckte subjektive Urteile und sogar Betrug.

Obwohl sich mittlerweile fast alle einig sind, was die Genauigkeit und Zuverlässigkeit von DNA-Beweisen ausmacht, ist ein Teil der ursprünglichen Kritiker (darunter auch ich) wachsam geblieben, was das Fehlerpotenzial und das falsche Vertrauen in die Idee angeht, dass eine Technologie soziale und politische Probleme lösen kann. Wir haben darauf hingewiesen, dass Technologien nicht von den Menschen und Institutionen getrennt werden können, die sie entwickeln und verwenden. Wo immer Menschen beteiligt sind, bleibt das Potenzial für Voreingenommenheit, Fehler, versteckte subjektive Urteile und sogar Betrug. Die Rechtswissenschaftlerin Erin Murphy bezeichnete diese Realität als die „dunkle Seite der DNA“.

Die genealogische DNA-Analyse und ihre Gefahren

Und tatsächlich: Die öffentlichen und privaten Investitionen in immer neue und leitungsfähigere Methoden der genetischen Forensik nehmen zu; und Strafverfolgungsbehörden und Regierungen auf der ganzen Welt legen umfangreiche DNA-Datenbanken von Menschen an, die mit dem Justizsystem in Berührung kommen. Zudem senden immer mehr Menschen bereitwillig ihre DNA für genealogische Tests ein und die jeweiligen Unternehmen speichern diese genetischen Informationen über einen langen Zeitraum. DNA wird gleichzeitig immer mehr auf spekulative und unbewiesene Weise im Justizsystem verwendet; und da viele Regierungen vage Vorstellungen von Sicherheit über den Schutz von Privatsphäre und Freiheit stellen, könnte die dunkle Seite der DNA noch bedrohlicher werden.  

×

Zahlen & Fakten

Wie die DNA-Analyse entstanden ist

Ein Mann in einem Labor

Die weltweit erste Verurteilung aufgrund einer DNA-Analyse verhinderte zugleich ein Fehlurteil: Die britische Polizei hatte sich bereits auf einen Verdächtigen eingeschossen, als der britische Genetiker Alec Jeffreys aufgrund von Spermaspuren nachweisen konnte, dass es ein anderer Mann gewesen sein musste, der in Narborough, England, zwei Teenager vergewaltigt und ermordet hatte. 

Im Folgenden werde ich auf einige dieser Herausforderungen eingehen.

In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben Wissenschaftler Methoden entwickelt, um immer kleinere DNA-Mengen aus immer schwierigeren und winzigeren Substraten zu extrahieren, damit sie vervielfältigt und analysiert werden können. Viele dieser Extraktionstechniken wurden entwickelt, um die Identifizierung von Vermissten nach Konflikten und Katastrophen zu erleichtern, sind aber heute in vielen Teilen der Welt Routine in der kriminalistischen Praxis. Die Techniken werden ständig verfeinert und immer leistungsfähiger gemacht, oft unter dem Namen „Umwelt-DNA“. Mittels der PCR-Methode, bekannt von den Covid-Tests, wird DNA exponentiell vervielfacht. Dadurch kann eine winzige Verunreinigung dazu führen, dass eine Person (oder eine Personengruppe) irrtümlich in ein Ereignis oder eine Situation verwickelt wird, an der sie nicht beteiligt war.

Eine Blackbox soll das Wirrwarr sortieren

Ein weiterer Bereich, in dem viel geforscht wurde, ist die Interpretation komplexer Mischungen. Dank der Möglichkeit, selbst kleinste DNA-Stücke aus einer biologischen Probe zu isolieren und zu amplifizieren, können die genetischen Spuren vieler Menschen an einem einzigen Tatort vermischt gefunden werden. Diese Mischungen sind äußerst schwierig zu interpretieren, und bis vor kurzem mussten menschliche Ermittler versuchen, sie mit sehr subjektiven Methoden zu sortieren, die oft Informationen darüber beinhalten, wer nach Meinung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft beteiligt war.

Kritiker argumentieren, dass Angeklagte das Recht haben, einen Experten zu befragen – egal, ob es sich dabei um einen Menschen oder einen Computer handelt.

Zwei Unternehmen, TrueAllele und STRMix, bieten Blackbox-Algorithmen an, die angeblich das Wirrwarr an vermischten Markern sortieren und sie mit einer objektiven und mathematischen Methode, die sich nicht auf vorherige Informationen stützt, nach ihren Urhebern gruppieren. Während die Polizei und Staatsanwälte mit dieser Regelung einverstanden sind, haben viele Verteidiger und Rechtswissenschaftler in Frage gestellt, ob wir einen Prozess automatisieren sollten, ohne zu verstehen, wie er funktioniert.

Die Unternehmen behaupten, es reiche aus, wenn ihre Algorithmen durch Blindtests validiert würden, während Kritiker argumentieren, dass Angeklagte das Recht haben, einen Experten zu befragen – egal, ob es sich dabei um einen Menschen oder einen Computer handelt. Um das angewandte Verfahren verstehen zu können, wollen sie Zugang zum zugrunde liegenden Quellcode erhalten, der verwendet wird, um die Marker in einzelne Profile aufzuteilen.

22 Millionen DNA-Profile lagern alleine beim FBI

Neben den technischen und rechtlichen Bedenken gibt es eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Menschenrechte, die Gesellschaft und die bürgerlichen Freiheiten. Die Existenz nationaler DNA-Datenbanken ist seit langem ein Thema für alle, die sich für Freiheit, Privatsphäre und Gerechtigkeit in Gesellschaften auf der ganzen Welt interessieren. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel enthält die DNA-Datenbank des FBI inzwischen fast 22 Millionen Profile, was etwa sieben Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Frage, nach welchen Kriterien diese Proben in der Datenbank landen, wie lange sie aufbewahrt und wann sie vernichtet werden, wird seit Jahren diskutiert.

Die zunehmend zulässige Verwendung von so genannten Teilabgleichsprotokollen in DNA-Datenbanken bedeutet, dass Verwandte von Verdächtigen in diesen Datenbanken identifiziert und zur Lokalisierung der betreffenden Person herangezogen werden können. Die Wahrscheinlichkeit, in einem Fall identifiziert zu werden, erhöht sich dramatisch, wenn man einen Verwandten hat, der bereits mit dem Strafrechtssystem zu tun hat. Das Problem dabei ist, dass es in vielen Ländern erhebliche Ungleichheiten bei der Polizeiarbeit, der Strafverfolgung und der Verurteilung entlang rassischer, ethnischer oder klassenbedingter Grenzen gibt, was zu einer Situation führt, in der bestehende soziale Ungleichheiten noch verschärft werden.

Wie der Golden State Killer gefunden wurde

In Zukunft werden noch viel mehr von uns – vor allem US-Amerikaner – dieser Art von genetischer Überwachung ausgesetzt sein, da die Polizei zunehmend versucht, auch jene DNA-Proben zu nutzen, die Menschen an private Unternehmen zur genealogischen Analyse geschickt haben, um ihren Stammbaum zu erkunden und verlorene Verwandte zu finden. Die forensische genetische Genealogie wurde bereits eingesetzt, um Hinweise auf jahrzehntealte, ungelöste Verbrechen zu erhalten.

Am bekanntesten ist die Identifizierung des „Golden State Killers“ Joseph DeAngelo im Jahr 2018, der sich schließlich für Dutzende von Morden, Vergewaltigungen und Einbrüchen schuldig bekannte, nachdem er in der öffentlich zugänglichen genetischen Genealogie-Datenbank GEDmatch mit mehreren entfernten Verwandten abgeglichen worden war. Wenn keine strengen Vorschriften erlassen werden, können private Unternehmen gezwungen oder verleitet werden, der Polizei den Zugriff auf ihre gespeicherten genetischen Informationen zu gestatten, die von normalen Menschen nicht für diesen Zweck bereitgestellt wurden.

Die DNA weiß, wie groß die Glatze ist

Ein weiterer Bereich, der bei Rechtswissenschaftlern für Besorgnis sorgt, ist die Praxis der forensischen DNA-Phänotypisierung. Sie zielt darauf ab, anhand der genetischen Sequenz auf sichtbare Merkmale einer Person zu schließen – Haut-, Augen- und Haarfarbe, aber auch Dinge wie die Gesichtsstruktur, das Vorhandensein oder Fehlen von Sommersprossen und der Grad des Haarausfalls. Jeder, der sich mit der biologischen Entwicklung befasst hat, weiß jedoch, dass Organismen nicht nur ein Produkt ihrer Gene, sondern auch ihrer Umwelt sind, sodass genetische Informationen nur einen Teil der Geschichte erzählen.

Der Einsatz der forensischen DNA-Phänotypisierung könnte zu einer erheblichen Verschwendung polizeilicher Ressourcen führen.

Umso mehr, wenn man bedenkt, dass diese Tests nur auf Wahrscheinlichkeiten beruhen und es außerdem sehr einfach ist, das normale Erscheinungsbild einer Person durch eine Vielzahl von Technologien zu verändern – von Haarfärbemitteln bis hin zu kosmetischen Eingriffen. Der Einsatz der forensischen DNA-Phänotypisierung könnte zu einer erheblichen Verschwendung polizeilicher Ressourcen und sogar zur Verhaftung oder Belästigung von Personen führen, die einige der mit dieser Technik ermittelten Merkmale aufweisen und nichts mit dem fraglichen Ereignis zu tun haben.

Fragwürdige Rückschlüsse

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zunehmende Macht der forensischen DNA-Technologien und der ungerechtfertigte Glaube, dass sie eine unproblematische Wahrheit liefern, dazu führen, dass wir als Gesellschaft immer weniger geneigt sind, ihr expansives Wachstum zu umfassenden Überwachungssystemen zu hinterfragen. Obwohl sie in unsere familiären Beziehungen eingreifen und uns an Orten aufspüren, an denen vermutlich Verbrechen begangen wurden – unabhängig davon, ob wir etwas mit dem Verbrechen zu tun hatten oder nicht. Sie ziehen wissenschaftlich fragwürdige Rückschlüsse auf das Aussehen einer Person, womit sie Tausende von Menschen belasten können, die nichts mit einem Verbrechen zu tun haben, und sie nutzen DNA-Proben, die für andere Zwecke zur Verfügung gestellt wurden, für strafrechtliche Ermittlungen.

Die forensische DNA-Analyse spielt zweifellos eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, für unsere Sicherheit zu sorgen. Aber wir Bürger können uns nicht darauf verlassen, dass die Strafverfolgungsbehörden die Verwendung dieser Methoden kontrollieren. Wir müssen uns aktiv daran beteiligen, Grenzen zu setzen und die Kontrolle über diese sehr leistungsfähigen, aber fehlbaren Technologien aufrechtzuerhalten. Wir müssen auch eine gesunde Skepsis gegenüber der Gültigkeit der Ergebnisse bewahren, die sie liefern. Unsere kollektive und individuelle Freiheit und Autonomie hängt davon ab.

×

Conclusio

Die DNA-Analyse war ein Segen für die Forensik; und sie half allen Seiten: Sie brachte Schuldige ins Gefängnis und half zu Unrecht Verurteilten, ihre Unschuld zu beweisen. Aber wie alle Methoden hat sie ihre Schattenseiten und viel zu oft werden diese übersehen. Auch die DNA-Analyse verdient unsere gesunde Skepsis.

Mehr zu Wissenschaft

Unser Newsletter