EU-USA-Zollabkommen: Europas letzte Chance?

Das EU-USA-Zollabkommen ist ein kostspieliger Kompromiss. Noch einmal darf Europa nicht in diese Lage geraten. Nun sollte Brüssel ohne die Amerikaner den Welthandel neu aufbauen.

In Donald Trumps schottischem Golfresort besiegelten der US-Präsident und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag mit einem Händedruck ein folgenreiches EU-USA-Zollabkommen.
In Donald Trumps schottischem Golfresort besiegelten der US-Präsident und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag mit einem Händedruck ein folgenreiches Handelsabkommen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Deal. Trump und von der Leyen einigten sich in Schottland auf ein unverbindliches EU-USA-Zollabkommen, das jederzeit widerrufbar bleibt.
  • Rekord. Die USA erheben durchschnittlich 18 Prozent Zölle weltweit und fordern von der EU 750 Milliarden Dollar Gasimporte plus 600 Milliarden an Investitionen.
  • Domino. Nach Japan gab auch die EU Trumps Druck nach und beschädigte damit das Welthandelssystem schwer.
  • Ausweg. Die EU sollte eine WTO ohne USA gründen und neue Märkte erschließen.

Nun ist es scheinbar vollbracht: Die EU und die USA haben sich im Zollstreit geeinigt. „Gewissheit in unsicheren Zeiten,“ würde das laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schaffen. Leider liegt sie damit ziemlich falsch.

Was ist der Stand der Dinge?

In Donald Trumps schottischem Golfresort in Turnberry haben sich der US-Präsident und Ursula von der Leyen am Wochenende auf ein Rahmenabkommen zur Neugestaltung der Handelsbeziehungen geeinigt. Obwohl viele Details des Abkommens noch unklar oder interpretationsbedürftig sind, lassen sich in der Zusammenschau mit weiteren US-Deals, etwa mit dem Vereinigten Königreich, Japan, Indonesien, Vietnam und der Zollpause mit China Tendenzen erkennen. Die Aussichten für das globale Handelssystem sind dabei alles andere als vielversprechend.

US-Protektionismus

Die USA, einst Vorkämpfer des freien Welthandels, zählen unter Präsident Trump inzwischen zu den protektionistischsten Volkswirtschaften weltweit. Auf Grundlage abgeschlossener Rahmenabkommen und unilateraler Zollerhöhungen (z. B. 50 Prozent auf brasilianische und 55 Prozent auf chinesische Importe) liegt der durchschnittliche effektive Zollsatz der USA derzeit bei 18,2 Prozent. So hoch wie zuletzt 1934. Kein Land konnte in Verhandlungen mit Washington bisher durchsetzen, dass die neuen Zollbeschränkungen vollständig aufgehoben werden.

Dass die Zölle zu einem Gutteil von US-Unternehmen und Konsumenten getragen werden dürften, nimmt er in Kauf.

Trump verfolgt mit dieser Zollpolitik zwei Ziele: Die Handelsbilanz der USA zu verbessern und durch Zolleinnahmen seine Haushaltsversprechen zu finanzieren. Dass die Zölle zu einem Gutteil von US-Unternehmen und Konsumenten getragen werden dürften, nimmt er in Kauf. Erste Folgen für maßgebliche Industrieunternehmen zeigen sich bereits: General Motors etwa meldete für das zweite Quartal Zollkosten von über einer Milliarde US-Dollar. Unter den Zöllen leiden jedoch auch europäische Unternehmen. Volkswagen beziffert die Zollkosten für das erste Halbjahr mit 1,3 Milliarden Euro.     

Unsicheres EU-USA-Zollabkommen

Das neue Rahmenabkommen zwischen der EU und den USA könnte eine Atempause im Handelskonflikt bringen, jedoch womöglich keine dauerhafte Lösung. Ähnlich wie beim jüngsten US-Japan-Abkommen verpflichtet sich die EU unter anderem zum Import von US-Flüssiggas im Wert von 750 Milliarden Dollar über drei Jahre. Zudem sollen europäische Unternehmen Investitionen in den USA in Höhe von 600 Milliarden Dollar tätigen.

Doch Investitionsentscheidungen werden in marktwirtschaftlichen Systemen von Unternehmen getroffen, nicht von Regierungen. Das Abkommen bleibt somit rechtlich unverbindlich und politisch vage. Trump könnte jederzeit, etwa aus einer Laune heraus, neue Zölle verhängen und damit den Konflikt anheizen. In einem derart handelspolitisch unsicheren und volatilen Umfeld bleiben nachhaltige wirtschaftliche Beziehungen schwer vorstellbar.

Der erste Dominostein

Zunächst schien Trumps aggressive handelspolitische Strategie zu scheitern: Die Ankündigung „reziproker Zölle“ am 2. April, dem selbsternannten „Liberation Day“, ließ die US-Börsen stark nachgeben und erhöhte die Risikoaufschläge auf die für die Haushaltsfinanzierung so wichtigen US-Staatsanleihen. Trump sah sich gezwungen, die meisten Zölle für 90 Tage auszusetzen und lediglich einen Zehn-Prozent-Basiszoll auf nahezu alle Importe in die USA zu erheben. Ausgenommen blieb China, mit dem der Konflikt eskalierte: Zwischenzeitlich erhoben die USA Zölle von bis zu 145 Prozent, China konterte mit 115 Prozent.

Mitte Mai einigten sich die beiden Länder auf eine „Zollpause“, seither sind chinesische Exporte in die USA mit 55 Prozent belegt, US-Exporte nach China mit zehn Prozent. Während der ersten Verhandlungsfrist schloss Washington lediglich zwei neue Rahmenabkommen, mit dem Vereinigten Königreich und Vietnam. Zwei Länder, für die die USA ein sehr viel wichtiger Handelspartner ist als umgekehrt.

Druck erhöht

Kurz vor dem Ende der Verhandlungsfrist am 9. Juli erhöhte Trump den Druck: In persönlichen Briefen an die politischen Entscheidungsträger zentraler Handelspartner drohte er mit noch höheren Zöllen. Die EU etwa wurde mit 30 Prozent Zollandrohung konfrontiert. Gleichzeitig verlängerte er die Verhandlungsfrist bis zum 30. Juli. Einer der Schritte, der ihm vor allem in sozialen Medien den Spottnamen TACO („Trump Always Chickens Out“) einbrachte und seine Entschlossenheit wohl nur stärkte.

Die Briefe Trumps zeigten auf der Gegenseite offenkundig Wirkung. Am 22. Juli erklärte sich Japan, das fünftwichtigste Herkunftsland für US-Importe, bereit, einem Abkommen mit einem einheitlichen Zollsatz von 15 Prozent zuzustimmen. Damit war der erste Dominostein einer großen Volkswirtschaft gefallen. Der Druck auf andere zentrale Handelspartner der USA ebenfalls ein Abkommen zu erreichen, nahm zu.

Teile und herrsche

Diesen Sonntag folgte die EU: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stimmte einem in wesentlichen Punkten ähnlichen Abkommen zu. Von den wichtigsten Handelspartnern stehen Verhandlungsergebnisse nun vorläufig nur für Kanada und Mexiko noch aus.  Beide Länder müssen inzwischen jedoch davon ausgehen, dass Trump seine für den 1. August angekündigten Zollmaßnahmen auch umsetzt. Sollte er diese Drohung nämlich nicht wahr machen, könnten sich Volkswirtschaften mit vereinbarten Rahmenabkommen, wie Japan und die EU, sich nicht länger an ihre Zusagen gebunden fühlen.

Hätten alle geschlossen auf seine Briefe nicht reagiert und glaubwürdige Gegenmaßnahmen gesetzt, wäre ihre Verhandlungsposition besser geblieben.

Mit der Vereinbarung mit Japan haben Trumps Drohungen an Glaubwürdigkeit gewonnen und seine Verhandlungsposition spürbar gestärkt. Hätten alle bedrohten Volkswirtschaften geschlossen auf seine Briefe nicht reagiert und ihrerseits glaubwürdige Gegenmaßnahmen gesetzt, wäre ihre Verhandlungsposition aller US-Handelspartner besser geblieben.

WTO am Ende

Die neue US-Handelspolitik widerspricht in sämtlichen Aspekten dem regelbasierten multilateralen Handelssystem und den Vorgaben der Welthandelsorganisation (WTO). Das Kernprinzip der Meistbegünstigungsklausel, wonach allen Handelspartnern gleich niedrige Zollsätze gewährt werden müssen, wird durch reziproke und länderspezifische Importzölle ausgehebelt. Die bilateralen Rahmenabkommen, die neue Handelsbarrieren einführen, stehen zudem im Widerspruch zum Grundsatz der gebundenen Zölle. Dieser besagt, dass einmal zugesicherte Zollsätze nur bei nachgewiesenen unfairen Handelspraktiken vorübergehend und anlassbezogen angehoben werden dürfen.

Dass nun mit dem Vereinigten Königreich, Japan und der EU drei große marktwirtschaftlich geprägte Volkswirtschaften und allesamt zentrale Akteure und Profiteure des multilateralen Handelssystems Abkommen akzeptiert haben, die in ihren Kernelementen diesem System fundamental zuwiderlaufen, markiert eine tiefgreifende Zäsur und einen schweren Schlag für den regelbasierten Multilateralismus.

Darüber hinaus führt der präferentielle Marktzugang für die USA in mehreren Branchen zu Wettbewerbsnachteilen für andere Handelspartner, gerade für jene gegenüber denen die EU in der Vergangenheit mit Nachdruck auf die Einhaltung der WTO-Regeln gepocht hat. Ob sich die WTO von diesem Einschnitt in absehbarer Zeit erholen kann und wie die EU ihre bisherige handelspolitische Haltung gegenüber Drittstaaten künftig glaubwürdig vertreten will, ist angesichts des Turnberry-Abkommens mehr als fraglich.

Neue Welthandelsordnung

Spätestens seit Trumps zweiter Amtszeit ist klar: Die USA sind kein verlässlicher Partner in der internationalen Handelspolitik mehr. Das USA-EU-Abkommen zeigt, wie die sicherheitspolitische Abhängigkeit Europas als Druckmittel für ökonomische Interessen genutzt wird. Trump nimmt auch bereitwillig Kosten für die US-Wirtschaft in Kauf, im Gegentausch zu einer vermeintlich „goldenen Zeit“, wie auch immer diese aussehen mag. Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen waren für beide Seiten vorteilhaft, für die EU im Warenhandel, für die USA im Dienstleistungssektor. Diese Balance scheint fürs Erste verloren.

Der Deal mit Trump bedeutet einen erheblichen Reputationsverlust für die EU.

Der Deal mit Trump bedeutet einen erheblichen Reputationsverlust für die EU. Um wieder glaubwürdig zu werden, braucht es neue Initiativen für ein regelbasiertes Handelssystem, wohl ohne Mitwirkung der USA. Der Vorschlag von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr zur Bildung einer „WTO minus 1“ könnte dafür eine Grundlage bieten. Statt die Welthandelsregeln auszuhebeln, könnte die EU allen Ländern, außer den USA, einen freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt gewähren und nur anlassbezogene Zölle verhängen. Dass die USA ausscheren, muss Brüssel hinnehmen, könnte aber an einer neuen WTO, ohne die Amerikaner arbeiten.

Neue Abkommen

Parallel gilt es, neue Märkte zu erschließen, um die wirtschaftlichen Verluste auszugleichen. WTO-konforme Handelsabkommen sind hier naheliegend, auch weil einige ausverhandelt sind und ausschließlich die politische Zustimmung der EU-Gremien ausständig ist. Und: Die EU muss ihre Anstrengungen deutlich verstärken, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsstandorts nachhaltig zu verbessern. Eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit würde es den Unternehmen im Binnenmarkt erleichtern, mit erratischen handelspolitischen Einschränkungen besser umzugehen und überraschende neue Handelsbarrieren leichter zu überspringen.

Eine diversifizierte Handelspolitik und mehr wirtschaftliche Eigenständigkeit würden die EU robuster gegenüber zukünftigen Erpressungsversuchen machen. Diesmal konnte Donald Trump mit seiner Erpressung einen politischen Erfolg erzielen. Die wirtschaftlichen Kosten werden jedoch auch in den USA spürbar sein. Ein zweites Mal sollte die EU nicht in eine derartige Lage geraten. Von der angepriesenen Gewissheit sind wir leider noch weit entfernt.

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Conclusio

Abgeschottet. Trumps Zollpolitik hat die USA zum protektionistischsten Land seit 1934 gemacht und die EU zu kostspieligen Gas- und Investitionszusagen gedrängt, während das multilaterale WTO-System fundamental untergraben wurde.

Zeitenwende. Diese Entwicklung markiert das Ende der regelbasierten Welthandelsordnung und zeigt, wie sicherheitspolitische Abhängigkeiten als wirtschaftliche Druckmittel missbraucht werden können.

Initiative. Europa muss jetzt durch eine diversifizierte Handelspolitik, neue WTO-konforme Abkommen und die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit seine strategische Autonomie zurückgewinnen.

Weiterführende Quellen:

Stand der US-Zölle von „the budget lab“
Vorschlag von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr für eine WTO minus 1 auf der Plattform „X“

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