Medizin nach Maß

Jeder Mensch ist einzigartig und hat individuelle Veranlagungen für das Entstehen von Krankheiten. Die Zukunft gehört deshalb der Gentherapie.

Symbolbild Gentherapie: Ein Arzt hält eine Kanüle mit Blut hoch
Das Versprechen der Gentherapie: Eine individuelle Behandlung für jeden Patienten. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Individuelle Gene. Jeder Mensch hat ein einzigartiges Erbgut, das seine Krankheitsanfälligkeit und Therapieansprache bestimmt.
  • Präzisionsmedizin. Mithilfe von Genanalysen, KI und bildgebenden Verfahren wird die maßgeschneiderte Behandlung Realität.
  • Genschere CRISPR. Mit CRISPR/Cas9 lassen sich gezielt genetische Defekte korrigieren – ein Meilenstein für die Medizin.
  • Ethische Fragen. Chancen und Risiken der Gentherapie erfordern eine breite gesellschaftliche Diskussion.

Haben Sie schon von der „personalisierten Medizin“ gehört? Der Begriff taucht immer öfter auf und wird bald in der täglichen Praxis ankommen. Schon lange ist klar, dass nicht jede Behandlung und jede Arznei bei jedem Patienten gleich wirkt. Es liegt also nahe, die Therapien exakt auf die Bedürfnisse des einzelnen Individuums anzupassen. Der Schlüssel dazu liegt in der Gentherapie.

Jeder Mensch hat ein einzigartiges Erbgut, bestehend aus ungefähr 3,3 × 109 Basenpaaren DNA und etwa 22.000 Genen. Dazu kommt, dass jeder Mensch auch verschiedene spezifische Umwelteinflüsse erlebt, die mit seinem Genom eine Wechselwirkung eingehen. Und schließlich ist auch die von exogenen Faktoren (Ernährung, Lebensstil etc.) beeinflusste Epigenetik, die die Aktivität der Gene steuert, bei jedem Menschen anders.

Es ist dieser Individualität geschuldet, dass Menschen verschiedene Veranlagungen für das Auftreten von Erkrankungen haben, unterschiedliche Krankheitsentwicklungen erleben und auch prophylaktische und therapeutische Konzepte bei verschiedenen Patienten unterschiedlich wirken. Das gleiche Medikament kann bei einem Menschen die beabsichtigte Wirkung haben und bei einem anderen überwiegend unerwünschte Nebenwirkungen auslösen.

Die KI kann wieder helfen

Gene spielen also sowohl für die Entstehung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen als auch bei deren Behandlung eine bedeutende Rolle. Manche Leiden werden sogar durch Veränderungen in einem Gen ausgelöst. Es gibt tausende dieser sogenannten monogenen Erkrankungen. Die Bluterkrankungen Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie, die Hämophilie oder die Stoffwechselerkrankungen Zystische Fibrose und Phenylketonurie gehören beispielsweise dazu. Spielen mehrere Gene und entsprechende Umweltfaktoren zusammen, spricht man von einer multifaktoriellen Symptomatik. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, viele Krebsarten, das Parkinson-Syndrom, die Alzheimerdemenz, die altersabhängige Makuladegeneration oder Typ-2-Diabetes.

Im Zuge der Präzisionsmedizin will man in Zukunft viele patientenspezifische Daten zusammenführen, um ein möglichst genaues Bild über das individuelle Risiko, die Prognose des jeweiligen Verlaufs und das beste, für den Patienten maßgeschneiderte Therapiekonzept zu erhalten. Dafür notwendige Daten können von Genomanalysen, bildgebenden Verfahren, klinischen Untersuchungen oder auch von anderen labormedizinischen Diagnoseverfahren stammen. Auch die künstliche Intelligenz wird von enormer Bedeutung sein – etwa bei der Interpretation von Genomdaten oder der Befundung von radiologischen Daten. Das bessere Verständnis der spezifischen Krankheitsentstehungen wird den Weg für eine verstärkte Anwendung eines ganz besonderen Behandlungskonzepts ebnen – der Gentherapie.

Heilung mit der Genschere

Schon seit vielen Jahren wird intensiv an der Etablierung verschiedener gentherapeutischer Ansätze geforscht. Mittlerweile gibt es bereits einige Verfahren, die für die Anwendung an Patienten zugelassen sind. Einerseits kann dabei ein intaktes Gen eingebracht werden, das die Funktion eines krankheitsverursachenden Gens ersetzen soll. Oft werden dabei genetisch veränderte Viren als „Transportmittel“ verwendet.

Es gibt aber auch Verfahren, bei denen die Aktivität eines Gens spezifisch unterdrückt wird. Und jüngere Forschungsarbeiten haben zur Verbesserung des „Genome Editing“ geführt. Für ihre entsprechenden Forschungen wurden die Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Unter Anwendung der sogenannten Genschere CRISPR/Cas9 können dabei Veränderungen im Genom schneller und einfacher durchgeführt werden als früher. Bei vielen Erkrankungen könnte CRISPR/Cas9 als Korrekturwerkzeug zum Einsatz kommen.

Rasante Fortschritte in der Medizin

Die erste Zulassung einer Therapie auf Basis von CRISPR/Cas9 zeigt zwei Entwicklungen, die die aktuelle Life-Science-Forschung stark prägen: Zum einen verlaufen die Prozesse der sogenannten translationalen Medizin (die das Ziel verfolgt, Forschungsergebnisse aus dem Labor in der klinischen Gesundheitsversorgung umzusetzen) immer schneller. Der Nobelpreis für die Entwicklung dieser Genschere wurde wie erwähnt im Jahr 2020 vergeben, und bereits 2023 haben die britische und die US-Gesundheitsbehörde eine Gentherapie auf Basis von CRISPR/Cas9 zugelassen.

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Zahlen & Fakten

Was ist CRISPR/Cas9 eigentlich genau?

CRISPR/Cas9 wird oft als Genschere beszeichnet, aber eigentlich ist sie ein Werkzeug, mit dem sich DNA gezielt verändern lässt. Man kann sich das wie eine präzise Textbearbeitung vorstellen: CRISPR findet eine bestimmte Stelle im Erbgut, und Cas9 schneidet sie durch – ähnlich wie die Such- und Ersetzen-Funktion in einem Textdokument. So können fehlerhafte Gene entfernt, repariert oder durch gesunde Varianten ersetzt werden. Die Methode wurde von einem natürlichen Abwehrsystem von Bakterien inspiriert und ermöglicht heute gezielte genetische Eingriffe mit hoher Präzision.

Zum anderen beflügelt das Zusammenspiel zweier verschiedener Technologien beziehungsweise Forschungsgebiete immer öfter den Fortschritt der biomedizinischen Forschung. Bei der ersten zugelassenen CRISPR/Cas9-Gentherapie für die monogenen Erkrankungen Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie werden Entwicklungen aus den Bereichen Genome Editing und Stammzellforschung in Kombination zur Anwendung gebracht. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Ex-vivo-Gentherapie. Dabei werden den Patienten Blutstammzellen entnommen, die dann im Labor mittels CRISPR/Cas9 entsprechend verändert werden, bevor sie mittels Infusion wieder in den Körper eingebracht werden. Dieser wissenschaftliche Durchbruch ist das Resultat jahrelanger intensiver Grundlagenwissenschaft in beiden Fachgebieten.

Gentherapien bieten für die Zukunft sehr vielversprechende Ansätze zur Behandlung zahl-reicher Erkrankungen, für die derzeit keine vergleichbar wirksamen Therapien existieren. Wie stets bei neuen technologischen Entwicklungen im Gesundheitsbereich gilt auch hier, dass eine begleitende ethische Diskussion unverzichtbar ist, um einerseits die Vorteile nutzen und gleichzeitig mögliche Risiken abwägen und Nachteile vermeiden zu können.

Und die Nebenwirkungen?

Die angesprochenen therapeutischen Ansätze gehören zur Gruppe der sogenannten somatischen Gentherapien. Diese sind spezifisch auf bestimmte Gewebe oder Organe beschränkt. Dabei durch-geführte genetische Eingriffe werden nicht auf die nächsten Generationen vererbt. Somatische Gentherapien sind in Österreich und in vielen Ländern der Welt gesetzlich erlaubt, und die Forschung auf diesem Gebiet wird gefördert. Letzteres ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil beispielsweise Genome Editing mittels CRISPR/Cas9, das als sehr effizient, spezifisch, präzise und sicher gilt, trotzdem manchmal ungewollte Effekte auslöst.

Es ist aktuell nicht zu 100 Prozent sicherzustellen, dass durch CRISPR/Cas9 nicht auch andere Abschnitte in der DNA verändert werden, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. -Darum ist es etwa auch im Zusammenhang mit der ersten im Jahr 2023 für den Menschen zugelassenen CRISPR/Cas9-Gentherapie für Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie unbedingt notwendig, die behandelten Patientinnen und Patienten genauestens zu beobachten und die Resultate laufend im Rahmen klinischer Studien zu überprüfen. Unerwünschte Veränderungen im Genom der Zellen könnten in einem Worst-Case-Szenario beispielsweise die Entstehung einer Leukämie verursachen.

Zusätzlich muss an dieser Stelle angesprochen werden, dass solche Gentherapien aktuell noch mit sehr hohen Kosten verbunden sind. Bei den ersten zugelassenen CRISPR/Cas9-Gentherapien geht man von eineinhalb bis zwei Millionen Euro pro Patient aus. Auch wenn diesen Kosten massive Einsparungen bei der lebenslangen Behandlung der Erkrankungen gegenüberstehen, wird es wohl Diskussionen darüber geben, für wen die Solidargemeinschaft welche Therapiekosten priorisiert übernehmen soll.

Ethische Bedenken

Aus ethischer Sicht problematisch ist der Umstand, dass somatische Gentherapien auch im Zusammenhang mit Gendoping und zur Leistungssteigerung einsetzbar sind. So haben Bodyhacker (das sind Menschen, die den eigenen Körper technologisch aufrüsten) schon öffentlich vorgeführt, wie sie ihr Muskelwachstum anregen wollen, indem sie mittels injizierten CRISPR/Cas9-Lösungen das Myostatin-Gen ausschalten.

Abschließend: Das in Österreich bestehende gesetzliche Verbot der Keimbahntherapie spiegelt einen breiten internationalen Konsens wider. Gentherapeutische Eingriffe zu diesem Zeitpunkt – etwa am frühen Embryo im Zuge einer künstlichen Befruchtung – sind aktuell abzulehnen, weil sie alle Zellen (auch Eizellen oder Spermien) des später geborenen Menschen betreffen. Solche Eingriffe in die Keimbahn würden dann auf die nächsten Generationen weitervererbt. Die Folgen sind schwer abzuschätzen, weil Gene oft mehr als nur ein Merkmal beeinflussen, sie untereinander und mit der Umwelt in einer noch wenig verstandenen Wechselwirkung stehen und viele Merkmale von mehr als einem Gen beeinflusst werden.

All diese Unwägbarkeiten haben leider den chinesischen Forscher He Jiankui im Jahr 2018 nicht davon abgehalten, erstmals solche Eingriffe mittels CRISPR/Cas9 durchzuführen. Drei Mädchen wurden nach der Behandlung geboren, über deren Schicksal wenig bekannt ist. He Jiankui verbüßte eine dreijährige Haftstrafe in China und ist mittlerweile wieder in einem Labor tätig.

Jetzt aber zurück zu den guten Nachrichten: Wir können erwarten, dass somatische CRISPR/Cas9-Eingriffe in Zukunft bei immer mehr Erkrankungen zum Einsatz kommen werden. Die Gentherapie wird vielen Menschen Linderung oder sogar Heilung bringen, denen die Medizin bisher nur unzureichend helfen konnte.

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Conclusio

Fortschritt. Personalisierte Gentherapien versprechen Heilung für bisher untherapierbare Krankheiten.

Herausforderungen. Kosten, Langzeiteffekte und ethische Fragen müssen sorgfältig abgewogen werden.

Verantwortung. Die richtige Balance zwischen Innovation und Regulierung ist entscheidend.

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