Sollen wir Tiere genetisch verändern?

Die Molekularbiologin Gabriele Werner-Felmayer über Chancen, Risiken und ethische Grenzen der Gentechnik.

Illustration einer Genschere für ein Interview mit Gabriele Werner-Felmayer
CRISPR/Cas9 wird oft als Genschere bezeichnet, doch ganz so einfach sind die Dinge nicht. © Michael Pleesz

Gabriele Werner-Felmayer ist außerordentliche Universitätsprofessorin für Medizinische Biochemie an der Medizinischen Universität Innsbruck. 2007 gründete sie das interdisziplinäre Bioethik-Netzwerk „ethucation“, das sie seitdem leitet. Ihre aktuellen Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle von Biomedizin und Gesellschaft.

Der Pragmaticus: Frau Werner-Felmayer, dürfen wir Tiere aus ethischer Sicht genetisch verändern?

Gabriele Werner-Felmayer: Als Molekular- und Mikrobiologin bin ich nicht kategorisch gegen die Entwicklung und Verwendung von Gentechnik. Zu bedenken ist jedoch, dass wir wissenschaftlich die komplexen Zusammenhänge von Genom und der Ausprägung von Eigenschaften erst zum Teil überblicken. Das Versprechen von Gentechnik ist, dass sie gewünschte Eigenschaften von Tieren zielgerichteter und effizienter als herkömmliche Zuchtverfahren erzielen kann. Diese Sichtweise ist allerdings sehr eng, weil man hier nicht danach fragt, was der Mensch überhaupt mit Tieren tun darf.

Macht es einen Unterschied, ob das mit klassischen Methoden oder CRISPR-Cas getan wird?

CRISPR-Cas wird oft als Genschere umschrieben und als präzise und unkompliziert dargestellt, aber diese Vereinfachung ist problematisch. Natürlich kann es auch bei dieser Technologie zu Fehlentwicklungen und unerwünschten Nebeneffekten kommen. Es ist trotzdem ein sehr nützliches Werkzeug, gerade in der Forschung. Allerdings stehen wir hier in einem Widerspruch: Einerseits bemühen wir uns, den Einsatz von Versuchstieren zu reduzieren (nach dem 3R-Prinzip: Replace, Reduce, Refine) – was uns in der klassischen Forschung auch gelingt –, andererseits erleichtert CRISPR-Cas die Herstellung transgener Tiere, sodass die Zahl von Tierversuchen mit genetisch veränderten Tieren – bis hin zu Primaten – laufend steigt.

Molekularbiologin Gabriele Werner-Felmayer © D Bullock, MUI

Welche ethischen Aspekte spielen eine Rolle, wenn wir uns entscheiden, Tiere genetisch zu modifizieren?

Ein zentraler Punkt ist das Tierwohl. Hier gehen die Meinungen weit auseinander: Manche betrachten Tiere primär als Ressource, andere wiederum fordern für bestimmte Tierarten den Menschenrechten vergleichbare verfassungsmäßige Rechte. Solche Tierrechte sind nur sporadisch in Rechtssystemen festgeschrieben. In vielen Ländern gibt es aber rechtlich gut abgesicherten Tierschutz, der sowohl Forschung an Tieren, Nutztierhaltung oder auch Lebensräume von Tieren und deren Schutz umfasst.

Die Art und Weise, wie wir Tiere behandeln, spiegelt auch unsere moralische und ethische Entwicklung wider. Wir denken heute differenzierter über diese Fragen nach als vor 100 Jahren. Trotzdem bleibt die Grundfrage, wie weit die Nutzung von Tieren für menschliche Interessen gehen darf und trotz bester Tierschutzgesetze wissen wir, dass diese häufig nicht ausreichend umgesetzt werden oder unzulänglich sind.

Wo sehen Sie die größten Risiken, wenn wir das Genom von Tieren verändern?

Neben Risiken für das Tierwohl sehe ich ökologische Risiken als besonders relevant. Zum einen können genetische Veränderungen von Zuchttieren auf Wildpopulationen übertragen werden und diese damit nachhaltig verändern. Auch die genetische Modifikation wildlebender Tiere ist besonders riskant. Wenn wir in Tiere in der freien Wildbahn eingreifen, etwa mit Gene-Drive-Technologien, um ganze Populationen zu verändern oder auszurotten, können wir Ökosysteme nachhaltig destabilisieren. Erste Freilandversuche gibt es bereits, etwa bei Anopheles-Mücken, um Malaria einzudämmen. Selbst Befürworter genetischer Eingriffe warnen vor unkontrollierbaren Folgen.

Da gibt es den gezielten Versuch, eine ganze Tierart auszurotten und aus dem Ökosystem zu nehmen. Auf der einen Seite könnten wir damit Hunderttausende Menschenleben retten. Wie bewerten Sie das?

Das ist eine hochkomplexe Abwägung, insbesondere, wenn man weiß, was Malaria anrichtet. Es mag gerechtfertigt erscheinen. Aber wir sollten nie isoliert über solche Maßnahmen sprechen, sondern stets das gesamte Ökosystem betrachten. Ein Beispiel: In Europa gab es früher Malaria, die durch Umweltveränderungen zurückgedrängt wurde. Andererseits wäre beispielsweise in Namibia eine solche Landschaftsveränderung problematisch, weil sie die gesamte Artenvielfalt eines speziellen Ökosystems beeinträchtigen würde. Aber genetische Lösungen haben Konsequenzen, die wir sorgfältig abwägen müssen. Das fehlt mir oft in der Diskussion darüber, ob genetische Modifikationen gerechtfertigt sind. Sie brauchen jedenfalls flankierende Maßnahmen und strikte Regulierung.

Da sind wir bei einem anderen Punkt: Es gibt Versuche, Nutztiere so zu verändern, dass sie für den menschlichen Konsum optimiert werden.

Da stellen sich ähnliche Fragen: Ist es ethisch vertretbar, eine Kuh genetisch so zu verändern, dass sie ein für Menschen gesundheitsförderndes Protein in ihrer Milch produziert? Das würde implizieren, dass der Mensch das alleinige Maß aller Dinge ist und Tiere nur seiner Gesundheit dienen sollen. Diese Haltung ist fragwürdig. Pferde für den Polo- oder Rennsport, Kühe ohne Hörner oder mit fetthältigerem Fleisch, schnell wachsende Lachse, all diese Entwicklungen sind bereits gemacht worden und mir stellt sich hier die immer gleiche Frage: Wer profitiert hiervon? Wer hat überhaupt Zugang zu diesen „Produkten“?

Etwas anders gelagert ist das Thema Methanausstoß durch Kühe. Dieser wird durch industrielle Massentierhaltung befördert, während eine artgerechte Freilandhaltung und die Berücksichtigung ökologischer Zusammenhänge in der Tierhaltung diesen Ausstoß deutlich reduziert. Im Fall der Methanreduktion ist das Ziel nicht die genetische Veränderung der Kuh, sondern von deren Mikrobiom. Die Frage ist für mich: Braucht es diese Entwicklung, oder lässt sich dieser Problematik auch durch artgerechte Tierhaltung begegnen?

Ein zweites großes Problem in Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Nutztieren ist die Marktungleichheit. Gentechnisch veränderte Tiere oder Pflanzen, die spezielle Behandlung benötigen und teurer sind bringen In Regionen mit kleinteiliger Landwirtschaft – wie etwa den Alpen - wenig praktischen Nutzen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass durch ihren Einsatz die Diversität in der Landwirtschaft verloren geht, da der Fokus auf einer Optimierung der Produktion liegt, die möglicherweise nicht nachhaltig ist.

Wir modifizieren die Tiere, damit wir genau so weitermachen können wie bisher – verstehe ich Sie da richtig?

Genau. Das ist die große Falle.

Warum ist das eine Falle?

Weil wir den Menschen vermitteln: Ist eh alles kein Problem. Es gibt immer ein paar Schrauben, an denen man technologisch drehen kann, um Fehlentwicklungen wieder zu korrigieren, aber generell müssen wir nichts überdenken.

Manchmal könnten genetische Eingriffe bei Tieren aber trotzdem notwendig sein: In Australien etwa, wo invasive Kröten eine Bedrohung für heimische Arten sind. Die werden nicht mehr verschwinden. Nun gibt es die Idee, ein Raubtier genetisch so zu verändern, dass es immun gegen das Gift der Kröten ist. Soll man dieses Risiko eingehen, um das Ökosystem zu erhalten oder überwiegt die Gefahr neuer, unvorhersehbarer Konsequenzen?

Solche Maßnahmen durchlaufen in der Regel strenge ethische Prüfungen, bevor sie umgesetzt werden. Grundsätzlich zeigt dieses Beispiel aber dieses angesprochene Muster: Wir versuchen, durch neue technologische Eingriffe Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Das kann funktionieren, deshalb würde ich auch nie sagen, dass es keine Forschung in diese Richtung geben soll. Es birgt aber auch enorme Risiken und die Gefahr, dass wir genetische Manipulationen als bequeme Lösung für hausgemachte Umweltprobleme betrachten.

Andererseits ist die Frage auch: Kann man eine Technologie aufhalten, wenn sie schon existiert? In China gab es bereits einen Fall genetisch veränderter Babys.

Darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass wir eine möglichst ergebnisoffene und sachliche Diskussion führen, um nicht einfach kurzfristige Korrekturen oder riskante Produktionssteigerungen durchzuziehen, ohne über längerfristige Konsequenzen und biologische Komplexität, sowie über grundlegende Aspekte wie Gerechtigkeit und Wohlergehen für Betroffene, seien es nun Menschen, Tiere oder Ökosysteme, nachzudenken. Eine Technologie an sich ist nicht wirklich das Problem, es kommt vielmehr darauf an, unter welchen Rahmenbedingungen sie zum Einsatz kommt. Die Anwendung von Gentechnik, egal in welchem Bereich, muss sehr gut begründet und reguliert werden. In vielen Ländern, auch in China, gibt es strenge gesetzliche Vorgaben.

Dadurch wurde zwar die 2018 publik gewordene „Erzeugung“ von Kindern, deren Genome editiert worden waren, nicht verhindert, der verantwortliche Wissenschaftler, ein Biophysiker, verbüßte jedoch eine dreijährige Freiheitsstrafe, da derartige Verfahren zur erblichen Veränderung des menschlichen Genoms aus gutem Grund weder in China, noch anderswo auf der Welt, erlaubt sind. Das Beispiel zeigt aber auf, dass es nötig ist, international verbindliche Regulierungen solcher Technologien, die das Potential zu hilfreichen, aber auch zu sehr schädlichen Anwendungen haben, zu etablieren und effektiv umzusetzen.

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