Wie wir die Alpenwälder retten können

Der Botaniker Stefan Mayr erforscht die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpenwälder – von Borkenkäfer über Rostpilz bis hin zu Waldbränden.

Der Botaniker Stefan Mayr forscht an der Zukunft der Alpenwälder.
Der Botaniker Stefan Mayr forscht an der Zukunft der Alpenwälder. © Rudi Wyhlidal

Vor kurzem brannte es hier lichterloh. Stefan Mayr steht in seiner Forschungsfläche im Tiroler Praxmar und deutet auf ein kleines abgegrenztes Feld mit abgebrannten Nadelbäumchen. „Das schaut jetzt recht harmlos aus, aber da ist es ordentlich abgegangen“, sagt er. Es verlief alles nach Plan, bis der Wind kam. „Binnen einer Minute haben sogar Schutzplanken zu brennen angefangen; 600 Grad haben wir gemessen.“ Es war der Zeitpunkt, als die vorbereiteten Wasserschläuche zum Einsatz kamen und das Experiment beendeten.

Stefan Mayr zündet nicht zum Spaß Bäume an. „Wir versuchen zu verstehen, was sich in Bäumen abspielt während es brennt und wie unsere Wälder auf Brände reagieren“, sagt Mayr, Botaniker an der Universität Innsbruck. Die vergangenen Jahre waren von Jahrhundertwaldbränden geprägt; in Kalifornien, in Griechenland, aber beispielsweise auch im Tiroler Absam. „Da sind 2014 mehrere Hektar direkt über der Ortschaft abgebrannt“, erzählt Mayr. Viele Alpenwälder, auch jener über Absam, sind Schutzwälder, die die Ortschaften etwa vor Murenabgängen schützen – sie haben eine essenzielle Bedeutung für das Leben in den Alpen.

Die Zukunft der Alpenwälder

„Unter anderem versuchen wir hier herauszufinden, wie es Bäumen geht, die die Brände überleben“, sagt Mayr und zeigt auf ein kleines angesengtes Bäumchen im Eck des abgebrannten Feldes. „Überlebende Bäume sind wichtig, weil sie den Boden stabilisieren und Samen liefern. Man weiß aber auch, dass viele dieser Bäume Jahre später absterben, ohne dass wir den genauen Grund kennen.“ Einen abgebrannten Wald wieder aufzuforsten ist eine schwierige Angelegenheit. „Der Boden kann nach einem Brand sogar Giftstoffe enthalten, vermutlich wird das Aufkommen von Baumsämlingen auch durch die starke Erwärmung des verbrannten schwarzen Bodens in der Sonne erschwert.“

Stefan Mayr zeigt einen angebrannten Zapfen
In einer Forschungsfläche wurde ein Waldbrand simuliert. © Rudi Wyhlidal

Kontrollierte Brände sind nur eines von vielen Forschungsprojekten, bei denen sich Mayr und seine Kollegen mit den Auswirkungen der Klimaerwärmung auf Bäume und alpine Wälder beschäftigen. „Gebirge sind überdurchschnittlich betroffen, weil sich Landmassen schneller erwärmen als Ozeane. In den Alpen sind wir vermutlich schon nahe der zwei Grad Temperaturerhöhung“, sagt Mayr. „The Future of Mountain Forests“ heißt deshalb ein großes, von Mayr geleitetes Forschungsprojekt, an dem mehrere Institute der Universität Innsbruck beteiligt sind. Hier in Praxmar auf rund 1.700 Metern Seehöhe wurde eine alte Forsthütte zur Forschungsstation umgebaut, ein elektrischer Zaun schützt die Versuchsflächen neben der Hütte, die für die Forschungen genutzt werden.

Woran die Alpenwälder leiden

Gleich neben dem abgebrannten steht ein anderes Beet mit verschiedenen Baumarten – Fichte, Wacholder, Bergahorn, Vogelbeere –, an denen im Winter Schneemanipulationsexperimente stattgefunden haben. Der Schnee wurde von den Pflanzen entfernt, um zu sehen, wie sich die Reduktion der schützenden Schneedecke auf sie auswirkt. „Das ändert die Situation dramatisch, weil es dann in der Nacht kälter ist und tagsüber die Sonne ungeschützt draufscheint.“

Botaniker Stefan Mayr bei der Arbeit.
Botaniker Stefan Mayr bei der Arbeit. © Rudi Wyhlidal

Mayrs Büro beim Botanischen Institut in Innsbruck ist eine halbe Autostunde von der Forschungsstation in Praxmar entfernt und die Wälder, die während der Fahrt zur Station an den Fenstern vorbeiziehen, dienen ihm als eine Art Lehrfilm über den Zustand der Alpenwälder. „Grundsätzlich erforschen wir Stressfaktoren, denen Bäume ausgesetzt sind“, erzählt er. Es können biotische – etwa Konkurrenz zwischen Arten, Symbiosen mit Pilzen oder Parasitenbefall – und abiotische – zum Beispiel Trockenheit oder Hitzestress – unterschieden werden. Der Klimawandel stresst die Wälder auf sehr unterschiedliche und oft komplexe Weise.

Pflanzen sind grundlegend andere Organismen als Tiere und Menschen – und sehr komplex.

Mayr beschäftigt sich vor allem mit dem Wasserhaushalt der Bäume, „den wir noch nicht sehr gut verstehen“, wie er sagt. Wer Mayr zuhört, ist irgendwann erstaunt. Erstaunt nicht nur über alles, was er zu erzählen weiß. Sondern auch darüber, wie viel wir nicht wissen über Lebewesen, die den Menschen begleiten, seit es ihn gibt. „Pflanzen haben eine ganz andere Lebensstrategie“, erklärt er.

Der Baum, das unbekannte Wesen

„Sie sind grundlegend andere Organismen als Tiere und Menschen – und sehr komplex. Das Genom ist oft größer als das des Menschen.“ Auch ihr Wasserhaushalt funktioniert komplett anders: „Wir haben eine Pumpe, das Herz, und einen mehr oder minder geschlossenen Flüssigkeitskreislauf. Pflanzen hingegen sind ein offenes System: Unten wird Wasser aufgenommen, oben bei den Blättern geht es raus. Ein großer Baum kann so am Tag ein paar hundert Liter Wasser verdunsten.“

Die Forschungsflächen in Praxmar.
In verschiedenen Forschungsflächen wird die Zukunft der Alpenwälder erforscht. © Rudi Wyhlidal

Mayr und sein Team versuchen zu verstehen, wie diese von uns so unterschiedlichen Organismen auf ein sich in verschiedenen Facetten wandelndes Klima reagieren. Mit einem zusätzlichen Erschwernisfaktor: Bäume wachsen extrem langsam – und damit dauert auch Forschung an Bäumen wirklich lange. „Das ist auch für die Finanzierung ein Problem, weil Projekte meist nur für drei, vier Jahre laufen“, sagt Mayr. Da wächst ein Baum gerade einmal ein paar Zentimeter.

So viel ist aber bekannt: Ein Anstieg der mittleren Temperaturen um zwei Grad ist nicht das eigentliche Problem. „Das stecken die meisten Pflanzen locker weg, die täglichen Temperaturschwankungen sind ja deutlich höher“, sagt Mayr. Dramatisch sind jedoch die Extreme, wenn es lange heiß und trocken ist, sowie Kombinationen von Stressfaktoren. „Eine trockenheitsgeschädigte Pflanze wird leichter von Schädlingen befallen“, sagt Mayr, während er die kurvige Straße nach Praxmar entlangfährt. Und: „Das habe ich jetzt gut getimt.“ Er deutet auf einen Waldbereich am Hang links der Straße, wo ein paar tote Bäume zu sehen sind. Sie sind Borkenkäfern zum Opfer gefallen.

Von Borkenkäfern und Downbursts

Der Borkenkäfer, erzählt Mayr, vermehrt sich exponentiell. In einem Sommer gibt es normalerweise zwei Generationen von Borkenkäfern, die zweite deutlich größer als die erste. Wenn es länger warm ist, schaffen die Borkenkäfer jedoch eine dritte Generation. Und dann wird es wirklich dramatisch. „Die Käferpopulation explodiert dann förmlich.“ Ein solcher Ausbruch verursacht absterbende Bäume auf großen Flächen, wobei geschwächte Bäume dem Borkenkäfer besonders leicht zum Opfer fallen.

Diese Fallwinde können einen Waldbereich regelrecht ummähen.

Ein paar Straßenkurven weiter sind die Folgen von lokalen Gewittern mit extremen Fallwinden zu beobachten, die Bäume umgeworfen haben – Downburst werden diese Phänomene genannt, die jetzt vermehrt auftreten. „Da kommt es zu einem schnellen Herabfallen von Luft in einem Gewitterturm“, erklärt Mayr. Diese Luft kühlt extrem ab und fällt mit einer enormen Geschwindigkeit nach unten. „Diese Fallwinde können einen Waldbereich regelrecht ummähen.“ Die betroffenen Bäume liegen dann wie Mikadostäbe am Boden, „sie wegzuräumen ist auch extrem gefährlich für die Forstarbeiter“.

Überwältigendes Panorama, unsichere Zukunft

„Und das hier ist unser Lieblingsbaum“, sagt Mayr plötzlich, parkt das Auto am Wegesrand, steigt aus und deutet auf eine imposante Fichte: „Es gibt auch schon mehrere Publikationen über ihn.“ Als einziger hier ist er gegen den Fichtennadel-Rostpilz resistent, mit dem alle Bäume um ihn herum zu kämpfen haben – und niemand weiß, warum.

Den Rostpilz gab es schon immer, aber in den vergangenen Jahrzehnten wurde er mehr und mehr zum Problem. Er befällt die Nadeln, die daraufhin – deshalb der Name – rostig aussehen und abgeworfen werden. Der Pilz kann das Wachstum der Bäume beeinflussen; auch mit freiem Auge ist zu sehen, dass der resistente Baum größer und vitaler ist als die ihn umgebenden. Seit mehreren Jahren wird die Ursache der Resistenz untersucht, um zukünftig vielleicht einmal resistente Pflanzen für Aufforstungen zur Verfügung zu haben. Jungbäume kann der Pilz nämlich sogar umbringen, erklärt Mayr, bevor er wieder ins Auto steigt.

Die Forschungsstation Praxmar aus der Luft
Nahe der Baumgrenze: Die Forschungsstation Praxmar in Tirol. © Rudi Wyhlidal

Oben bei der Forschungsstation in Praxmar angekommen, ist das Alpenpanorama überwältigend. Aber die Stimmung getrübt. Waldbrände, Rostpilz, Borkenkäfer: Sind die alpinen Wälder noch zu retten? „Ich bin kein Fan von Schwarzmalerei, aber es ist sicher keine Zeit, um sich zurückzulehnen“, sagt Mayr.

Klar ist: Die Alpenwälder müssen sich ändern – und es ist Zeit, sich vor allem in tieferen Lagen langsam von der Fichte zu verabschieden, die in Österreich mehr als die Hälfte des gesamten Waldbestandes ausmacht. „Der Plan ist, mehr auf Laubbäume und größere Biodiversität zu setzen“, sagt Mayr. Auch dabei gibt es Herausforderungen, etwa, dass Laubbäume gerne von Wildtieren angefressen werden. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Die Alpenwälder werden in Zukunft anders aussehen – und hoffentlich nicht alle abbrennen.

Über diese Serie

Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast beim „Austrian Space Weather Office“ in Graz, bei Markus Hengstschläger, der gerade an Embryoiden forscht, beim ISTA in Klosterneuburg, wo Francesco Locatello an kausaler KI forscht und im Naturhistorischen Museum, wo am Bestand der Blatthornkäfer geforscht wird sowie bei Elisabeth Mertl vom OFI, die daran forscht, wie Tierversuche in Zukunft vermieden werden können.

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