Warum wir hassen
Wenn Menschen abgeschlachtet oder Beziehungen zerstört werden, führt meist der Hass Regie. Woher kommt dieser primitive Reflex, der anders als Wut und Rache keine positiven Elemente aufweist und stets Vernichtung zum Ziel hat? Und was kann man dagegen tun?
Auf den Punkt gebracht
- Globale Konfliktursache. Hass übertrifft andere psychische Kräfte und ist der Hauptauslöser für Kriege, Verbrechen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen.
- Zerstörerische Dauerpräsenz. Hass verweilt in der Gesellschaft über Generationen hinweg, zerstört Beziehungen und verhindert die Heilung von Wunden.
- Psychologische Verankerung. Hass ist tief im Seelenleben verwurzelt, wird von Gedanken und Plänen geleitet und zielt immer auf die Vernichtung des Anderen.
- Präventionsansatz Empathie. Der Ausbau von differenzierten Gefühlen und Empathiefähigkeit ist essenziell, um den Nährboden für Hass zu reduzieren.
Werden Konflikte, Verbrechen oder Kriege analysiert, wird man immer bei einer treibenden, alles andere übertreffenden psychischen Kraft landen: beim Hass. Ohne Hass wäre es weder zum Terrorüberfall der Hamas auf Israel noch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, nicht zu den historischen Konfessionskonflikten oder zu den beiden Weltkriegen gekommen. Ohne Hass gäbe es keinen Terrorismus und keine aus Selbsthass resultierenden Suizide, kaum ein School Shooting und viel weniger Femizide.
Mehr Gefühl
- Vererbt: Trauma
- Verkannt: Aufmerksamkeit
- Verbunden: Glück
Hass, der jede zwischenmenschliche oder gesellschaftliche Auseinandersetzung katalysiert, zerstört Beziehungen aller Art und besiegelt das Ende von langjährigen Partnerschaften. Mit seinem langen Atem kann er die Blutrache über viele Generationen fortpflanzen. Hass ist der Kriegstreiber Nummer eins und das Motiv für das Böse schlechthin. Hass verschwindet nie aus der menschlichen Gesellschaft; er ist anpassungsfähig, wechselt sein Gesicht und nutzt sogar die sozialen Medien. In moderner Form zeigt er sich in Zynismus und Sarkasmus, in Mobbing und Stalking, in Hate Speech und Hate Crime, in einer sich etablierenden digitalen Hasskultur.
Was ist eigentlich Hass?
Aber was ist Hass überhaupt? Ist er ein Affekt, eine Emotion, eine Leidenschaft oder ein Trieb? Ist er eine seelische Abnormität oder gar eine psychiatrische Erkrankung? Hass ist jedenfalls ein nicht leicht zu beschreibender Gefühlskomplex, eine soziale Interaktion, welche auf den ersten Blick nur schwer von Emotionen wie Verachtung, Ekel oder Wut abzugrenzen ist.
Unter Zusammenschau aller Theorien und Definitionen, die es zu diesem dunkelkalten Gefühl gibt, scheint jene als tief im Gemütsleben verwurzelte Leidenschaft noch die treffendste zu sein. Diese wird beim Hass durch eine Idee, einen Gedanken oder einen Plan geleitet und ist emotional immer auf Vernichtung ausgerichtet.
Hass gehört zur Grundausstattung der menschlichen Gefühlswelt, ist aber auf einer niedrigen Stufe angesiedelt, nur knapp über den Trieben, also in einem primitiven Bereich. Am Hass ist im Gegensatz zu anderen Aggressionsaffekten nichts Positives zu finden. Wut wirkt oft befreiend, Rache kann gerecht, oft sogar süß sein, und den Zorn bezeichnen wir manchmal als heilig.
Selbst der viel geschmähte Narzissmus vermag in der richtigen Dosis den Selbstwert zu stärken, und wenn Neid zu besseren eigenen Leistungen anspornt, kann man ihm ein konstruktives Element nicht absprechen.
Hass gehört zur Grundausstattung der menschlichen Gefühlswelt.
Nicht so der Hass: Er ist eine kalte, erbarmungslose, auf Zerstörung ausgerichtete Leidenschaft, die keine gute Seite hat. Deshalb können Hassende nie ein Gefühl der Erleichterung, der Befriedigung oder des Triumphes erleben, sondern spüren in sich nur Düsternis, Sadismus – und Tod. Mahatma Gandhi (1869–1948) hat es auf den Punkt gebracht: „Wo Hass aufkommt, droht stets Untergang.“
Gesamthaft erfasst ist Hass eine vom Todestrieb des Menschen in Gang gesetzte, auf Vernichtung ausgerichtete psychologische Urkraft. Sie enthält neben intensiven emotionalen Elementen stets eine starke rationale Komponente und entwickelt sich im Gegensatz zu Zorn und Wut allmählich. Hass ist aber viel anhaltender als die akut auftretenden und ebenso rasch wieder abklingenden übrigen Aggressionsaffekte. Hass ist eine primitive Emotion, die alle andern übertönt und differenzierte emotionale Reaktionen sowie relativierende intellektuelle Auseinandersetzungen erübrigt, ja sogar verhindert.
Hass kann sich nur ausbreiten, wenn die hassenden Personen unter einem Mangel an Empathie leiden oder diese gegenüber den Hassobjekten ausschalten können. Deshalb ist es in der Hassprävention von größter Wichtigkeit, die differenzierten Gefühle auszubauen, um den undifferenzierten keinen Kampfplatz zu geben. Denn wo die warmen Gefühle dominieren, haben die kalten keinen Platz. Und Hass ist das kälteste aller Gefühle.
Wie die meisten psychischen Phänomene kann man Hass nicht monokausal erklären. Seine Ursachen sind vielfältig und resultieren aus einem Bündel von Erbanlagen, frühen Prägungen, Erziehungs- und Umwelteinflüssen, vulnerablen Persönlichkeitszügen, lebensgeschichtlichen Erfahrungen und psychosozialen Störfaktoren.
In der evolutionären Entwicklung konnten sich zum Hass befähigte Individuen – dies ist durch wissenschaftliche Untersuchungen an Schimpansen belegt – besser durchsetzen als ihre friedlicheren Artverwandten. Da die Hirnforschung einen „Schaltplan des Hasses“ entdeckt hat, muss man wohl auch hirnphysiologische Ursachen in Betracht ziehen.
Todestrieb – nach Außen gerichtet
Die klassische Tiefenpsychologie erklärt Hass mit dem auf Auflösung von Bindungen, auf Verletzung und Erstarrung ausgerichteten Todestrieb. Viele hasserfüllte Personen wie Gewaltverbrecher und politische Despoten seien in krankhafter Weise von diesem Gegenspieler des Lebendigen beherrscht.
In der Psychoanalyse, welche die zerstörerische Energie des Hasses in den Mittelpunkt stellt, wird er als nach außen gewandter Todestrieb interpretiert. Sigmund Freud (1856–1939) spricht wie spätere Analytiker von einem „Trieb zur Grausamkeit“.
Wird das menschliche Urbedürfnis nach Liebe nicht erfüllt, löst dies Angst aus. Jeder Mensch wird um diese ‚emotionale Muttermilch‘ kämpfen.
Allen Erklärungsversuchen des Hasses liegen zwei Modellvorstellungen zugrunde: jene der Angst vor Liebesmangel und jene der fehlgeleiteten Aggressionsverarbeitung. Wird das menschliche Urbedürfnis nach Zuwendung und Liebe nicht erfüllt, löst dies Verunsicherung, Zweifel und Angst aus. Jeder Mensch wird um diese „emotionale Muttermilch“ kämpfen, muss jedoch allzu oft erkennen, dass das Ziel mit keinem Mittel, weder mit Bitten oder Betteln noch mit Drohung und Gewalt, erreichbar ist und er ohne jede Macht, also ohnmächtig, bleibt.
Jetzt kommt die Stunde des Hasses. Er schießt gleichsam wie ein primitiver Reflex ein – wie die letzte noch verbleibende Möglichkeit, sich gegen das Liebesentzugs-Trauma zu wehren. So kann man den Hass bei Kind-Eltern-Tötungen oder bei den meisten Femiziden erklären. Die Liebesmangel-Hypothese erklärt, weshalb neben den allgemein gefürchteten großen Wurzeln des Hasses – destruktiver Neid, unbeherrschbare Gier, Eifersucht oder Rachebedürfnisse – scheinbare Kleinigkeiten wie fehlende Positivresonanz, Enttäuschung und Kränkung, Diffamierung, Demütigung oder Beschämung und Beschuldigung die Hassspirale auslösen können.
Hass als Reaktion auf Unterdrückung
Der zweite psychologische Motor des Hasses ist die fehlgeleitete Aggression. Diese dem Angriff oder der Verteidigung dienende, biologisch tief verankerte Verhaltensweise tritt in hassartiger Form als Reaktion auf Unterdrückungen auf.
Kriminologisch bedeutsam ist die Frustrations-Aggressions-Hypothese, der zufolge aggressive Impulse durch Frustrationen ausgelöst werden und sich – so auch in der Hassentwicklung – auf andere Ziele verschieben Haslassen. Hassgesteuerte Aggressionen manifestieren sich nicht nur im Verletzen oder Töten eines anderen Lebewesens oder in Sachbeschädigungen. Viel häufiger sind verbale Hassformen wie Bedrohen, Beleidigen, Verspotten, Beschimpfen oder Zynismus und Sarkasmus.
Als verdeckte Hassauslöser spielen toxisches Schweigen und destruktive Fantasien eine oft unterschätzte Rolle. Heute wird Hass häufig in virtualisierter Form ausgelebt, also online. Das Internet kann den Hass verstärken, aber auch zum Blitzableiter werden.
Wenn man anderen durch Demütigung den letzten Mut nimmt, entsteht unweigerlich Hass.
Ganz am Anfang der Hassentwicklung steht immer das Gefühl der Ohnmacht. Fühlt sich der Mensch im wahrsten Sinn des Wortes ohne jegliche Macht, bleibt ihm nur noch Hass als letzte Möglichkeit der Abwehr und Aggressionsabfuhr.
Die Konfliktparteien im Nahen Osten sollten sich deshalb stets vor Augen halten: Wenn man anderen durch Demütigung den letzten Mut nimmt oder sie in ein Leben ohne jegliche Macht und Würde stößt, entsteht unweigerlich Hass. Hass tritt meist als Reaktion auf, heute etwa bei den „Incels“, den unfreiwillig zölibatär lebenden Menschen.
Manchmal kann er aber auch Teil der Persönlichkeit sein, man spricht dann vom „Hasscharakter“. Dieser zeigt sich bei dissozialen und permanent aggressiven Personen, besonders aber bei den malignen Narzissten, die ihren Selbstwert aus der Verachtung der Mitmenschen und dem Hass auf die gesamte Umwelt beziehen.
Weil es aber nicht genügt, den Hass zu hassen, soll am Schluss gefragt werden, welche hassbekämpfenden und -präventiven Möglichkeiten sich aus den dargetanen Theorien ableiten lassen: Zentral ist dabei die Frage, wie es jedem Einzelnen von uns und der gesamten Gesellschaft gelingt, das in uns schlummernde Aggressionspotenzial in eine sozial verträgliche Form umzuwandeln.
Wie kann der Hass aus seiner grausamen Triebhaftigkeit weiterentwickelt werden zu einer differenzierteren, humaneren Gefühlskategorie? Können Kreativität, wirtschaftlicher Wettbewerb und sportlicher Wettkampf an die Stelle von Destruktion und Vernichtung treten?
Gegen Hass hilft Empathie
Da Hass nur aufkeimen kann, wenn die Empathie fehlt oder ausgeschaltet wird, kommt in der Hassprävention der Empathieförderung, der Weiterentwicklung der Fähigkeit, „so zu fühlen, wie du fühlst“, größte Bedeutung zu.
Ob wir in einer kalt und narzisstisch gewordenen Gesellschaft nicht so etwas dringendst bräuchten wie einen Empathieunterricht? Alle großen Geister, die sich mit der Bekämpfung des Hasses auseinandergesetzt haben, sind zum Schluss gekommen, dass die größte Chance im therapeutischen Erklären und in der Transparenz liege. Man müsse über den Hass und seine Wurzeln aufklären, ihn umzuverstehbar machen, ihm jegliche Faszination nehmen und ihn als das darstellen, was er wirklich ist: eine primitive, kalte, arrogante und schamlose, auf Zerstörung ausgerichtete Emotion, ein Trieb zur Grausamkeit, eine menschenverachtende Leidenschaft.
Wenn eingangs festgestellt wurde, Hass sei eine durch und durch negative Emotion, an der nichts Positives zu finden sei, gibt es vielleicht eine Ausnahme. Der große Freiheitskämpfer und Staatsmann Nelson Mandela (1918–2013) hat einmal gesagt, er hätte die 27 Jahre dauernde politische Haft nicht überstanden, wenn er den Hass nicht gehabt hätte. Hass sei das Einzige gewesen, was ihm im Zustand der hoffnungslosen Ohnmacht noch geblieben sei und ihn am Leben erhalten habe.
Aber, so bilanzierte der Friedensnobelpreisträger von 1993: „Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben.“
Conclusio
Wenn es zu Gräueltaten wie den von der Hamas verübten Morden und Vergewaltigungen kommt, lenkt der Hass das menschliche Verhalten. Er ist eine auf Zerstörung ausgerichtete Leidenschaft, der – anders als bei Rache oder Zorn – nichts Positives abzugewinnen ist. Meist liegt dem Hass ein Mangel an Liebe und Zuwendung zugrunde, der Unsicherheit und Angst auslöst. Der erfolglose Kampf gegen den Liebesentzug löst primitive Reflexe aus, mit denen sich der Mensch gegen die empfundene Ohnmacht wehrt. Der zweite wesentliche Auslöser von Hass ist die Unterdrückung, die zur fehlgeleiteten Aggression führt. Was lässt sich gegen den Hass tun? Studien zeigen, dass die Förderung von Empathie helfen kann. Auch Aufklärung und Transparenz über die Wurzeln dieser dunklen Emotion können dem Hass die Faszination nehmen.