Armutsfalle Entwicklungshilfe

Migranten, Bürgerkriege, Hunger- und Naturkatastrophen dominieren die internationale Berichterstattung über Afrika und westliche Entwicklungshilfe hält den Kontinent in Abhängigkeit. Dabei bietet der Kontinent enorme Chancen für Europa.

Welcome Danca „Social Media Pressure“ 2023 | Technik: Acryl auf Leinwand | Maße: 60 × 120 cm. Das Bild zeigt verschiede Elemente an einer Wäscheleine – ein Handy eine EC-Karte, eine Markentasche und eine Flasche. Es illustriert einen Artikel darüber, wie westliche Entwicklungshilfe Afrika in Abhängigkeit hält und Innovation verhindert.
Welcome Danca „Social Media Pressure“ 2023 | Technik: Acryl auf Leinwand | Maße: 60 × 120 cm
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Auf den Punkt gebracht

  • Fehlentwicklung. Westliche Entwicklungshilfe hält den Kontinent in Abhängigkeit, verhindert Innovation und verstärkt Armutsnarrative durch Medien und NGOs.
  • Wertschöpfung. Afrika ist der rohstoffreichste Kontinent der Welt. In Zukunft sollten nicht nur Rohstoffkomponenten vermehrt vor Ort hergestellt werden.
  • Handel. Eine kontinentale Freihandelszone kann die Grundlage für integrierte Wertschöpfungsketten und einen riesigen Binnenmarkt bilden.
  • Menschen. Die junge Bevölkerung kann durch digitale Infrastruktur, Bildung und Qualifizierung zu einer leistungsfähigen globalen Arbeitskraft werden.

Die internationalen Handelssysteme und -beziehungen gestalten sich gerade neu. Eine erratische Zollpolitik und der Protektionismus der USA verändern weltweit Lieferketten und Beschaffungsstrategien. Das bietet Afrika eine einmalige Chance für seine Entwicklung: als globales Produktionszentrum, dynamischer Verbrauchermarkt und wichtiger Lieferant kritischer Industriekomponenten aus seiner riesigen Rohstoffbasis. Dazu muss sich Afrika jedoch aus seiner Abhängigkeit von ausländischer Hilfe lösen. Die Weiterentwicklung des Kontinents muss auf seiner eigenen Geschichte, seinen Ressourcen, seinem demografischen Potenzial und seiner geopolitischen Lage basieren.

So liefert zum Beispiel die Demokra­tische Republik Kongo über 70 Prozent des weltweiten Bedarfs an Kobalt, einem wichtigen Bestandteil von Batterien für Elektrofahrzeuge. Südafrika verfügt über etwa 90 Prozent der weltweiten Platinreserven und ist der weltweit größte Produzent von Platinmetallen, die für Wasserstoff-Brennstoffzellen und Elektronik unerlässlich sind. Insgesamt liegen rund 30 Prozent der weltweiten Mineralreserven in Afrika.

Paradoxerweise sind es die Geberländer, die das Narrativ der afrikanischen Armut und Hoffnungslosigkeit pflegen. Die Industrieländer verschaffen sich über bilaterale Verträge Zugang zu wichtigen Rohstoffen, landwirtschaftlichen Flächen, Arbeitskräften und Märkten. Gleichzeitig nutzen sie Entwicklungshilfeprogramme als Instrument zur Stabilisierung eines Systems, das den wirtschaftlichen Wandel auf dem Kontinent verhindert.

Die Armen und die weißen Ritter

Die Hilfe aus dem Ausland hat global und lokal ein Image geprägt, das Abhängigkeit, Rückständigkeit und wirtschaftliche Stagnation besonders in den Fokus rückt. Entwicklungshilfe hemmt aber das Unternehmertum und fördert die Abhängigkeit von ausländischen Akteuren. Sie verzerrt die wirtschaftlichen Anreize und untergräbt damit die Fähigkeit afrikanischer Länder, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Die Narrative der Hilflosigkeit ersticken lokale Initiativen zur Ressourcenbeschaffung. So wird ein reicher Kontinent in Armut gefangen gehalten.

Wenn Medien über Afrika berichten, konzentriert man sich gern auf Kon­flikte, Krankheiten und humanitäre Krisen. Einer Inhaltsanalyse zufolge ging es in der Berichterstattung westlicher Medien zwischen 2015 und 2021 zu rund 65 Prozent um Nachrichten dieser Art, während der Anteil an wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten nur 20 Prozent betrug. Die Medien stellen afrikanische Länder als handlungsunfähige, passive Nehmer und stimmlose Opfer dar und überschatten damit Berichte über lokale Innovationen und Unternehmertum.

Darüber hinaus werden die Narrative der „Hilflosigkeit“ und des „weißen Retters“ durch westliche Wohltätigkeitseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verstärkt. Sie sind in den 1980er-Jahren durch Band Aid und Live Aid populär geworden und heute noch durch den anhaltenden Tourismus in Kinderwaisenhäusern präsent. Das erstickt lokale Initiativen zur Ressourcenbeschaffung und führt zu einer falschen wirtschaftlichen Prioritätensetzung. So wird ein reicher Kontinent in Armut gefangen gehalten.

Geschwächte Strukturen

Da eine eigene Erzählung als Messlatte für die Erreichung wirtschaftlicher Ziele fehlt, ist der Kontinent externen Vorbildern und geopolitischen Machtspielen ausgesetzt. Die Führungskräfte des Kontinents richten ihre Politik an den Erwartungen der Geber aus statt an den lokalen Bedürfnissen und konzentrieren sich auf kurzfristige, von außen finanzierte Projekte. Die langfristig dringend notwendige Industrialisierung und die damit einhergehende Transformation bleiben auf der Strecke.

Die westlichen Länder knüpfen Hilfe an Werte und politische Auflagen, wie beispielsweise die vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank auferlegte wirtschaftliche Liberalisierung. Als Folge verlagern afrikanische Staats- und Regierungschefs die Verantwortung von den inländischen Steuerzahlern auf externe Geber – was die institutionelle Entwicklung und die politische Auto­nomie gleichermaßen schwächt.

So begünstigen die Geber im Agrarsektor eine industrielle Landwirtschaft, die durch Monokulturen gekennzeichnet ist und Cash Crops produziert – das sind Agrarprodukte, die primär für den Export angebaut werden. Der Anbau von Nahrungsmitteln zur Selbstversorgung kommt dabei viel zu kurz. Infolgedessen wurden über 30.000 einheimische Nutzpflanzenarten vernachlässigt und stattdessen Arten angebaut, die von den Gebern gefördert werden. Afrika ist dadurch zu einem Nettoimporteur von Lebensmitteln geworden, dessen Einkaufsvolumen 2025 auf bis zu 110 Milliarden US-Dollar pro Jahr steigt. Gleichzeitig sind über 280 Millionen Menschen von Hunger, Unterernährung und Ernährungsunsicherheit betroffen.

Auch im Gesundheitssektor zeigen sich am Beispiel Kenia typische Nebenwirkungen der Abhängigkeit von Gebern: 90 Prozent der Impfstoffe und Medikamente des Landes kommen aus dem Ausland. NGOs betreiben parallele Gesundheitssysteme, die das nationale Gesundheitswesen der Regierung schwächen.

Olwethu De Vos „What we declare with our mouths shall pass“ 2023 | Technik: Drucktinte, Kupfer, Aluminium und Stahlwolle auf MDF-Platte | Maße: 50 × 70 × 4 cm
Olwethu De Vos „What we declare with our mouths shall pass“ 2023 | Technik: Drucktinte, Kupfer, Aluminium und Stahlwolle auf MDF-Platte | Maße: 50 × 70 × 4 cm © Olwethu De Vos

Rohstoffe statt Industrie

Überall verzerrt Entwicklungshilfe Märkte und schafft künstliche wirtschaftliche Bedingungen, die das Potenzial zum Aufbau einer regionalen Industrie untergraben. Obwohl die 1,3 Milliarden Menschen des Kontinents 16,3 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, hat Afrika nur einen Anteil von 2,9 Prozent an der weltweiten Produktion und 2,6 Prozent am weltweiten Handel. Hilfsabkommen zum Ausbau der Infrastruktur in Afrika konzentrieren sich auf Rohstoffindustrien wie Öl, Mineralien und Landwirtschaft für den Export. Der ganze Kontinent wird zu einem Rohstofflieferanten für Indus­trieländer degradiert.

Die BRICS, eine Staatengruppe ohne westliche Länder unter der Führung Chinas, spricht diese Probleme an. Sie drängt auf eine Überprüfung und Neugestaltung globaler Bewertungssysteme und einer Finanzarchitektur, durch die Afrika aufgrund voreingenommener Kreditbewertung jährlich geschätzt 74,5 Milliarden US-Dollar verliert.

Der Anteil an Fremdkapital, das die persönlichen Machtinteressen der Eliten stützt, muss zurückgeschraubt werden.

Die Devisenreserven Afrikas werden in internationalen Handelswährungen gehalten. Keine der afrikanischen Währungen dient als Reservewährung. Infolgedessen fließt das Kapital in den Westen ab. Aufgrund der Aufnahme von Krediten in Fremdwährungen und der damit verbundenen Wechselkursschwankungen wird die Schuldenkrise des Kontinents zusätzlich verschärft. Ebenfalls schädlich für Afrika ist der hier vorherrschende „Pit to Port“-Bergbau. Dabei werden Rohmineralerze aus den Bergwerken gewonnen und zur Ausfuhr zu den Häfen transportiert. Sämtliche Möglichkeiten zur lokalen Verarbeitung und Wertschöpfung werden damit umgangen.

Partner im Fortschritt

Die aktuelle Neugestaltung des internationalen Handelssystems durch aggressive Zölle der USA und die finanziellen Belastungen der westlichen Volkswirtschaften sollten Afrika veranlassen, die Abhängigkeit von ausländischer Hilfe zu überdenken, sich aus der Falle der Entwicklungshilfe zu befreien und einen eigenen Weg einzuschlagen. Im Zuge dessen muss der Anteil an Fremdkapital, das die persönlichen Machtinteressen der Eliten stützt, zurückgeschraubt werden. Der Fokus sollte sich auf langfristige Entwicklungsziele richten und die Fähigkeit zur Generierung eigener Einnahmen fördern.

Afrika muss seine Ressourcen, seine Bevölkerung und seine geopolitische Bedeutung nutzen, um seine Rolle in der globalen Wirtschaft neu zu definieren – nicht als Empfänger von Hilfe, sondern als gleichberechtigter Partner im Fortschritt. Um dies zu erreichen, muss der Kontinent vor allem die grassierende Korruption der Eliten mittels robuster Good Governance bekämpfen. Nur dann kann der Wohlstand der wachsenden Mittelschicht, deren Konsumausgaben bis 2030 voraussichtlich auf 2,5 Billionen US-Dollar anwachsen werden, den eigenen Gesellschaften zugutekommen. Außerdem sollte eine Reform des Bildungssystems den Schwerpunkt auf digitale Technologien und Künstliche Intelligenz legen.

Worauf man achten muss

Für die künftige Entwicklung des Kontinents werden drei Punkte entscheidend sein.

I. Die Narrative: Westliche ­Stereotype über Afrika sollten mit digitalen Plattformen entkräftet werden. Es gilt, mit den internationalen Medien einen klaren Dialog über die Handlungsfähigkeit der Menschen und die lokale Wertschöpfung zu führen, um Transparenz, Vertrauen und ein wettbewerbsfähiges Wirtschaftsumfeld zu schaffen.

II. Der Handel: Afrika sollte sein Potenzial als kostengünstiger Standort nutzen, um Produktionszentren für globale Märkte über den Rohstoffsektor hinaus aufzubauen. Die Bemühungen zur Verwirklichung der kontinentalen Freihandelszone sind zu beschleunigen, um die Grundlage für integrierte Wertschöpfungsketten und Industriekorridore zu schaffen. Zudem sollten regionale Zentren für die Produktion kritischer Rohstoffkomponenten gebildet werden, etwa in der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia, sowie Cluster für digitale und elektronische Komponenten in Kenia, Südafrika und Nigeria.

III. Die Demografie: Afrikas junge und überaus technikaffine Bevölkerung ist eine Triebkraft für Innovation und Unternehmertum. Gezielte Investitionen in digitale Infrastruktur, Bildung und Qualifizierung können Afrika in die Lage versetzen, eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung einer leistungsfähigen globalen Arbeitskraft zu spielen.

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Conclusio

Abhängigkeit. Entwicklungshilfe verzerrt die Märkte und untergräbt den Aufbau einer regionalen Indus­trie. Die Abhängigkeit von Geberländern degradiert den Kontinent zum bloßen Rohstofflieranten für wohlhabende Industrienationen.

Neustart. Afrika muss die Opferrolle ablegen, das Fremdkapital reduzieren und mit Erfolgsgeschichten Vertrauen in die eigene Kraft schaffen. Der Kontinent braucht ein neues Selbstverständnis seiner wirtschaftlichen Stärke.

Entwicklung. Die globale Neu­ordnung der Lieferketten eröffnet Afrika die Chance, Rohstoffe künftig vermehrt selbst zu verarbeiten. Wird die grassierende Korruption erfolgreich bekämpft, kommt der Wohlstand der Bevölkerung zugute,

Die abgebildeten, zeitgenössischen Kunstwerke sind von afrikanischen Malern, die zu den besten ihres Kontinents gehören und am Kunstmarkt hoch angesehen sind. Alle Künstler werden exklusiv von der Schütz Art Galerie in Engelhartszell vertreten. Die Bilder gelangen zusammen mit Werken aller gezeigten Künstler in den weiteren Reports des Dossiers zu einer Auktion, deren Reinerlös der Förderung von Bildung und wirtschaftlicher Entwicklung in Afrika zugutekommt. Zeit und Ort sowie weitere Details erfahren Sie in unserem Newsletter oder auf derpragmaticus.com.

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